BT-Drucksache 17/163

Verpflichtendes Register zur Veröffentlichung von klinischen Studien

Vom 4. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/163
17. Wahlperiode 04. 12. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Dr. Martina Bunge, Nicole Gohlke,
Dr. Rosemarie Hein, Inge Höger, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Verpflichtendes Register zur Veröffentlichung von klinischen Studien

In Deutschland ist erneut eine Debatte um eine verpflichtende Registrierung und
Veröffentlichung von klinischen Studien der Pharma- und Gesundheitsforschung
entbrannt. Anlass ist die Bewertung von drei Antidepressiva durch das Institut
für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), in die erst
auf öffentlichen Druck hin alle existierenden Studiendaten einbezogen werden
konnten. Das IQWIG gibt an, dass von 5 100 Testpersonen lediglich Daten von
etwa 1 600 Patientinnen und Patienten transparent publiziert worden sind.

Während in den USA seit dem Inkrafttreten des Food and Drug Administration
Amendments Act (FDAAA) im Jahr 2007 eine Verpflichtung zur Registrierung
und Veröffentlichung aller Daten aus klinischen Studien für zugelassene
Arzneimittel besteht, existiert in der EU eine Richtlinie, die eine Registrierung
von Studien bei der europäischen Datenbank EudraCT vorsieht. Dieses Register
ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich und bezieht sich zudem ausschließlich auf
Arzneimittelstudien.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben in statistischen Erhebungen
festgestellt, dass weltweit nur ein Teil der in klinischen Studien erhobenen Daten
zur Veröffentlichung kommt. Dies betrifft zumeist den Teil, der eine positive
Wirkung der entsprechenden Arzneimittel und Therapien bestätigt. Belege für
negative Nebenwirkungen oder Wirkungslosigkeit von Therapeutika werden
deutlich seltener publiziert.

Ärztinnen und Ärzte, aber auch Patientinnen und Patienten und die Wissenschaft
selbst haben wegen dieser Verzerrung in der Publikationspraxis („Publication
Bias“) keinen Zugang zu ausgewogenen Informationen – so die Einschätzung
etwa des Leiters des Deutschen Cochrane Zentrums, Dr. Gerd Antes. Auch Insti-
tutionen, die mittelbar oder unmittelbar Verantwortung für Effizienz und Trans-
parenz im öffentlichen Gesundheitswesen tragen, wie der Gemeinsame Bundes-
ausschuss (G-BA) oder das genannte IQWIG, können Einschätzungen nur auf
einer unvollständigen Datengrundlage treffen. Zudem werden einem Teil der
Versuchspersonen die mit ihrer Hilfe erarbeiteten Wissensbestände durch Nicht-

publikation vorenthalten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung in Bezug auf die Tatsache
vor, dass nur ein Teil der in klinischen Studien in Deutschland erhobenen
Daten zur Publikation kommt?

Drucksache 17/163 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Kann die Bundesregierung einschätzen, in welchem Umfang Patientinnen
und Patienten nutzlose oder gar schädliche Behandlungen erhalten haben,
weil nicht alle Daten aus klinischen Studien publiziert wurden?

3. Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen dem Fakt,
dass mehr als 70 Prozent der klinischen Studien hierzulande durch die
Industrie gesponsert werden, und einer unzureichenden Publikationspraxis?

4. Wie schätzt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Informa-
tionsgrundlage ein, auf der Institutionen wie der Gemeinsame Bundes-
ausschuss (G-BA) und zuarbeitende Institute wie das Institut für Qualität
und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) Entscheidungen
über die Erstattungsfähigkeit von Medikamenten treffen?

5. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um die Informa-
tionsgrundlage von IQWIG und G-BA zu Ergebnissen von klinischen
Studien zu verbessern?

6. Inwieweit ist aus Sicht der Bundesregierung die Selbstverpflichtung der in-
ternationalen Pharmaindustrie aus dem Jahr 2005 erfolgreich, Informationen
zu klinischen Studien umfangreich offenzulegen (bitte mit Begründung)?

7. Sind der Bundesregierung Unternehmen der Pharmabranche bekannt, die
keine Vereinbarung mit dem IQWIG getroffen haben, das komplette Daten-
material aus den von ihnen verantworteten Studien zur Verfügung zu stellen
bzw. die eine derartige bereits getroffene Vereinbarung nicht oder nur un-
vollständig befolgen?

