BT-Drucksache 17/3155

Menschenrechte in Usbekistan

Vom 4. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3155
17. Wahlperiode 04. 10. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck (Köln), Marieluise
Beck (Bremen), Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy,
Tom Koenigs, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia
Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechte in Usbekistan

In Usbekistan herrschen noch immer unhaltbare menschenrechtliche Zustände.
Der restriktive Apparat von SNB (usbekische Staatssicherheit), Polizei und Jus-
tiz überwacht politische Gegner, Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, an-
gebliche Islamisten („Wahhabiten“) und Mitarbeiter von Menschenrechtsorga-
nisationen permanent. Die Sicherheitsorgane schüchtern ein, setzen Personen
nicht selten über beträchtliche Zeiträume grundlos fest, erwirken Geständnisse
durch Einsatz von Folter und sorgen dafür, dass die Justiz missliebige Personen
durch die Verhängung hoher Freiheitsstrafen für Jahre aus dem Verkehr zieht.
Häufig wird die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus von der Regie-
rung als Begründung für repressives Vorgehen, Verfolgung und sehr zahlreiche
willkürliche Inhaftierungen angeführt. Verhaftungen unter dem Vorwurf des re-
ligiösen Extremismus haben insgesamt deutlich zugenommen. Regimegegner
und Oppositionelle ohne extremistischen Hintergrund werden verstärkt unter
dem Vorwand der Terrorbekämpfung verfolgt.

Die Arbeit unabhängiger Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wird von staat-
licher Seite unter Zuhilfenahme eines extra hierfür geschaffenen NGO-Geset-
zes behindert oder unmöglich gemacht. Die Religionsfreiheit ist nicht gewähr-
leistet. Anhängerinnen und Anhänger christlicher Glaubensrichtungen werden
verfolgt und ihnen wird unter Verweis auf das NGO-Gesetz die Religionsaus-
übung verboten. Die Meinungs- und Pressefreiheit werden staatlicherseits stark
beschnitten. Internationale Medien sind hiervon stark betroffen, weshalb eine
unabhängige Berichterstattung kaum möglich ist.

Fünf Jahre nach der blutigen Niederschlagung einer Demonstration in Andischan
sind die damaligen Vorfälle immer noch nicht unabhängig aufgeklärt worden.

Im Herbst jedes Jahres kommt es regelmäßig zu besonderen Menschenrechts-
verletzungen gegenüber Kindern. Jedes Jahr werden Tausende von ihnen zur
Baumwollernte gezwungen. Usbekistan ist der fünftgrößte Baumwollproduzent

und der zweitgrößte Baumwollexporteur. Der Staat hat das Monopol über die
Produktion und den Export. 90 Prozent der Baumwolle werden noch per Hand
geerntet. Schulen werden zu Beginn des Schuljahres während der gesamten
Erntezeit von ca. zwei bis drei Monaten geschlossen und die Kinder zur Ernte
verpflichtet. Eltern, die ihre Kinder nicht zur Ernte schicken wollen, werden be-
droht. Zum Teil richten sich die Drohungen sogar direkt gegen die Schülerin-
nen und Schüler. Darüber hinaus wird den Eltern der Zutritt zu den Feldern, auf

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denen ihre Kinder arbeiten, nur nach langwierigen Ausweisprozeduren erlaubt.
Die Kinder müssen eine tägliche Quote von 30 bis 50 Kilogramm Baumwolle
pflücken und werden dafür äußerst gering entlohnt. Dieser niedrige Lohn wird
durch die notwendigen Ausgaben für Transport und Verpflegung bereits ver-
braucht. 2008 hat Usbekistan aufgrund internationalen Drucks die Konven-
tionen 138 und 182 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterschrie-
ben und außerdem im September 2008 einen nationalen Aktionsplan zur Imple-
mentierung der beiden Richtlinien beschlossen. Die Umsetzung zeigt bisher
jedoch kaum Ergebnisse. Nichtregierungsorganisationen werfen der Regierung
vor, dass sie keine geeigneten Schritte unternommen habe, um die Situation zu
verbessern, sondern die Überwachung der Baumwollernte intensiviert habe und
Journalistinnen und Journalisten und Menschenrechtsaktivistinnen und -ak-
tivisten von den Feldern fernhalte. Der usbekische Staat verdient jährlich etwa
1 Mrd. US-Dollar an dem Geschäft mit der Baumwolle.

