BT-Drucksache 17/2522

Zukunft des Marineschiffbaus in Deutschland

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2522
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine),
Dr. Hans-Peter Bartels, Rainer Arnold, Doris Barnett, Klaus Barthel, Sören Bartol,
Edelgard Bulmahn, Martin Burkert, Martin Dörmann, Karin Evers-Meyer, Petra
Ernstberger, Peter Friedrich, Iris Gleicke, Ulrike Gottschalck, Michael Groschek,
Michael Groß, Hans-Joachim Hacker, Bettina Hagedorn, Rolf Hempelmann, Gustav
Herzog, Gabriele Hiller-Ohm, Dr. h. c. Susanne Kastner, Lars Klingbeil, Fritz Rudolf
Körper, Ute Kumpf, Kirsten Lühmann, Ullrich Meßmer, Manfred Nink, Thomas
Oppermann, Holger Ortel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Sönke Rix, Olaf Scholz,
Sonja Steffen, Kerstin Tack, Wolfgang Tiefensee, Franz Thönnes, Andrea Wicklein,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Zukunft des Marineschiffbaus in Deutschland

Der Marineschiffbau in Europa steht vor einem tiefgreifenden Umbruch. Hinter-
grund sind der Nachfragerückgang im Handelsschiffbau einerseits und eine sin-
kende staatliche Binnennachfrage andererseits.

Der Werftensektor in Deutschland zeichnet sich durch eine enge Verzahnung
von Handels- und Marineschiffbau aus. In der Vergangenheit waren die deut-
schen Werften durch die Ausrichtung auf die zivile Schifffahrt als zweites Stand-
bein erfolgreich in der Lage, auf Nachfrageschwankungen im Marineschiffbau
durch Kapazitätsverlagerungen kurzfristig zu reagieren. Die sinkende Nach-
frage nach Handelsschiffneubauten als Folge der weltweiten Finanz- und Wirt-
schaftskrise berührt daher auch den Marineschiffbausektor.

Zudem hat der Beitrag der Deutschen Marine zur Auslastung der Werftkapazi-
täten aufgrund von sinkenden Verteidigungsbudgets und veränderten Beschaf-
fungsbedarfen seit Mitte der 90er-Jahre deutlich abgenommen. Diese Entwick-
lung wird noch durch den Umstand verschärft, dass Marineprojekte durch große
Beschaffungszeiträume gekennzeichnet sind.

Diese Entwicklungen bedrohen die Wettbewerbsfähigkeit der Marineschiffbau-
branche. Um die Kosten für Forschung und Entwicklung zu amortisieren,
wächst die Bedeutung des Exportgeschäftes. Allerdings wird das Exportge-
schäft durch einen fortgesetzten Protektionismus und die größtenteils national
ausgerichtete Beschaffungspolitik begrenzt. Denn diese haben nicht nur zu dau-
erhaften Überkapazitäten in Europa geführt, sondern erschweren auch den

Marktzugang.

Aufgrund der seit Jahrzehnten bestehenden arbeitsteiligen Kooperationsbezie-
hungen zwischen den Werftunternehmen und der Zulieferindustrie sind von der
negativen Marktentwicklung im Marineschiffbau auch die rund 400 Zulieferun-
ternehmen in Deutschland mit rund 76 000 Beschäftigten betroffen.

Drucksache 17/2522 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Vor diesem Hintergrund ist die politische Unterstützung für die Marineindustrie
von großer Bedeutung. Bisher ist diese jedoch nicht institutionalisiert, und eine
koordinierte Initiative zwischen staatlichen Stellen und der Industrie existiert
nur in sehr begrenztem Maße.

Wir fragen daher die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation des Marineschiffbaus in
Deutschland und seine Entwicklung in den vergangenen fünf Jahren (bitte
aufschlüsseln nach Jahren, Auftragsbestand und Umsatzvolumen)?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die Position der deutschen Marinewerf-
ten im europäischen und internationalen Wettbewerb?

3. Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung – insbesondere be-
züglich der Umsatzzahlen und der Zahl der Arbeitsplätze – für die Zuliefer-
industrie, die durch arbeitsteilige Kooperationsbeziehungen eng mit den
Marinewerftunternehmen verbunden ist?

4. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass der verstärkte Wettbe-
werbs- und Auslastungsdruck die Marineindustrie substanziell gefährdet,
und wie begründet die Bundesregierung ihre Position?

5. Sieht die Bundesregierung durch diese Marktentwicklung die Fertigungs-
kompetenzen der deutschen Marineindustrie bedroht, weil tendenziell stei-
gende Forschungs- und Entwicklungsaufgaben nicht mehr angemessen fi-
nanziert werden können?

