BT-Drucksache 17/2557

Zunahme von psychischen Erkrankungen

Vom 9. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2557
17. Wahlperiode 09. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Birgitt Bender, Katrin Göring-Eckardt,
Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke,
Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zunahme von psychischen Erkrankungen

In den letzten Jahren haben die gesetzlichen Krankenkassen vermehrt über die
Zunahme von psychischen Erkrankungen ihrer Versicherten berichtet. Diese
Darstellung bezieht sich in der Regel auf einen Anstieg der krankheitsbedingten
Fehltage. Krankheiten der Psyche und Verhaltensstörungen führen aber auch zu
einem Anstieg der Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in der
gesetzlichen Rentenversicherung. Im Jahr 2008 betrug der Anteil von Frühbe-
rentungen wegen einer psychischen Erkrankung 57 409 Fälle von insgesamt
161 265 Rentenzugängen (Tabelle Rentenzugänge wegen verminderter Er-
werbsfähigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung, vgl. www.gbe-bund.de).

Ob psychische Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben
oder nur die Anzahl der behandelten Fälle, kann nicht mit aktuellen Belegen
überprüft werden. Denn die Daten der Krankenkassen beziehen sich regelmäßig
auf die behandelte Prävalenz psychischer Erkrankungen und Verhaltensstörun-
gen. Stichprobenuntersuchungen in der Allgemeinbevölkerung zur Häufigkeit
von psychischen Erkrankungen wurden zuletzt im Kontext des Bundes-Gesund-
heitssurvey 1998 (Zusatzsurvey „Psychische Störungen“, Wittchen & Jacobi
2005, Jacobi et al. 2004) veröffentlicht.

Rund 10 Prozent der Ausgaben im Gesundheitswesen werden für die Behand-
lung von psychischen Störungen und Verhaltensstörungen als direkte Kosten
aufgewendet. Ob diese Aufwendungen sinnvoll ausgegeben werden und es im
internationalen Vergleich bessere Versorgungsstrukturen gibt, lässt sich derzeit
ebenso wenig schlüssig beantworten.

Trotz der alarmierenden Entwicklung wird nicht erkennbar, welche Ziele die
Bundesregierung bei der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkran-
kungen verfolgt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Bundespsychotherapeuten-
kammer, dass valide und systematische wissenschaftliche Erkenntnisse feh-
len, die Auskunft über eine steigende Prävalenz und Inzidenz psychischer
Erkrankungen in Deutschland über die letzten zehn Jahre geben könnten?

Drucksache 17/2557 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Wann ist die nächste Welle des Bundes-Gesundheitssurveys geplant, und
wann werden Ergebnisse dazu vorgelegt?

Ist darin die Erhebung von psychischen Störungen eingeschlossen?

3. Welche anderen Forschungsvorhaben wurden bereits eingeleitet und verab-
redet, um den Erkenntnisstand zu verbessern?

4. Wie viele Fördermittel sind in den letzten 10 Jahren für die Ermittlung epi-
demiologischer Daten zu psychischen Störungen geflossen?

5. Wie viele Mittel wurden in den letzten 10 Jahren für die Grundlagenfor-
schung zur Entstehung psychischer Erkrankungen aufgewendet?

6. Welche Mittel flossen in diesem Zeitraum in die Erforschung von

a) sozialen,

b) biologischen,

c) genetischen

Faktoren psychischer Störungen?

7. Welche Mittel flossen in diesem Zeitraum in die Erforschung von Behand-
lungsmöglichkeiten, die an

a) sozialen,

b) biologischen,

c) genetischen

Faktoren psychischer Störungen ansetzen?

8. Wie viele Mittel flossen im selben Zeitraum in die Versorgungsforschung
zur Behandlung psychischer Erkrankungen?

9. Wie haben sich Prävalenz und Inzidenz psychischer Erkrankungen, ge-
trennt nach einzelnen Krankheitsbildern, Altersgruppen und Geschlecht
sowie ethnischer Herkunft und sozialem Status (Bildungsniveau, Einkom-
men), in den letzten zehn Jahren entwickelt?

