BT-Drucksache 17/2741

Umgang mit Belarus im Rahmen der Östlichen Partnerschaft der Europäischen Union

Vom 9. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2741
17. Wahlperiode 09. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln),
Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umgang mit Belarus im Rahmen der Östlichen Partnerschaft
der Europäischen Union

Nach der Entlassung von international anerkannten politischen Häftlingen in
Belarus vollzog die Europäische Union im Herbst 2008 einen Wechsel in ihrer
Beziehung zu dem östlichen Nachbarn. Nach Jahren der Isolationspolitik wurde
mit dem autoritär regierenden Regime in Minsk der Dialog gesucht, ein Teil der
Sanktionen gegen Funktionsträger ausgesetzt und die Teilnahme von Belarus am
neuen Programm der Östlichen Partnerschaft der Europäischen Union in Aus-
sicht gestellt. Bis zur Unterzeichnung der gemeinsamen Gründungserklärung
der Östlichen Partnerschaft mit den sechs Partnerländern am 7. Mai 2009 in Prag
erfolgten einzelne, jedoch kaum substantielle Schritte, mit denen die belarus-
sische Regierung Forderungen der EU nach einer demokratischer Öffnung
des Landes nachkam. So konnte die oppositionelle Organisation „Für Freiheit“
(Sa Swabodu) des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Alexander Milinke-
witsch registriert werden. Zwei unabhängige Zeitschriften wurden wieder in die
Programme der in Staatshand befindlichen Vertriebe aufgenommen. Die Admi-
nistration des belarussischen Präsidenten lud zu Runden Tischen zu verschiede-
nen gesellschaftlichen Fragen ein, an denen auch Oppositionsvertreter teilnah-
men.

Der Europarat folgte dem Politikwechsel der Europäischen Union gegenüber
Belarus und stellte auf Empfehlung seiner Parlamentarischen Versammlung im
Sommer 2009 die Wiedererlangung des seit 1997 suspendierten Sondergast-
status bei der Organisation in Aussicht, sollte sich das Land zu einem Mora-
torium für die Todesstrafe durchringen können.

Seit der formellen Aufnahme von Belarus in die Östliche Partnerschaft der
Europäischen Union am 7. Mai 2009 ist jedoch eine Stagnation in den Öffnungs-
bemühungen des Regimes in Minsk zu beobachten. Seit Jahresende 2009
nehmen sogar die Repressionen gegen Regimekritiker und unabhängige Journa-

listen erneut zu.

Die erneuten Repressionen werden im Zusammenhang mit den kommenden
Präsidentschaftswahlen gesehen, die bis spätestens Februar 2011 stattfinden
werden. Sie widersprechen ganz offensichtlich dem Geist der Östlichen Partner-
schaft, dessen Gründungserklärung auch Belarus unterschrieben hat. Hierin
kommen die Teilnehmer des Prager Gipfeltreffens überein, „dass die Östliche
Partnerschaft auf dem Bekenntnis zu den Grundsätzen des Völkerrechts und den

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Grundwerten, einschließlich Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Achtung der
Menschenrechte und der Grundfreiheiten, sowie auf dem Eintreten für Markt-
wirtschaft, nachhaltige Entwicklung und verantwortungsvolle Regierungsfüh-
rung beruhen wird.“

Im Oktober 2010 muss die Europäische Union erneut über die Fortsetzung der
Sanktionen gegen Belarus entscheiden, von denen bislang lediglich ein Teil aus-
gesetzt ist. In diesem Zusammenhang ist auch eine öffentliche Debatte über den
Umgang mit Belarus im Rahmen der Östlichen Partnerschaft von Nöten, dessen
Führung derzeit nicht nur die Grundsätze der Partnerschaft, sondern auch öffent-
liche Kritik seitens der EU hieran ignoriert. Die Bundesregierung hat zu ihrer
Position zum Umgang mit Belarus im Rahmen der Östlichen Partnerschaft bis-
lang nicht Stellung genommen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung grundsätzlich die Zusammenarbeit mit
Belarus im Rahmen der Östlichen Partnerschaft im ersten Jahr ihres Beste-
hens?

2. Welche Projekte mit Belarus konnten im Rahmen der Östlichen Partnerschaft
begonnen werden, und welche konkreten Ergebnisse sind inzwischen zu ver-
zeichnen?