6. In welchen Bereichen sieht die Bundesregierung die Technologieführer-
schaft der deutschen Marineindustrie gefährdet?

7. Sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund der strukturellen Unter-
schiede zwischen den europäischen Marinewerften Wettbewerbsnachteile
für die privatwirtschaftlich strukturierten Werftbetriebe in Deutschland ge-
genüber Unternehmen in Staatseigentum oder in Mischformen?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung den Einstieg internationaler Investoren
wie „Abu Dhabi Mar“ in den deutschen Marineschiffbaumarkt?

9. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass der Neueintritt von aus-
ländischen Investoren den Wettbewerbsdruck auf die Branche in Deutsch-
land verstärkt, und wie begründet die Bundesregierung ihre Position?

10. Sieht die Bundesregierung durch den Einstieg ausländischer Investoren we-
sentliche nationale Sicherheitsinteressen berührt, und wie begründet die
Bundesregierung ihre Haltung?

11. Wie wird die Bundesregierung sicherstellen, dass negative Entwicklungen
für deutsche Unternehmen durch diese Marktentwicklung ausgeschlossen
sind?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung die Gefahr eines Technologie- und Kom-
petenztransfers zulasten der deutschen Werftunternehmen, und besteht aus
Sicht der Bundesregierung an dieser Stelle Handlungsbedarf?

13. Wie will die Bundesregierung vor dem Hintergrund sinkender Verteidi-
gungsbudgets und veränderter Bedarfsanforderungen der Marine die Kon-
kurrenzfähigkeit der deutschen Werftunternehmen sichern?

14. Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung, um Arbeitsplätze und Ka-
pazitäten im militärischen Schiffbau und der Zulieferindustrie zu sichern?

15. Welche Schritte hat die Bundesregierung bisher unternommen, um die

Krise im Marineschiffbau zu mindern, und wie bewertet sie die Wirksam-
keit dieser Maßnahmen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2522

16. Wie will die Bundesregierung den Erhalt einer leistungsfähigen nationalen
wehrtechnischen Industrie sicherstellen, die im Koalitionsvertrag zwischen
CDU, CSU und FDP als Grundlage für eine aufgabengerechte Ausrüstung
der Bundeswehr genannt wird?

17. Welche Folgen erwartet die Bundesregierung für die Marine, wenn diese
Leistungsfähigkeit der militärischen Schiffbauindustrie und der Zulieferfir-
men gefährdet ist?

18. Auf welche ausgewählten wehrtechnischen Kernfähigkeiten – wie es im
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP formuliert ist – will die
Bundesregierung die Marineschiffbaukapazitäten in Deutschland künftig
konzentrieren?

19. Welche ressortübergreifenden Maßnahmen zu deren Erhaltung sind ge-
meint, die im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP angekündigt
werden, und welche Bundesministerien sollen einbezogen werden?

20. Bis wann sollen die angekündigten ressortübergreifenden Maßnahmen fest-
gelegt und umgesetzt werden, und welche Schritte hat die Bundesregierung
bisher unternommen?

21. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Einschätzung von
Schiffbauindustrie und Gewerkschaften, dass Marineaufträge die Voraus-
setzung für den Erfolg der deutschen Werftunternehmen im internationalen
Wettbewerb sind?

22. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung von Gewerkschaften, dass Ar-
beitsplätze im Marineschiffbau von politischen Entscheidungen abhängig
sind, und wie begründet die Bundesregierung ihre Position?

23. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Umstand hin-
sichtlich einer eigenständigen Industriepolitik?

24. Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik der Marineindustrie, dass die
Branche keine ausreichende politische Unterstützung erfahre?

25. Welche der auf der Sechsten Nationalen Maritimen Konferenz 2009 be-
schlossenen Handlungsempfehlungen zum Erhalt der Kernfähigkeit der
Marineschiffbauindustrie sind bisher umgesetzt worden, und welche weite-
ren Maßnahmen plant die Bundesregierung?

26. In welchen Bereichen ist eine Umsetzung bisher nicht erfolgt, und welche
Gründe gibt es dafür?

27. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung von Marineindustrie und
Gewerkschaften, einen strategischen Dialog zwischen den Sozialpartnern
und den anderen Interessengruppen zu entwickeln, um regelmäßig über die
Rahmenbedingungen für die Entwicklung des militärischen Schiffbaus zu
diskutieren und einen möglichen Anpassungsbedarf frühzeitig zu antizipie-
ren?

28. Plant die Bundesregierung die Entwicklung einer koordinierten Initiative
zwischen Staat und Industrie?

29. Wie stellt sich die Bestandsentwicklung der maritimen Komponente der
Bundeswehr in den vergangenen 20 Jahren dar?

30. Wann sind die derzeit verfügbaren Schiffe in Zuständigkeit des Bundes-
ministeriums der Verteidigung in Dienst gestellt worden, und auf der Basis
welcher Bedarfsplanungen?

31. Welche Neuanschaffungen von militärischen Wasserfahrzeugen plant die

Bundesregierung bis 2013?

