BT-Drucksache 17/2742

Deutsche Hermesbürgschaft für das Atomkraftwerk Angra 3 in Brasilien

Vom 9. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2742
17. Wahlperiode 09. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Kerstin Andreae, Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Dr. Thomas Gambke,
Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Tom Koenigs,
Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele, Dr. Harald Terpe
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Deutsche Hermesbürgschaft für das Atomkraftwerk Angra 3 in Brasilien

Angra 3 ist, neben Angra 1 und Angra 2, das dritte kommerzielle Kernkraftwerk
Brasiliens. Geplant wurde es bereits im Jahr 1975 und 1984 wurden die Bau-
arbeiten aufgenommen. Kurz darauf wurde der Bau aufgrund ökologischer
Bedenken und finanzieller Probleme gestoppt.

2007 kündigte Präsident Lula da Silva den flächendeckenden Ausbau der atoma-
ren Technologien im Land an, wobei der erste Schritt die Fertigstellung des Atom-
kraftwerks Angra 3 ist. Darauf sollen weitere Atomkraftwerke (AKW) folgen.

Den Bauauftrag für Angra 3 bekam das deutsch-französische Unternehmen
Siemens/Areva. Anfang Februar 2010 genehmigte die Bundesregierung Siemens
/Areva im Grundsatz für den Export von Technologie für dieses AKW eine Her-
mesbürgschaft über max. 2,5 Mrd. Euro. Die endgültige Zusage für die Hermes-
bürgschaft steht noch aus.

Vom brasilianischen Umweltministerium wurde der Bau des AKW Angra 3 an
die Erfüllung verschiedener Auflagen (z. B. Finden eines Zwischen- bzw. End-
lagers für den Atommüll, Katastrophenschutzpläne etc.) geknüpft.

Die Bundesregierung bezeichnet als Grundlage für die Grundsatzzusage zu-
gunsten der Hermesbürgschaftsvergabe ein Gutachten, das im Auftrag von
Siemens/Areva im März 2009 von der ISTecGmbH erstellt worden ist. Dieses
Sicherheitsgutachten verweist auf zahlreiche gravierende Risiken des geplanten
Atomkraftwerkes für die Sicherheit der lokalen Bevölkerung.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Gilt die Aussage, dass die „Grundsatzzusage der Bundesregierung über die
Indeckungnahme des Geschäfts […] unter der Voraussetzung getroffen

[wurde], dass ein externer Gutachter die Erfüllung der Auflagen aus dem
Genehmigungsverfahren prüft“ (Antwort des Bundesministeriums für Wirt-
schaft und Technologie – BMWi – auf die Schriftliche Frage 59 der Abgeord-
neten Ute Koczy auf Bundestagsdrucksache 17/991), für alle Auflagen aus
allen Genehmigungen?

Wenn nein, auf welche konkreten Auflagen aus welchen Genehmigungen be-
zieht sich diese Aussage?

Drucksache 17/2742 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

a) Was genau soll der externe Gutachter prüfen?

b) Wann wird die Überprüfung der Einhaltung der Auflagen durch den exter-
nen Gutachter stattfinden?

c) Ist die Überprüfung und die Einhaltung der Auflagen eine Voraussetzung
für die endgültige Zusage über die Indeckungnahme des Geschäfts?

d) Ist in der Grundsatzzusage der Bundesregierung geklärt, was geschieht,
wenn die Auflagen nicht eingehalten werden?

Was sind die Konsequenzen aus einer Nichteinhaltung der Auflagen?

2. Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung aus den neuerlichen
schwerwiegenden Kritiken der brasilianischen Staatsanwaltschaft (Minis-
tério Público Federal) zu ziehen, wonach sie Ende Juni 2010 empfahl, die
Bauarbeiten an Angra 3 zu stoppen und erst nach Durchführung probabilis-
tischer Analysen zu den Sicherheitsstandards der geplanten Anlage und zu
gefährlichen Unfällen wieder aufzunehmen (Agência Brasil, 25. Juni 2010)?

3. Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf angesichts der Tatsache, dass
auch das ISTec-Gutachten, das als Grundlage für die Bürgschaftszusage gilt,
hervorhebt, dass der „Forderung nach der Durchführung probabilistischer
Analysen […] nur teilweise entsprochen“ wird (ISTec-Gutachten, S. 6)?

a) Wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung, wonach „probabilisti-
sche Analysen üblicherweise erst nach Fertigstellung bzw. im Betrieb des
Kraftwerkes durchgeführt werden“ (Schreiben des BMWi an urgewald,
2. Juli 2010)?

b) Welche Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Sicherheit des Kraft-
werkes sieht die Bundesregierung, sollten die probabilistischen Analysen
nach Fertigstellung bzw. im Betrieb des Kraftwerkes gravierende Sicher-
heitsmängel aufzeigen?

4. Betrachtet die Bundesregierung die ISTecGmbH, die eine Tochter der Deut-
schen Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorensicherheit (GRS) ist, als un-
abhängig?

Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, weitere Prüfmöglichkeiten
heranzuziehen?

5. Wie kommt die Bundesregierung zu dem Schluss, dass das ISTec-Gutachten
belege, dass es keine umweltrechtlichen Einwände gegen den Bau von
Angra 3 gebe (Antwort auf die Schriftlichen Fragen 21 auf Bundestagsdruck-
sache 17/440 und 30 auf Bundestagsdrucksache 17/1695 – neu – der Ab-
geordneten Ute Koczy), obwohl das ISTec-Gutachten selbst auf zahlreiche
gravierende Risiken des geplanten Atomkraftwerkes für die Sicherheit der
lokalen Bevölkerung verweist (vgl. S. 6: kein Schutz gegen Flugzeugabsturz
gemäß der deutschen RSK-Leitlinie; S. 26: sehr allgemeine Darstellung des
externen Notfallplans; S. 33: Notwendigkeit zum Überdenken der Pläne zur
Nichtevakuierung der Menschen im Notfall/Notwendigkeit zur Vorbereitung
der Straße BR 101)?

a) Welche konkreten Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen,
um den im Gutachten genannten zentralen Sicherheitsrisiken Rechnung zu
tragen?

b) Welche Möglichkeiten der Einflussnahme sieht die Bundesregierung
jenseits von Auflagen und externen Prüfungen, um zu gewährleisten, dass
Sicherheitsmängel, aus denen gravierende Risiken entstehen können, aus-
geräumt werden, bevor die Bundesregierung aufgrund einer Bürgschafts-

übernahme in der Verantwortung für mögliche Konsequenzen steht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2742

6. Geht die Bundesregierung weiterhin davon aus, dass die Prüfung im
ISTec- Gutachten „schwerpunktmäßig anhand der deutschen Genehmi-
gungspraxis“ erfolgte und dass das Projekt „deutsche und internationale
Standards einhält“ (Antwort auf die Schriftliche Frage 21 der Abgeordneten
Ute Koczy auf Bundestagsdrucksache 17/440)?

a) Wie begründet die Bundesregierung angesichts der oben zitierten Aus-
sage, dass sie an anderer Stelle sagt, es handele sich beim ISTec-Gut-
achten „nicht um ein Sicherheitsgutachten, wie es im Rahmen von
Genehmigungsverfahren erstellt wird, sondern um ein Gutachten,
welches zum einen die in den OECD Umweltleitlinien vorgesehenen
Vorgaben für die Vergabe von Exportkreditgarantien berücksichtigt“
(Schreiben an urgewald, 2. Juli 2010)?

b) Geht die Bundesregierung davon aus, dass die Prüfung anhand der
OECD-Umweltleitlinien (Common Approaches) deutscher Genehmi-
gungspraxis entspricht?

7. Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf hinsichtlich der Sicherstellung
einer langfristigen Lagerungsmöglichkeit der radioaktiven Abfälle durch
die brasilianische Regierung?

a) Welche Einflussmöglichkeiten sieht die Bundesregierung durch die Ver-
gabe einer Hermesbürgschaft für den Bau des AKW Angra 3 angesichts
der Tatsache, dass am Standort Angra dos Reis das AKW Angra 2 bereits
seit 2000 am Netz ist, ohne dass zentrale Genehmigungsauflagen – vor
allem die bisher nur sehr provisorische Lösung für die Lagerung der
radioaktiven Abfälle – auch nur ansatzweise zufriedenstellend „gelöst“
worden sind?

b) Zieht die Bundesregierung aus der oben beschriebenen Situation bei
Angra 2 Schlussfolgerungen bezüglich der Situation von Angra 3?

c) Entstehen aus Sicht der Bundesregierung aus der deutschen Verpflich-
tung zu mehr Sicherheit bei der Lagerung von Nuklearmaterial in Was-
hington im April 2010 Handlungsbedarf oder zusätzliche Einflussmög-
lichkeiten, was den Bau von Angra 3 betrifft?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass Brasilien neben
Argentinien als einziges Mitgliedsland der Nuclear Supplier Group das
Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben hat, das
der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) unangekündigte Kontrol-
len gewährt?

Steht dies im Gegensatz zum Engagement der deutschen Bundesregierung
zur Unterstützung des Baus von Angra 3 durch eine Hermesbürgschaft?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass Brasilien über keine
unabhängige Atomaufsicht verfügt, da die zuständige Behörde (CNEN)
zugleich Brennstoffversorger, Auftragnehmer sowie Genehmigungs- und
Aufsichtsbehörde und damit keine funktionelle Trennung von Betrieb und
Aufsicht über Atomanlagen möglich ist?

Steht dies im Gegensatz zum Engagement der deutschen Bundesregierung
zur Unterstützung des Baus von Angra 3 durch eine Hermesbürgschaft?

10. Auf welche Summe werden nach Kenntnis der deutschen Bundesregierung
die Baukosten nach derzeitigem Stand geschätzt?

a) Hält die Bundesregierung die von der staatlichen brasilianischen Betrei-
berfirma auf etwa 2,5 Mrd. US-Dollar angegebenen Kosten für Angra 3
für realistisch?

Drucksache 17/2742 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
b) Wie schätzt die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass die
Fertigstellungskosten beim Bau von Angra 3 mit ca. 7 bis 10 Mrd. US-
Dollar wesentlich höher lagen als ursprünglich veranschlagt, das Aus-
fallrisiko für die beantragte Hermesbürgschaft bei Angra 3 ein?

11. a) Sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund der angespannten Haus-
haltssituation in Deutschland die Notwendigkeit, genau zu dieser Zeit
die Risiken des Baus eines Atomkraftwerkes in Brasilien finanziell
abzusichern?

b) Zieht die Bundesregierung die Möglichkeit in Erwägung, aufgrund der
schwierigen finanziellen Situation im eigenen Land, die endgültige Zu-
sage für die Hermesbürgschaft für Angra 3 auf spätere Zeit zu verschie-
ben?

12. Sieht die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass sich das deutsche
Unternehmen Siemens bis Ende 2012 aus dem französischen Areva-Kon-
zern zurückziehen wird, eine deutsche Hermesbürgschaft für dieses Unter-
nehmen als das richtige Instrument an?

13. Wie sieht der Zeitplan der Bundesregierung hinsichtlich der Hermesbürg-
schaft für Angra 3 aus?

a) Wann rechnet die Bundesregierung damit, dass die Kreditverträge für die
Finanzierung von Angra 3 abgeschlossen werden?

b) Wann wird sich der IMA zum nächsten Mal mit der Hermesbürgschaft
für Angra 3 beschäftigen?

c) Wann rechnet die Bundesregierung damit, die endgültige Zusage der
Deckungsübernahme für die von Siemens/Areva beantragte Hermes-
bürgschaft zu geben?

Berlin, den 5. August 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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