BT-Drucksache 17/1985

Unabhängige Patientenberatung ausbauen und in die Regelversorgung überführen

Vom 9. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1985
17. Wahlperiode 09. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Fritz Kuhn, Birgitt Bender, Katrin
Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Markus Kurth, Lisa Paus, Elisabeth
Scharfenberg, Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Unabhängige Patientenberatung ausbauen und in die Regelversorgung
überführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Unabhängige Patientenberatung (UPD) hat sich in der Modellphase bewährt
und ist als Regelaufgabe im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu veran-
kern. Dabei soll auf die Erfahrungen aus der Modellphase aufgebaut und die bis-
her erarbeiteten fachlichen Kompetenzen einbezogen werden.

Die Erprobungsphase zur Finanzierung der Unabhängigen Patientenberatung
Deutschland nach § 65b SGB V läuft zum 31. Dezember 2010 aus. Eine Rege-
lung zur Anschubfinanzierung wurde bislang von der Bundesregierung nicht auf
den Weg gebracht. Damit besteht das Risiko, dass die bisherige Arbeit der unab-
hängigen Beratungsstellen zum 31. Dezember 2010 eingestellt werden muss und
Personal und Räumlichkeiten gekündigt werden müssen.

Die wissenschaftliche Begleitforschung und die externe Evaluation haben den
Bedarf für eine Unabhängige Patientenberatung bestätigt, das bisher erarbeitete
Beratungskonzept und die praktische Beratungsarbeit positiv bewertet und spre-
chen sich für eine Überführung in die Regelversorgung aus.

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP sieht für die 17. Legis-
laturperiode einen Ausbau der Unabhängigen Patientenberatung vor. Soll eine
bruchlose Weiterarbeit der UPD sichergestellt werden, ist noch vor der Sommer-
pause ein Gesetz zur Überführung in die Regelversorgung erforderlich, da die
notwendige öffentliche Ausschreibung einige Zeit beanspruchen wird. Ein Ent-
wurf für eine gesetzliche Regelung liegt noch nicht vor.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich einen Gesetzentwurf mit folgenden Eckpunkten vorzulegen:

1. Die gesetzlichen Krankenkassen werden verpflichtet, die Finanzierung der

Unabhängigen Patientenberatung solange nach dem bisherigen Verfahren
fortzusetzen, bis die Umsetzung in die Regelversorgung gesichert ist. Dies
gewährleistet eine Kontinuität des Beratungsangebots.

2. Als zentrale Aufgabe der UPD wird eine unabhängige, neutrale, verlässliche
und qualitätsgesicherte Information und Beratung für alle Bürgerinnen und
Bürger im Rahmen des Gesundheitssystems gesetzlich festgeschrieben.

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3. Die Beratung und Information soll weiterhin durch persönliche Beratung
und mit Unterstützung durch moderne Kommunikationstechniken erfolgen.
Der personelle Dreiklang von gesundheitlicher, rechtlicher und psycho-
sozialer Beratung soll erhalten werden. Die Tätigkeit in den regionalen
Beratungsstellen wird durch drei Beschäftigte mit je einer Vollzeitstelle
wahrgenommen, die berufliche Qualifikationen und Erfahrungen in den
genannten Berufsfeldern nachweisen müssen.

4. Alle Beratungsleistungen der UPD werden kostenfrei angeboten.

5. Der Zugang zu den Leistungen der UPD wird kontinuierlich verbessert und
auch den sozial und kulturell benachteiligten Bevölkerungsgruppen verfüg-
bar gemacht, die besondere Hilfestellung benötigen, um sozial ungleiche
Gesundheitschancen abbauen zu helfen. Entsprechende Instrumente und
Strategien sind zu entwickeln.

6. Die Anzahl der regionalen Beratungsstellen wird ausgebaut. In der nächsten
Ausbaustufe wird je 2,5 Millionen Einwohner eine Beratungsstelle ein-
gerichtet. Damit kann die Anzahl der regionalen Beratungsstellen von heute
22 auf 31 ausgebaut werden. Die neuen Beratungsstandorte werden in
Abstimmung mit den jeweiligen Bundesländern bestimmt.

7. Die regionalen Beratungsstellen arbeiten eng und konstruktiv mit anderen
professionellen Beratungs- und Informationsstellen sowie mit Verbänden,
Initiativen und Organisationen der Selbsthilfe, der professionellen Verbrau-
cherberatung, mit Sozialverbänden und kommunalen Stellen, mit Ärzte-
organisationen und Einrichtungen des Gesundheitswesens, Schiedsstellen
sowie Beratungs- und Clearingstellen der Kostenträger zusammen.

