BT-Drucksache 17/1984

Gemeinsam für gute Schulen und Hochschulen sorgen - Kooperationsverbot von Bund und Ländern in der Bildung abschaffen

Vom 9. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1984
17. Wahlperiode 09. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Krista Sager, Kai Gehring, Sylvia
Kotting-Uhl, Markus Kurth, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Agnes Krumwiede, Monika
Lazar, Brigitte Pothmer, Tabea Rößner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinsam für gute Schulen und Hochschulen sorgen – Kooperationsverbot von
Bund und Ländern in der Bildung abschaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der 2006 verabschiedeten Föderalismusreform I haben Union und SPD die
verfassungsrechtliche Grundlage für die Wahrnehmung gesamtstaatlicher Bil-
dungsverantwortung zerstört. Seitdem darf der Bund die Ländern nicht mehr bei
der Verbesserung im Schulbereich unterstützen und keine gemeinsamen Bil-
dungsprogramme und Investitionen für das allgemeine Schulwesen vereinbaren.
Eine sinnvolle Initiative wie das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und
Betreuung“ für mehr Ganztagsschulen ist heute aufgrund des Kooperationsver-
bots zwischen Bund und Ländern rechtlich nicht mehr möglich. Neue Initiativen
wie z. B. die Förderung von Migrantenkindern und die Lehrerinnen- und Lehrer-
fortbildung im Hinblick auf individuelle Förderung von Schülerinnen und Schü-
lern können nicht mehr gemeinsam angegangen und finanziert werden. Selbst
Programme, die sich aus dem gemeinsam finanzierten nationalen Bildungs-
bericht, der Mängel im Bildungssystem aufweist, ergeben, können nicht verab-
redet und vom Bund mitfinanziert werden. Auch die Umsetzung des aus der UN-
Behindertenrechtskonvention ergehenden Rechtes auf inklusive Bildung sowie
die Vertiefung der UN-Dekade „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“
können die Bundesregierung finanziell nicht unterstützen.

Weil es nun keine verfassungsrechtliche Grundlagen für eine kontinuierliche
und nachhaltige Kooperation zwischen Bund und Ländern mehr gibt, wurden
seit der Föderalismusreform Umgehungstatbestände z. B. im „Konjunkturpro-
gramm 2“ geschaffen. Dieses erlaubt offiziell, Bundesgeld für energetische
Sanierungen u. a. an Schulen einzusetzen, nicht jedoch etwa für räumliche Um-
gestaltung aufgrund neuer pädagogischer Konzepte. Dies schafft in der Realität
neue Abgrenzungsprobleme und zeigt gleichzeitig, dass auf eine Zusammenar-
beit nicht verzichtet werden kann. Die Länder und Kommunen aber benötigen
keine Krücken, die sie aus finanzieller Not gerne ergreifen, sondern kontinuier-

liche Unterstützung zur Qualitätssicherung und Verbesserung des Schulwesens.

Hinzu kommt zunehmend ein neues Problem: Auch bei anderen neuen Initia-
tiven, die die Bundesregierung zur Stärkung des Bildungssystems vorschlägt,
muss das Kooperationsverbot trickreich umgangen werden. Dadurch geht das
Bundesgeld nicht in nachhaltige strukturelle Verbesserungen von Quantität und
Qualität der Angebote, sondern muss durch fragwürdige rechtliche Konstruk-
tionen wie Bildungsgutscheine an Individuen oder Zahlungen an Fördervereine

Drucksache 17/1984 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

von Institutionen „umgeleitet“ werden. Effizienter Mitteleinsatz und Zielgenauig-
keit drohen dabei auf der Strecke zu bleiben.

Bereits während der Beratungen über die Föderalismusreform haben Bildungs-
verbände, Eltern und Wissenschaft ihre fundierten Bedenken vorgebracht. Auch
in der gesamten Bevölkerung überwiegt die Ansicht, dass der Bund eine größere
Rolle in der Bildungspolitik spielen sollte und wird nicht verstanden, warum das
nicht möglich sein soll. Aber statt die notwendige Grundgesetzänderung voran-
zutreiben, proklamiert Kanzlerin Dr. Angela Merkel seit Sommer 2008 die „Bil-
dungsrepublik“. Das bisherige Ergebnis: Eineinhalb vergeudete Jahre und zwei
ergebnislose „Bildungsgipfel“ im Oktober 2008 und Dezember 2009. Dieser
Stillstand hat die Kritik an der mangelnden Kooperation noch verstärkt. Es ist
sehr zu begrüßen, wenn Bundesministerin Dr. Annette Schavan ankündigt, dass
sie noch in dieser Legislaturperiode eine Grundgesetzänderung durchsetzen
will. Wie sie dafür die notwendige Unterstützung ihrer eigenen Partei erreichen
will, sei dahingestellt.

