BT-Drucksache 17/2131

Abschaffung der Todesstrafe weltweit

Vom 16. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2131
17. Wahlperiode 16. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Annette Groth, Katrin Werner, Jan van Aken,
Matthias W. Birkwald, Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm,
Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch,
Stefan Liebich, Niema Movassat, Thomas Nord, Paul Schäfer (Köln),
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Abschaffung der Todesstrafe weltweit

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag bekräftigt seinen Beschluss aus vorangegangenen
Legislaturperioden, wonach die Todesstrafe das elementarste Menschenrecht,
das Recht auf Leben negiert. Sie ist eine durch nichts zu rechtfertigende Form
grausamer und unmenschlicher Strafe. Sie ist Ausdruck einer gnadenlosen Jus-
tiz, die dem Gedanken von Rache und Vergeltung Vorrang vor Bemühungen um
eine Wiedereingliederung und Resozialisierung Straffälliger einräumt. Sie ist bei
Fehlurteilen nicht korrigierbar und wird oftmals rassistisch angewendet. Neben
diesen legalisierten Formen der Todesstrafe finden zunehmend sogenannte ge-
zielte Tötungen Terrorverdächtiger in Drittstaaten ohne vorangegangene gericht-
liche Prüfung auch durch enge Verbündete der Bundesrepublik Deutschland
Anwendung.

Völkerrechtlich ist die Todesstrafe nicht grundsätzlich verboten, jedoch zahl-
reiche ihrer in der Praxis stattfindenden Anwendungen. Seit Jahren gibt es aller-
dings einen erfreulichen weltweiten Trend zu ihrer Abschaffung, den der Deut-
sche Bundestag begrüßt und alle Staaten dazu aufruft, sich völkerrechtlich
bindend zu verpflichten, die Todesstrafe abzuschaffen. In den letzten 15 Jahren
haben 54 Staaten die Todesstrafe abgeschafft, davon allein 15 Staaten in den letz-
ten drei Jahren. Im Jahr 2010 haben somit 139 Länder die Todesstrafe per Gesetz
oder de facto abgeschafft, während 58 Länder an der Todesstrafe festhalten. Vor
diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass die Europäische Grundrechtecharta
nach gängiger Rechtsauffassung die Todesstrafe im Kriegszustand und die
Tötung von Personen zur „rechtmäßigen Niederschlagung eines Aufruhrs“ nicht
ausschließt.

Wichtigstes völkerrechtliches Instrument gegen die Todesstrafe ist das Zweite

Zusatzprotokoll zum UN-Zivilpakt, das bislang 73 Staaten ratifiziert und 35 ge-
zeichnet haben; zuletzt das kirgisische Parlament am 11. Februar 2010. Einen
historischen Meilenstein auf dem Weg zur weltweiten Abschaffung der Todes-
strafe stellt die erstmalig von der UN-Generalversammlung am 18. Dezember
2007 verabschiedete Resolution (62/149) für ein sofortiges, weltweites Hinrich-
tungsmoratorium dar. Die Resolution wurde 2008 von einer Mehrheit der Staaten

Drucksache 17/2131 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

bestätigt. Die Resolution ist völkerrechtlich nicht bindend, besitzt jedoch erheb-
liches politisches Gewicht. Der Deutsche Bundestag hat 2004 ein Gesetz zum
Protokoll Nr. 13 zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte
und Grundfreiheiten über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe rati-
fiziert. Hierin wird festgelegt, dass die Todesstrafe auch in Kriegszeiten keine
Anwendung findet. Mit Deutschland haben europaweit bisher 42 Staaten das
Protokoll ratifiziert, zehn Staaten haben es gezeichnet.

Laut amnesty international wurden 2009 weltweit mindestens 2 390 Menschen
hingerichtet, und es wurden mehr als 2 000 neue Todesurteile ausgesprochen. In
diesen Zahlen sind die Exekutionen in China nicht enthalten. Exekutionen wer-
den in China als Staatsgeheimnis behandelt, daher gibt es keine genauen Anga-
ben. Nach China sind der Iran, der Irak, Saudi-Arabien, die USA und der Jemen
die Länder mit den meisten Exekutionen. Mit den vier letztgenannten Staaten un-
terhält Deutschland umfangreiche Programme zur Polizei- und Militärkoopera-
tion und liefert Technologie zur Ausrüstung der Sicherheitskräfte. Mit den USA
findet ein reger Austausch an personenbezogenen Daten im Zuge der Terroris-
musbekämpfung statt. Die Bundesrepublik Deutschland hält an einem im No-
vember 2009 geschlossenen Abkommen zur Unterstützung der jemenitischen
Küstenwache fest, obwohl von dieser festgesetzte Piraten zwischenzeitlich im
Jemen zum Tode verurteilt wurden. Im Iran betrug die Zahl der Hinrichtungen
2009 mindestens 388 Personen. Obwohl 2008 staatlicherseits angekündigt
wurde, dass Todesurteile durch Steinigungen im Strafrecht abgeschafft und mit
sofortiger Wirkung ausgesetzt werden sollen, finden diese nach Informationen
von amnesty international immer noch vereinzelt statt. Frauen sind überpropor-
tional von dieser grausamen Hinrichtungsmethode betroffen.

