BT-Drucksache 17/2937

Beeinträchtigungen des Streikrechts durch den Einsatz von Leiharbeit zum Streikbruch

Vom 14. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2937
17. Wahlperiode 14. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze,
MatthiasW. Birkwald, Werner Dreibus, Klaus Ernst, Katja Kipping, Kornelia Möller,
Ingrid Remmers und der Fraktion DIE LINKE.

Beeinträchtigung des Streikrechts durch den Einsatz von Leiharbeit
zum Streikbruch

Seit einigen Jahren beklagen Gewerkschaften den strategischen Einsatz von
Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern mit dem Ziel des Streikbruchs.

Mehrere Fälle sind in der Presse bekannt geworden. Ein gut dokumentierter
Präzedenzfall ist der Einsatz von Leiharbeitskräften im Telekom-Streik 2007.
Als aktuelle Beispiele wird exemplarisch auf die Fälle des Streiks im Beton-
werk Westerwelle in Herford und auf den Warnstreik der Beschäftigten der
Firma GlobeGround Berlin GmbH & Co. KG und GSI Ground Service Interna-
tional GmbH an den Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld verwiesen. Des
Weiteren wurde der strategische Einsatz von Leiharbeit zum Streikbruch im
Einzelhandelsstreik 2007 bis 2008 bekannt.

Im bestreikten Betonwerk Westerwelle kam es zum Einsatz von Leiharbeitern
der Firma Zeitwert GmbH aus Herford. Sie hat seit dem 13. April 2010 bei
Westerwelle 20 Leiharbeiter im Einsatz. Durch den Einsatz von Leiharbeitern
wurde der Streik der Beschäftigten von Westerwelle im erheblichen Maße be-
hindert.

Bei den Streiks der Beschäftigten der Töchter der WISAG Service Holding
GmbH & Co. KG GlobeGround Berlin und GSI am 27. Mai 2010 und 17. Juni
2010 an den Flughäfen Tegel und Schönefeld konnte beobachtet werden, wie
Beschäftigte der WISAG-konzerneigenen Personalgestellungsfirma WAPS so-
wie der Personalgesteller ROLLMOPS zu Streikbruchtätigkeiten herangezogen
wurden.

Rein rechtlich können Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen nicht zu einem Ein-
satz als Streikbrecher gezwungen werden, da ihnen § 11 Absatz 5 des Arbeit-
nehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) ein individuelles Verweigerungsrecht ein-
räumt. Praktisch steht dem individuellen Verweigerungsrecht jedoch die Angst
vor Verlust des Arbeitsplatzes entgegen. So müssen Leiharbeiterinnen und
Leiharbeiter wegen ihres unsicheren Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere
aufgrund kurzer Einsatzzeiten und Arbeitsvertragslaufzeiten, bei einer Weige-
rung ein Auslaufen ihres befristeten Arbeitsvertrages oder eine Entlassung zum
nächstmöglichen Zeitpunkt fürchten. Zwar sind Leiharbeiterinnen und Leih-
arbeiter vom Unternehmen über das Bestehen ihres individuellen Verweige-
rungsrechts zu unterrichten, geschieht dies nicht oder nur in unzureichendem
Maße drohen dem Unternehmen allerdings keine Sanktionen (Strafe oder Ord-
nungsgeld). Möglich ist lediglich ein Schadensersatzanspruch des Leiharbeits-
beschäftigten im Falle einer nachgewiesenen unzureichenden Unterrichtung.

Drucksache 17/2937 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Beim Einsatz von Leiharbeitsbeschäftigten mit dem Ziel des Streikbruchs las-
sen sich zwei Formen unterscheiden: Zum einen werden Leiharbeiterinnen und
Leiharbeiter, die bereits im Unternehmen arbeiten, im Streikfall zum Streik-
bruch eingesetzt. Hierbei macht sich die Arbeitgeberseite das prekäre Beschäf-
tigungsverhältnis der Leiharbeitskräfte und die Trennung der Belegschaft in
Stamm- und Leiharbeitskräfte zunutze. Zum anderen werden Leiharbeitskräfte
ausschließlich während eines Streiks eingesetzt. Ziel ist bei beiden Formen, die
Wirkung des Streiks zu unterlaufen.

