BT-Drucksache 17/2801

Der Conterganskandal - Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Vom 23. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2801
17. Wahlperiode 23. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Inge Höger,
Andrej Hunko, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Harald Weinberg
und der Fraktion DIE LINKE.

Der Conterganskandal – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Vor über 50 Jahren begann der größte Medikamentenskandal der Bundesrepublik
Deutschland. Das angeblich harmlose Schlafmittel „Contergan“ wurde 1957
von der Firma Grünenthal GmbH auf den Markt gebracht.

Der in „Contergan“ enthaltene Wirkstoff heißt Thalidomid. Er wurde – laut
Grünenthal – 1954 von der Firma Grünenthal entwickelt. Mehrere Anzeichen
deuten darauf hin, dass die Geschichte von Thalidomid bis in die Todeslager der
NS-Zeit zurückreicht. Nach Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses Con-
terganverbrechen (U. A. C.) ist die Erfindung von Thalidomid nicht Grünenthal,
sondern dem schweizerischen Pharmaunternehmen Ciba zuzuschreiben (siehe
deren Pressemitteilungen vom 28. Mai und 7. August 2010). Ohne Tests des
Medikaments wurde es von Grünenthal als „völlig ungiftig“ beworben und ver-
kauft. Zahlreiche Hinweise auf den Einfluss von Thalidomid auf den mensch-
lichen Embryo vor und nach der Markteinführung wurden ignoriert. Erst am
27. November 1961 erfolgte der Verkaufsstopp thalidomidhaltiger Produkte in
der Bundesrepublik Deutschland.

In der Folge erlitten weltweit ca. 10 000 im Mutterleib heranwachsende Em-
bryos Missbildungen. Allein in Deutschland gibt es noch ca. 2 700 Conter-
gangeschädigte, darunter viele ohne Gliedmaßen und mit weiteren erheblichen
Schäden.

Die Bundesrepublik Deutschland steht für die Schäden aus dem Contergan-
skandal in der Verantwortung, da sie – nach jahrelanger Verschleppung des
Prozesses und mit Abschluss eines sittenwidrigen Vertrages – sämtliche Ansprü-
che gegen die Schädigerin, die Firma Grünenthal, ausgeschlossen hat (§ 23 des
Conterganstiftungsgesetzes – ConStifG). Demnach steht der Staat in der Pflicht,
den Contergangeschädigten wirksame und dauerhafte Hilfen zu gewährleisten
(siehe auch Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 8. Juli 1976).

Der finanzielle Gesamtschaden beläuft sich nach Expertenmeinungen auf
8 Mrd. Euro, darunter 3 Mrd. Euro für Folgeschäden. Davon hat die Firma
Grünenthal nur einen geringen Teil getragen, obwohl die Inhaber zu den reichs-

ten Familien in Deutschland gehören.

Bis heute gibt es keine offizielle Entschuldigung der Firma Grünenthal sowie
der Bundesregierung gegenüber den Conterganopfern und ihren Angehörigen.

50 Jahre danach wurde – auch Dank des Filmes „Eine einzige Tablette“ sowie
vielfältiger Proteste und Aktivitäten der Betroffenen in der Öffentlichkeit – un-
übersehbar, dass die Contergangeschädigten infolge der erlittenen Schädigun-

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gen und der Spätfolgen täglich mit erheblichen Schmerzen, Problemen und
Behinderungen leben und auch die Angehörigen mit beträchtlichen Einschrän-
kungen, Einbußen und zusätzlichen Aufwendungen fertig werden müssen.

Nach jahrelangem Stillstand, der angesichts der Preisentwicklungen eine fak-
tische Verschlechterung bedeutete, beschloss der Deutsche Bundestag im Jahr
2008 einstimmig eine Verdopplung der monatlichen Conterganrente aus der
Conterganstiftung ab dem 1. Juli 2008 und betonte gleichzeitig, dies könne nur
ein erster Schritt gewesen sein.