Die Entwicklung des Verhängens und der Vollstreckung der Todesstrafe in den
genannten Ländern sowie die Hinrichtung Minderjähriger und Menschen mit
geistiger Behinderung verurteilt der Deutsche Bundestag auf das Schärfste. Aus
Sicht des Deutschen Bundestages verstößt die Hinrichtung Minderjähriger oder
von Menschen mit geistiger Behinderung oder psychisch kranker Personen ge-
gen völkerrechtliche Normen. Obwohl der Oberste Gerichtshof der USA 2002
die Hinrichtung von Straftätern mit einem geistig gestörten Entwicklungsstand
für verfassungswidrig erklärte, bleibt die Vollstreckung der Todesstrafe an Perso-
nen mit geistiger Behinderung in den USA weiterhin erlaubt. Insgesamt wurden
in den USA im Jahr 2009 52 Menschen in elf Bundesstaaten hingerichtet. Davon
fanden 24 Exekutionen im Bundesstaat Texas statt. Derzeit sehen 35 von 50 Bun-
desstaaten der USA die Todesstrafe in ihren Gesetzen vor. In den letzten fünf Jah-
ren haben die Bundesstaaten New York, New Jersey und New Mexico die Todes-
strafe aus ihren Gesetzen gestrichen. Darüber hinaus liegt dem US-Senat seit
2009 ein Gesetzentwurf zur Abschaffung der Todesstrafe auf Bundesebene vor.

Neben der klassischen Todesstrafe hat die Anzahl extralegaler Tötungen durch
staatliche Sicherheitsorgane sowie durch parastaatliche Gruppen in besorgniser-
regendem Ausmaß zugenommen. So wurden beispielweise nach Informationen
der „Kolumbianischen Schule für Gewerkschafter“ zwischen 1991 und 2006 in
Kolumbien mindestens 2 284 Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen getötet,
davon allein 46 Personen im Jahr 2008. Die extralegalen Tötungen sind ebenso
wie „gezielte Tötungen“ im Zuge des Krieges gegen den Terrorismus Ausdruck
einer menschenverachtenden Willkür und drohen die völkerrechtlichen Bemü-
hungen um eine weltweite Abschaffung der Todesstrafe zu konterkarieren. Die
Vereinten Nationen haben derartige willkürliche und vorsätzliche Tötungen
durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und des-
sen Erstes Fakultativprotokoll, das Individualbeschwerden zulässt, verurteilt.
Darüber hinaus hat die UN-Generalversammlung Grundsätze für die Verhütung
und Untersuchung von außergesetzlichen, willkürlichen und summarischen Hin-

richtungen beschlossen. Der Europarat stellt zwar in den Leitlinien über die Men-
schenrechte und den Kampf gegen den Terrorismus im Jahr 2002 fest, dass gegen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2131

eine Person, die wegen terroristischer Aktivitäten angeklagt ist, nicht die Todes-
strafe verhängt werden darf; äußert sich jedoch nicht zu Formen extralegaler Tö-
tungen durch staatliche oder parastaatliche Gruppen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich in ihren bilateralen Beziehungen zu den Ländern, die die Todesstrafe an-
wenden, klar gegen diese auszusprechen und auf ein sofortiges Hinrich-
tungsmoratorium in den entsprechenden Ländern zu drängen;

2. sich im Rahmen der UNO dafür einzusetzen, weitere Staaten als Unterstüt-
zer für die 2007 erstmalig mehrheitlich von der Vollversammlung beschlos-
sene Resolution für ein weltweites Hinrichtungsmoratorium zu gewinnen;

3. sich im Rahmen der UNO für die Einsetzung eines Sondergesandten, verant-
wortlich für ein weltweites Monitoring bei der Anwendung der Todesstrafe
einzusetzen, um mehr Transparenz bei der Verhängung und Vollstreckung
von Todesurteilen zu erreichen;

4. im Rahmen der EU den EU-Leitlinien zur Todesstrafe entsprechend initiativ
zu werden, indem sie Drittländer ermutigt, dem Zweiten Fakultativprotokoll
zum UN-Zivilpakt beizutreten;

5. gegenüber Armenien, Aserbaidschan, Lettland, Polen und Russland auf die
Ratifikation des Zusatzprotokolls Nr. 13 zur Europäischen Konvention zum
Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zur vollständigen Abschaf-
fung der Todesstrafe zu drängen;

6. in ihren bilateralen Beziehungen zu Staaten, die die Todesstrafe an Minder-
jährigen vollziehen wie China, Iran und Saudi-Arabien darauf hinzuweisen,
dass diese Praxis gegen die von ihnen ratifizierte UN-Kinderrechtskonven-
tion verstößt;

7. in ihren bilateralen Beziehungen zu Ländern, die die Todesstrafe an Perso-
nen mit geistiger Behinderung oder an psychisch kranken Menschen voll-
ziehen, wie China, Iran, Japan und die USA darauf hinzuweisen, dass diese
Praxis gegen die vom Wirtschafts- und Sozialrat der UN verabschiedeten
Garantien zum Schutz von Personen, denen die Todesstrafe droht, verstößt;

8. sich im Rahmen der UNO für eine völkerrechtliche Ächtung aller Formen
extralegaler Tötungen einzusetzen, indem sie alle Länder dazu auffordert,
dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und dessen
Erstem Fakultativprotokoll beizutreten;

9. über alle Fälle von extralegalen Tötungen, von denen die Bundesregierung
Kenntnis erhält, den UN-Sonderberichterstatter für außergerichtliche, stand-
rechtliche und willkürliche Hinrichtungen zu informieren und intensiv im
Sinn der Aufklärung mit ihm zusammen zu arbeiten;

10. in ihren bilateralen Beziehungen zu allen Staaten, in denen Menschen durch
staatliche oder parastaatliche Organe auf außergesetzliche Weise getötet
werden, diese Tötungspraxis auf das Schärfste zu verurteilen und sich für
eine konsequente Aufklärung und Strafverfolgung der Täter einzusetzen.

Berlin, den 16. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.