Vereinzelte positive Veränderungen wie etwa die Abschaffung der Todesstrafe
dürfen über die katastrophalen menschenrechtlichen Zustände in Usbekistan
nicht hinwegtäuschen.

Die EU führt mit den fünf zentralasiatischen Staaten im Rahmen der seit 2007
bestehenden EU-Zentralasienstrategie Menschenrechtsdialoge durch, die die
Staaten darin unterstützen sollen, die Menschenrechtssituation zu verbessern.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Menschenrechtslage in Usbekistan?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirkung der EU-Sanktionen gegen
Usbekistan?

3. Welche konkreten Programme und Projekte mit Menschenrechtsbezug sind
bisher als Konsequenz der EU-Zentralasienstrategie in Usbekistan um-
gesetzt worden, und wie beurteilt die Bundesregierung den Erfolg dieser
Maßnahmen?

4. Wie sehen die derzeitigen konkreten zeitlichen und inhaltlichen Zielverein-
barungen im Menschenrechtsdialog von EU und Usbekistan aus?

a) Wer ist auf beiden Seiten an diesem Dialog beteiligt?

Werden in diesen Dialog auch zivilgesellschaftliche Akteure einbezogen,
und wenn ja, welche?

b) Welche Zugeständnisse hat die usbekische Regierung bisher im Rahmen
dieses Dialogs gemacht und umgesetzt?

5. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die massive Beschrän-
kung der Aktivitäten von lokalen und internationalen Nichtregierungsorga-
nisationen in Usbekistan?

Wie sind diese Einschränkungen auch gesetzlich verankert?

Welche internationalen Nichtregierungsorganisationen können noch in
Usbekistan arbeiten?

6. Über welche Kenntnisse verfügt die Bundesregierung bezüglich der Haft-
bedingungen in Usbekistan?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung den Zugang von UN-Sonderbericht-
erstattern und -erstatterinnen und dem Internationalen Komitee vom Roten
Kreuz in Usbekistan?

8. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Verhaftung und Ver-

urteilung von Oppositionellen und von Menschenrechtsaktivisten?

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9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das Verfahren gegen
Maxim Popov, dem Vorsitzenden der Nichtregierungsorganisation „Izis“ zur
Verhütung von HIV/AIDS, der zu sieben Jahren Haft wegen „Förderung von
Homosexualität“ verurteilt wurde, und wie begleitet sie diesen Prozess?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zum Gesundheitszustand von
Erkin Musaev, einem ehemaligen Beamten im usbekischen Verteidigungs-
ministerium, der 2006 zu insgesamt 25 Jahren Haft wegen „Spionage“ ver-
urteilt wurde?

11. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um Usbekistan bei einer
unabhängigen und internationalen Untersuchung der Vorfälle in Andischan
am 13. Mai 2005 zu unterstützen?

12. Warum setzte sich die Bundesregierung im Rahmen der EU-Embargomaß-
nahmen dafür ein, dass Einreiseverbote für Mitglieder der usbekischen
Staatsführung aufgehoben wurden?

13. Welche strategischen außen- und sicherheitspolitischen Interessen verfolgt
die Bundesregierung in Usbekistan?

14. Sind die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
Usbekistan, die die Nutzung des Militärstützpunkts Termes regeln, dem
Menschenrechtsdialog förderlich?

Wenn ja, in welcher Art und Weise?

15. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die humanitäre Situation
der usbekischen Flüchtlinge, die im Juni 2010 vor den ethnischen Unruhen
in Kirgistan nach Usbekistan flohen?