Am 14. Mai 2009 wurde das Zweite Gesetz zur Änderung des Conterganstif-
tungsgesetzes im Deutschen Bundestag beschlossen. Mit dem Gesetz sollen u. a.
endlich die 50 Mio. Euro, die im Jahr 2008 von der Verursacherfirma Grünenthal
versprochen wurden, den Betroffenen zur Verfügung gestellt werden. Gleich-
zeitig wurden der Antrag der Fraktion DIE LINKE. „Soforthilfe zur Teilhabe-
Ermöglichung für Conterganbetroffene“ (Bundestagsdrucksache 16/11639)
sowie der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE. zum Gesetzentwurf (Bun-
destagsdrucksache 16/13030) abgelehnt, obwohl in beiden Anträgen maßgeb-
liche und berechtigte Forderungen der Betroffenen aufgegriffen wurden. Auch
ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes kritisieren Betroffene und ihre Organi-
sationen, dass die Situation der Contergangeschädigten zwar besser, aber weiter-
hin nicht bedarfsgerecht bzw. angemessen ist.

Völlig unzureichend sind die Mitwirkungsmöglichkeiten der Betroffenen in der
Conterganstiftung und deren Gremien. Bis 2009 hatte der Bundesverband Con-
tergangeschädigter e. V. eine Stimme im Stiftungsrat (andere Conterganinitiati-
ven und nichtorganisierte Betroffene blieben völlig unberücksichtigt). Im Er-
gebnis des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes gab
es Veränderungen bei den Gremien: Der Stiftungsrat hat seit Dezember 2009 fünf
ordentliche Mitglieder und fünf stellvertretene Mitglieder. Davon sind je drei
Mitglieder Vertreter der Bundesregierung und zwei (durch eine Wahl ermittelte)
Contergangeschädigte aus verschiedenen Conterganinitiativen. Den Vorsitz hat
ein Ministerialdirektor aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (BMFSFJ) inne, der somit die Kontrolle über die Stiftung
ausübt. Die Forderung der Betroffenen, die Mehrheit der Sitze im Stiftungsrat
einzunehmen, ist damit weiterhin nicht erfüllt.

Bereits am 20. Mai 2009 stellte die Fraktion DIE LINKE. eine Kleine Anfrage
„Der Conterganskandal – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ (Bundes-
tagsdrucksache 16/13086). Die Antworten der Bundesregierung vom 5. Juni
2009 (Bundestagsdrucksache 16/13308) waren zum Teil unvollständig oder
nichtsagend. Dieser Umstand und neu hinzugekommene Fragen, Entwicklungen
und Erkenntnisse führen nunmehr zu dieser zweiten umfangreichen Kleinen An-
frage zum Thema „Contergan“.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchen Ländern wurde das Medikament „Contergan“ (ggf. auch unter an-
derem Namen) der Firma Grünenthal verkauft bzw. über die Firma Grünen-
thal direkt vertrieben?

2. In welchen Ländern wurde das Medikament über Lizenznehmer vertrieben?
Wer waren diese Lizenznehmer?

3. Wann haben die Bundesregierung oder die Conterganstiftung bzw. die medi-
zinische Kommission zu den Fragen 1 und 2 Informationen von der Firma
Grünenthal erhalten?

4. Inwieweit verfügt die Bundesregierung (im Vergleich zur Antwort zu Frage 3

auf Bundestagsdrucksache 16/13308) über neue Erkenntnisse hinsichtlich
der Frage, wie viele Menschen in den in den Fragen 1 und 2 erfragten Län-

zahlung, jährliche Durchschnittsrente, weitere staatliche Leistungen – bitte
in einer synoptischen Darstellung mit Nennung des jeweiligen Staates und
der Anzahl der Contergangeschädigten)?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2801

dern Schädigungen durch „Contergan“ bzw. andere thalidomidhaltige Prä-
parate erlitten (bitte nach Ländern aufgeschlüsselt nennen)?

5. Wann hat die Bundesregierung Auskünfte von der Firma Grünenthal über
die Tätigkeit von SS-Angehörigen und anderen NS-belasteten Personen in
der Firma Grünenthal erbeten, und welche Auskünfte erhielt sie?

6. In welcher Weise hat die Bundesregierung selbst diesbezügliche Untersu-
chungen durchgeführt bzw. in Auftrag gegeben?

7. Welche neuen Kenntnisse (gegenüber der Antwort auf Bundestagsdruck-
sache 16/13308) hat die Bundesregierung über die Geschichte und Herkunft
des Wirkstoffes, der für das Medikament „Contergan“ verwendet wurde?