8. Die Beratungsstandards, ein gemeinsames Informations- und Wissens-
management sowie Qualitätsaudits bilden die Grundlagen der Unabhängigen
Patientenberatung, sie werden regelmäßig evaluiert und weiterentwickelt.
Zur Sicherstellung der bundesweiten Qualität als neutrale, professionelle
und effiziente Patientenberatung wird weiterhin eine Bundesgeschäftsstelle
aufrechterhalten. Sie hat Aufgaben einer Controllingfunktion, sichert die
Qualität der Beratung, sorgt für einen Austausch zwischen den regionalen
Beratungsstellen und organisiert gemeinsame Fort- und Weiterbildungen als
Serviceleistung für das Netz der UPD.

9. Die UPD entwickelt eine systematische Rückmeldung von Patientenbe-
schwerden zum Gesundheitssystem als wichtige Informationsquelle, um
Defizite im Gesundheitswesen sichtbar zu machen. Das Beschwerdenerfas-
sungssystem soll für Mängelberichte genutzt werden, die dem Deutschen
Bundestag, den Patientenbeauftragten der Bundesregierung und der Länder
sowie den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Leistungserbringer
regelmäßig vorgelegt werden.

10. Das Netz der UPD wird aus Beitragsmitteln der gesetzlichen und der pri-
vaten Krankenversicherungen finanziert. Dazu wird ein Systemzuschlag
analog zur Finanzierung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im
Gesundheitswesen (IQWiG) nach §139c SGB V erhoben. Ab 2011 werden
für die Aufgabe 10,5 Mio. Euro bereitgestellt; dieser Betrag ist zu dynami-
sieren.

11. Die Rechtsaufsicht über die Tätigkeit der UPD wird im Rahmen der Regel-
versorgung durch das Bundesversicherungsamt wahrgenommen, das durch
einen wissenschaftlichen Beirat und ein Kuratorium in seinen Aufgaben
fachlich unterstützt wird. Das Kuratorium setzt sich zusammen aus je einer
Vertretung der im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen und des
Bundesministeriums für Gesundheit sowie einer zu bestimmenden Zahl von

professionellen Patientenberaterinnen und -beratern, anerkannten Selbst-

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hilfegruppen, der gesetzlichen Krankenversicherung, der privaten Kranken-
versicherung und Spitzenorganisationen der Leistungserbringer sowie den
bisherigen Gesellschaftern der UPD.

Berlin, den 8. Juni 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Es ist sinnvoll, das Auslaufen der Modellphase und die Überführung in die Re-
gelversorgung für eine Weiterentwicklung der Unabhängigen Patientenberatung
Deutschlands (UPD) zu nutzen. Die UPD wurde umfassend wissenschaftlich be-
gleitet und beraten. In diesem Prozess wurden einheitliche, qualitativ hochwer-
tige Beratungsstandards zur Patientenberatung entwickelt. Die dabei aufgebauten
personellen Kompetenzen dürfen nicht gefährdet werden. Um die personelle
Kontinuität zu gewährleisten, ist eine Weiterfinanzierung nach den bisherigen
Vorgaben solange erforderlich, bis die neue Arbeits- und Finanzierungsstruktur
aufgebaut ist.

Zu Nummer 2

Das hochdifferenzierte Gesundheitswesen ist einem permanenten Wandel unter-
worfen. Der Informations- und Beratungsbedarf der Bürgerinnen und Bürger in
Gesundheitsfragen nimmt deshalb stetig zu. Ratsuchende müssen dauerhaft die
Möglichkeit erhalten, unabhängig von Kostenträgern und Anbietern im Gesund-
heitswesen eine neutrale und verlässliche Beratung nutzen zu können. Die
Unabhängigkeit der Beratung ist dabei eine Voraussetzung, um Autonomie und
Eigenverantwortung von Patientinnen und Patienten zu stärken. Im Rahmen der
Modellphase nach § 65b SGB V wurden mit der UPD solche Beratungsleistun-
gen aufgebaut. Die Begleitforschung zeigt ein hohes Maß an Zufriedenheit mit
den Beratungsleistungen, zugleich wurde deutlich, dass sich gut 50 Prozent der
Beratungsbereiche auf Leistungen der Kostenträger beziehen, weitere 44 Pro-
zent auf medizinische Aspekte und gut 23 Prozent auf Beschwerden und Be-
handlungsfehler (Jahresbericht 2009 der UPD).