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32. Wird die Bundesregierung geplante militärische Beschaffungen – wie z. B.
Korvetten der Klasse K131 – vorziehen, um der akuten Krise der Werften
zu begegnen, und wie begründet sie ihre Entscheidung?

33. Welche Auswirkungen haben die Belastungen durch die zahlreichen Aus-
landseinsätze der Bundeswehr auf das Material der Marine, und welche
Konsequenzen hat dies für die Beschaffungsentscheidungen?

34. Welche Folgen haben das sich verändernde Sicherheitsumfeld in Europa
und die neuen Anforderungen an Marineoperationen und -ausrüstung aus
Sicht der Bundesregierung für künftige Beschaffungsbedarfe?

35. Wie bewertet die Bundesregierung die Position der Marineindustrie, dass
nationale Referenzprojekte für den Erfolg der deutschen Unternehmen auf
dem Exportmarkt unerlässlich sind, und wie wird die Bundesregierung
sicherstellen, dass die Marine ihre Rolle als „parent navy“ auch künftig
erfüllen kann?

36. Welche Förderprogramme des Bundes existieren für den Marineschiffbau?

37. Welche Projekte fördert der Bund im Bereich Forschung, Entwicklung und
Innovation im militärischen Schiffbau?

38. Plant die Bundesregierung mit Blick auf die Haushaltsaufstellung 2011 eine
kurzfristig wirksame Erhöhung des Mittelansatzes für Forschung und Ent-
wicklung?

39. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung der anwendungsbezogenen
Forschung bei, und welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung,
um diesen Bereich zu stärken?

40. Welche Schritte plant die Bundesregierung, um die Exportunterstützung für
die deutsche Marineschiffbauindustrie zu verbessern?

a) Plant die Bundesregierung die Intensivierung des Informations-, Ab-
stimmungs- und Unterstützungsprozesses über Exportprojekte zwischen
Bundeseinrichtungen und Wirtschaft, und wie begründet die Bundes-
regierung ihre Haltung?

b) Wird die Bundesregierung das Instrument der „Government-to-Govern-
ment“-Verträge nutzen, und wie begründet die Bundesregierung ihre
Haltung?

c) Plant die Bundesregierung die Gewährleistung eines Bürgschaftsrah-
mens zur Exportfinanzierung von Marineprojekten, und wie begründet
die Bundesregierung ihre Haltung?

41. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass in anderen europäi-
schen Ländern wie Frankreich oder Großbritannien eigene Institutionen zur
Unterstützung von Exporten bestehen, und sieht die Bundesregierung da-
durch Wettbewerbsnachteile für die deutsche Industrie?

42. Wird sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene für verbindliche ge-
meinsame Exportrichtlinien für die EU-Staaten einsetzen?

43. Wie bewertet die Bundesregierung die Bemühungen der Europäischen
Kommission, langfristig einheitliche europäische Rahmenbedingungen in
der Beschaffungspolitik zu schaffen, und wird sie diese Anstrengungen un-
terstützen?

44. Wo sieht die Bundesregierung strategische Marktlücken für den deutschen
Marineschiffbau?

45. In welcher Form wird die Bundesregierung Anpassungsprozesse der Bran-

che unterstützen, um Arbeitsplatzverluste durch zivile Diversifizierung,
etwa in der Windenergie, zu kompensieren?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/2522

46. Welche Marktchancen sieht die Bundesregierung in einem Ausbau der Ka-
pazitäten zum Schiffsrecycling in Deutschland, und plant die Bundesregie-
rung Regelungen sowie Kooperationen mit der Industrie beim Verkauf von
gebrauchtem wehrtechnischen Gerät?

47. Welche Rolle spielt vor diesem Hintergrund die Förderung von Nachwuchs-
fachkräften für den Marineschiffbau, und wie stellt sich die Entwicklung in
den vergangenen fünf Jahren in Zahlen dar?

48. Welche Schritte wird die Bundesregierung – auch mit Blick auf das 2003 ins
Leben gerufene Maritime Bündnis – unternehmen, um die Nachwuchsför-
derung zu sichern?

49. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag der Marineindustrie, ein
Kompetenzzentrum Marine einzurichten, um die Ausbildungsunterstützung
für ausländische Kunden zu institutionalisieren und auf diese Weise ein
neues Marktsegment zu erschließen?

50. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussichten gemeinsamer europäi-
scher Projekte, und welche Anstrengungen hat sie bisher unternommen, um
diese zu befördern?

51. Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund der wirtschaft-
lichen Globalisierung die Perspektiven eines gemeinsamen europäischen
Werftenkonzerns, wie es ihn im Bereich der Luftfahrtindustrie mit EADS
(European Aeronautic Defence and Space Company) gibt, und wird die
Bundesregierung entsprechende Ansätze fördern?

Berlin, den 7. Juli 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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