BT-Drucksache 17/1874

Arbeitsmarkteffekte der Leiharbeit

Vom 26. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1874
17. Wahlperiode 26. 05. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Klaus Ernst, Matthias
W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Diana Golze, Katja Kipping,
Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Ingrid Remmers, Jörn Wunderlich und der
Fraktion DIE LINKE.

Arbeitsmarkteffekte der Leiharbeit

Leiharbeitsverhältnisse haben im vergangenen Aufschwung einen enormen Zu-
wachs erfahren. In der Krise wurde dann fast ein Drittel der Beschäftigungsver-
hältnisse wieder beendet. Aktuell erlebt die Branche wieder einen Aufschwung.
Leiharbeitsverhältnisse sind für die Betroffenen höchst unsicher, mit einem ho-
hen Arbeitslosigkeitsrisiko behaftet und häufig ausgesprochen niedrig entlohnt.
Die Einsatzbetriebe nutzen Studien zufolge den Einsatz von Leiharbeitskräften
zunehmend strategisch, um die Beschäftigten zu disziplinieren und die Arbeits-
kosten zu senken. In vielen Fällen wird Leiharbeit zum Lohndumping genutzt
und Teile der Stammbelegschaften werden durch niedriger entlohnte Leih-
arbeitskräfte ersetzt. Diese Entwicklung ist maßgeblich auf die Deregulierung
der Arbeitnehmerüberlassung im Zuge der Hartz-Gesetzgebung zurückzuführen
und hat fatale Folgen für den Arbeitsmarkt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund
(DGB) betont daher in seiner aktuellen Studie „Leiharbeit und Arbeitslosigkeit“
(April 2010) die negativen Wirkungen und Folgen der Deregulierung im Bereich
Leiharbeit. Die Bundesregierung hingegen stellt auf wenige Missbrauchsfälle
ab, die sie nun auf gesetzlichem Wege verhindern will. Generell betont sie aller-
dings die Vorteile von Leiharbeit für den Arbeitsmarkt. Sie behauptet, dass diese
für viele Erwerbslose Brücken in den Arbeitsmarkt baue. Belege für ihre Behaup-
tungen blieb sie bisher aber weitgehend schuldig. Ebenso kann sie auf konkrete
Anfragen über die Auswirkungen von Leiharbeit auf den Arbeitsmarkt und die
Beschäftigten in der Regel keine hinreichenden Antworten geben. Es stellt sich
daher die Frage, welche Erkenntnisse die Bundesregierung über die konkreten
arbeitsmarktpolitischen Wirkungen und Effekte von Leiharbeit hat.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Beschäftigte der Leiharbeitsbranche wurden in den Jahren 2000 bis
2009 im Anschluss an ihr Leiharbeitsverhältnis vom Entleihbetrieb übernom-
men (bitte nach befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen differen-
zieren; bitte jährliche Zahlen angeben sowie nach Ost/West, Alter und Ge-
schlecht differenzieren), und kann angesichts dieser Quote von einem

Klebeeffekt der Leiharbeit gesprochen werden?

2. Wie viele Beschäftigte der Leiharbeitsbranche konnten in den Jahren 2000
bis 2009 im Anschluss an ihr Leiharbeitsverhältnis in eine reguläre sozialver-
sicherungspflichtige Beschäftigung eintreten (auch außerhalb des Entleihbe-
triebes), und kann angesichts dieser Quote von einer Brückenfunktion ge-
sprochen werden (bitte nach der vorherigen Arbeitsmarktnähe – zuvor
regulär Beschäftigte, zuvor Kurzzeitarbeitslose und zuvor Langzeitarbeits-

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lose – differenzieren; bitte ebenso nach Ost/West, Alter und Geschlecht
unterscheiden)?

Wie vielen zuvor Arbeitslosen ist dies im Vergleich dazu ohne ein vorheri-
ges Leiharbeitsverhältnis gelungen?

3. Welche Studien zum Brückeneffekt der Leiharbeit sind der Bundesregie-
rung bekannt, und zu welchen Ergebnissen gelangen diese Studien?

Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus diesen Studien?

Wie bewertet die Bundesregierung beispielsweise folgendes Ergebnis im
Forschungsbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung über
die Arbeitnehmerüberlassung (Endbericht vom 29. Mai 2009): „Da der
Brückeneffekt im eigentlichen Sinne meint, ob in erster Linie Arbeitslose
über die Arbeitnehmerüberlassung den Weg in dauerhafte reguläre Beschäf-
tigung finden, ist festzuhalten, dass dies nach zwei Jahren nur etwa 8 Pro-
zent der Arbeitslosen gelingt.“ (S. 88)?