Zu Nummer 3

Die Auswertung der Modellphase hat bestätigt, dass die Ratsuchenden bei
gesundheitlichen, psychosozialen und rechtlichen Fragen Orientierungshilfen
benötigen. Deshalb soll die bewährte personelle Ausstattung aufrechterhalten
und ausgebaut werden. Das bisherige Angebot von telefonischer und persön-
licher Beratung sowie überregionale Angebote wie Kompetenzstellen, Hotline
und Internet haben sich als zeitgemäße Form der Beratung erwiesen und werden
deshalb ebenfalls weiterentwickelt.

Zu Nummer 4

Die Bevölkerung muss die Beratungsleistungen der UPD unabhängig vom Ein-
kommen nutzen können.

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Zu den Nummern 5 und 6

Zwei Jahre nach Anlaufen der praktischen Arbeit kannten 18 Prozent der Ge-
samtbevölkerung die UPD (Wissenschaftliche Begleitung Unabhängige Patien-
tenberatung in Deutschland. 2. Zwischenbericht 2010). Dieser Bekanntheitsgrad
muss kontinuierlich ausgebaut werden, damit möglichst viele Menschen das
Angebot nutzen können. Aus der Versorgungsforschung sind sozial ungleich
verteilte Durchsetzungschancen im Gesundheitssystem bekannt. Obwohl Men-
schen mit ungünstigen Lebensbedingungen den größten gesundheitlichen Bera-
tungsbedarf haben, ist es kompliziert, sie zu erreichen. Der Zugang zur Patien-
tenberatung muss deshalb räumlich, zeitlich und sozial niedrigschwellig sein.
Um den Ratsuchenden auch einen persönlichen Zugang zu ermöglichen und die
regionalen Besonderheiten berücksichtigen zu können, ist eine Ausweitung des
Beratungsnetzes erforderlich. Das Vorschlagsrecht der Bundesländer für neu
aufzubauende Beratungsstellen soll eine regelmäßigere Verteilung in den bis-
lang nicht berücksichtigten Regionen unterstützen.

Zu Nummer 7

Die Verankerung der Beratungsstellen vor Ort und die kontinuierliche Ver-
netzung mit anderen Beratungsstrukturen, mit Organisationen der Selbsthilfe
und der Anbieter des Gesundheitswesens sind wesentliche Bausteine für die Be-
kanntheit und auch die Qualität der Beratungsangebote. Nur auf dieser Grund-
lage kann die UPD eine „Lotsenfunktion“ wahrnehmen und den Ratsuchenden
beim direkten Zugang zu den geeigneten Anlaufstellen die passende Hilfestel-
lung geben. Die Vielfalt der Angebote, die sich aus den verschiedenen Trägern
der regionalen UPD ergibt, soll deshalb erhalten und ausgebaut werden.

Zu Nummer 8

Zur Aufrechterhaltung der Beratungsqualität und deren Weiterentwicklung be-
darf es einer Struktur, die die Leistungen und die Zuverlässigkeit der Beratung
sicherstellt. Deshalb ist z. B. ein Qualitätshandbuch zu führen, ein Wissens-
management vorzuhalten und der erforderliche Austausch sowie die Fort- und
Weiterbildung zu organisieren.

Zu Nummer 9

Die Dokumentation der Beratungstätigkeit erlaubt Rückmeldungen zu den
Defiziten im Gesundheitswesen, die der Politik, den Anbietern und den Kran-
kenkassen wertvolle Hinweise für Korrekturen geben können, nachdem dafür
ein systematisches Beschwerdenerfassungssystem zu den Mängeln aufgebaut
worden ist.

Zu Nummer 10

Das Angebot der UPD wird auch von privat versicherten Patientinnen und
Patienten entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung genutzt. Deshalb ist es
sinnvoll, auch die private Krankenversicherung an der Finanzierung der Unab-
hängigen Patientenberatung zu beteiligen.

Zu Nummer 11

Die Ratsuchenden sind mit der Beratung vor allem dann besonders zufrieden,
wenn sie sich darauf verlassen können, dass Leistungen unabhängig von Inte-
ressen Dritter und von kommerziellen und berufsständischen Interessen erbracht
werden. Dies erfordert eine weitgehende Unabhängigkeit von Finanzgebern und

von Anbietern. Die Arbeit der UPD soll mit der Überführung in die Regelver-

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sorgung der Rechtsaufsicht durch das Bundesversicherungsamt unterstellt wer-
den. Dieses soll die ordnungsgemäße Verwendung der gewährten Mittel prüfen
und sicherstellen. Fachlich wird die Arbeit der UPD durch den wissenschaft-
lichen Beirat und das Kuratorium begleitet.

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