8. Warum wurde das vom selbst betroffenen Historiker Dr. Ludger Wimmel-
bücker bei der Stiftung beantragte Forschungsprojekt zur weltweiten Ver-
breitung thalidomidhaltiger Medikamente in den 50er- und 60er-Jahren
(Antrag an die Stiftung vom 14. Juli 2009) nicht unterstützt (siehe Ableh-
nungsschreiben der Stiftung vom 26. Januar 2010)?
Gab es vergleichbare Forschungen?
Wenn ja, von wem, wann, und mit welchen Ergebnissen?

9. Warum kann die Stiftung Dr. Ludger Wimmelbücker (und anderen interes-
sierten Betroffenen) „auch die weiteren von Ihnen gewünschten Infor-
mationen zur weltweiten Verbreitung thalidomidhaltiger Medikamente in
den 1950er und 1960er Jahren […] unter Hinweis auf das Betriebs- und
Geschäftsgeheimnis leider nicht mitteilen“ (siehe Schreiben der Stiftung an
Dr. Ludger Wimmelbücker vom 5. Februar 2010)?

10. Wie viele Contergangeschädigte erhielten nach Inkrafttreten des Con-
terganstiftungsgesetzes, in Deutschland sowie im Ausland lebend (bitte die
einzelnen Länder und die jeweilige Personenzahl nennen) gemäß deut-
schem Recht Zahlungen von der Conterganstiftung?

11. Wie viele Contergangeschädigte erhalten derzeit noch Zahlungen und in
welcher Höhe (monatliche Entschädigung, Einmalzahlung, jährliche Durch-
schnittsrente, weitere staatliche Leistungen)?

12. Wie hoch ist die insgesamt an ein Conterganopfer gezahlte Entschädigung
seit Inkrafttreten des Conterganstiftungsgesetzes bis heute aus der Stiftung
im Minimum, Maximum und im Durchschnitt?

13. Inwieweit reichten nach Auffassung der Bundesregierung diese Hilfen, um
ein selbstbestimmtes Leben führen zu können?

14. Wie viele Contergangeschädigte erhalten Leistungen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (ALG II bzw. Hartz IV), dem Elften (Pflegever-
sicherung) oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Eingliederungs-
hilfe), und wie viele Contergangeschädigte sind von Leistungen ihrer
Lebens- oder Ehepartner sowie von anderen Verwandten abhängig?

15. Inwieweit unterscheiden sich die Leistungen an Contergangeschädigte von
Leistungen an vergleichbare Personenkreise, die nach Zivilrecht entschä-
digt werden?

16. Gibt es neue Erkenntnisse zu der Antwort zu Frage 13 auf Bundestags-
drucksache 16/13308 hinsichtlich Zahlungen an Contergangeschädigte in
anderen Ländern, und wenn ja, welche (monatliche Entschädigung, Einmal-

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17. Inwieweit hält die Bundesregierung das Niveau der Entschädigungsleistun-
gen für Contergangeschädigte in Deutschland im Vergleich zu den Leistun-
gen in anderen westeuropäischen Ländern für angemessen?

18. Hat die Bundesregierung neue Erkenntnisse hinsichtlich der Antwort zu den
Fragen 14 bis 16 auf Bundestagsdrucksache 16/13308 (Zahlungen an Conter-
gangeschädigte trotz Überschreitung der Ausschlussfrist aus der Contergan-
stiftung), und wenn ja, welche?

19. Welche Regelungen gibt es hinsichtlich der Aufbewahrung sowie der Zu-
gänglichkeit der Akten und elektronischen Daten von Contergangeschädig-
ten bei der Stiftung?
Inwieweit sind die Sicherung der Akten von Beginn an und die Möglichkeit
der uneingeschränkten Einsichtnahme durch die Betroffenen gewährleistet?

20. Inwieweit ist sichergestellt, dass ordentliche und stellvertretende Mitglieder
des Stiftungsrates der Conterganstiftung von ihnen gewünschte Unterlagen
der Stiftung zur Einsicht bzw. als Kopie erhalten, und inwieweit dürfen sie
über ihre Tätigkeit in der Stiftung in der Öffentlichkeit bzw. gegenüber den
Betroffeneninitiativen berichten?

21. Inwieweit ist gesichert, dass die Patientenakten der Contergangeschädigten
(aus den 60er- bis 80er-Jahren), in denen die Schädigungen durch „Conter-
gan“ untersucht und dokumentiert wurden, nicht vernichtet, sondern den
Betroffenen ausgehändigt werden bzw. in den Aktenbestand der Stiftung
übergehen?

