BT-Drucksache 17/2922

Kein Sachgrund, keine Befristung - Befristete Arbeitsverträge begrenzen

Vom 14. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2922
17. Wahlperiode 14. 09. 2010

Antrag
der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Beate Müller-Gemmeke, Fritz Kuhn,
Birgitt Bender, Katrin Göring-Eckardt, Maria Klein-Schmeink, Markus Kurth,
Elisabeth Scharfenberg, Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kein Sachgrund, keine Befristung – Befristete Arbeitsverträge begrenzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die steigende Zahl befristeter Arbeitsverträge, der stetige Zuwachs an befriste-
ten Arbeitsverhältnissen bei Neuverträgen und die Entwicklung der so genann-
ten sachgrundlosen Befristung sind bedenklich. Dies lässt darauf schließen, dass
befristete Arbeitsverträge zunehmend eingesetzt werden, um wirtschaftliche
Risiken den Beschäftigten aufzubürden. Dadurch wird insbesondere die Lebens-
planung junger Menschen erheblich erschwert. Die Entwicklung zeigt darüber
hinaus deutlich, dass die weitere Deregulierung und eine damit verbundene
Ausweitung der befristeten Beschäftigung, wie sie die Bundesregierung plant, in
die vollkommen falsche Richtung gehen.

Grundsätzlich können Befristungen ein geeignetes Instrument sein, um kurz-
fristig Spitzen im Arbeitsaufkommen abzufedern oder zeitlich begrenzt Per-
sonal zu ersetzen. Befristungen schaffen einen durchlässigeren Arbeitsmarkt
und funktionieren überdies in etlichen Branchen als Brücke in unbefristete Be-
schäftigung. Ein beweglicher und durchlässiger Arbeitsmarkt eröffnet auch für
Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose neue Chancen und Zugänge zum
Arbeitsmarkt.

Flexible Arbeitsverhältnisse dürfen aber keine „Einbahnstraße“ sein. Bei allen
Anforderungen der Betriebe an Flexibilität müssen auch immer die Bedürfnisse
der Beschäftigten und deren Wunsch nach sicheren Zukunftsperspektiven be-
rücksichtigt werden. Der Trend geht jedoch in eine andere Richtung: Viele
Betriebe übernehmen immer weniger Verantwortung für immer mehr ihrer
Beschäftigten und verlagern einseitig Risiken auf die Arbeitnehmer. Folgerich-
tig ist daher auch die Reduzierung unternehmerischer Risiken ein zentrales Mo-
tiv für Befristungen, mit denen immer häufiger der Kündigungsschutz umgan-
gen werden soll.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Möglichkeiten zur Befristung von Arbeitsverträgen auf das erforderliche
Maß zu begrenzen. Um die einseitige Abwälzung von Risiken auf Beschäftigte
zukünftig einzudämmen ohne die Flexibilität des Arbeitsmarkts zu begrenzen,
fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf

Drucksache 17/2922 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

zur Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) vorzulegen und
dabei folgende Maßgaben zu berücksichtigen:

1. Streichung der sachgrundlosen Befristung nach § 14 Absatz 2 TzBfG,

2. Streichung der sachgrundlosen Befristung für Arbeitnehmer ab dem voll-
endeten 52. Lebensjahr nach § 14 Absatz 3 TzBfG,

3. Streichung der Befristung zur Erprobung nach § 14 Absatz 1 Nummer 5
TzBfG.

Berlin, den 13. September 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die Zahl der Normalarbeitsverhältnisse nimmt immer weiter ab, während der
Anteil der atypischen Beschäftigung wächst. In der Folge werden Beschäf-
tigungsverhältnisse immer unsicherer. Für Beschäftigte bedeuten die Stellen
auf Zeit erhebliche persönliche Unsicherheiten. Die Menschen wollen ihr
Leben planen können – mit befristeten Arbeitsverhältnissen ist dies aber nur
eingeschränkt möglich. Die Angst vor Arbeitsplatzverlust hat stark zugenom-
men und reicht weit in die Mitte der Gesellschaft. Dieser Trend muss endlich
gebrochen werden und darf nicht, wie von der Bundesregierung geplant, durch
weitere Deregulierung und Ausweitung der befristeten Beschäftigung noch ver-
schärft werden.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)
warnt in ihrem Wirtschaftsbericht Deutschland 2010 vor einer Zweiteilung des
Arbeitsmarkts durch die Abwälzung der Risiken auf befristet Beschäftigte. Dies
sei nicht nur sozial ungerecht, sondern auch schädlich für die langfristige wirt-
schaftliche Entwicklung (vgl. S. 51). Auch der Chef der Bundesagentur für Ar-
beit, Dr. Frank-Jürgen Weise, sieht die Gefahren einer Zunahme von befristeten
Arbeitsverhältnissen: „Wenn dies zum Standard wird, ist das für die Entwick-
lung unserer Gesellschaft verheerend“ (NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG,
19. März 2010).

