BT-Drucksache 17/2463

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/1945, 17/2454 - Entwurf eines Gesetzes für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt - Beschäftigungschancengesetz

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2463
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Klaus Ernst, Jutta Krellmann,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Nicole Gohlke,
Diana Golze, Dr. Rosemarie Hein, Katja Kipping, Cornelia Möhring, Kornelia Möller,
Dr. Petra Sitte, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/1945, 17/2454 –

Entwurf eines Gesetzes für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt –
Beschäftigungschancengesetz

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Beschäftigungschancengesetz gibt die Bundesregierung vor, für neue
Beschäftigung zu sorgen und Beschäftigungschancen zu verbessern. Dabei wer-
den mit dem Gesetz weitgehend lediglich bestehende Regelungen verlängert.
Zugleich beschloss die Bundesregierung ein sogenanntes Sparpaket, das einen
Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik bedeutet. Sie will bis 2014 bei der Ar-
beitsmarktpolitik und den Erwerbslosen rund 30 Mrd. Euro kürzen.

Die im Gesetzentwurf formulierte Absicht der Bundesregierung, „zur Sicherung
oder zur Erschließung von Beschäftigungsmöglichkeiten“ beizutragen, wird
durch die geplanten Kürzungen konterkariert. Gute Arbeitsmarktpolitik und Ar-
beitsförderung sind zentrale Hebel, um Beschäftigungschancen zu verbessern.
Mehr Arbeitsplätze erfordern darüber hinaus in erster Linie mehr Nachfrage.
Die beabsichtigten Kürzungen bewirken in beiden Fällen das Gegenteil:

1. Angesichts von weit über vier Millionen Menschen, die keine Erwerbsarbeit
finden können, ist es unverantwortlich, die Mittel für die aktive Arbeits-
marktpolitik zusammenzustreichen. Allein die Eingliederungsmittel für
Hartz-IV-Beziehende werden um rund ein Drittel gekürzt. Das „Fördern“ von
Erwerbslosen wird immer mehr zur Farce. Übrig bleibt dann nur noch das
„Fordern“: also Sanktionen und Repressionen. Bestehende Beschäftigungs-

programme, wie der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor in Berlin,
sollen eingestampft werden. Mit der zu erwartenden Kürzung von Qualifizie-
rungsmaßnahmen werden Beschäftigungschancen verhindert, statt eröffnet.

2. Die Umwandlung der sogenannten Pflichtleistungen in Ermessensleistungen
entzieht Erwerbslosen bestehende Rechtsansprüche auf arbeitsmarktpoliti-
sche Maßnahmen. Sie sollen künftig vollständig vom guten Willen der Ver-

Drucksache 17/2463 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

mittlungsfachkräfte in den Arbeitsagenturen und Jobcentern abhängig sein.
Letztere werden noch stärker als bisher zu Sparkommissaren degradiert.

3. Mit der beabsichtigten Abschaffung des befristeten Zuschlags beim Über-
gang vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II wird der Absturz in das
Fürsorgesystem Hartz IV beschleunigt. Die Absicht dahinter ist klar: Die
Angst der Beschäftigten und Erwerbslosen vor der Arbeitslosigkeit soll stei-
gen, ihre Widerstandskraft sinken. Der Druck, jede auch noch so schlecht be-
zahlte und unsichere Arbeit anzunehmen, wird erhöht. Der Niedriglohnsektor
und prekäre Beschäftigungsverhältnisse werden so gefördert statt einge-
dämmt.

4. Alle Maßnahmen des Kürzungspaketes, auch die Streichung des Mindest-
elterngeldes und Rentenzuschusses für Hartz-IV-Beziehende und der Abbau
von Stellen im öffentlichen Dienst, treiben nicht nur die Spaltung der Gesell-
schaft voran, sondern verhindern auch wirtschaftliches Wachstum. Die Binnen-
nachfrage wird nachhaltig geschwächt. So erwartet unter anderem der Deut-
sche Gewerkschaftsbund, dass das gesamte Kürzungspaket das Wachstum
um 1 Prozent pro Jahr mindern wird.

