BT-Drucksache 17/1870

Strategie EU 2020 - Verfolgung des Ziels, die Zahl der Europäer, die unter der Armutsgrenze leben, um 25 Prozent zu senken

Vom 27. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1870
17. Wahlperiode 27. 05. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Markus Kurth, Manuel Sarrazin, Fritz Kuhn, Katrin
Göring-Eckardt, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Beate
Müller-Gemmeke, Ingrid Nestle, Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg,
Dr. Gerhard Schick, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Strategie EU 2020 – Verfolgung des Ziels, die Zahl der Europäer, die unter der
Armutsgrenze leben, um 25 Prozent zu senken

Am 3. März 2010 hat die EU-Kommission ihre Mitteilung zur so genannten EU-
2020-Strategie mit dem Titel „Europa 2020 – Eine Strategie für intelligentes,
nachhaltiges und integratives Wachstum“ (KOM(2010) 2020) vorgelegt. Auf
dem Europäischen Rat am 17./18. Juni 2010 soll die Strategie von den Staats-
und Regierungschefs angenommen werden. In ihrer Mitteilung schlägt die
EU-Kommission fünf Kernziele vor, die die Mitgliedstaaten der EU bis 2020 er-
reichen sollen. Eines der Ziele sieht vor, die Zahl der armutsgefährdeten Per-
sonen bis 2020 um 20 Millionen zu senken. Das bedeutet eine Senkung der in
Armut lebenden Menschen um 25 Prozent. Die 25 Prozent beziehen sich auf den
so genannten relativen Armutsindikator oder 60 Prozent des Medianeinkom-
mens. Bereits 2001 hat sich der Europäische Rat in Laeken auf diesen Indikator
als Indikator für das Armutsrisiko („at risk of poverty“) für die Armutsbericht-
erstattung in Europa geeinigt und seitdem hat er sich als gängiger Indikator für
internationale Vergleiche in der EU etabliert. Seit diesem Beschluss wurde er
auch von der Bundesregierung sowohl bei den Nationalen Aktionsplänen für
soziale Eingliederung als auch für die Armuts- und Reichtumsberichte der
Bundesregierung verwendet.

Auf dem Europäischen Rat am 25./26. März 2010 sollte eine erste politische
Einigung über die fünf Kernziele erfolgen. Die Bundesregierung hat aber auf
dieser Tagung Kritik an der Verfolgung dieses Ziels und an dem vorgeschla-
genen Indikator zur Messung der Armut geäußert. Daraufhin wurde die politi-
sche Einigung über dieses Ziel, sowie über die Ziele im Bereich der Bildungs-
politik, vertagt (siehe Schlussfolgerungen zum Europäischen Rat, Tagung am
25./26. März 2010).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hält die Bundesregierung das Ziel eines integrativen Wachstums als eines der

Zielbestimmungen im Rahmen der Strategie EU 2020 für erstrebenswert, und
was versteht die Bundesregierung unter diesen Begriff?

2. Welchen Stellenwert haben für die Bundesregierung sozialpolitische Ziele im
Rahmen der EU-2020-Strategie?

Drucksache 17/1870 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Hält es die Bundesregierung für ein erstrebenswertes Ziel, gemeinsam im
Rahmen der Offenen Methode der Koordinierung Anstrengungen zu unter-
nehmen,

a) die Armut in der EU zu reduzieren,

b) innerhalb der nächsten 10 Jahre konkret anzustreben, die Zahl der Euro-
päerinnen und Europäer, die unter den relativen nationalen Armutsgren-
zen leben, zu senken und

c) diese Zahl um 25 Prozent bis zum Jahr 2020 zu senken,

und wenn nein, warum nicht?

4. Welche anderen Indikatoren zur Messung relativer Armut als den 2001 vom
Europäischen Rat eingeführten, der sich an 60 Prozent des Medianeinkom-
mens im jeweiligen Mitgliedsstaat orientiert, sind der Bundesregierung
bekannt, und hält die Bundesregierung sie für besser geeignet, und wenn ja,
warum?

