BT-Drucksache 17/2141

Patentierung von Pflanzen, Tieren und biologischen Züchtungsverfahren stoppen

Vom 16. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2141
17. Wahlperiode 16. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Ulrike Höfken, Priska Hinz (Herborn), Jerzy Montag, Elisabeth
Scharfenberg, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole
Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Hans-Josef Fell, Kai Gehring,
Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl,
Oliver Krischer, Ingrid Nestle, Dr. Hermann Ott, Dorothea Steiner, Daniela Wagner,
Dr. Valerie Wilms, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Patentierung von Pflanzen, Tieren und biologischen Züchtungsverfahren stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Richtlinie 98/44/EG (Biopatentrichtlinie) wurde 1998 nach langen und
schwierigen Verhandlungen in der Europäischen Union verabschiedet. Die zen-
tralen Bestimmungen der Richtlinie wurden 1999 durch Beschluss des Verwal-
tungsrats der Europäischen Patentorganisation in die Ausführungsanordnung
zum Europäischen Patentübereinkommen übernommen. Infolgedessen erteilt
das Europäische Patentamt (EPA) seine Patente seitdem auf der Basis der Bio-
patentrichtlinie.

Der Schutz des geistigen Eigentums durch Patente ist ein hohes Gut, mit dem ein
angemessener Ausgleich zwischen den Interessen des Erfinders am Schutz sei-
ner Erfindung und denen der Allgemeinheit an der Förderung von Innovationen
sowie an der freien Verfügbarkeit von Informationen geschaffen werden muss.

Unabhängig vom Schutz des geistigen Eigentums dürfen – wie auch die Regie-
rungskoalitionen in ihrem Koalitionsvertrag formuliert haben – jedoch landwirt-
schaftliche Nutztiere und -pflanzen nicht unter das Patentrecht fallen.

Genausowenig dürfen auf traditionelle Verfahren der Pflanzen- und Tierzucht
und daraus hervorgegangenen Tiere und Pflanzen Patente erteilt werden, und
zwar auch dann nicht, wenn zu traditionellen Züchtungsverfahren ein techni-
scher Verfahrensschritt hinzukommt. Diese Auffassung wird auch von den Bun-
desländern Hessen und Bayern anlässlich einer Initiative im Bundesrat im Jahr
2009 vertreten, die bisher jedoch nicht zum Abschluss gekommen ist (Bundes-
ratsdrucksache 266/09, vgl. Bundesrat, Stenografischer Bericht, 859. Sitzung,
S. 259 ff.).
Mit wachsender Besorgnis ist jedoch zu beobachten, dass das Europäische Pa-
tentamt (EPA) immer wieder zu weitreichende Patente unter anderem auf Pflan-
zen, Tiere sowie auf biologische Züchtungsverfahren erteilt. So wurden unter
anderem vom EPA Patente erteilt auf Pflanzen – wie Sojabohnen, Weizen, Son-
nenblumen oder Brokkoli – oder auf Tiere – wie Kühe oder Schweine – mit
Eigenschaften, die entweder durch gentechnisch Verfahren oder durch konven-
tionelle Züchtungsverfahren von den Patentantragsstellern erzielt wurden. Diese

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problematische Patenterteilungspraxis des EPA im Zusammenhang mit lebender
Materie im landwirtschaftlichen Bereich wurde auch auf einer gemeinsamen
Bundestagsanhörung des Rechtsausschusses und des Landwirtschaftsausschus-
ses am 11. Mai 2009 von sechs der geladenen sieben Sachverständigen kritisiert.

Auch der Deutsche Bauernverband kritisiert in seiner Stellungnahme vom
18. Mai 2010 zu Recht, dass die unklaren Formulierungen in der Biopatentricht-
linie entgegen der ursprünglichen Intention die weitreichende Patentierung von
genetischem Material und Züchtungsverfahren ermöglichen und dadurch die
freie Verfügbarkeit des weltweiten Genpools zugunsten von Monopolstellungen
Einzelner eingeschränkt würde.

Die Vielzahl der Einsprüche beim EPA – zum Beispiel vom Deutschen Bauern-
verband, Greenpeace oder Züchtungsunternehmen – gegen derartige Patente
zeigen deutlich, dass ein dringender regulatorischer Handlungsbedarf besteht.
Zwar wird in einigen Fällen – wie zum Beispiel beim „Schweinepatent
EP 1651777“ – das umstrittene Patent wieder zurückgezogen. Bei anderen Ver-
fahren – wie zum Beispiel bei dem „Sonnenblumenpatent“ EP1185161 – bei
dem 2007 durch das EPA der Patentanspruch auf konventionelle („im Wesent-
lichen biologische“) Züchtungsverfahren sowie auf die Verfahrensprodukte ex-
plizit bestätigt wurde – jedoch nicht.