22. Welche Stiftungsvorschriften gibt es hinsichtlich der Aufbewahrung sowie
der Zugänglichkeit der Akten und elektronischen Daten über die Tätigkeit
der Stiftung?

23. Inwieweit hält es die Bundesregierung für sachgerecht, wenn die Conter-
gangeschädigten im Forschungsbeirat ausschließlich durch Mitglieder aus
dem Bundesverband Contergangeschädigter e. V. vertreten werden, obwohl
die Wahlen zum Stiftungsbeirat sehr deutlich gezeigt haben, dass eine große
Zahl von Betroffenen auch andere Conterganselbsthilfeorganisationen in
den Stiftungsgremien wünscht?
Gibt es diesbezügliche Überlegungen zu Veränderungen im Forschungsbei-
rat?
Wenn ja, welche, und wann sollen sie umgesetzt werden?

24. Wie ist die medizinische Kommission der Conterganstiftung zusammenge-
setzt?
Wie oft hat sie in den letzten fünf Jahren getagt, und welche Verträge zwi-
schen dem Bund bzw. der Conterganstiftung und der Firma Grünenthal gab
und gibt es zur Finanzierung der medizinischen Kommission und der medi-
zinischen Gutachten?

25. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass viele –vor allem innere –
Schäden bei der damaligen Schadenseingruppierung nicht bekannt waren
und damit nicht berücksichtigt wurden, und dass Contergangeschädigte, die
sich diesbezüglich weiteren Untersuchungen aussetzen, diese selbst bezah-
len müssen?

26. Wie viele Petitionen von Contergangeschädigten an den Deutschen Bun-
destag im Zeitraum 2006 bis 2010 sind der Bundesregierung bekannt, und
inwieweit haben diese Petitionen Handlungen und Entscheidungen durch
die Bundesregierung bzw. die Conterganstiftung ausgelöst?

27. Inwieweit verfügt die Bundesregierung inzwischen über Erkenntnisse hin-

sichtlich der Antworten zu den Fragen 26 sowie 28 bis 31 (Berufstätigkeit,
Rentenansprüche usw.) auf Bundestagsdrucksache 16/13308?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/2801

28. Wie ist gewährleistet, dass contergangeschädigte Personen einen angemes-
senen Ausgleich ihrer Renten- bzw. Pensionsverluste erhalten, die sie auf-
grund ihrer schädigungsbedingt verkürzten Erwerbsbiographien bzw. ihrer
fehlenden Erwerbsbiographien erleiden?

Was ist aus Sicht der Bundesregierung in dieser Hinsicht „angemessen“?

29. Wodurch unterscheiden sich die Leistungen an Contergangeschädigte qua-
litativ und quantitativ von Leistungen gemäß dem Bundesversorgungs-
gesetz (BVG), und was spräche aus Sicht der Bundesregierung dafür bzw.
dagegen, die Versorgung von Contergangeschädigten auf der Grundlage des
BVG zu gewährleisten?

30. Wie viele der Contergangeschädigten sind seit Inkrafttreten des Stiftungs-
gesetzes verstorben (bitte Zahl der Verstorbenen aufgeschlüsselt nach Jah-
ren, Geschlecht und Schadenseingruppierung nennen)?

Welche (neuen) Erkenntnisse hat die Bundesregierung hinsichtlich der
Mortalitätsrate (Sterberate) von Contergangeschädigten im Vergleich zu
den übrigen Personen ihrer Geburtsjahrgänge?

31. Ist die Bundesregierung bereit, kurzfristig mit einer Klarstellung in § 18
ContstifG zu gewährleisten, dass Stiftungsleistungen auch im Vererbungs-
fall den Unanrechenbarkeitsstatus behalten (siehe BSG, Urteil vom
23. März 2010 – Az. B 8 SO 2/09 R)?

Wenn nein, warum nicht?

32. Für wie viele der Contergangeschädigten reichen nach Einschätzung der
Bundesregierung die derzeitigen finanziellen Hilfen, um eine umfassende
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft mit dem Maßstab der Behinderten-
rechtskonvention der Vereinten Nationen zu ermöglichen?

33. Wie und ab wann werden nach Kenntnis der Bundesregierung künftig Fol-
geschäden bei der Bemessung der Höhe der Zahlungen aus der Contergan-
stiftung berücksichtigt?