5. Welche Kritik hat die Bundesregierung an dem in Laeken beschlossenen
Armutsinidikator, und seit wann und wie äußert die Bundesregierung diese
Kritik bzw. hat diese geäußert?

6. Hat die Bundesregierung Kritik an

a) der Wahl der Äquivalenzskala,

b) der Höhe der Prozentzahl der relativen Armutsgrenze,

c) der Verwendung nationaler Durchschnitte,

d) der Berücksichtigung ausschließlich des Einkommens,

und welche Alternativen schlägt die Bundesregierung jeweils vor?

7. Hat sie den bzw. die unter Frage 3 angegeben Indikatoren bereits auf einer
Sitzung des Europäischen Rates vorgeschlagen, und wenn die Bundesregie-
rung diesen Indikator bereits auf der Tagung des Europäischen Rates im
März 2010 vorgeschlagen hat, welche Widerstände gab es im Rat dies-
bezüglich, und warum?

8. Hält die Bundesregierung den bzw. die unter Frage 3 genannten Indikato-
ren in der EU für konsensfähig, um ihn/sie auf dem Europäischen Rat am
17./18. Juni 2010 für den Beschluss vorzuschlagen?

9. Falls die Bundesregierung weitere Indikatoren zur Messung relativer Armut
vorschlägt, sollen diese komplementär zum Indikator eingesetzt werden, der
sich an 60 Prozent des Medianeinkommens orientiert, oder diesen Indikator
ersetzen, und hat sie das bereits auf dem Europäischen Rat am 25./26. März
2010 vorgeschlagen?

10. Warum wurden diese Vorschläge nicht in das Abschlussdokument, d. h. in
die Schlussfolgerungen vom Europäischen Rat am 25./26. März 2010, auf-
genommen, und könnte die Bundesregierung die Gegenargumente der ande-
ren Regierungen und der Europäischen Kommission detailliert erläutern?

11. Falls die Bundesregierung keine weiteren Indikatoren zur Messung relativer
Armut vorschlägt, soll die relative Armut weiterhin anhand des Indikators,
der sich an 60 Prozent des Medianeinkommens orientiert, ermittelt werden?

12. Wie begründet die Bundesregierung ihre Ablehnung gegenüber dem Indika-
tor, der sich an den 60 Prozent des Medianeinkommens orientiert, vor dem
Hintergrund, dass dieser auf dem Europäischen Rat in Laeken angenommen
wurde und seitdem als gängiger Indikator, z. B. im Rahmen der offenen

Methode der Koordinierung, angewendet wird?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1870

13. Hat die Bundesregierung Kritik an weiteren in Laeken beschlossenen Indi-
katoren, und wenn ja, an welchen, und warum?

14. Hält die Bundesregierung die vorgeschlagene Reduzierung der Armut um
25 Prozent für zu niedrig oder zu hoch, oder hält die Bundesregierung ein
quantitatives Ziel grundsätzlich für falsch?

15. Wenn die Bundesregierung ein quantitatives Ziel grundsätzlich für falsch
hält, warum kritisiert sie nicht auch andere quantitative Ziele, wie z. B. die
zur Beschäftigung, oder werden auch diese von der Bundesregierung in
Frage gestellt?

16. Wie interpretiert die Bundesregierung Artikel 151 und insbesondere Arti-
kel 153 Absatz 1 Buchstabe j des Vertrags über die Arbeitsweise der Euro-
päischen Union (AEUV), der besagt, dass die Union die Tätigkeiten der
Mitgliedstaaten bei der Verwirklichung des Zieles „Bekämpfung der sozia-
len Ausgrenzung“ unterstützt und ergänzt?

17. Unterstützt die Bundesregierung den Vorschlag der EU-Kommission, im
Rahmen der EU-2020-Strategie als eine der sieben Leitinitiativen die
Etablierung einer „Europäischen Plattform zur Bekämpfung der Armut“
einzurichten, und wie hat sich die Bundesregierung hierzu im Rat geäußert?

18. Was sollten nach Auffassung der Bundesregierung die Aufgaben einer
„Europäischen Plattform zur Bekämpfung der Armut“ sein?

Berlin, den 27. Mai 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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