BT-Drucksache 17/2574

Durchführung von Modellprojekten "Bürgerarbeit"

Vom 9. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2574
17. Wahlperiode 09. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Diana Golze,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Klaus Ernst, Katja Kipping,
Kornelia Möller, Ingrid Remmers, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Durchführung von Modellprojekten „Bürgerarbeit“

Im Rahmen eines Interessenbekundungsverfahrens des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales (BMAS) zur Durchführung von Modellprojekten „Bürger-
arbeit“ konnten alle Grundsicherungsstellen nach dem Zweiten Buch Sozial-
gesetzbuch – SGB II (Arbeitsgemeinschaften, Agenturen für Arbeit in getrennter
Aufgabenwahrnehmung, zugelassene kommunale Träger) bis zum 27. Mai 2010
Konzepte erarbeiten und einreichen. Der Bundestag und seine Abgeordneten
wurden zu diesem umfassenden und der Konzeption nach neuartigen arbeits-
marktpolitischen Vorhaben der Bundesregierung nicht informiert; eine Debatte
im Plenum erfolgte nicht.

Laut Bundesregierung sollen im Rahmen des Modellprojektes „Bürgerarbeit“
zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeitsplätze für Erwerbslose
geschaffen werden, bei denen eine Vermittlung in den regulären Arbeitsmarkt
nicht möglich war. Nach Phasen der Beratung, Vermittlungsbemühungen und
möglicher Qualifizierungsmaßnahmen soll dann in der vierten Stufe die eigent-
liche Bürgerarbeit folgen. Nach den Planungen des BMAS begann am 1. Juli
2010 die sogenannte Aktivierungsphase; ab 1. Januar 2011 soll die dreijährige
Beschäftigungsphase der Bürgerarbeit starten.

Bei der Bürgerarbeit soll es sich um Beschäftigungsverhältnisse für zusätzliche
und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten auf kommunaler Ebene han-
deln, die keiner Sozialversicherungspflicht im Bereich der Arbeitslosenver-
sicherung unterliegen. Durch eine Beschäftigung in Bürgerarbeit werden somit
keine Ansprüche auf das Arbeitslosengeld I erworben.

In Umsetzung und Fortgang des Modellprojektes „Bürgerarbeit“ ergeben sich
eine Reihe von offenen Fragen, unter anderem die organisatorische und finan-
zielle Umsetzung, die Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse, insbesondere der
Entlohnung, und wie arbeitsmarktpolitische Verdrängungseffekte ausgeschlossen
werden können.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Grundsicherungsstellen, insgesamt und nach Bundesländern, ha-
ben Konzepte zum Modellprojekt „Bürgerarbeit“ eingereicht?
In wie vielen Fällen sind Kooperationen zwischen Grundsicherungsstellen
vorgesehen, mit welcher Begründung?

2. Wie viele geplante Teilnehmerinnen und Teilnehmer umfassen die Projekt-
anträge insgesamt, nach Bundesländern, sowie im Durchschnitt aller Projekt-
regionen und Bundesländer?

Welche Zielgruppen sollen schwerpunktmäßig gefördert werden?

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3. Welche Erkenntnisse erwartet die Bundesregierung für die Arbeitsmarkt-
förderung aus dem Modellprojekt?

4. Sehen Projektanträge eine Freiwilligkeit der Teilnahme an Bürgerarbeit vor,
bzw. zumindest Wahlmöglichkeiten unter verschiedenen Arbeitsplätzen?

5. In wie vielen Fällen beinhalteten die Projektanträge Unterstützungsschrei-
ben regionaler Akteure am Arbeitsmarkt, und welcher, aufgeschlüsselt nach
ihrer Häufigkeit?
Wo ist nach den Projektanträgen erkennbar die Unterstützung durch lokale
Akteure versagt worden?
Welche Gründe wurden dafür genannt?

6. Wie viele Projektanträge wurden für eine Förderung ausgewählt, mit wie
vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern insgesamt, aufgelistet nach
Grundsicherungsstellen, und im Durchschnitt, sowohl bundesweit als auch
nach Bundesländern?
Wie viele Projektregionen gibt es bundesweit, aufgeschlüsselt nach Bun-
desländern?

7. Welches waren die Gründe für eine Nichtberücksichtigung von Anträgen im
Rahmen des Modellprojektes bzw. die Kriterien für eine Berücksichtigung?

8. In welcher Höhe werden Mittel für die Aktivierungsphase finanziell und
personell eingeplant?
Wie viele Mittel werden für die Beschäftigungsphase der Bürgerarbeit ein-
geplant?