34. Für welche Projekte und Forschungsvorhaben wurden seit dem Jahr 2009
Mittel aus der Conterganstiftung zur Verfügung gestellt (bitte einzeln das
Vorhaben, Bewilligungsdatum, Verwendungsnachweisdatum, die Höhe der
Mittel und die Träger des Projektes bzw. Forschungsvorhabens benennen)?

35. Welche Anträge für Projekte und Forschungsvorhaben von Contergan-
geschädigten oder deren Vereinen und Initiativen wurden seit dem Jahr
2000 abgelehnt?

36. Inwieweit hält die Bundesregierung es für sachgerecht, dass die Organi-
sationen von Contergangeschädigten nur minimalste Projektmittel aus der
Conterganstiftung erhalten haben (siehe die Antworten der Bundesregie-
rung zu den Fragen 36 und 43 sowie Anlage II auf Bundestagsdrucksache
16/13308), und haben diese Organisationen seit dem Jahr 2009 Mittel aus
dem Bundeshaushalt und/oder von der Stiftung erhalten?

Wenn ja, in welcher Höhe und wofür (bitte einzeln nennen)?

37. Was hat die Bundesregierung bisher getan, um die Forderungen 1 bis 7 aus
dem am 22. Januar 2009 im Deutschen Bundestag beschlossenen Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP „Angemessene und zukunfts-
orientierte Unterstützung der Contergangeschädigten sicherstellen“ (Bun-
destagsdrucksache 16/11223) zu erfüllen, was wurde bisher erreicht, und
was ist darüber hinaus noch im Jahr 2010 geplant (bitte zu den sieben Punk-
ten einzeln Stellung nehmen)?

38. Ist vorgesehen, das zweijährige Forschungsprojekt zur Lebenssituation der

Contergangeschädigten (im Jahr 2013) mit der Vorlage nachhaltiger Hand-
lungsempfehlungen abzuschließen, oder soll es sich dabei (siehe Ausschrei-

Drucksache 17/2801 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

bungstext des Projekts) um eine „Ersterhebung“ handeln, auf die in den
folgenden Jahren bei Bedarf weitere Erhebungen folgen können?
Inwieweit sind der Bundesregierung die massiven Kritiken der Betroffenen
über das Forschungsprojekt bekannt, und wie bewertet die Bundesregierung
diese Kritiken?

39. Was hat die Bundesregierung in den letzten zwölf Monaten unternommen,
um die medizinische Versorgung der Contergangeschädigten inklusive der
Bereitstellung und Kostenübernahme von Hilfs- und Heilmitteln spürbar zu
verbessern?

40. Welche personellen Übereinstimmungen gibt es zwischen Vertretern von
Bundesbehörden in Stiftungsgremien und den für die Aufsicht und Kon-
trolle zuständigen Bundesbehörden, und inwieweit hält die Bundesregie-
rung es für sachgerecht und zulässig, wenn diese Personen sich damit fak-
tisch selbst kontrollieren?

41. Wann wurde in den letzten 20 Jahren die Tätigkeit der Conterganstiftung
durch den Bundesrechnungshof und/oder den Rechnungsprüfungsaus-
schuss des Deutschen Bundestages überprüft?

42. Wie viele Anträge auf Anerkennung als Conterganopfer sowie auf Neu-
bewertung der Schadenseingruppierung sind seit Inkrafttreten des Zweiten
Conterganstiftungsänderungsgesetzes bei der Stiftung eingegangen (bitte
nach Herkunftsländern aufschlüsseln)?
Wie viele Anträge wurden jeweils bereits positiv oder mit einer Ablehnung
entschieden?
Wie lange ist die durchschnittliche Bearbeitungszeit?

43. Wie viele dieser Antragstellerinnen und Antragsteller hatten bereits in den
Jahren 1984 bis 2008 schon einmal einen Antrag auf Anerkennung als Con-
terganopfer oder auf Neubewertung der Schadenseingruppierung gestellt?

44. Inwieweit erweist sich bei Anträgen aus dem Ausland das Prinzip der dop-
pelten Kausalität (Nachweis der Schädigung infolge von „Contergan“ oder
eines anderen thalidomidhaltigen Medikaments der Firma Grünenthal und
des Erwerbs des Medikaments im Land) 50 Jahre danach als größeres Pro-
blem, zumal die Firma Grünenthal bis heute ihre Vertriebswege nicht offen-
gelegt hat?