4. Wie hoch ist durchschnittlich der Lohnunterschied zwischen Leiharbeits-
kräften und Festangestellten?

Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung hieraus?

Sieht sie in diesem Zusammenhang gesetzgeberischen Handlungsbedarf?

5. Welche Studien oder Untersuchungen zu Lohnunterschieden zwischen
Leiharbeitskräften und Festangestellten sind der Bundesregierung bekannt,
und zu welchen Ergebnissen kommen diese Studien?

Wie bewertet die Bundesregierung diese Ergebnisse im Einzelnen?

6. Wie hoch ist das Arbeitslosigkeits- bzw. Entlassungsrisiko von Leiharbeits-
kräften im Vergleich zu anderen Beschäftigungsformen, und wie bewertet
die Bundesregierung dieses Risiko (bitte nach Ost/West, Alter und Ge-
schlecht differenzieren)?

Wie viele der Beschäftigten der Leiharbeitsbranche werden pro Monat ar-
beitslos, und wie stellt sich diese Zahl im Vergleich zu anderen Branchen
dar?

7. Ist der Bundesregierung die Untersuchung des DGB zu „Leiharbeit und
Arbeitslosigkeit“ (April 2010) und die dort vorgestellten Ergebnisse zum
Entlassungs- bzw. Arbeitsmarktrisiko von Leiharbeitskräften bekannt, und
welche Schlüsse zieht sie aus den Ergebnissen?

8. Wie hoch ist die Fluktuation von Arbeitskräften in der Leiharbeitsbranche?

Wie viele Arbeitsverträge wurden in dieser Branche pro Jahr seit dem Jahr
2000 abgeschlossen, und wie viele beendet (bitte jährlich darstellen; bitte
nach Ost/West, Alter und Geschlecht differenzieren)?

Wie bewertet die Bundesregierung die hohe Fluktuation in dieser Branche,
und leitet sie hieraus gesetzgeberischen Handlungsbedarf ab?

9. Wie lange dauern zum einen Beschäftigungsverhältnisse in der Leiharbeit
und zum anderen Überlassungszeiträume (bitte jährlich von 2000 bis 2009
sowie die aktuellsten verfügbaren Daten darstellen; bitte nach Ost/West, Al-
ter und Geschlecht differenzieren; bitte sowohl im Durchschnitt als auch
differenziert nach Dauer angeben), und wie bewertet die Bundesregierung
diese Zahlen?

10. Wie viele Leiharbeitsverhältnisse werden pro Jahr beendet und münden an-
schließend wieder in ein erneutes Leiharbeitsverhältnis?
Wie viele der beendeten Leiharbeitsverhältnisse münden in Arbeitslosigkeit
(bitte jeweils jährlich seit 2000 darstellen inklusive der aktuellsten verfüg-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1874

baren Zahlen; bitte nach Ost/West, Alter und Geschlecht differenzieren;
bitte analog zu Frage 2 auch nach der vorherigen Arbeitsmarktnähe unter-
scheiden)?

11. Wie hoch ist der Anteil von zuvor Arbeitslosen bei den Einstellungen in der
Leiharbeitsbranche?

Wie hoch ist der Anteil von Langzeit-, und wie hoch der Anteil von Kurz-
zeitarbeitslosen (bitte jeweils nach Ost/West, Alter und Geschlecht differen-
zieren)?

Wie bewertet die Bundesregierung diese Zahlen?

12. Wie viele zuvor Arbeitslose, die ein Leiharbeitsverhältnis beginnen, gehen
nach Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses wieder in die Arbeitslosigkeit
(bitte nach der Dauer der Beschäftigung sowie nach Ost/West, Alter und Ge-
schlecht differenzieren; bitte auch nach Kurz- und Langzeitarbeitslosen un-
terscheiden)?

13. Wie viele der Arbeitslosen, deren Arbeitslosigkeit aus der Beendigung eines
Leiharbeitsverhältnisses resultiert, erhalten Arbeitslosengeld I, und wie viele
nur Arbeitslosengeld II?

Wie viele der Arbeitslosen, die Arbeitslosengeld I bekommen, erhalten auf-
stockend zu diesem, Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II) (bitte nach Ost/West, Alter und Geschlecht differenzieren)?

Wie hoch ist durchschnittlich das Arbeitslosengeld I bei Arbeitslosen, die
zuvor in einem Leiharbeitsverhältnis beschäftigt waren (bitte ebenfalls nach
Ost/West, Alter und Geschlecht differenzieren)?

