BT-Drucksache 17/14793

Humanitäre Auswirkungen von Atomwaffen und die nukleare Teilhabe Deutschlands

Vom 24. September 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14793
17. Wahlperiode 24. 09. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Agnes Brugger, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy,
Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Humanitäre Auswirkungen von Atomwaffen und die nukleare Teilhabe
Deutschlands

Mit seiner Rede vom 19. Juni 2013 in Berlin hat der amerikanische Präsident
Barack Obama das Thema Atomwaffen erneut prominent angesprochen und so-
mit auf der internationalen Agenda nach vorn gerückt. Sie bekräftigt das Ver-
sprechen der Prager Rede von 2009 zur nuklearen Abrüstung noch einmal –
ausgesprochen vor dem Brandenburger Tor, dem Ort, der wie kein anderer für
das Ende des Kalten Krieges steht. Der Verbleib von Atomwaffen in unserer
Welt und insbesondere auf deutschem Staatsgebiet steht dagegen für eine Mili-
tärdoktrin, die noch immer im Denken des Kalten Krieges verhaftet ist.

Umso wichtiger ist es, die Initiative aus Barack Obamas Rede vor dem Branden-
burger Tor zur nuklearen Abrüstung zu unterstützen und einzufordern. Dazu ge-
hört auch, die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen endlich noch stärker
in die abrüstungspolitische Diskussion mit einzubeziehen. Mit diesem Ziel hat
der NATO-Partner Norwegen im März 2013 eine Konferenz über die humani-
tären Auswirkungen von Atomwaffen ausgerichtet, an der 128 Staaten teil-
nahmen. Im April 2013 versammelte sich die Staatengemeinschaft in Genf zur
zweiten Vorbereitungssitzung zur Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nicht-
verbreitungsvertrages (NVV), wo sich insgesamt 80 Staaten der sogenannten
Humanitären Initiative des ehemaligen Atomwaffenstaates Südafrika anschlos-
sen, darunter vier NATO-Alliierte sowie vier Partner aus der Nichtverbreitungs-
und Abrüstungsinitiative (NPDI). Die Bundesregierung hat sich einer Unterstüt-
zung durch Deutschland verweigert (Department for International Relations and
Cooperation, Republic of South Africa, Joint Statement „The humanitarian im-
pact of nuclear weapons“ im Rahmen des zweiten Treffens des Vorbereitungs-
komitees für die Überprüfungskonferenz des NVV 2015, Genf, 24. April 2013).
Die nächste Gelegenheit, sich dieser Erklärung anzuschließen, bietet sich vor-
aussichtlich im Oktober 2013 mit dem Ersten Ausschuss der Generalversamm-
lung der Vereinten Nationen.
Die „Ergebnisoffene Arbeitsgruppe zur Erarbeitung neuer Vorschläge um
multilaterale nukleare Abrüstungsverhandlungen voranzubringen“ (OEWG)
sowie das „Hochrangige Treffen zur nuklearen Abrüstung“ am Rande der Ge-
neralversammlung der Vereinten Nationen sind weitere multilaterale Initiati-
ven, die für den Fortgang der nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung von
großer Bedeutung sind. Auch von der Folgekonferenz zu den humanitären Aus-

Drucksache 17/14793 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

wirkungen von Atomwaffen Anfang 2014 in Mexiko ist eine neue Dynamik zu
erwarten.

Deutschland kann in diesem Rahmen eine wichtige Rolle einnehmen und sollte
seine Möglichkeiten in diesen verschiedenen Foren nutzen, die nukleare Abrüs-
tung aktiv und entschieden voranzutreiben und die humanitäre Initiative zu un-
terstützen.

Wir fragen die Bundesregierung:

Humanitäre Auswirkungen

1. Wie bewertet die Bundesregierung die humanitären Auswirkungen eines
Atomwaffeneinsatzes?

2. Wie bewertet die Bundesregierung den Einsatz von Atomwaffen vor dem
Hintergrund des humanitären Völkerrechts?

3. Wird der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, am
„Hochrangigen Treffen zur nuklearen Abrüstung“ am 26. September 2013
am Rande der Generalversammlung in New York teilnehmen?

4. Besteht nach Auffassung der Bundesregierung eine gewohnheitsvölker-
rechtliche Ächtung des Einsatzes von Atomwaffen?

5. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung diesbezüglich aus den jüngeren
Statements der USA in der Genfer Abrüstungskonferenz, in der sie eine Tra-
dition des Nichteinsatzes hervorheben?

