BT-Drucksache 17/1968

Befristung von Arbeitsverhältnissen eindämmen

Vom 9. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1968
17. Wahlperiode 09. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Herbert Behrens, Matthias W.
Birkwald, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Diana Golze, Katja Kipping, Cornelia
Möhring, Kornelia Möller, Petra Pau, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und
der Fraktion DIE LINKE.

Befristung von Arbeitsverhältnissen eindämmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Befristete Arbeitsverträge werden bei Neueinstellungen immer mehr zur Regel:
53 Prozent der Neueinstellungen im Osten und 42 Prozent der Neueinstellun-
gen im Westen erfolgen mit einer Befristung. Unabhängig davon, welchen tat-
sächlichen Zweck die Unternehmen mit der zeitlichen Befristung verfolgen, sie
stellt für die eingestellten Bewerberinnen und Bewerber eine weitere unsichere
Zukunftsentwicklung dar. Nach Ausbildung, Arbeitslosigkeit oder Leiharbeit
verlängern zeitlich befristete Arbeitsverhältnisse die persönliche Planungs-
unsicherheit und Zukunft der Betroffenen. Die ausschließliche Ausrichtung der
zeitlichen Befristung an wirtschaftliche Erfordernisse ist nicht akzeptabel und
richtet sich gegen die Beschäftigten. Darüber hinaus macht diese Form der Be-
fristung arbeitsmarktpolitisch überhaupt keinen Sinn.

Bereits die derzeit geltenden Regelungen zur Befristung von Arbeitsverhältnis-
sen schränken den Kündigungsschutz ein. Sowohl die Erfüllung des sachlichen
Grundes als auch der Zeitablauf beenden das befristete Arbeitsverhältnis, ohne
dass es einer Kündigung bedarf. Damit ist jede Chance der Mitbestimmung von
Betriebs- oder Personalräten bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von
vornherein ausgeschlossen.

Darüber hinaus führt die zunehmende Zahl der Befristungen zur Schwächung
der sozialen Sicherungssysteme. Die bereits jetzt verstärkt vorhandenen Brüche
in den Erwerbsbiographien, besonders bei jungen Menschen, durchziehen alle
Berufsgruppen und haben Auswirkungen auf alle Lebensphasen. Lebens- und
Familienplanung wird immer komplizierter und unsicherer. Die Erwerbsbrüche
ziehen sich regelmäßig durch bis zur Rente, sofern dieser Anspruch überhaupt
erworben wird. Durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung e. V.
(DIW Berlin) ist ermittelt worden, dass bereits für die Jahrgänge 1962 bis 1971
die Altersbezüge nur bei 600 Euro liegen werden. Damit ist bereits jetzt Alters-

armut absehbar.

Für die Erprobung einer neu eingestellten Arbeitnehmerin oder eines neu einge-
stellten Arbeitnehmers ist der sachliche Grund „Befristung zur Erprobung“ oder
eine kalendermäßige Befristung nicht erforderlich, da diese sich bereits im Bür-
gerlichen Gesetzbuch befinden. Hier hat sich herauskristallisiert, dass befristete
Arbeitsverhältnisse zunehmend als verlängerte Probezeit missbraucht werden.

Drucksache 17/1968 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

diese anhaltend negativen Entwicklung mit der Änderung der gesetzlichen
Grundlagen zur befristeten Beschäftigung zu stoppen, damit die unbefristete Be-
schäftigung zu stärken und:

– die Möglichkeiten der sachgrundlosen Befristung eines Arbeitsverhältnisses
aus dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) zu streichen (§ 14 Absatz 2,
2a und 3);

– die Befristung zur Erprobung nach § 14 Absatz 1 Nummer 5 TzBfG zu strei-
chen.

Berlin, den 8. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die gesetzlich zulässige sachgrundlose Befristung bei Neueinstellungen wurde
mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 eingeführt und mit dem Inkraft-
treten des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit-
und Befristungsgesetz – TzBfG) im Jahr 2001 weiterentwickelt. Im Zuge des
Gesetzes zu Reformen auf dem Arbeitsmarkt mit Gültigkeit ab dem 1. Januar
2004 erfolgte die erleichterte Möglichkeit der zeitlichen Befristung für Unter-
nehmensneugründungen. 2007 wurde die zuvor vom Europäischen Gerichtshof
als diskriminierend eingeschätzte sachgrundlose Befristung älterer Arbeitneh-
mer und Arbeitnehmerinnen durch die der Befristung vorangehenden Erwerbs-
losigkeit umgangen.