9. Wie setzen sich die zum Einsatz kommenden finanziellen Mittel zusammen
(Bund/Europäischer Sozialfonds – ESF)?
Sind die Bundesmittel Bestandteil des Eingliederungstitels für den SGB-II-
Bereich, und wenn ja, in welcher Höhe nach Grundsicherungsstellen?

10. Welche besonderen Vereinbarungen sind auf Länderebene zur Umsetzung
des Modellprojektes „Bürgerarbeit“, etwa unter Beteiligung der jeweiligen
Landesregierungen und der Regionaldirektionen der Bundesagentur für Ar-
beit, getroffen worden?
In welchem Umfang, und für welchen Zweck stellen Bundesländer ergän-
zende Landes-(ESF-)Mittel zur Umsetzung des Modellprojektes zur Verfü-
gung?

11. Wurde das BMAS bei der Bewertung der eingereichten Konzepte von ex-
ternen Dienstleistern unterstützt, und wenn ja, warum?

12. Welcher bzw. welche externen Dienstleister haben das BMAS bei der Be-
wertung der Konzepte (Projektanträge) unterstützt, und welche Kosten fie-
len bzw. fallen für die Unterstützungsdienstleistungen an?
Nach welchen Verfahren und Kriterien erfolgte die Auswahl von externen
Dienstleistern?

13. Was versteht die Bundesregierung gemäß der FAQ-Liste zum Modellpro-
jekt „Bürgerarbeit“ (Stand: 21. Mai 2010) des BMAS unter der Formulie-
rung „Es gelten die jeweiligen tariflichen Regelungen.“ in Bezug auf die
Entlohnung der Bürgerarbeitsverhältnisse?
a) Was bedeutet „tarifliche Regelung“?
b) Auf welche Tarifverträge wird Bezug genommen, Flächentarif, Haus-

tarif, Verträge der DGB-Gewerkschaften?
c) Werden dadurch Tarifverträge mit Gewerkschaften des Christlichen Ge-

werkschaftsbundes ausgeschlossen?

d) Nach welchen Kriterien wird Bürgerarbeit tarifiert, in welchen Entgelt-

gruppen, und mit welchen Tätigkeitsmerkmalen welchen Tarifvertrages?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2574

e) Wie haben die antragstellenden Grundsicherungsstellen eine Entlohnung
nach tariflichen Regelungen dargelegt, auf welche Tarifverträge wird
Bezug genommen, bzw. in wie vielen Anträgen ist keine Entlohnung
nach Tarifvertrag vorgesehen, sondern wird zum Beispiel auf ortsübli-
ches Arbeitsentgelt verwiesen?

14. Wie hoch ist die vorgesehene Mindestbruttomonatsvergütung eines Bür-
gerarbeitsverhältnisses?

Ist es den Trägern eines Bürgerarbeitsplatzes möglich, den Zuschussbetrag
von 900 Euro bei einer Beschäftigung von 30 Wochenstunden in den
Arbeitnehmerbruttomonatslohn umzuwandeln, ohne eine weitere Auf-
stockung dieses Zuschusses vorzunehmen?

Von welcher durchschnittlichen Entlohnung pro Bürgerarbeitsplatz wird
ausgegangen, bzw. welche Entlohnung zeichnet sich entsprechend der ein-
gereichten Projektanträge ab, bundesweit und nach Bundesländern?

15. Wie hoch ist das Mindestentgelt bei einem Bürgerarbeitsverhältnis für einen
Alleinstehenden?

Wie hoch ist dazu im Vergleich das Einkommen eines Alleinstehenden bei

– reinem Bezug von Arbeitslosengeld II (Regelleistung + Kosten der Un-
terkunft und Heizung – KDU),

– einem Bezug von Arbeitslosengeld II (Regelleistung + KDU) sowie dem
anrechnungsfreien und dem maximal möglichen Hinzuverdienst,

– einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung (Ein-Euro-
Job),

– einer Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante,

– einem Beschäftigungszuschuss und

– einem Arbeitsplatz im Bundesprogramm Kommunal-Kombi?

16. Wie realistisch ist eine Aufstockung des Zuschussbetrages pro Bürger-
arbeitsplatz angesichts der Erfahrungen im Programm Kommunal-Kombi?

17. Wie begründet sich die fehlende Versicherungspflicht bzw. Nichtzahlung
von Beiträgen in die Arbeitslosenversicherung bei den Bürgerarbeitsplät-
zen?