3. In welcher Höhe wurden finanzielle Mittel eingesetzt, die im Rahmen der
Östlichen Partnerschaft direkt oder indirekt Belarus zugute kamen?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die mehrfache Verweigerung der Regist-
rierung für die Menschenrechtsorganisation „Nascha Wiasna“ (Unser Früh-
ling) und der Partei der Belarussischen Christlichen Demokraten?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Vorbereitung und der Verlauf der am
25. April 2010 abgehaltenen Regionalwahlen in Belarus, die trotz der Ver-
abschiedung von Wahlgesetzänderungen aufgrund von Empfehlungen der
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) laut
Abschlussbericht der Initiative „Menschenrechtler für freie Wahlen“ keine
substantielle Verbesserung in Richtung einer Demokratisierung des Wahl-
prozesses aufwies?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die Exmatrikulation der Pressesprecherin
der oppositionellen Jugendorganisation „Junge Front“ (Malady Front),
Tazjana Schapuzka, die nach ihrer Teilnahme am Zivilgesellschaftsforum der
Östlichen Partnerschaft im November 2009 vom Studium an der Bela-
russischen Staatsuniversität ausgeschlossen wurde und bislang vergeblich
juristisch für ihre erneute Immatrikulation kämpft?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die wiederholten Übergriffe auf unabhän-
gige Journalisten und freie Medien durch zum Beispiel teils mehrfache Ver-
höre von Journalistinnen wie Irina Chalip, Swetlana Kalinkina, Maryna
Koktysch und Natalja Razina, durch Beschlagnahmung ihrer Arbeitsgeräte
wie Computer, Durchsuchungen und Beschlagnahmungen in den Redak-
tionen der Zeitschriften „Narodnaja Wolja“ und „Nowaja Gaseta“ sowie der
Internetnachrichtenportale www.charter97.org und www.vilejka.org, durch
Beschlagnahmung ganzer Auflagen der Zeitschrift „Vizebski Kur’er“, Ver-
hängung mehrerer Geldstrafen gegen den Zeitschriftengründer wegen Be-
sitzes der Druckerzeugnisse und die andauernde Sperrung des Zugangs zur
Internetausgabe der Zeitschrift (www.kurier.vitebsk.by), durch eine zehn-
tägige Administrativhaftstrafe gegen den Journalisten Ivan Shulha wegen
vorgeblichen Rowdytums sowie mit einem Urteil gegen den unabhängigen
Journalistenverband und der Androhung seiner Schließung wegen der Ver-

wendung des Wortes „Presse“ auf den Mitgliedsausweisen und seiner als
illegal eingestuften Rechtsberatung?

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8. Wie bewertet die Bundesregierung den am 1. Juli 2010 in Kraft getretenen
präsidialen Erlass Nummer 60 zur Regelung des Internets in Belarus, der
vom Sprecher der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheits-
politik als „signifikanter Schritt in die falsche Richtung“ bezeichnet wurde?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die von der Beauftragten für Medienfrei-
heit der OSZE beanstandeten Bestimmungen des präsidialen Erlasses Num-
mer 60 zur Regelung des Internets, insbesondere
– die Lizensierungspflicht für Internetmedien,
– die Pflicht zur Identifizierung und Registrierung von Internetnutzern und

deren technischer Geräte für den Internetzugang durch die Provider,
– die Identifizierungspflicht für Nutzer von Internetcafés,
– die Pflicht zur einjährigen Speicherung sämtlicher Internetverbindung

durch die Provider,
– die wenig spezifizierte Benennung verbotener Inhalte, die zur Schlie-

ßung von Internetseiten führen kann,
– die mögliche Haftung von Internetseitenbetreibern für von ihnen nicht

verantwortete, für illegal erklärte Inhalte?

10. Welche konkreten Auswirkungen des präsidialen Erlasses zur Regelung des
Internets sind nach Kenntnis und Einschätzung der Bundesregierung bereits
jetzt zu verzeichnen oder in den kommenden Monaten im Vorfeld der Prä-
sidentschaftswahlen zu erwarten?

11. Wie bewertet die Bundesregierung das wiederholte gewaltsame Vorgehen
gegen bzw. die Verhaftung von Demonstrationsteilnehmern durch belarus-
sische Sicherheitskräfte in den vergangenen Monaten, etwa bei einer oppo-
sitionellen Solidaritätsdemonstration am 16. Februar 2010, bei Protesten
gegen die Todesstrafe am 23. März 2010, im Vorfeld der traditionellen
Oppositionsdemonstration am 25. März 2010 und bei der „Slawischen Gay
Pride“ am 15. Mai 2010 in Minsk?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die landesweiten Durchsuchungen bei
bzw. die Verhaftungen von Aktivisten der regimekritischen Kampagne
„Gawary Praudu“ (Sag die Wahrheit) am 18. und 19. Mai 2010?