Seit 2001 ist nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB) der Anteil der befristeten Neueinstellungen an allen Neueinstellungen um
15 Prozentpunkte von 32 Prozent auf 47 Prozent im Jahr 2009 gestiegen.

Das Statistische Bundesamt hat für das Jahr 2008 Zahlen veröffentlicht, wonach
es häufiger junge Beschäftigte sind, die sich in befristeten Arbeitsverhältnissen
wiederfinden. Es verweist darauf, dass mit 40,7 Prozent der Anteil der befriste-
ten Arbeitsverhältnisse bei den 15- bis unter 20-Jährigen besonders hoch ist. Da-
rin sind keine Ausbildungsverhältnisse enthalten. Hoch ist die Befristungsquote
ebenfalls bei den jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter
30 Jahre: von ihnen arbeiten mehr als ein Drittel mit einem befristeten Arbeits-
vertrag.

Die Forderung nach mehr Fachkräften geht angesichts der Art des Umgangs mit
ihnen ins Leere. Die Befristungsquote bei Wissenschaftlern ist mit 11,1 Prozent
nach den Fachkräften in der Landwirtschaft (14,2 Prozent) und Hilfsarbeitskräf-
ten (13,8 Prozent) am Höchsten.*

In den Wirtschaftsunterbereichen tun sich besonders öffentliche und private
Dienstleistungen mit 13,3 Prozent der Befristungen hervor und in diesem Be-
reich sind, wie überhaupt bei den Befristungen die ausländischen Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen mit 21,2 Prozent besonders betroffen.

„Insgesamt sind es häufiger die jüngeren Beschäftigten, die sich in befristeten
Arbeitsverträgen wiederfinden. So war in der Altersgruppe der 15 bis unter
20 jährigen der Anteil befristet Beschäftigter mit 40,7 % am höchsten, und das
* Statistisches Bundesamt Deutschland, 16. März 2010, Befristete Beschäftigung: Jeder elfte Vertrag hat ein Verfallsdatum.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1968

obwohl Personen in betrieblicher oder schulischer Ausbildung hier gar nicht be-
rücksichtigt wurden. In der Altersgruppe der 20 bis 25 jährigen arbeitete gut je-
der Vierte mit befristetem Vertrag.“* Hier ist eine Umkehr der gegenwärtigen
Entwicklung dringend erforderlich.

Von den 2,7 Millionen befristet Beschäftigten des Jahres 2008 erklärten nur
2,5 Prozent, keine Dauerstellung gewünscht zu haben*. Der Anteil der mit dem
sachlichen Befristungsgrund „… zur Erprobung“ abgeschlossenen Arbeitsver-
träge lag im gleichen Zeitraum immer noch bei 16 Prozent. Diese Regelung ist
überflüssig, da die Vereinbarung einer Probezeit bis zu 6 Monaten auch ohne das
Teilzeit- und Befristungsgesetz im Rahmen der Vertragsfreiheit nach den Rege-
lungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs möglich ist. Die Prekarisierung der Ar-
beitsverhältnisse hat sich besonders unter den befristeten Arbeitsverhältnissen
ausgebreitet und führte aus der Generation Praktikum in die Generation Befris-
tung. Für die Betroffenen ist eine berufliche und familiäre Lebensplanung äu-
ßerst erschwert. Letztlich dient die erleichterte Befristung ausschließlich dem
Ziel, die Personalkosten der Unternehmen zu senken und Personal unkompli-
ziert aus dem Unternehmen zu verabschieden.

Die erwartete arbeitsmarktpolitische Wirkung für die erleichterte Arbeitsauf-
nahme Erwerbsloser ist durch die gesetzlichen Handlungsspielräume im Teil-
zeit- und Befristungsgesetz nicht eingetreten. Mehr als die Hälfte der befristet
abgeschlossenen Verträge enden durch Zeitablauf und führen nicht in eine unbe-
fristete Übernahme durch die Arbeitgeber. Damit ist festzustellen, dass der
Nachweis, befristete Arbeitsverhältnisse üben eine Brückenfunktion in die un-
befristete Beschäftigung aus, bisher nicht erbracht wurde.

Jeglichen weiteren Erleichterungen von Befristungsmöglichkeiten, wie sie der
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP vorsieht, ist von vornherein
eine klare Absage zu erteilen.
* ebenda

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