18. Von wie vielen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wird ausgegangen, die
nach der Aktivierungsphase einen Bürgerarbeitsplatz erhalten, bezogen auf
die Mindestanzahl von 500 zu aktivierenden erwerbsfähigen Hilfebedürf-
tigen pro Projektregion und in den konkreten Planungen der ausgewählten
Projektanträge der einzelnen Grundsicherungsstellen, nach Bundesländern?

19. Inwiefern unterscheidet sich aufgrund der Modellhaftigkeit und Innovation
des Projektes „Bürgerarbeit“ die darin vorgesehene intensive und hochwer-
tige Aktivierung vom „Normalbetrieb“ der Beratung und Vermittlung in
den Grundsicherungsstellen?

20. Ist eine Begleitforschung bzw. Evaluierung des Modellprojektes „Bürger-
arbeit“ vorgesehen?

Falls ja, durch wen wird diese vorgenommen?

Welche Kosten entstehen dadurch?

21. Welche Auswirkungen sind auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und
auf die Betreuungsschlüssel im Rahmen von Umorganisationen in den
Grundsicherungsstellen, um eine erhöhte Kontaktdichte in der Aktivie-

rungsphase zu realisieren, zu erwarten?

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22. Wie haben die Antragsteller im Modellprojekt die Erhöhung der Kontakt-
dichte mit Planungen untersetzt, und gibt es in Projekten die Absicht, zu-
sätzliche Betreuungskapazitäten im Rahmen einer Förderung des Landes
oder über § 46 SGB III aufzubauen oder einzukaufen?

23. Ist in Projekten beabsichtigt, erwerbsfähige Hilfebedürftige in Maßnahmen
durch externe Träger bzw. Dienstleister aktivieren zu lassen?
Falls ja, welche sind diese, und wie hoch belaufen sich dafür die Kosten?
Warum erfolgt in diesen Fällen eine Aktivierung durch externe Dienstleis-
ter, soll doch das Modellprojekt „Bürgerarbeit“ Vorbild für den „Normal-
betrieb“ der Grundsicherungsstellen sein?

24. Nach welchem Verfahren werden die Kriterien Zusätzlichkeit und öffent-
liches Interesse bei Einrichtung der Bürgerarbeitsplätze in der Beschäf-
tigungsphase geprüft?
Ist beabsichtigt, angesichts der Erfahrungen mit Arbeitsgelegenheiten MAE
(Mehraufwandsentschädigung) (Ein-Euro-Jobs) und deren Verdrängungs-
effekte, innerhalb der Modellprojekte auf regionaler Ebene Kontrollmecha-
nismen zur Prüfung der Kriterien zu installieren, wie etwa Vergabeaus-
schüsse, in denen unter anderem lokale Akteure des Arbeitsmarktes vertre-
ten sind?
Falls nicht, warum nicht?
Wie hoch ist die Gefahr von Verdrängungseffekten regulärer Beschäftigung
durch Bürgerarbeitsplätze einzuschätzen?
Welche Erfahrungen gibt es diesbezüglich bei Ein-Euro-Jobs, und welche
Ergebnisse haben die entsprechenden Überprüfungen des Bundesrech-
nungshofes gebracht (bitte konkrete Zahlen nennen)?

25. In welchen Bereichen und Tätigkeiten sollen in den Projektregionen ent-
sprechend der Anträge Bürgerarbeitsplätze geschaffen werden (bitte die 20
meist genannten Einsatzbereiche und konkrete Tätigkeiten auflisten)?
In wie vielen Fällen soll ein privater Arbeitgeber Träger von Bürgerarbeits-
plätzen sein, und welche sind diese?

26. Mit wie vielen Sanktionen ist im Rahmen des Modellprojektes „Bürgerar-
beit“ zu rechnen, hinsichtlich der Sanktionsquote und absoluten Zahlen der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer?
Wie hoch wird der Anteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, nach den
Erfahrungen mit ähnlichen Projekten, etwa dem in Sachsen-Anhalt, sein,
die das Angebot eines Bürgerarbeitsplatzes ablehnen werden?
Welche Sanktionen sind bei Ablehnung vorgesehen?

27. Ist in der Beschäftigungsphase des Modellprojektes „Bürgerarbeit“ eine be-
gleitende Qualifizierung vorgesehen, und wenn nein, warum nicht?

28. Welche Grundsicherungsstellen haben in ihren Anträgen Qualifizierung in
der Beschäftigungsphase vorgesehen, und mit welchen Inhalten?

29. Warum hat die Bundesregierung nicht vorgesehen, im Rahmen der Bür-
gerarbeit die Mittel der aktiven Arbeitsmarktförderung mit Passivleistun-
gen zu verknüpfen?

Berlin, den 9. Juli 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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