10. Wie viele Patientinnen und Patienten gelten als chronisch psychisch
Kranke?

a) Wie hat sich die Fallzahl in den letzten zehn Jahren entwickelt?

b) Auf welche Krankheitsbilder verteilen sich diese Fallzahlen?

11. Wie lange ist die Dauer einer unbehandelten schweren psychischen Stö-
rung, nach Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund und sozialem Status,

a) bei Depressionen,

b) bei Angsterkrankungen,

c) bei der Schizophrenie,

d) bei Abhängigkeitserkrankungen,

e) bei somatoformen Erkrankungen?

12. Wie hoch ist die Prävalenz und Inzidenz von psychischen Erkrankungen un-
ter den Arbeitslosen, getrennt nach Alter, Geschlecht, Migrationshinter-
grund,

a) die Arbeitslosengeld I beziehen,

b) Arbeitslosengeld II beziehen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2557

13. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die psychische Ge-
sundheit von Erwerbslosen zu verbessern?

14. Wie haben sich die Kosten zur Behandlung von psychischen Erkrankungen
und Verhaltensstörungen (ICD-10), getrennt nach Jahren, Geschlecht,
Altersgruppe, sozialer und ethnischer Herkunft, in den letzten zehn Jahren

a) in der ambulanten Versorgung durch niedergelassene Vertragsärzte,

b) in der ambulanten Versorgung durch niedergelassene Psychotherapeu-
ten – bitte getrennt nach ärztlichen und psychologischen Psychothera-
peuten –,

c) in der klinischen Versorgung – bitte getrennt nach stationärer psychiatri-
scher und psychosomatischer Versorgung –,

d) in der gesundheitlichen Rehabilitation,

e) im Bereich der pharmakologischen Behandlung – bitte getrennt nach
stationärer und ambulanter Versorgung

entwickelt?

15. Ist es zutreffend, dass der geringe Anteil von nur noch rund 20 Prozent der
Ausgaben bei den Psychiatern/Nervenärzten für die psychiatrische Grund-
versorgung vielerorts zu langen Wartezeiten auf einen Facharzttermin von
mehreren Monaten führt?

Was plant die Bundesregierung, um diesen Missstand zu beseitigen?

16. Wie hoch ist der Anteil in der ambulanten ärztlichen psychiatrischen Ver-
sorgung, der auf die psychotherapeutische Behandlung entfällt?

17. Wie viele Ausgaben aus dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch entfielen auf
die Behandlung von chronisch psychisch Kranken in den einzelnen Versor-
gungsbereichen?

18. Wie hoch lagen die Anteile der Behandlungskosten für die Behandlung von
Suchtfolgeerkrankungen?

19. Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse einer repräsentativen Be-
fragung der Bertelsmann Stiftung zu psychischen Beschwerden von 18- bis
79-Jährigen, die einen Hausarzt aufgesucht haben und dort der Befragung
zufolge nur in seltenen Fällen eine adäquate Diagnostik, Behandlung oder
Überweisung zur Weiterbehandlung erhielten?

20. Hat die Bundesregierung Grund zu der Annahme, dass im Rahmen der pri-
märärztlichen Versorgung Patienten mit psychischen Beschwerden inzwi-
schen umfassendere Hilfe erhalten?

21. Was plant die Bundesregierung zu tun, um die Qualität der primärärztlichen
Versorgung hinsichtlich der Erkennung und des Umgangs mit solchen Pa-
tienten zu verbessern?

22. Welche gesundheitspolitischen Ziele verfolgt die Bundesregierung bei der
Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen?

23. Wie wird die Zusammenarbeit zwischen der Bundespolitik und den Bun-
desländern zur Psychiatriepolitik gesteuert?

Nach welchen Indikatoren wird die Qualität regionaler psychiatrischer
Versorgung überprüft, und durch wen werden diese Indikatoren festgelegt?

Drucksache 17/2557 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
24. Über welche Erkenntnis verfügt die Bundesregierung zu den volkswirt-
schaftlichen Folgekosten von psychischen Erkrankungen und Verhaltens-
störungen durch

a) steigende Fehltage infolge einer psychischen Erkrankung,

b) Frühberentungen wegen einer psychischen Erkrankung?

Berlin, den 9. Juli 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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