BT-Drucksache 17/3059

Verbraucherinnen und Verbraucher vor überhöhten Überziehungszinsen schützen

Vom 29. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3059
17. Wahlperiode 29. 09. 2010

Antrag
der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr. Gerhard Schick, Ingrid Hönlinger, Cornelia
Behm, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Friedrich
Ostendorff, Markus Tressel, Hans-Josef Fell, Britta Haßelmann, Bettina Herlitzius,
Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Ingrid
Nestle, Dr. Hermann Ott, Dorothea Steiner, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verbraucherinnen und Verbraucher vor überhöhten Überziehungszinsen schützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bei einem historisch niedrigen Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB)
von derzeit 1 Prozent sind Überziehungszinsen bis effektiv fast 20 Prozent für
private Girokonten nicht begründbar und nicht akzeptabel. Laut Bundesbank
wurden in Deutschland im Mai 2010 rund 41,6 Mrd. Euro Überziehungskredite
genutzt. Jeder Prozentpunkt zu viel an Zinsen kostet die verschuldeten Bank-
kundinnen und -kunden demnach rund 416 Mio. Euro.

Der Bundesgerichtshof beanstandete bereits, dass Kundinnen und Kunden bei
Zinsanpassungsklauseln von Sparkassen (Az.: XI ZR 55/08 und XI ZR 78/08 –
Urteile vom 21. April 2009) unangemessen benachteiligt würden. Die Klausel
enthalte zudem keine eindeutige Pflicht der Sparkassen zur Herabsetzung der
Entgelte bei sinkenden Kosten. Dadurch könnten die Sparkassen einseitige
Preisänderungen nicht nur zur Abwälzung eigener Kosten, sondern auch zur
Steigerung ihres Gewinns vornehmen.

Die Bundesregierung ist verpflichtet, Verbraucherinnen und Verbraucher zu
schützen und für faire Marktbedingungen zu sorgen. Banken sollen nur verhält-
nismäßige und leistungsgerechte Zinsen verlangen dürfen. Auch die Basis der
Zinsberechnung muss transparent werden. Es ist Zeit, regulierend in den Markt
einzugreifen. Denn unfaire Geschäftspraktiken führen nicht nur zu Vermögens-
schäden, Vertrauensverlusten und Verzerrungen im Wettbewerb, sondern ge-
fährden auch die soziale Marktwirtschaft und die Akzeptanz von politischen
Rettungspaketen für die Finanzbranche.

Am 11. Juni 2010 trat das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie

in Kraft. Seitdem sollen Banken einen überprüfbaren Referenzzinssatz – etwa
den Leitzins der EZB – benennen, wenn die Zinsanpassung auf die Änderung
eines Referenzzinssatzes zurückgeht, und darüber unterrichten. Damit sollte
sich eine Steigerung des Überziehungszinses an der Entwicklung des Referenz-
zinses zu orientieren haben, und die Banken nicht länger willkürlich an der
Zinsschraube drehen dürfen. Nunmehr nehmen die Banken den Abstand zwi-
schen Überziehungszinssatz und Referenzwert aber zu einem Zeitpunkt vor, zu

Drucksache 17/3059 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

dem die meisten der gängigen Referenzzinsen – so auch der Leitzins – histo-
rische Tiefstände aufweisen, während die den Kunden berechneten Sätze für die
Nutzung des Dispositionsrahmens oder für seine Überziehung nach wie vor sehr
hoch sind. Dadurch wird eine im historischen Vergleich extrem hohe Spanne
zwischen Referenzzinssatz und Überziehungszinssatz für die Zukunft fest-
geschrieben. Die Regelung, die eigentlich zum Schutz der Verbraucher inten-
diert war, verkehrt sich damit ins Gegenteil. Sie sichert den Banken üppige Mar-
gen und schreibt den überhöhten Zins für die Zukunft fest.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine gesetzliche Regelung für einen Referenzzinssatz für Dispo- und Über-
ziehungszinssätze vorzulegen;

2. eine gesetzliche Obergrenze für die Zinssätze bei eingeräumten Disposi-
tionskrediten und geduldeten Überziehungskrediten mit Bezug zu diesem
Referenzzinssatz festzulegen und dabei zu berücksichtigen, dass sich die
Kopplung des Dispo- und Überziehungszinssatzes an den Referenzzinssatz
auf einen Bezugspunkt in einer normalen Marktphase beziehen muss, insbe-
sondere also vor Ausbruch der Finanzkrise;

3. Maßnahmen zur Verbesserung der verbraucherbezogenen Aufsicht und
Marktbeobachtung im Finanzsektor zu ergreifen.

Berlin, den 28. September 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Seit Jahren berechnen Banken und Sparkassen Überziehungszinsen in nicht
nachvollziehbarer Höhe. Bei einer bundesweiten Stichprobe fand die Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im August 2010 bei 34 Kreditinstituten Zins-
sätze von bis 14 Prozent bei eingeräumten Dispositionskrediten und bis zu 19
Prozent bei geduldeten Überziehungen.

Eine Untersuchung der Stiftung Warentest ermittelte im September 2010 Nomi-
nalzinssätze zwischen 6 und knapp 17 Prozent für überzogene Konten. Dem-
nach verlangten 21 Institute mehr als 14 Prozent. Für die Studie wertete die
Zeitschrift die Zinsen von insgesamt 992 Banken und Sparkassen aus und da-
mit fast der Hälfte der 2 121 Institute in Deutschland.