Am 10. Juni 2010 steht nun der dritte Bildungsgipfel an. Es muss bezweifelt
werden, ob konkrete Verabredungen erreicht werden, wenn das Kooperations-
verbot nicht abgeschafft wird. Statt sich wechselseitig zu blockieren, sollte das
Kooperationsverbot aufgehoben werden, damit dann verbindliche Vereinbarun-
gen auch im Schulbereich getroffen werden dürfen. Bund und Länder könnten
gemeinsame Ziele definieren, finanzieren und umsetzen. Der Bund muss durch
verfassungsrechtlich abgesicherte Mitgestaltungs- und Mitfinanzierungs-
möglichkeiten der Garant für eine verantwortliche, zukunftsweisende und auch
europataugliche Bildungspolitik werden.

Auch die aktuelle Diskussion um die unzureichende Förderung von benachtei-
ligten Kindern und das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den Hartz-IV-
Regelsätzen für Kinder macht deutlich, dass auch dieses Problem nur zu lösen
ist, wenn Bund und Länder es als eine gesamtstaatliche Aufgabe gemeinsam an-
gehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich einen Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes und des Arti-
kels 91b in den Bundestag einzubringen, durch den die Kooperation von
Bund und Ländern im Bereich der allgemeinen Bildung wieder möglich
wird;

2. dass gemeinsame Bildungsprogramme nicht nur Investitionen wie den Bau
von Ganztagsschulen umfassen, sondern im gesamtstaatlichen Interesse auch
Personal- und Sachmittel beispielsweise zur Förderung von Migranten-
kindern und zur Umsetzung des Rechtes auf eine inklusive Bildung möglich
machen;

3. Verhandlungen mit den Ministerpräsidenten aufzunehmen, um eine Zustim-
mung im Bundesrat zur Aufhebung des Kooperationsverbotes zu erreichen.

Berlin, den 8. Juni 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1984

Begründung

Die Einführung des Kooperationsverbotes war ein verantwortungsloser Schritt,
der dazu führte, dass Bund und Länder Nebenabsprachen treffen, die keine ver-
fassungsrechtliche Grundlage haben. Dies zeigt sich auch im gerade verabschie-
deten Haushalt 2010. Es hat sich erwiesen, dass der vermeintlich wettbewerbs-
orientierte Föderalismus allein nicht in der Lage ist, die Probleme in der Bildung
zu lösen. Gerade in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik muss Kooperation
zum Wohle der Individuen wie auch der Gesellschaft möglich sein. Kein anderes
föderales System verbietet seinen politischen Ebenen die Kooperation im Bil-
dungsbereich. Alle setzen vielmehr auf Zusammenarbeit. Auch die deutsche
Bevölkerung will laut zahlreicher Umfragen, wie zum Beispiel das Allensbacher
Institut aufzeigt, mehrheitlich, dass der Bund wieder mehr Einfluss auf die
Schulpolitik der Länder hat.

Das ist auch notwendig, weil sich die Folgen mangelhafter Bildung auf das ge-
samte Sozialsystem auswirken. Die Konsequenzen hoher Schulabbrecherquoten
und fehlender Berufsorientierung muss der Bund tragen, sei es im Rahmen der
Berufsvorbereitung oder über Arbeitslosengeld II.

Selbst Bundesbildungsministerin Schavan spricht inzwischen von einem Fehler,
„den heute nur noch eine Handvoll Politiker wiederholen würde“. Allerdings hat
sie sich nicht nur als Landesministerin, sondern auch noch zu Beginn ihrer Zeit
als Bundesministerin für ein Kooperationsverbot ausgesprochen.

Auch in den Reihen der Kultusministerkonferenz herrscht inzwischen die Mei-
nung vor, dass das Kooperationsverbot wieder aufgehoben werden muss. Die
Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) empfiehlt in ihrem Gut-
achten 2010 eine Aufhebung des Kooperationsverbotes von Bund und Ländern.

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