Selbst wenn man die Auswirkungen des Kürzungspaketes auf den Arbeitsmarkt
ausblendet, bleibt festzustellen: Das Beschäftigungschancengesetz wird mit den
vorgeschlagenen Maßnahmen seinem Namen nicht gerecht. Die Möglichkeit für
Selbständige, sich in der Arbeitslosenversicherung freiwillig zu versichern, wird
durch erheblich höhere Beiträge konterkariert und bleibt einer kleinen Gruppe
vorbehalten. Bei der Verlängerung der Kurzarbeit wurde neuen gewerkschaft-
lichen Vorschlägen wie der tariflichen Kurzarbeit keine Beachtung geschenkt.
Die mit dem Gesetzentwurf verlängerten Arbeitsmarktinstrumente setzen nicht
bei der Förderung von Erwerbslosen an, sondern subventionieren lediglich zu-
gunsten mitnahmewilliger Unternehmen die Löhne. Die Bundesregierung hat
mit den Konjunkturpaketen kurzfristige Maßnahmen zur Stärkung der beruf-
lichen Weiterbildung auf den Weg gebracht, die punktuell Beschäftigte, Er-
werbslose und von Erwerbslosigkeit Bedrohte unterstützen können. Eine solide,
kontinuierliche Absicherung einer besseren Weiterbildungsförderung wurde
hingegen versäumt. Viele Maßnahmen wie etwa die Qualifizierung während der
Kurzarbeit haben ihre Ziele bei Weitem verfehlt.

Es ist Zeit für eine grundlegende Wende in der Beschäftigungspolitik. Ein Kurs-
wechsel ist notwendig: Weg vom Druck auf Erwerbslose und Beschäftigte, weg
von niedrigen Löhnen und einseitiger Exportorientierung, hin zu einer nachfra-
georientierten Beschäftigungspolitik, die auf gute Arbeit, hohe Löhne, kürzere
Arbeitszeiten setzt, die mehr öffentliche Investitionen, den Ausbau des öffent-
lichen Dienstes, gute öffentlich geförderte Beschäftigung sowie mehr und bes-
sere berufliche Weiterbildung ermöglicht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Eckpunkte für die weitere Aufstellung des Haushaltsentwurfs 2011 und des
Finanzplans bis 2014 im Bereich der Sozialgesetze zurückzuziehen und für bes-
sere Beschäftigungschancen folgende Initiativen zu ergreifen:

1. einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen,

2. die Höchstarbeitszeit im Arbeitszeitgesetz von 48 Stunden auf regelmäßig
40 Stunden pro Woche zu begrenzen,

3. das Kurzarbeitergeld bei konjunkturellen und saisonalen Auftragsschwan-
kungen bis auf 36 Monate sowie bei Umstrukturierungen von Unternehmen
bis auf 24 Monate zu verlängern,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2463

4. die Förderung der beruflichen Weiterbildung im Rahmen des Zweiten und
Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II/SGB III) in dem Umfang zu erhal-
ten, wie er mit den Konjunkturpaketen eingeräumt wurde und sie vollständig
zu entfristen,

5. ein Zukunftsprogramm aufzulegen, bei dem die Schaffung von guten Ar-
beitsplätzen vorrangig auf dem ersten Arbeitsmarkt und im öffentlichen
Dienst im Mittelpunkt steht,

6. die öffentlich geförderte Beschäftigung im Jahr 2010 durch die Bereitstellung
der erforderlichen Mittel zu sichern. Ab dem Jahr 2011 ist durch die Schaf-
fung von gesetzlichen und finanziellen Grundlagen gute öffentlich geförderte
Beschäftigung zu ermöglichen,

7. in der aktiven Arbeitsmarktpolitik Rechtsansprüche auf Qualifizierung fest-
zuschreiben. Darüber hinaus ist dringend eine Umorientierung auf längerfris-
tige Qualifizierungsmaßnahmen notwendig,

8. durch die Einführung einer Ausbildungsplatzumlage eine solidarische Finan-
zierung der Berufsausbildung auf den Weg zu bringen und den Ausbildungs-
bonus damit überflüssig zu machen.

Berlin, den 7. Juli 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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