Überhöhte Überziehungszinsen sind ein weiteres Beispiel für Marktversagen
im Finanzsektor. Bis auf sehr wenige Ausnahmen diktieren Banken ihren Kun-
dinnen und Kunden einseitig ungünstige Zinsbedingungen. Sie erzielen auf
diese Weise Gewinne, die nicht leistungsbezogen sind, sondern vielmehr Not-
und Zwangslagen ausnutzen. Bankinstitute rechnen damit, dass ein Girokonto
nicht so schnell gewechselt werden kann. Denn den Zahlungsweg von Miete,
Versicherungsprämie oder Kindergartenbeitrag ändert niemand von einem Tag
auf den anderen und auch nicht alle zwei Monate neu. Diese Geschäftspraxis
der Bankhäuser untergräbt ein weiteres Mal das Vertrauen in diesen Wirt-
schaftssektor.

Viel zu spät wird Menschen eine ordentliche Kreditbeziehung angeboten, weil
die Banken an der regelmäßigen Überziehung der Girokonten gut verdienen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3059

Zu Nummer 1

In Anlehnung an den Verzugszins gemäß § 288 des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(BGB) soll ein gesetzlicher Referenzzinssatz für Dispo- und Überziehungs-
kredite bestimmt werden. Ein Dispositionsrahmen gehört heute zum Standard
einer Kontoverbindung und ist in der Kontoführungsgebühr enthalten. Ein ge-
setzlicher Referenzzinssatz berücksichtigt die allgemeine Zinsentwicklung und
schafft zugleich mehr Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher.

Statt des gesetzlichen Basiszinssatzes gemäß § 247 BGB ist die Berücksichti-
gung marktgerechter Beschaffungskosten vorzuziehen. Infrage kommt hier
z. B. der Leitzins der Europäischen Zentralbank, der sogenannte Hauptrefinan-
zierungssatz. Er ist allgemein bekannt und eindeutig im Gegensatz zum soge-
nannten Euribor, den es in 15 verschiedenen Werten gibt. Euribor bezeichnet
die durchschnittlichen Zinssätze, zu denen 57 europäische Banken einander
Anleihen in Euro gewähren. Dabei gelten verschiedene Laufzeiten von einer
Woche bis zu zwölf Monaten.

Zu Nummer 2

Auch bei Überziehungskrediten ist Wettbewerb politisches Ziel der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Überhöhte Zinsen von effektiv fast 20 Prozent
bei Überziehungskrediten stören die Funktionsfähigkeit des Marktes und belas-
ten die Verbraucherinnen und Verbraucher. Diese Fehlentwicklung soll durch
eine gesetzliche Obergrenze, z. B. im Verordnungswege, korrigiert werden, die
nicht nur ausgleichend wirkt, sondern Leistungsgerechtigkeit herstellen muss.
Diese marktwirtschaftliche Leitplanke markiert den Spielraum, innerhalb des-
sen der Leistungswettbewerb stattfinden muss. Überproportionale Zinsforde-
rungen müssen auch durch außergewöhnliche Leistungen der Bankinstitute
gerechtfertigt werden. Die seit 11. Juni 2010 geltenden Regelungen für Ver-
braucherkredite in den §§ 504, 505 BGB für eingeräumte Überziehungen soll-
ten dementsprechend eine Obergrenze enthalten, die leistungs- und marktge-
recht ist. Außerdem sollen die Anpassungsintervalle zeitlich konkretisiert
werden. Auch in anderen Gesetzen hat der Gesetzgeber eine Zinsbegrenzung
vorgenommen und eine Marge festgelegt. Eine über den eingeräumten Disposi-
tionskredit geduldete Überziehung könnte eine höhere Zinsobergrenze begrün-
den. Die Inanspruchnahme ist weniger vorhersehbar, so dass die Kreditinstitute
höhere Flexibilität bei der Bereitstellung des Kapitals zeigen. Ein Dispositions-
rahmen, der heute vielfach zum regulären Leistungspaket eines Girokontos ge-
hört, muss dagegen deutlich günstiger sein. Bei der Umsetzung der Verbrau-
cherkredit-Richtlinie in deutsches Recht wurde nicht ausreichend beachtet, dass
eine im historischen Vergleich sehr hohe Differenz zwischen niedrigen Refe-
renzzinssätzen und hohen Dispo- und Überziehungszinssätzen zum Nachteil
der Verbraucherinnen und Verbraucher fortgeschrieben werden könnte. Des-
halb muss bei der gesetzlichen Regelung beachtet werden, dass für den Beginn
der Kopplung an einen Referenzzinssatz nur Zinsspannen aus normalen Markt-
phasen herangezogen werden dürfen, insbesondere also vor dem Ausbruch der
Finanzkrise.

Zu Nummer 3

Vertrauen auf den Finanzmärkten braucht Kontrolle. Immer wieder werden
unverständliche und nicht leistungsgerechte Zinsen und Gebühren von den
Kreditinstituten erhoben. Nicht nur die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-
aufsicht muss hier mehr Kompetenzen für Verbraucherschutzmaßnahmen erhal-
ten. Auch die zivilgesellschaftliche Gegenmacht z. B. in Form von Finanz-
marktwächtern unter dem Dach der Verbraucherzentralen ist staatlich zu
unterstützen. Das Konzept für einen Finanzmarktwächter wurde dem Deutschen

Bundestag im Antrag „Finanzmarktwächter im Interesse der Verbraucherinnen
und Verbraucher einführen“ (Bundestagsdrucksache 16/11916) vorgelegt.

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