BT-Drucksache 17/2712

Überhöhte Tarife für Frauen in der privaten Krankenversicherung

Vom 4. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2712
17. Wahlperiode 04. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Inge Höger,
Cornelia Möhring, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Überhöhte Tarife für Frauen in der privaten Krankenversicherung

In aller Regel sind private Krankenvollversicherungen für Frauen teurer als für
Männer. So zeigt ein Versicherungsrechner auf der Internetseite des Versicherers
Allianz, dass 24-jährige selbständige Männer – vorbehaltlich einer Gesundheits-
prüfung – 347,31 Euro monatlich zahlen müssen, gleichaltrige Frauen hingegen
420,02 Euro. Das sind 20,9 Prozent mehr! Bei einem 50-jährigen Mann sind es
589,72 Euro, bei einer gleichaltrigen Frau 635,21 Euro. Ein Unterschied von im-
merhin 7,7 Prozent.

Dieser Unterschied wiegt umso schwerer, als Frauen durchschnittlich ein um
23 Prozent niedrigeres Einkommen haben als Männer. Mit steigendem Gehalt
nimmt die Entgeltdiskriminierung sogar noch zu.

Die EU-Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern
und Dienstleistungen zielte auf die Einführung von sog. Unisex-Tarifen. Als
diese Richtlinie in Deutschland mit der Einführung des Allgemeinen Gleich-
behandlungsgesetzes umgesetzt wurde, nutzte die Bundesregierung die Mög-
lichkeit, Ausnahmen zuzulassen.

Anders als beispielsweise bei der Riester-Rente wurden bei der privaten Kran-
kenversicherung keine Unisex-Tarife eingeführt. Die Versicherungsanbieter
dürfen weiterhin unterschiedliche Prämien von Frauen und Männern verlangen,
wenn versicherungsmathematische und statistische Daten belegen, dass die Be-
rücksichtigung des Geschlechts bei der Risikobewertung ein relevanter Faktor
ist. Die Bundesregierung muss für diese Ausnahme sicherstellen, dass diese Da-
ten verlässlich und der Öffentlichkeit zugänglich sind, sowie regelmäßig aktua-
lisiert werden.

Mit den Risiken der Schwangerschaft und der Mutterschaft verbundene Kosten
dürfen dabei keine Rolle spielen. In der Richtlinie wurde ausdrücklich hervor-
gehoben, dass es eine direkte Diskriminierung darstellt, wenn solche Kosten nur
den Angehörigen eines Geschlechts zugeordnet werden.

Angesichts der unterschiedlichen Monatsbeiträge drängt sich der Verdacht auf,

dass die privaten Krankenversicherer die ihnen weiterhin gegebene Möglichkeit
zu geschlechtsabhängig verschiedenen Tarifen nutzen, um dennoch die Kosten
für Schwangerschaft und Mutterschaft alleine auf das Versichertenkollektiv der
Frauen abzuwälzen.

Nach Auffassung der Fragesteller wäre auch wegen zahlreicher anderer syste-
matischer Gründe und sozialpolitischer Ziele die Einführung einer solidarischen

Drucksache 17/2712 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, in die alle Menschen und Einkommens-
arten einbezogen werden, die beste Möglichkeit, um eine geschlechtergerechte
Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Die zweitbeste Möglichkeit wäre die
gesetzliche Auflage an die Versicherer, nur noch Unisex-Tarife anzubieten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Spricht sich die Bundesregierung aus gleichstellungspolitischen Gesichts-
punkten für Unisex-Tarife in der privaten Krankenversicherung aus?

Wenn nein, warum nicht?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung, dass geschlechtsbezo-
gene unterschiedliche Versicherungsprämien für Frauen und Männer eine
Ungleichbehandlung im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Satz 3 des Grundge-
setzes sind, die sich weder durch zwingende biologische Gründe noch durch
kollidierendes Verfassungsrecht rechtfertigen lassen (Baer/Wrase 2004)?

3. Erwägt die Bundesregierung analog zu den Regelungen bei Riester-Ver-
trägen die Möglichkeit, bei den privaten Krankenversicherungen Unisex-
Tarife gesetzlich festzulegen?

4. Welche Erfahrungen wurden bei der Einführung von Unisex-Tarifen bei
Riester-Verträgen gemacht?

5. Welche Erklärung hat die Bundesregierung für die geschlechtsspezifisch
unterschiedliche Höhe der Tarife in der privaten Krankenversicherung?

6. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die den unterschiedlich hohen
Tarifen zugrunde liegenden Daten verlässlich und der Öffentlichkeit zu-
gänglich sind sowie regelmäßig aktualisiert werden?

