BT-Drucksache 17/2563

16 Mrd. Euro Kürzung bei der Arbeitsförderung

Vom 9. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2563
17. Wahlperiode 09. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Katrin Göring-Eckardt,
Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Beate
Müller-Gemmeke, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

16 Mrd. Euro Kürzung bei der Arbeitsförderung

Mit den Sparbeschlüssen für die kommenden Jahre hat die Bundesregierung
entschieden, dass bei der Arbeitsförderung in den Jahren 2011 bis 2014 beim
Bund und bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) 16 Mrd. Euro eingespart
werden. Allein für das kommende Jahr sind Kürzungen bei der BA in Höhe von
1,5 Mrd. Euro und bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von
500 Mio. Euro geplant.

Um die Einsparziele zu erreichen, hat die Bundesregierung angekündigt, die
Pflichtleistungen der Arbeitsförderung in Ermessensleistungen umwandeln zu
wollen. Das würde beispielsweise bedeuten, dass Arbeitslose zukünftig keinen
Rechtsanspruch mehr auf Förderung eines Schulabschlusses, einer Berufsaus-
bildung oder bei der Gründung eines Unternehmens hätten. Ob eine Unterstüt-
zung gewährt wird, würde dann in den Arbeitsagenturen im Einzelfall entschie-
den.

Die Bundesregierung plant, im Jahr 2011 das arbeitsmarktpolitische Instrumen-
tarium neu auszurichten. Grundlage dafür und alle gesetzlichen Änderungen soll
die Ende 2010 vorliegende Evaluation des arbeitsmarktpolitischen Instrumen-
tariums sein (vgl. Ausschussdrucksache 17(11)187).

Nach Pressemeldungen soll in der BA bereits im Januar 2010 ein „Szenario“
entwickelt worden sein, das darstellt, welche Pflicht- in Ermessensleistungen
umgewandelt werden könnten und welche Einsparungen sich ergeben würden,
wenn die Vergabe dieser Arbeitsförderungsmittel in das Ermessen der Arbeits-
vermittler übergehen würde. Demnach sei eine „Bewirtschaftungsrendite“ von
116 Mio. Euro zu erwarten. Dies allerdings nur dann, wenn bis „spätestens Ende
Juli“ die notwendigen Gesetzesänderungen kämen. Anderenfalls könnten die
Arbeitsagenturen diese bei ihren Planungen für das Jahr 2011 nicht berücksich-
tigen (vgl. Berliner Zeitung, 18. Juni 2010).

Gewerkschaften, Wissenschaft und auch Vertreter der Wirtschaft befürchten
jetzt, dass die Einsparungen in der Arbeitsförderung zu steigender Langzeit-
arbeitslosigkeit führen werden. „Wenn wir uns nur nach haushälterischen Vor-

gaben richten, kann das Sparen teuer werden, wenn wir am Ende mehr Arbeits-
lose oder längere Arbeitslosigkeit haben“, warnt zum Beispiel Peter Clever,
Arbeitgebervertreter im Verwaltungsrat der BA (DER TAGESSPIEGEL, 25. Juni
2010).

Auch der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
Dr. Dr. h. c. Joachim Möller hält den Spielraum, arbeitsmarktpolitische Maß-

Drucksache 17/2563 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

nahmen effizienter zu machen, „für eher gering“ und fürchtet, dass die positiv
verlaufende Entwicklung des Arbeitsmarkts durch zu massive Einsparungen
abgewürgt wird (vgl. dpa vom 8. Juni 2010).

Das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit Heinrich Alt hatte zuvor
Kürzungen bei der Arbeitsförderung ebenfalls als gefährlich eingestuft. „Wenn
wir den Langzeitarbeitslosen nichts mehr anbieten können, steigen sofort die
passiven Transferleistungen“, sagte er laut „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“
vom 7. Juni 2010.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Welche Ausgaben wurden in den Jahren 2006 bis 2009 für die Pflichtleis-
tungen der Arbeitsförderung getätigt, und wie viele Menschen haben da-
von in den jeweiligen Jahren profitiert (Angaben bitte nach Art der
Pflichtleistung, Rechtsgrundlage, Jahr, Ist-Ausgaben, Anzahl der Förde-
rungen)?

b) Welcher dieser Pflichtleistungen werden ausschließlich im Rahmen der
beruflichen Rehabilitation erbracht?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die einzelnen in der Antwort zu Frage 1
aufgeführten Pflichtleistungen vor dem Hintergrund der Ausgaben, der Fall-
zahlen, der Eingliederungserfolge und möglicher Mitnahme- und Creaming-
Effekte?

3. Welche Ausgabenansätze hält die Bundesagentur für Arbeit (BA) nach
Kenntnis der Bundesregierung bei den einzelnen in der Antwort zu Frage 1
aufgeführten Leistungen in den kommenden Jahren (2011 bis 2014) für not-
wendig, um über die Arbeitsförderung die Aufnahme von Arbeit optimal zu
unterstützen?

