BT-Drucksache 17/283

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung -17/180, 17/275- Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation "ALTHEA" zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina im Rahmen der Implementierung der Annexe 1-A und 2 der Dayton-Friedensvereinbarung sowie an dem NATO-Hauptquartier Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlage der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 1575 (2004) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1895 (2009) vom 18. November 2009

Vom 16. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/283
17. Wahlperiode 16. 12. 2009

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von
Cramon-Taubadel, UlrikeHöfken, ThiloHoppe,UweKekeritz, KatjaKeul, UteKoczy,
Tom Koenigs, Agnes Malczak, Jerzy Montag, Kerstin Müller (Köln), Omid
Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 17/180, 17/275 –

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten
Operation „ALTHEA“ zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses in Bosnien
undHerzegowina imRahmen der Implementierung der Annexe 1-A und 2
der Dayton-Friedensvereinbarung sowie an demNATO-Hauptquartier Sarajevo
und seinen Aufgaben, auf Grundlage der Resolution des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen 1575 (2004) und folgender Resolutionen, zuletzt
Resolution 1895 (2009) vom 18. November 2009

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag würdigt das Engagement der Bundeswehr im Rahmen
der Operation „ALTHEA“ in Bosnien und Herzegowina. Der Einsatz bewaffne-
ter Streitkräfte ist auch 14 Jahre nach Beendigung des Kriegs zur Stabilisierung
des Friedensprozesses weiterhin notwendig. Eine anhaltende Blockade admi-
nistrativer und ökonomischer Reformen hält die Eskalationsgefahr aufrecht.

Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine Überzeugung, dass Bosnien und Her-
zegowina wie alle Nachfolgestaaten Jugoslawiens baldmöglichst Mitglied der
Europäischen Union werden soll. Bei den hierfür notwendigen Reformen sind
in den vergangenen Monaten nur äußerst geringe Fortschritte erreicht worden.
Die Reformen zur Schaffung einer den Marktkräften der Europäischen Union
gewachsenen Wirtschaft und eines funktionsfähigen einheitlichen Wirtschafts-
raums sind kaum vorangekommen. Entsprechend kritisch wertet die Europäi-
sche Union in ihrem Fortschrittsbericht vom 14. Oktober dieses Jahres das
Funktionieren der bosnischen Institutionen. Einzig bei den für die in Aussicht
gestellte Befreiung von der Visumpflicht für Schengen-Staaten notwendigen
Reformen sind Fortschritte erzielt worden.

In den letzten Monaten verschärfte sich die politische Lage zusehends. Amts-
träger und Gremien auf Ebene der Entitäten, insbesondere der Republika

Drucksache 17/283 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Srpska, und des Gesamtstaats versuchten, durch einseitige Akte und wieder-
holte Androhungen die territoriale Integrität des Gesamtstaats von Bosnien und
Herzegowina in Frage zu stellen und Reformen der vergangenen Jahre wieder
rückgängig zu machen. Es ist zu erwarten, dass im Vorfeld der für Oktober
2010 anstehenden Parlamentswahlen die nationalistische Rhetorik bosnischer
Politiker erneut an Schärfe gewinnen wird.

Ursache für die ausbleibenden Fortschritte ist neben dem fehlenden politischen
Willen der politisch Verantwortlichen die aus dem Vertrag von Dayton resultie-
rende Verfasstheit Bosniens und Herzegowinas mit ihrer komplexen institutio-
nellen Struktur und der Förderung partikularer Interessen ethnischer Gruppen
und Parteien. Die im Vertrag von Dayton festgeschriebene Besetzung wichtiger
Ämter nach ethnischen Gesichtspunkten widerspricht der für die Europäische
Union verpflichtenden Menschenrechtskonvention des Europarates. Der Deut-
sche Bundestag ist überzeugt, dass ohne eine tiefgreifende Verfassungsreform
die institutionellen Standards der Europäischen Union und die für den EU-Bei-
tritt notwendige wirtschaftliche Dynamik nicht erreicht werden können. Eine
besondere Unterstützung Bosniens und Herzegowinas durch die Europäische
Union bei der Umsetzung der notwendigen Reformen bleibt deshalb auch wei-
terhin notwendig.