16. In welcher Form setzt sich die Bundesregierung bilateral und im Rahmen
multilateraler Initiativen dafür ein, dass Staaten der GUS und andere
Staaten Flüchtlinge aus Usbekistan nicht nach Usbekistan zurückführen?

17. Wie unterstützt die EU den Schutz und die Achtung von Menschenrechten
wie der Glaubens- und Religionsfreiheit in Usbekistan, insbesondere im
Hinblick auf die Legalisierung moderater islamischer Gruppierungen?

a) In welchem Ausmaß und mit welcher Berechtigung werden Gruppie-
rungen mit dem Vorwurf islamistischer Tendenzen nach Einschätzung
der Bundesregierung ungerechtfertigt eingeschränkt?

b) Wo bestehen aus Sicht der Bundesregierung tatsächliche Probleme mit
islamistischen Gruppierungen?

18. Mit welchen konkreten Mitteln und Projekten unterstützt die EU die
Korruptionsbekämpfung in Usbekistan?

19. Ist das Thema Kinderarbeit noch immer ein Teil des EU-Menschenrechts-
dialogs mit Usbekistan, und wenn ja, welche konkreten Fortschritte sind
dabei insbesondere im Hinblick auf die Bekämpfung von Kinderarbeit bei
der Baumwollernte bisher erzielt worden?

20. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob Usbekistan der
vom ILO-Komitee für die Anwendung von Standards im Juni 2010 ergan-
genen Aufforderung an die usbekische Regierung, eine hochrangige
Beobachtermission der ILO zu akzeptieren, nachkommt und dieser voll-
kommene Bewegungsfreiheit und unverzüglich Zugang zu allen Orten und
relevanten Ansprechpartnern, auch auf den Baumwollfeldern, gewährt, um
die Anwendung der ILO-Konvention 182 beurteilen zu können?

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21. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Erfüllung der Forde-
rung des ILO-Komitees für die Anwendung von Standards vom Juni 2010,
die usbekische Regierung solle eine nationale Haushaltserhebung zur
Kinderarbeit durchführen, um das Problem ungenügender Daten über
Kinder zu beheben, die in der Baumwollindustrie arbeiten?

22. Mit welchen konkreten Schritten setzt sich die Bundesregierung im Rahmen
der EU dafür ein, das Allgemeine Präferenzsystem (APS) für usbekische
Baumwolleinfuhren in die Europäische Union aufzuheben, bis Usbekistan
die ILO-Konventionen 138 und 182 tatsächlich umsetzt?

23. Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung im Rahmen
der EU, um Usbekistan darin zu unterstützen, Kinderarbeit tatsächlich zu
eliminieren?

24. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um zu erreichen, dass
ILO-Kontrolleure nach Usbekistan reisen können, um die Umsetzung der
ILO-Konventionen 138 und 182 zu kontrollieren, gerade auch während der
Erntezeit?

25. Setzt sich die Bundesregierung gegenüber der usbekischen Regierung zu-
dem dafür ein, dass unabhängige Beobachterinnen und Beobachter, Journa-
listinnen und Journalisten und NGOs Zugang zu den Orten haben, an denen
Baumwolle geerntet wird?

26. Wie stellt die Bundesregierung im Rahmen der EU sicher, dass Projekte in
Usbekistan, die von der Europäischen Zentralbank finanziert werden, nicht
die Baumwollernte in Usbekistan und damit die Zwangsarbeit von Kindern
unterstützen?

27. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Aktivitäten der Otto
Stadtlander GmbH in Usbekistan, einem der zwei größten baumwoll-
importierenden Unternehmen Deutschlands?

a) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Maßnahmen der Otto
Stadtlander GmbH, um Kinderarbeit in den usbekischen Baumwoll-
feldern zu unterbinden?

b) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zu Bestrebungen der Otto
Stadtlander GmbH, sich aus Usbekistan zurückzuziehen, sollte die
Arbeit von Kindern in usbekischen Baumwollfeldern nicht unterbunden
werden?

Berlin, den 4. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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