4. Welche der in der Antwort zu Frage 1 genannten Pflichtleistungen der
Arbeitsförderung können/sollen nach Auffassung der Bundesregierung in
Ermessensleistungen umgewandelt werden, und wie begründet die Bundes-
regierung diese geplanten Änderungen?

5. Welche Pflichtleistungen sollten nach Auffassung der Bundesregierung ex-
plizit nicht in Ermessensleistungen umgewandelt werden?

6. Welche Einspareffekte erhofft sich die Bundesregierung bei den einzelnen in
der Antwort zu Frage 1 genannten Leistungen in den Jahren 2011 bis 2014,
wenn nicht länger ein Rechtsanspruch auf die jeweilige Leistung besteht,
sondern eine Förderung stattdessen im Ermessen der Arbeitsvermittler liegt?

7. Wie verteilt sich die von der BA in ihrem „Szenario“ berechnete „Bewirt-
schaftungsrendite“ in Höhe von insgesamt 116 Mio. Euro auf die einzelnen
in der Antwort zu Frage 1 genannten Leistungen?

8. Warum erwartet die Bundesregierung höhere Einspareffekte durch die Um-
wandlung von Pflicht- in Ermessensleistungen als die BA, und mit welchen
Maßnahmen sollen diese höheren Einsparungen erreicht werden?

9. a) Wie will die Bundesregierung die Einsparungen bei der Arbeitsförderung
bei der BA insbesondere im Jahr 2011 konkret umsetzen, wenn die
entsprechenden gesetzlichen Grundlagen (Umwandlung von Pflicht- in
Ermessensleistungen) erst im Laufe des Jahres 2011 geschaffen werden
sollen, und plant die Bundesregierung beispielsweise das Einsparvolumen
betreffende Zielvorgaben?

Welche bestehenden Ermessensleistungen eignen sich nach Ansicht der

Bundesregierung im Dritten Buch Sozialgesetzbuch besonders, um zu
sparen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2563

b) Oder plant die Bundesregierung, entgegen ihrer Aussage in der Aus-
schussdrucksache 17(11)187, bereits 2010 gesetzliche Änderungen vor-
zunehmen, um die beabsichtigten Einsparungen zu erzielen?

10. a) Durch welche Maßnahmen will die Bundesregierung sicherstellen, dass
die geplanten Einsparungen bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende
umgesetzt werden (bitte die Maßnahmen jeweils für die Jahre 2011 bis
2014 gesondert darstellen)?

b) Bis wann müssen die Träger der Grundsicherung mit entsprechenden
Vorgaben für 2011 rechnen, und einen wie großen finanziellen Spielraum
zum flexiblen Mitteleinsatz werden die Träger der Grundsicherung unter
Berücksichtigung bestehender Verpflichtungen durch die beabsichtigte
Mittelkürzung um 500 Mio. Euro in 2011 noch haben?

11. a) Welche Rolle spielt im Zusammenhang mit den Antworten zu den Fra-
gen 9 und 10 die Entscheidung der Bundesregierung, Pflichtleistungen
wie z. B. den Ausbildungsbonus nicht im Rahmen des Beschäfti-
gungschancengesetzes bis Ende 2011 zu verlängern, obwohl das arbeits-
marktpolitische Instrumentarium erst 2011 neu ausgerichtet werden soll?

b) Sollten die geplanten Kürzungen bei dieser Entscheidung eine Rolle ge-
spielt haben, welche Einsparungen erwartet die Bundesregierung da-
durch?

c) Sollten die geplanten Kürzungen bei dieser Entscheidung keine Rolle ge-
spielt haben, aus welchen anderen Gründen wurde diese Entscheidung
gefällt, während die Bundesregierung bei anderen Instrumenten mit dem
expliziten Hinweis auf die ausstehende Evaluation eine Verlängerung um
ein Jahr bis Ende 2011 beschlossen hat?

12. Werden auch qualifizierende Maßnahmen von den Kürzungen der Bundes-
regierung betroffen sein, und wenn ja, wie verträgt sich das mit der Aussage
der Bundesministerin für Arbeit und Soziales und weiterer Kabinettsmit-
glieder, dass der Bereich Bildung von Einsparungen ausgenommen würde?

13. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den oben zitierten
Aussagen von Peter Clever, Dr. Dr. h. c. Joachim Möller und Heinrich Alt,
die kurz zusammengefasst der Meinung sind, dass Kürzungen bei der
aktiven Arbeitsmarktpolitik teurer werden könnten, weil es am Ende mehr
Arbeitslose oder längere Arbeitslosigkeit geben würde, und wie will die
Bundesregierung vermeiden, dass ihre Pläne bei der Arbeitsförderung
genau diesen Effekt haben und die Betroffenen, die Wirtschaft und auch den
Haushalt am Ende teuer zu stehen kommen?

Berlin, den 9. Juli 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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