Heribert Jöris vom Handelsverband Deutschland (HDE) – Der Einzelhandel
bestätigte diese Strategie bezüglich des Einzelhandelsstreiks wie folgt: „Der
Einsatz von Leiharbeitnehmern erfolgt daher, um die Ausfälle, die durch den
Streik erfolgt sind, wieder auszugleichen.“ (MDR, exakt vom 6. Oktober 2009,
www.mdr.de).

Die genannten Unternehmen konnten mit dem Einsatz von Leiharbeit während
des Streiks ihrer Beschäftigten zumindest Teile des Betriebs, wenn nicht sogar
den gesamten Betrieb aufrechterhalten und damit die Wirkung des Streiks
erheblich minimieren oder sogar aufheben. Der Einsatz von Leiharbeits-
beschäftigten mit dem Ziel des Streikbruchs stellt somit eine erhebliche Beein-
flussung der Kampfmittelparität dar.

Bezüglich der Einschränkung der Streikfähigkeit kommt hinzu, dass zwar die
Leiharbeitskraft einen Einsatz zum Streikbruch individuell verweigern kann,
der Verleiher jedoch, sofern nicht ausdrücklich anderslautend vertraglich gere-
gelt, verpflichtet ist, eine Ersatzleiharbeitskraft zur Verfügung zu stellen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) In wie vielen Fällen wurden seit Beginn des Jahres 2003 während eines
Streiks Leiharbeitskräfte eingesetzt?

b) Welche Unternehmen haben seit Beginn des Jahres 2003 während eines
Streiks Leiharbeitskräfte eingesetzt?

c) Welche Folgen für den Streikverlauf konnten in den in den Fragen 1a und
1b genannten Fällen festgestellt werden?

2. a) Welchen gesetzgeberischen Handlungsbedarf leitet die Bundesregierung
aus den hier dargelegten Fällen des Einsatzes von Leiharbeit zum Streik-
bruch ab?

b) Sollte die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf ableiten, geht die
Bundesregierung davon aus, dass der Einsatz von Leiharbeit zum Zwecke
des Streikbruchs rechtmäßig ist?

3. Liegt beim Einsatz von Leiharbeit zum Zwecke des Streikbruchs ein „un-
sachgerechter Einsatz“ von Leiharbeit vor, der nicht dem Willen des Gesetz-
gebers entspricht, da der Einsatz von Leiharbeit dazu genutzt wird, das
verfassungsmäßig garantierte Streikrecht der Beschäftigten zu untergraben
(bitte begründen)?

4. Inwieweit stellt die Bundesregierung sicher, dass Leiharbeitskräfte ord-
nungsgemäß über das individuelle Verweigerungsrecht gemäß § 11 Absatz 5
AÜG informiert werden?

5. In wie vielen Fällen kam es seit Beginn des Jahres 2003 aufgrund des Ver-
stoßes gegen den § 11 Absatz 5 AÜG (individuelles Verweigerungsrecht) zu
Schadensersatzansprüchen für Leiharbeitsbeschäftigte?

6. Wie hoch waren die gerichtlich festgelegten Schadensersatzansprüche im
jährlichen Durchschnitt für Leiharbeitsbeschäftigte aufgrund eines Ver-
stoßes gegen den § 11 Absatz 5 AÜG von Beginn des Jahres 2003 bis Juli
2010?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2937

7. Hält die Bundesregierung eine Verhängung eines Ordnungsgeldes/einer
Strafe für die nicht oder nicht ordnungsgemäße Unterrichtung der Leih-
arbeitsbeschäftigten über das individuelle Verweigerungsrecht im Falle
eines Streiks im Entleihbetrieb für eine geeignete Maßnahme, um eine um-
fassende Unterrichtung der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sicherzu-
stellen (bitte begründen)?

8. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Zuverlässigkeit des Ver-
leihunternehmens nach § 1 AÜG nicht gegeben ist, welche für die Erlaub-
nis zur Arbeitnehmerüberlassung notwendig ist, wenn die Unterrichtung
des Leiharbeitsbeschäftigten über das individuelle Verweigerungsrecht
nach § 11 Absatz 5 AÜG nicht ordnungsgemäß durchgeführt wird?

Wenn doch, warum?

9. In wie vielen Fällen sind seit Beginn des Jahres 2003 aufgrund des Versto-
ßes gegen den § 11 Absatz 5 AÜG (individuelles Verweigerungsrecht)
Leiharbeitsfirmen die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung entzogen
worden?

10. Sieht die Bundesregierung bezogen auf das Leistungsverweigerungsrecht
nach § 11 Absatz 5 AÜG einen Grund, dass dieser Paragraf nur für die-
jenigen Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer gilt, die – zeitlich
gesehen – nach Beginn des Arbeitskampfes im Entleihbetrieb eingesetzt
werden?

Wenn ja, welchen?

Wenn nein, warum nicht, und werden somit auch die Leiharbeitnehmerin-
nen und Leiharbeitnehmer erfasst, die bereits vor Beginn des Arbeitskamp-
fes im Entleihbetrieb im Einsatz waren?

11. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Leiharbeiterinnen und Leih-
arbeiter durch das individuelle Verweigerungsrecht genügend vor einem
Einsatz zum Streikbruch geschützt sind (bitte begründen)?

12. a) Ist nach Auffassung der Bundesregierung das individuelle Verweige-
rungsrecht der Leiharbeitsbeschäftigten ausreichend, um das grund-
gesetzlich verankerte Streikrecht, die Tarifautonomie und die daraus ab-
geleitete Kampfmittelparität zu schützen (bitte begründen)?

b) Wie bewertet die Bundesregierung in Bezug auf Frage 12a, dass der
Verleiher im Falle einer Leistungsverweigerung einer oder eines Leih-
arbeitsbeschäftigten für einen Einsatz zum Streikbruch verpflichtet ist
eine Ersatzkraft zu stellen, sofern dies nicht ausdrücklich anders ver-
traglich vereinbart ist?

13. Sieht die Bundesregierung im Falle des Einsatzes von Leiharbeitskräften
zum Streikbruch eine Verschiebung der Kampfmittelparität gegeben?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, welcher gesetzliche Handlungsbedarf leitet sich für die Bundes-
regierung hieraus ab?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die Einführung eines generellen gesetz-
lichen Verbots jeglichen Einsatzes von Leiharbeitnehmerinnen und Leihar-
beitnehmer, sobald ein Entleihbetrieb bestreikt wird?

Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Schaf-
fung eines bußgeldbewehrten Tatbestands?

15. a) Wie beurteilt die Bundesregierung, die Tatsache, dass in der EU-Leih-
arbeitsrichtlinie festgestellt wird, dass es als gemeinsames Merkmal der
verschiedenen nationalen Regelungen gilt, dass „Ein streikender Arbeit-

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nehmer (…) nicht durch einen Leiharbeitnehmer ersetzt werden (darf)“,
dies aber in Deutschland rechtlich möglich ist?

b) Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Regelung im Arbeit-
nehmerüberlassungsgesetz an die Regelungen in den anderen europäi-
schen Staaten insoweit angepasst werden sollte, dass der Einsatz von
Leiharbeitsbeschäftigten zum Streikbruch verboten wird?

c) Setzt sich die Bundesregierung in der EU dafür ein, dass der Grundsatz,
dass streikende Arbeitnehmer nicht durch Leiharbeitskräfte ersetzt wer-
den, in der Leiharbeitsrichtlinie aufgenommen wird?

Berlin, den 13. September 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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