Wo sind sie in aktueller Fassung zu finden?

7. Wie hoch ist, absolut und relativ, der Unterschied zwischen Männer- und
Frauentarifen in der privaten Krankenvollversicherung?

8. Wie hoch ist, absolut und relativ, der Unterschied zwischen Männer- und
Frauentarifen in der privaten Krankenvollversicherung bei Verträgen, die
nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes abge-
schlossen wurden?

9. Wie hat sich, absolut und relativ, der Unterschied zwischen Männer- und
Frauentarifen in der privaten Krankenvollversicherung seit Inkrafttreten des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geändert?

Um wie viel sind die Beiträge für Männer gestiegen, und um wie viel die
Beiträge für Frauen gesunken?

10. Wie hoch ist dieser Unterschied bezüglich Männern und Frauen unter
30 Jahren, unter 40 Jahren und über 40 Jahren?

11. Gibt es Hinweise, dass einzelne Versicherer trotz der gesetzlichen Regelung
Kosten für Schwangerschaft und Mutterschaft in die Kalkulation mit einbe-
ziehen?

12. Finden hierzu Untersuchungen einer Aufsichtsbehörde statt, und wenn ja,
mit welchen Ergebnissen?

13. Kontrolliert eine Aufsichtsbehörde, dass der EU-Richtlinie entsprechend
die Versicherer die Kosten für Schwangerschaft und Mutterschaft auswei-
sen, diese aus ihrer Kalkulation herausnehmen und zudem darlegen, dass
das Geschlecht ein entscheidender Faktor bei der Prämienberechnung ist,
bevor die Versicherer geschlechtsabhängige Prämien erheben?
Gibt es also einen Genehmigungsvorbehalt für geschlechterspezifische
Tarife?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2712

14. Wie beurteilt die Bundesregierung das im Auftrag des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellte Gutachten „Differenzie-
rung privater Krankenversicherungsbeiträge nach Geschlecht: Bestandsauf-
nahme, Probleme, Optionen“ (Rothgang et al., 2007), nach dem es keinen
signifikanten Unterschied in den Pro-Kopf-Leistungsausgaben von Män-
nern und Frauen jenseits des Schwangerschafts- und Mutterschaftsrisikos
gibt?

15. Welche Informationen liegen der Bundesregierung darüber vor, welche
Kosten für Schwangerschaft und Mutterschaft von der Versicherungsstatis-
tik erfasst werden?

Handelt es sich ausschließlich um medizinische Aufwendungen, die unmit-
telbar mit der Entbindung zusammenhängen oder etwa auch um Kosten für
Verhütung, Vorsorgeuntersuchungen oder für die Behandlung von in oder
auf Grund einer Schwangerschaft auftretenden Gesundheitsstörungen?

16. Wie viele Frauen und wie viele Männer sind privat krankenversichert, und
wie erklärt sich die Bundesregierung diese Zahlen?

17. Wie viele Geburten werden durch die gesetzliche und wie viele durch die
private Krankenversicherung bzw. sonstige Kostenträger finanziert?

Wie viele Geburten sind dies pro Versichertem in der gesetzlichen Kranken-
versicherung bzw. pro Kopf der sonstigen Bevölkerung?

18. In welchen anderen EU-Staaten gibt es geschlechtsspezifische Unter-
schiede bei Krankenversicherungsbeiträgen, und in welchen Ländern ist
dies gesetzlich verboten?

19. Würde bei gesetzlich vorgeschriebenen Unisex-Tarifen eine Risikoselek-
tion zuungunsten der Frauen stattfinden, und findet angesichts der Heraus-
nahme von Schwangerschafts- und Mutterschaftskosten aus der Kalkulation
bereits heute eine solche Risikoselektion statt?

20. Würde die Einführung eines Gender-RSA (RSA = Risikostrukturausgleich)
für private Krankenversicherungen eine solche Risikoselektion für die Ver-
sicherer unattraktiv machen, und wie steht die Bundesregierung zu einem
solchen Vorschlag?

21. Würde die Einführung eines Morbi-RSA (morbiditätsorientierter Risiko-
strukturausgleich) unter den privaten Krankenversicherungsunternehmen
eine stattfindende Risikoselektion – auch bei anderen benachteiligten Grup-
pen (z. B. Homosexuelle, chronisch Kranke u. a.) – verhindern, und wes-
halb plant die Bundesregierung keinen solchen Morbi-RSA bei der privaten
Krankenversicherung?

Berlin, den 3. August 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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