Der Deutsche Bundestag befürwortet ausdrücklich die weitestgehende Übertra-
gung von Kompetenzen auf die demokratisch gewählten Institutionen in Bos-
nien und Herzegowina. Nur so kann Eigenverantwortlichkeit gestärkt werden.
Der Fortschrittsbericht der Europäischen Union stellt jedoch fest, dass die
Besetzung von Ämtern nach ethnischen Gesichtspunkten eine verantwortungs-
volle Staatsführung des Landes insgesamt beeinträchtigt. Bis zur Verabschie-
dung einer multi-ethnischen Verfassung entsprechend der Standards des Euro-
parates bleibt das Amt des Hohen Repräsentanten mit seinen weitgehenden
Vollmachten zur Eindämmung der zentrifugalen Kräfte und Beilegung inner-
bosnischer Konflikte weiterhin notwendig.

Der Deutsche Bundestag ist der Überzeugung, dass die andauernde Diskussion
um die Schließung des Amts des Hohen Repräsentanten der Arbeitsfähigkeit
der Institution und seiner Autorität geschadet hat. Zudem ging die Europäische
Union nicht konsequent genug bei der Einforderung der Erfüllung der von ihr
geforderten Reformen vor. Den Versuchen benachbarter Staaten, die partikula-
ren Interessen ethnischer Gruppen und Parteien in Bosnien und Herzegowina
zu unterstützen, ist von Seiten der Europäischen Union bislang nicht entschie-
den genug entgegengetreten worden. Schädliche Folgen nationalistischer Poli-
tik in Bosnien und Herzegowina sind dadurch nicht im ausreichenden Maße
eingedämmt worden.

Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine Unterstützung für den Hohen Reprä-
sentanten und ermutigt ihn, die von ihm für nötig befundenen konsequenten
Entscheidungen zum Schutz der Integrität und der Institutionen Bosniens und
Herzegowinas sowie zur Unterstützung der Reformbemühungen zu treffen. Die
unverminderte Präsenz der EUFOR-Truppen im Rahmen der Operation
„ALTHEA“ bleibt nach Auffassung des Deutschen Bundestages als integraler
Bestandteil der internationalen Präsenz bis zur Schließung des Amts des Hohen
Repräsentanten notwendig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich innerhalb der
Europäischen Union und bilateral einzusetzen für

– die unverminderte Beibehaltung der EUFOR-Truppen im Rahmen der Opera-
tion „ALTHEA“ bis zur Schließung des Amts des Hohen Repräsentanten und
einen entsprechenden Beitrag der Bundeswehr in diesem Rahmen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/283

– eine mit der Europäischen Union, den USA und dem Hohen Repräsentanten
abgestimmte und konsequente Strategie zur Durchführung einer von der
Mehrheit der Bevölkerung getragenen Reform für eine multi-ethnische Ver-
fassung nach den Standards des Europarates;

– die Aufrechterhaltung des Amts des Hohen Repräsentanten einschließlich
seiner weitgehenden Vollmachten ohne formale zeitliche Begrenzung bis zur
Erfüllung der vom Friedensimplementierungsrat gesetzten zwei Bedingun-
gen und fünf Ziele sowie einer erfolgten Verfassungsreform;

– eine deutliche und sichtbare Unterstützung des Hohen Repräsentanten und
seiner Entscheidungen sowie seine umfassende Einbindung in den Verfas-
sungsreformprozess;

– die zügige und umfassende Umsetzung des Interimsabkommens und Stabi-
lisierungs- und Assoziierungsabkommens in allen politischen und wirtschaft-
lichen Bereichen;

– die baldmögliche Abschaffung der Visumpflicht für die Bürgerinnen und Bür-
ger von Bosnien und Herzegowina;

– die konsequente Aufrechterhaltung der Forderung nach Erfüllung der Kopen-
hagener Kriterien und ihrer spezifischen Anwendung auf Bosnien und Herze-
gowina als Maßstab für die Beitrittsfähigkeit zur Europäischen Union;

– gegenüber Amtsträgern und Gremien in Bosnien und Herzegowina die Be-
kräftigung, dass Versuche, die territoriale Integrität des Landes infrage zu stel-
len, die Aussicht auf einen EU-Beitritt gefährden;

– gegenüber seinen Nachbarstaaten die Bekräftigung, dass von ihnen die Unter-
stützung der staatlichen Stabilisierung Bosniens und Herzegowinas und ins-
besondere einer Verfassungsreform erwartet werden.

Berlin, den 16. Dezember 2009

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.