45. Inwieweit kann die Bundesregierung die von Antragstellerinnen und
Antragstellern kritisierten zu langen Bearbeitungszeiten bestätigen, und
was unternahm bzw. unternimmt die Bundesregierung, um eine zügige An-
tragsbearbeitung zuzusichern?

46. Wer traf die Entscheidung, die Geschäftsstelle der Stiftung von der Kredit-
anstalt für Wiederaufbau Bankengruppe (KfW) in das Bundesamt für den
Zivildienst (BAZ) zu verlagern?
Welche Gründe gab es dafür?
In welcher Weise war der Stiftungsbeirat in die Entscheidung einbezogen?
Inwieweit sind bei dieser Entscheidung nicht nur Wirtschaftlichkeitserwä-
gungen, sondern auch Fragen der Kompetenz und Bedürfnisse der Betrof-
fenen berücksichtigt worden?

47. In welchem Umfang werden durch die Geschäftsstelle der Stiftung psycho-
soziale Beratungen und Einzelfallbetreuungen für die Betroffenen angebo-
ten?

48. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung dagegen, die Zuständigkeit für

das Thema „Contergan“ und die Conterganstiftung vom Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (weil die Betroffenen damals

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/2801

Kinder waren) zum für Behindertenpolitik zuständigen Bundesministerium
für Arbeit und Soziales (BMAS) zu verlagern?

49. Inwieweit ist gewährleistet, dass Informationen von Conterganopfern, die
das BAZ erlangt, nur mit Genehmigung der Betroffenen an die Forschungs-
projekte weitergegeben werden?

50. Ist die Bundesregierung bereit, die Homepage der Conterganstiftung mit
Gebärdensprachenvideos sowie angesichts von Anspruchsberechtigten aus
verschiedenen Ländern auch mehrsprachig anzubieten?
Wenn ja, bis wann, und wenn nein, warum nicht?

51. Wie hoch ist der Gewinn, den die Firma Grünenthal bisher aus dem Verkauf
von „Contergan“ und anderen thalidomidhaltigen Produkten erzielen konnte,
und inwieweit kann die Bundesregierung bestätigen, dass die Inhaberin der
Schädigerfirma Grünenthal, die Familie Wirtz, mit ca. 3,45 Mrd. Euro zu
den reichsten Familien in Deutschland gehört?
Inwieweit hält die Bundesregierung die Unterschiede in den Vermögensver-
hältnissen zwischen Schädigern und Geschädigten für angemessen und ge-
recht?
War die Zahlung von 50 Mio. Euro von der Firma Grünenthal an die
Conterganstiftung eine Spende im Sinne des Steuerrechts?
Wenn nein, was dann?
Wie hoch ist nach Schätzung der Bundesregierung die diesbezügliche
Steuerersparnis?

52. Welche Bedingungen und Vereinbarungen waren bzw. sind – über das In-
krafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungs-
gesetzes hinaus – mit der Zahlung dieser 50 Mio. Euro von der Firma
Grünenthal verknüpft?

53. Wie hoch sind die durch den Bund aus Steuermitteln aufgebrachten Kosten
(einschließlich der Folgekosten) infolge des Conterganskandals seit 1961
bzw. seit Eintritt des Bundes in die Pflichten des Verursachers, der Firma
Grünenthal (bitte insgesamt sowie aufgeschlüsselt nach Kostenarten und
Jahren angeben)?
Wie hoch ist darunter der Anteil der Zahlungen an die Contergangeschädig-
ten bzw. deren Angehörige?

54. Inwieweit würde die von Betroffenen geforderte Enteignung des gesamten
Firmenkonsortiums der Familie Wirtz (Dalli-Werke, Mäurer & Wirtz,
Firma Grünenthal GmbH usw.) nach Artikel 14 des Grundgesetzes zu einer
Entlastung der Allgemeinheit hinsichtlich der von ihr durch die Bundes-
regierung verbindlich übernommenen Verpflichtung zur Tragung der ge-
samten Schadenslast bezüglich der Auswirkungen des Conterganskandals
beitragen?
Wann und mit welchen Ergebnissen hat die Bundesregierung diesbezüg-
liche Schritte geprüft?

55. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Firma Grünenthal über die
2008 angekündigte Zahlung von 50 Mio. Euro an die Stiftung hinaus wei-
tere Leistungen für die Contergangeschädigten erbringen sollte?
Wenn ja, wie ist der diesbezügliche Gesprächsstand?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 19. August 2010
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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