14. Wie hoch ist der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten in der Leiharbeits-
branche?

Wie hoch ist aktuell die durchschnittliche monatliche Entlohnung von Leih-
arbeitskräften (bitte nach Vollzeit/Teilzeit, Ost/West, Alter und Geschlecht
differenzieren), und wie hat sich diese seit dem Jahr 1999 entwickelt (bitte
jährlich darstellen, falls möglich; ansonsten bitte vorhandene Daten ange-
ben)?

Wie bewertet die Bundesregierung diese Zahlen, und leitet sie hieraus ge-
setzgeberischen Handlungsbedarf ab?

15. Ist der Bundesregierung diesbezüglich die Studie des Arbeitsministeriums
in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2008 bekannt („Zeitarbeit in Nord-
rhein-Westfalen. Strukturen, Einsatzstrategien, Entgelte“)?

Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse dieser Studie?

16. Wie viele Leiharbeitskräfte erhalten aktuell Aufstockungsleistungen nach
dem SGB II, und wie viele waren dies in den Jahren 2005 bis 2009 (bitte
jährlich angeben)?

Wie hoch waren jährlich von 2005 bis 2009 die finanziellen Mittel, die die
Grundsicherungsträger für die Aufstockung der Löhne von Leiharbeitskräf-
ten verwendet haben, und wie hoch sind sie aktuell?

17. Wie gestalten sich die qualifikationsgerechte Beschäftigung von Leihar-
beitskräften und das Risiko ihrer Dequalifikation, und wie bewertet die
Bundesregierung die Situation?

Welche Studien sind ihr hierzu darüber hinaus bekannt, und welche
Schlüsse zieht sie aus diesen?

Drucksache 17/1874 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
18. Wie hoch sind die Gesundheitsbelastungen und Krankheitsrisiken von Leih-
arbeitskräften (auch im Verhältnis zu anderen Beschäftigungsformen bzw.
Branchen), und wie bewertet sie diese Zahlen?

Ist der Bundesregierung diesbezüglich der Gesundheitsreport der Techniker
Krankenkasse (TK) bekannt (TK Gesundheitsreport 2008), und wie bewer-
tet sie dessen Ergebnisse?

Welche zusätzlichen Kosten entstehen den gesetzlichen Krankenversiche-
rungen durch das erhöhte Gesundheitsrisiko bei Leiharbeitsbeschäftigten?

19. Wie hoch ist das Arbeitsunfallrisiko von Leiharbeitskräften (auch im Ver-
gleich zu anderen Beschäftigungsformen bzw. Branchen), und wie bewertet
die Bundesregierung die Situation?

Sieht sie hier gesetzgeberischen Handlungsbedarf?

20. Wie viele Leiharbeitsbeschäftigte werden aktuell durch einen Lohnkosten-
zuschuss der Bundesagentur für Arbeit gefördert?

Wie viele waren es in den Jahren 2000 bis 2009 (bitte pro Jahr einzeln auf-
führen; bitte nach Ost/West, Alter und Geschlecht differenzieren)?

Wie hoch waren jeweils pro Jahr die aufgewendeten Finanzmittel (bitte als
Durchschnitt pro Förderfall sowie insgesamt angeben)?

21. Wie viele Verleiher nutzen für wie viele zuvor Arbeitslose die Möglichkeit,
bei deren Einstellung bis zu sechs Wochen lediglich eine Nettoarbeitsentgelt
in Höhe des zuletzt erhaltenen Arbeitslosengeldes zu zahlen (bitte jährlich
seit dem Jahr 2000 darstellen sowie die aktuellsten verfügbaren Zahlen nut-
zen; bitte nach Ost/West, Alter und Geschlecht differenzieren)?

22. Wie viel Überprüfungen von Verleihfirmen aufgrund eines Verdachts auf
Verstöße gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz bzw. die Genehmi-
gungspflicht hat die Bundesagentur für Arbeit jährlich seit 2000 veranlasst?

Wie viele Fälle gab es, in denen die Genehmigung entzogen wurde?

Wenn ja, aus welchen Gründen?

Wurden Sanktionen ausgesprochen?

Wenn ja, welcher Art?

23. Erachtet die Bundesregierung die rechtlichen Möglichkeiten der Bundes-
agentur für Arbeit, Verdachts- und Missbrauchsfällen nachzugehen, für aus-
reichend?

Berlin, den 26. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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