Der Anteil befristeter Beschäftigung an der sozialversicherungspflichtigen Be-
schäftigung ist seit 1996 von 4,7 Prozent kontinuierlich auf 9,3 Prozent (2008)
gestiegen. In absoluten Zahlen waren 2008 rund 2,7 Millionen Menschen
befristet beschäftigt. 2009 ging der Anteil der befristeten Beschäftigung auf
8,8 Prozent zurück, weil in der Krise Verträge nicht erneuert wurden (alle
Daten: IAB-Betriebspanel). Laut Statistischem Bundesamt sind befristete Ver-
träge vor allem eine unter jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern weit
verbreitete Arbeitsvertragsform. Bei unter 20-Jährigen liegt der Anteil bei über
40 Prozent (ohne Ausbildungsverträge) und bei den unter 25-Jährigen bei rund
25 Prozent. Befristet Beschäftigte tragen ein überdurchschnittliches Risiko,
arbeitslos zu werden, nehmen aber auch weniger an Weiterbildungen teil und
werden häufiger schlechter bezahlt als unbefristet Beschäftigte. Die Ballung
dieser Risiken erschwert insbesondere die Lebens- und Familienplanung junger
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dies unterstreicht der Umstand, dass
die durchschnittliche Übernahmequote in unbefristete Beschäftigung im
Krisenjahr 2009 auf 45 Prozent gesunken ist (2008: 52 Prozent). Vor diesem
Hintergrund ist es ein Warnsignal, dass der Anteil befristeter Verträge an neu

abgeschlossenen Arbeitsverträgen im ersten Halbjahr 2009 auf 47 Prozent an-
gestiegen ist (2001: 32 Prozent).

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2922

Auffällig ist der hohe Anteil sachgrundloser Befristungen an den befristeten
Verträgen, der allein im Zeitraum von 2001 bis 2004 von 41 auf 48 Prozent ge-
stiegen ist und vermutlich heute noch höher liegt (vgl. IAB). Die Möglichkeit
zur sachgrundlosen Befristung setzt offenbar starke Anreize, immer häufiger
auf diese Form der befristeten Beschäftigung zurückzugreifen. Sie macht es
Arbeitgebern zu leicht, sie als Alternative zur unbefristeten Beschäftigung bzw.
zur begründeten Befristung einzusetzen. Dieser Anreiz ist falsch gesetzt. Daher
soll diese Regelung gestrichen werden.

In der Hoffnung, dass dadurch die Beschäftigungschancen Älterer verbessert
werden und so eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt geschaffen wird, wurde
die Altersschwelle für Befristungen aus Altersgründen von 58 auf 52 Jahre
gesenkt. Diese Hoffnungen haben sich aber nicht erfüllt. Deswegen soll § 14
Absatz 3 TzBfG ebenfalls gestrichen werden.

Überflüssig ist darüber hinaus die Befristung zur Erprobung (§ 14 Absatz 1
Nummer 5 TzBfG). Hier bietet die tarifliche oder einzelvertraglich zu verein-
barende Probezeit ausreichend Flexibilität.

Die Möglichkeit für neu gegründete Unternehmen, sachgrundlos zu befristen
(§ 14 Absatz 2a TzBfG), soll weiter bestehen bleiben. Gründungen gehen in
der Regel mit einem hohen Maß an Unsicherheit einher. In einer solch unsiche-
ren Situation Beschäftigte befristet einzustellen, ist gerechtfertigt, da es Grün-
denden deutlich schwerer als etablierten Unternehmen fällt, Beschäftigte un-
befristet einzustellen. Neu gegründete Unternehmen müssen sich erst einmal
erproben und am Markt etablieren. Eine Streichung dieser Sonderregelung
würde unnötige Einstellungshemmnisse schaffen.

Trotz der geforderten Änderungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz haben
Unternehmen ausreichend flexible Möglichkeiten in ihrer Personalplanung und
Personalauswahl zur Abfederung betrieblicher Erfordernisse. In jedem Arbeits-
vertrag kann eine Probezeit von sechs Monaten verankert werden. Die in § 14
Absatz 1 TzBfG festgeschriebenen Möglichkeiten, Arbeitsverträge mit einem
sachlichen Grund zu befristen, sind darüber hinaus weiterhin vielfältig. So
können Betriebe bei einem vorübergehenden Bedarf an Arbeitskräften, zur Ver-
tretung und wenn Beschäftigte aus Haushaltsmitteln vergütet werden, Arbeits-
verträge befristen.

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