Somit reicht es nicht aus, auf eine Selbstkontrolle durch das EPA beziehungs-
weise auf zukünftige Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer des EPA
wie zum Beispiel die anstehende Entscheidung zum „Brokkolipatent EP
1069819“ zu vertrauen, da auf diesem Weg keine Rechtssicherheit hinsichtlich
eines klaren Verbots von Patenten auf Pflanzen, Tiere, biologische Züchtungs-
verfahren sowie daraus herausgegangenen Nachkommen hergestellt wird. Wei-
terhin greift das Kontrollsystem des EPA erst nach Intervention Dritter, die mit
hohen finanziellen Belastungen durch Amtsgebühren und Anwaltskosten rech-
nen müssen, was besonders für kleine und mittelständische Unternehmen sehr
belastend ist. Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirt-
schaft und Technologie kritisierte bereits in einer Stellungnahme vom 24. März
2007 zum Thema „Patentschutz und Innovation“, dass die Kontrollsysteme des
EPA nur unzureichend funktionieren und darum verbessert werden müssten.

Ebenso muss sichergestellt werden, dass im Sinne des § 11 im Gesetz zur Um-
setzung der Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindun-
gen (Biopatentgesetz) die wissenschaftliche Forschung und die Publikation von
Forschungsergebnissen – vor allem im Bereich der Risikoforschung bei gen-
technisch veränderten Pflanzen – nicht durch Biopatente eingeschränkt wird.
Patentinhaber dürfen das Überlassen des Versuchsmaterials an Wissenschaftler
nicht an Bedingungen knüpfen, wie zum Beispiel daran, dass sie Einfluss auf das
Versuchsdesign nehmen dürfen oder dass ihnen Daten und Ergebnisse vor
Veröffentlichung zur Zustimmung vorgelegt werden müssen. Weiterhin muss
gewährleistet werden, dass auch Landwirte gentechnisch verändertes Saatgut,
das sie gekauft haben, an Wissenschaftler für Forschungsprojekte im Bereich
der Biologischen Sicherheitsforschung uneingeschränkt zur Verfügung stellen
können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● sich umgehend auf europäischer Ebene für eine Verbesserung der Biopatent-
richtlinie 98/44/EG einzusetzen, so dass insbesondere

1. Patente auf Gene nur in Verbindung mit einer konkreten Anwendung er-
teilt werden können und der Geltungsbereich der Patente auf diese kon-
krete Anwendung begrenzt wird, so dass andere Anwender die gleiche

DNA-Sequenz für andere Anwendungen nutzen und patentieren lassen
können (zweckgebundener Schutz);

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2141

2. Interpretationsspielräume hinsichtlich der Patentierbarkeit von biologi-
schen Verfahren geschlossen werden; so muss u. a. klargestellt werden,
dass auf Verfahren, die auf natürliche Phänomene wie Kreuzung und Se-
lektion basieren, keine Patente erteilt werden dürfen – und zwar auch dann
nicht, wenn die Verfahren zwar nicht vollständig, aber im Wesentlichen
auf Kreuzung und Selektion basieren. Weiterhin muss ausgeschlossen
werden, dass sich der Schutzbereich von Züchtungsverfahren oder Repro-
duktionsverfahren auf die Verfahrensprodukte erstreckt;

3. Patente auf Pflanzen und Tiere nicht erteilt werden können;

● einen Vorschlag zu erarbeiten, wie im Europäischen Patentübereinkommen
(EPÜ) die Kontrollmöglichkeit, Transparenz und Finanzierung beim EPA
verbessert sowie eine kontinuierliche, institutionelle und unabhängige bio-
ethische Beratung des EPA sichergestellt werden kann;

● durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Wissenschaftler im Sinne
des § 11 des Patentgesetzes uneingeschränkten Zugang zu patentiertem
Saatgut oder anderem Forschungsmaterial erhalten und vom Patentinhaber
weder Einfluss auf das Forschungsdesign noch auf die Veröffentlichung der
Forschungsergebnisse genommen werden kann;

● einen Bericht über die Auswirkungen des Patentrechts im Bereich der
Biotechnologie vorzulegen, u. a. inwiefern die ausreichende Technizität bei
Biopatenten überprüft und sichergestellt wurde, welche Auswirkungen
Biopatente im Bereich der Pflanzen- und Tierzüchtung sowie hinsichtlich
Innovationen im medizinischen Bereich haben sowie hinsichtlich ethischer
Aspekte wie zum Beispiel der Patentierung von embryonalen Stammzellen;

● sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die EU-Kommission im
Rahmen ihrer jährlichen Berichtspflicht die Entwicklungen von Patenten im
Bereich der Biotechnologie, die ethischen Aspekte sowie die Folgen für die
Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit und die Folgen für die Zugänglich-
keit und Erschwinglichkeit gesundheitlicher Versorgung berücksichtigt;

● sich bei der EU-Kommission dafür einzusetzen, dass diese die in ihrem ersten
Bericht nach Artikel 16c der Biopatentrichtlinie (KOM(2002) 545) angekün-
digte Expertengruppe für die ethischen Fragen im Rahmen der Biopaten-
trichtlinie einrichtet;

● sich bei allen internationalen Verhandlungen dafür einzusetzen, dass die
verschiedenen internationalen Verträge in den Bereichen biologische Viel-
falt, biologische Sicherheit und Schutz des geistigen Eigentums ein Verbot
der Patentierung von Pflanzen und Tieren beinhalten.

Berlin, den 15. Juni 2010

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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