8. Wie häufig tritt aus Sicht der Bundesregierung der Umstand ein, dass ver-
schiedene Pharmahersteller mehrere Tests zum selben Wirkstoff durchfüh-
ren, weil Vorstudien nicht veröffentlicht wurden, und welche Folgen bzw.
Belastungen hat dies aus Sicht der Bundesregierung?

9. Wie bedeutend schätzt die Bundesregierung den volkswirtschaftlichen
Schaden und das ethische Problem dieser Mehrfachstudien ein, die von ver-
schiedenen Herstellern zum selben Wirkstoff durchgeführt werden?

10. Welche Art von Informationen und Daten zu klinischen Studien werden für
die europäische Datenbank EudraCT registriert?

11. Werden in EudraCT auch unerwünschte Ereignisse wie Neben- oder Wech-
selwirkungen oder Wirkungslosigkeit verzeichnet?

12. Über wie viele Studien enthält die Datenbank EudraCT zum jetzigen Zeit-
punkt Informationen?

Sind dies alle klinischen Studien, die im Bezugszeitraum in der EU durch-
geführt wurden?

13. Ist eine Erweiterung der Datenbank EudraCT auf Studien zu Therapeutika,
Operationen, medizinischen Hilfsmitteln oder Diagnostika wie Bluttests ge-
plant, und welche Haltung nimmt dazu die Bundesregierung ein?

14. Kommen die Informationen über Wirksamkeit und Nebenwirkungen von
Medikamenten in der EudraCT-Plattform der wissenschaftlichen Arbeit,
etwa im Rahmen von Vergleichsstudien, Versorgungsforschung oder einer
Nutzenbewertung, zugute?

Wenn nein, warum nicht?

15. Inwieweit hält die Bundesregierung die derzeit bestehende Regelung für
zielführend, wonach Daten aus klinischen Studien, registriert auf der Platt-
form EudraCT, lediglich Mitgliedstaaten, der europäischen Agentur für
Arzneimittel EMEA und der EU-Kommission, zugänglich sind, nicht jedoch
der Öffentlichkeit?
Sieht die Bundesregierung hier Änderungsbedarf (bitte mit Begründung)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/163

16. Wie schätzt die Bundesregierung Umfang, Qualität und Validität der auf
EudraCT erhobenen Daten aus klinischen Studien, etwa im Vergleich zum
US-amerikanischen Register ClinicalTrials.gov, ein?

17. Inwieweit und ab wann sollen auf der öffentlich zugänglichen Datenbank
EudraPharm (www.eudrapharm.eu), die Produktinformationen zu Medika-
menten bereitstellt, Registrierungsinformationen von EudraCT öffentlich
zugänglich gemacht werden?

18. Inwieweit, ab wann, und in welcher Form sollen auf der öffentlich zugäng-
lichen Datenbank EudraPharm auch Ergebnisse aus klinischen Studien ver-
öffentlicht werden?

19. Welcher Anteil der in Deutschland durchgeführten klinischen Studien ist
beim kürzlich eingerichteten Deutschen Register Klinischer Studien (DRKS)
registriert (bitte in absoluten Zahlen und in Prozent)?

20. Welchen Nutzen für ein transparentes und effizientes Gesundheitswesen
bzw. für die Gesundheitsforschung sieht die Bundesregierung in der frei-
willigen Registrierung von Studien beim DRKS?

21. Welchen Nutzen für ein transparentes und effizientes Gesundheitswesen
bzw. für die Gesundheitsforschung könnte eine rechtlich verbindliche und
entsprechend sanktionierte Registrierungs- und Veröffentlichungspflicht für
klinische Studien in Europa aus Sicht der Bundesregierung haben?

Wird die Bundesregierung in diese Richtung tätig werden?

22. Inwieweit könnten die neuen Regelungen der Section 801 des US-amerika-
nischen Food and Drug Administration Amendments Act (FDAAA) Vorbild
für eine solche Veröffentlichungspflicht im europäischen Maßstab sein?

23. Welche Mitgliedstaaten der EU setzen sich für eine rechtlich verbindliche
und entsprechend sanktionierte Veröffentlichungspflicht aller Daten und
Ergebnisse aus klinischen Studien ein?

24. Setzt sich die Bundesregierung für eine entsprechende Veröffentlichungs-
pflicht aller Daten und Ergebnisse aus klinischen Studien ein (bei positiver
Antwort bitte konkrete Maßnahmen nennen)?

Berlin, den 4. Dezember 2009

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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