BT-Drucksache 17/3202

Kirgistan unterstützen - Den Frieden sichern

Vom 6. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3202
17. Wahlperiode 06. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian
Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kirgisistan unterstützen – Den Frieden sichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Juni dieses Jahres wurde Kirgisistan von schweren ethnischen Unruhen im
Süden des Landes zwischen Kirgisinnen und Kirgisen und der usbekischen Min-
derheit erschüttert, bei denen Hunderte Menschen, überwiegend Usbekinnen
und Usbeken, starben und Tausende flohen. Trotz eines erfolgreichen und relativ
friedlichen Verfassungsreferendums am 27. Juni 2010, mit dem Kirgisistan
einen wichtigen Schritt hin zu einer parlamentarischen Demokratie gegangen
ist, bleibt die Lage in Kirgisistan in höchstem Maße besorgniserregend.

Die politische Lage im Süden des Landes ist weiterhin sehr angespannt. Dort
lebt der Großteil der usbekischen Minderheit mit einem Anteil von ca. 18 Pro-
zent bzw. 700 000 Menschen. Seit den Unruhen herrscht eine de facto Segrega-
tion der Bevölkerung. Die usbekischen Viertel tragen noch immer die Zeichen
der Verwüstung durch die Unruhen im Juni 2010. Usbekinnen und Usbeken be-
waffnen sich zunehmend selbst, da ihr Vertrauen in staatliche Institutionen auf-
grund der geringen Anzahl von Usbekinnen und Usbeken in Militär und Polizei
gestört ist. Mögliche Verstrickungen kirgisischer Politikerinnen und Politiker
und Sicherheitskräfte in die Unruhen im Juni 2010 wurden bislang nicht syste-
matisch aufgeklärt. Eine internationale Untersuchung der Unruhen, wie sie auch
von der OSZE gefordert wird, ist dringend notwendig.

Nach dem Sturz des autokratischen Präsidenten Kurmanbek Bakijev im April
2010 löste die gebildete Übergangsregierung das Parlament auf und kündigte
rasche Neuwahlen an. Diese wurden wegen der ethnischen Unruhen auf Okto-
ber 2010 verschoben; Rosa Otunbajeva wurde bereits im Zuge des Verfassungs-
referendums als Präsidentin bis Dezember 2011 bestätigt. Gerade im Umfeld der
Wahlen werden nun die ethnischen Spannungen von nationalistischen Politike-
rinnen und Politikern und Medien zusätzlich geschürt.

Zugleich nehmen die Spannungen zwischen der Zentralregierung im nördlichen
Bischkek und den lokalen Institutionen in den südlichen Provinzen weiter zu.
Der Süden Kirgisistans ist stark geprägt von organisierter Kriminalität und gilt
als wichtiger Drogenumschlagplatz. Die Regierung von Rosa Otunbajeva war
bisher nicht in der Lage, die vollständige Kontrolle über den Süden des Landes
zu erreichen. Nach dem gescheiterten Versuch, den Bürgermeister von Osch ab-

Drucksache 17/3202 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

zusetzen, ist sie weiter geschwächt. Unklar bleibt auch, in welchem Umfang die
Zentralregierung die Kontrolle über die Sicherheitskräfte im ganzen Land und
insbesondere im Süden hat.

Eine weitere Eskalation der Lage in Kirgisistan bedroht damit nicht nur die
usbekische Minderheit, sondern die Stabilität Kirgisistans insgesamt. Im
schlimmsten Fall drohen ein Zerfall der Zentralstaatlichkeit und die Entstehung
eines Rückzugsraums für organisierte Kriminalität und islamistische Terroristen
im Süden des Landes. Insgesamt ist durch eine weitere Verschärfung der Lage
in Kirgisistan eine gefährliche Destabilisierung der gesamten zentralasiatischen
Region zu befürchten.

Bisher ist die Reaktion der Internationalen Gemeinschaft auf die Krise in Kirgi-
sistan unzureichend. Maßnahmen, um die Situation während der Unruhen im
Juni 2010 zu stabilisieren, blieben weitestgehend aus. Russland und die Organi-
sation des Vertrags über Kollektive Sicherheit (OVKS) sowie die USA lehnten
trotz Bitten der kirgisischen Präsidentin militärische Unterstützung ab. Humani-
täre und finanzielle Soforthilfe wurde jedoch in großem Umfang gewährt.