13. Wie bewertet die Bundesregierung die Urteile gegen Iwan Michailau am
10. Januar 2010 zu einer dreimonatigen Haftstrafe und gegen Jauhen
Jakawenka am 6. Juni 2010 zu einem Jahr eingeschränkter Freiheit (Haus-
arrest) wegen Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen, angesichts
der Tatsache, dass ein ziviler Ersatzdienst in Belarus derzeit nicht möglich
ist?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die gegen den oppositionellen Politiker
Ales Sarembriuk im April 2010 erhobene Anklage wegen Betrugs, während
dieser für die Bewegung „Sa Swabodu“ (Für Freiheit) für die Regionalwah-
len am 25. April 2010 kandidierte?

15. In welcher Weise hat die Bundesregierung den Prozess gegen den Opposi-
tionellen Aleh Surhan verfolgt, der zunächst wegen des Anbringens der
ehemaligen Nationalflagge und später wegen vorgeblicher Trunkenheit, öf-
fentlichen Fluchens und Beleidigung von Polizisten angeklagt wurde, und
wie bewertet sie das am 19. Februar 2010 ergangene und von Menschen-
rechtsorganisationen als politisch motiviert eingestufte Urteil zu einer Geld-
buße und sechsmonatigen Haftstrafe?

16. In welcher Weise hat die Bundesregierung den Prozess gegen die als Re-
gimekritiker bekannten Kleinunternehmer Mikalai Autuchowitsch und

Uladsimir Asipenka verfolgt, und wie bewertet sie das am 6. Mai 2010 nach
15-monatiger Untersuchungshaft ergangene Urteil zu Haftstrafen von fünf

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Jahren und zwei Monaten sowie drei Jahren, das von der britischen Bot-
schaft in Minsk, agierend als lokale EU-Repräsentanz, als „politisch moti-
viert“ bezeichnet wurde?

17. In welcher Weise hat die Bundesregierung den Prozess gegen Andrei
Bandarenka, der nach seiner Kandidatur für die oppositionelle Vereinigte
Bürgerpartei bei den Parlamentswahlen im Oktober 2008 des angeblichen
betrügerischen Diebstahls von Eigentum seiner eigenen Firma angeklagt
wurde, und wie bewertet sie das am 18. Mai 2010 im Berufungsverfahren
bestätigte Urteil zu einer Haftstrafe von sechs Jahren?

18. Wie bewertet die Bundesregierung die Vollstreckung zweier Todesurteile in
Belarus im März 2010, nachdem das Land 2009 auf die Vollstreckung sol-
cher Urteile verzichtet hatte und obwohl die Parlamentarische Versamm-
lung des Europarats im Juni 2009 ein Moratorium zur Voraussetzung für die
Wiedererlangung des Sondergaststatus gemacht hatte sowie das Menschen-
rechtskomitee der Vereinten Nationen wegen individueller Prüfanträge um
eine Aussetzung der Todesurteile ersucht hatte, und welche Schlüsse zieht
die Bundesregierung hieraus in Bezug auf das Interesse von Belarus, den
Sondergaststatus im Europarat zurück zu erlangen?

19. Sieht die Bundesregierung einen Widerspruch zwischen den jüngsten
Fällen von Visaverweigerungen für deutsche Staatsangehörige, die als
Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen mit regimekritischen Orga-
nisationen in Belarus zusammenarbeiten, und dem Ziel der Östlichen
Partnerschaft, die direkten Kontakte zwischen den Menschen sowie die
zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit zu fördern, und falls ja, in welcher
Weise thematisiert sie diesen Widerspruch gegenüber der belarussischen
Regierung?

20. Wie bewertet die Bundesregierung die Beteiligung belarussischer Nicht-
regierungsorganisationen am Zivilgesellschaftlichen Forum der Östlichen
Partnerschaft und die Auswirkungen der damit verbundenen internationalen
zivilgesellschaftlichen Kooperation sowie der Teilnahmemöglichkeit des
Forums an den thematischen Plattformen der Regierungsebene der Öst-
lichen Partnerschaft für die Entwicklung der Zivilgesellschaft in Belarus?

21. Sind gegenüber Belarus seitens der Europäischen Union oder durch die
Bundesregierung selbst die Widersprüche zwischen der repressiven Politik
der belarussischen Regierung der letzten Monate und den demokratischen,
rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Grundlagen der Östlichen Part-
nerschaft zum Ausdruck gebracht worden, und welche Schlüsse zieht die
Bundesregierung aus dem Handeln der belarussischen Regierung in Bezug
auf ihr Interesses an einer weiteren Teilnahme an der Östlichen Partner-
schaft?

22. In welcher Weise wird die Bundesregierung sich innerhalb der Euro-
päischen Union für eine Diskussion über den weiteren Umgang mit Belarus
im Rahmen der Östlichen Partnerschaft einsetzen, und welche Position ver-
tritt sie zu dieser Frage?

Berlin, den 9. August 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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