Die Stabilität Kirgisistans liegt im Interesse der gesamten Staatengemeinschaft,
da der Zerfall Kirgisistans einen Flächenbrand in der gesamten Region zur Folge
haben könnte. Die Internationale Gemeinschaft und die EU müssen daher
krisenpräventiv tätig werden, um eine mögliche weitere Eskalation der Gewalt
zu verhindern. Die EU muss dabei ihrer besonderer Verantwortung, wie sie in
der EU-Zentralasienstrategie niedergelegt ist, nachkommen. Eine wichtige
Rolle kommt zudem den Ländern in der Region zu. Einen Beitrag kann auch die
bestehende OSZE-Mission in Kirgisistan mit ihren Büros in Bischkek und in
Osch leisten.

Die Herstellung von Stabilität und Sicherheit in Kirgisistan wird nur im Rahmen
eines langfristigen Prozesses möglich sein. Besonders dringlich ist jedoch die
Verhinderung einer erneuten Eskalation der Gewalt. Der Bundesminister des
Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, und der französische Minister für aus-
wärtige und europäische Angelegenheiten, Bernard Kouchner, haben an den
kasachischen OSZE-Vorsitz die Forderung gerichtet, die bereits beschlossene
Entsendung eines auf 52 Personen begrenzten OSZE-Polizeikontingents um-
zusetzen. Die Entsendung eines Polizeikontingents zur Wiederherstellung der
Sicherheit reicht jedoch nicht aus und ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht
umsetzbar. Obwohl die kirgisische Präsidentin Rosa Otunbajeva die Entsendung
von OSZE-Polizistinnen und Polizisten ursprünglich begrüßte, unterschrieb sie
das erforderliche Memorandum schließlich nicht, da sie dem Druck der Macht-
haber im Süden des Landes nachgeben musste und für die Sicherheit der Poli-
zistinnen und Polizisten nicht garantieren konnte. Der Sicherheitsrat der Verein-
ten Nationen ist daher gefordert, Maßnahmen zur Herstellung von Stabilität und
Sicherheit in Kirgisistan sowie zur Sicherung einer zu entsendenden OSZE-Mis-
sion zu beschließen. Eine Internationale Mission muss zur Herstellung der Sicher-
heit, zu einer Deeskalation des Konflikts und zur politischen Stabilisierung des
Landes beitragen. Dabei muss der Ablehnung einer internationalen Präsenz
durch die kirgisische Bevölkerung im Süden des Landes ebenso Rechnung ge-
tragen werden wie der dauerhaften Bedrohung der Minderheit ohne effektiven
Schutz.

Unabdingbare Voraussetzung für einen möglichen friedenssichernden Einsatz
der Vereinten Nationen ist die Zustimmung der kirgisischen Übergangsregierung.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3202

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen aufzufordern, die Situation in
Kirgisistan zu beraten und Maßnahmen zur Herstellung von Stabilität und
Sicherheit in Kirgisistan sowie zur Sicherung einer zu entsendenden OSZE-
Mission zu ergreifen;

2. sich gegenüber der Regierung Kirgisistans nachdrücklich für eine interna-
tionale Untersuchung der Unruhen im Juni 2010 durch den Hohen Kommis-
sar für Menschenrechte der Vereinten Nationen oder den Hohen Kommissar
für Nationale Minderheiten der OSZE einzusetzen;

3. sich bei der Regierung Kirgisistans und allen Konfliktparteien für den Beginn
eines konstruktiven politischen Prozesses einzusetzen, um eine langfristige
politische Stabilisierung des Landes zu erreichen sowie diesen Prozess aktiv
zu begleiten und abzusichern;

4. Kirgisistan bilateral und im Rahmen der EU sowie der OSZE bei der Reform
der Polizei, bei der Stärkung von Rechtstaatlichkeit und Good Governance,
dem Schutz der Rechte von Minderheiten und der Einleitung eines politi-
schen Versöhnungsprozesses zu unterstützen;

5. im Rahmen des Ressortkreises Zivile Krisenprävention über Kirgisistan zu
beraten und eine kohärente Strategie zur Stabilisierung der politischen Situa-
tion und der langfristigen Stärkung politischer Institutionen zu erarbeiten.

Berlin, den 5. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.