6. Aufgrund welcher spezifischen Formulierung in der am 24. April 2013 von
Südafrika vorgetragenen gemeinsamen Erklärung über die humanitären
Auswirkungen von Nuklearwaffen hat die Bundesregierung von einer Un-
terstützung der Erklärung abgesehen (Department for International Rela-
tions and Cooperation, Republic of South Africa, Joint Statement „The
humanitarian impact of nuclear weapons“ im Rahmen des zweiten Treffens
des Vorbereitungskomitees für die Überprüfungskonferenz des NVV 2015,
Genf, 24. April 2013)?

Gibt es konkrete Verpflichtungen durch die Mitgliedschaft Deutschlands in
der NATO, die aus Sicht der Bundesregierung einer Unterstützung der ge-
meinsamen Erklärung entgegenstehen?

Falls ja, um welche konkreten Verpflichtungen handelt es sich?

7. Welche Fortschritte wurden in den von Bundesaußenminister Dr. Guido
Westerwelle angekündigten Konsultationen der Bundesregierung mit den
Initiatoren der Erklärung über die humanitären Auswirkungen von Atomwaf-
fen erreicht hinsichtlich einer Unterstützung der Initiative durch Deutschland
(Schreiben des Bundesaußenministers Dr. Guido Westerwelle vom 7. Mai
2013 an die Abgeordnete Uta Zapf, Vorsitzende des Unterausschusses
„Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ des Auswärtigen
Ausschusses des Deutschen Bundestages)?

Wird sich die Bundesregierung dieser Initiative in einer zukünftigen Itera-
tion anschließen?

8. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung zur Gewährleistung einer
wirksamen humanitären Krisenreaktion im Falle einer Atomwaffendetona-
tion in Deutschland oder in Drittstaaten, nachdem Präsident Barack Obama in
Berlin sagte, die Welt könne nicht wirklich sicher sein, solange Atomwaffen
existieren?

a) Was ist der aktuelle Stand der Überprüfung des nationalen Krisenmanage-

ments im Umgang mit den humanitären Folgen einer nuklearen Detona-
tion?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14793

b) Welche Stellen und Institutionen werden hierfür mit einbezogen (bitte in
einer Liste nach Zuständigkeiten und Fähigkeiten aufschlüsseln)?

c) Welche Vorsorge wird für den Katastrophenfall getroffen im Hinblick
auf Einsatzpläne, Zurverfügungstellung von Rettungskräften, Resilienz
der Infrastruktur und Vorhalten geeigneter medizinischer Notfallkapazi-
täten?

d) Inwieweit wird im Rahmen des europäischen Katastrophenschutz-
mechanismus die Vorsorge für den konkreten Fall einer nuklearen Deto-
nation koordiniert?

Welche Strukturen und welche Aufgabenverteilung wurden zur Koordi-
nation auf europäischer Ebene geschaffen bzw. vereinbart?

Nukleare Teilhabe und Modernisierung der US-Atomwaffen in Deutschland

9. Welche Demarchen hat die Bundesregierung mit welchen Ergebnissen
unternommen, damit die im Nichtverbreitungsvertrag anerkannten Atom-
waffenstaaten das Berichtsformat der NPDI annehmen und zur Herstellung
von Transparenz umsetzen?

a) Wird die Bundesregierung das Berichtsformat nutzen, um Transparenz
über die in Deutschland stationierten US-Atomwaffen herzustellen?

b) Wird die Bundesregierung der 2014 stattfindenden Vorbereitungskonfe-
renz des Nichtverbreitungsvertrages einen Bericht über ihre Bemühun-
gen vorlegen, die Rolle von Atomwaffen innerhalb der NATO zu redu-
zieren, wie es Aktion 5 des 2010 auf der Überprüfungskonferenz des
Nichtverbreitungsvertrages per Konsens angenommenen Aktionsplans
vorschreibt?

c) Gibt es innerhalb der NPDI eine Diskussion, wie die Staaten, die eine
sogenannte positive Sicherheitsstrategie seitens der USA haben, ihre
Abhängigkeit von Atomwaffen in ihren Sicherheitsstrategien reduzieren
können, wie Aktion 5 des 2010 NVV-Abschlussdokumentes es vor-
schreibt?

10. Wie stellt die Bundesregierung gegenüber den USA sicher, dass die deut-
sche Position und der Beschluss des Deutschen Bundestages zum Abzug
(Bundestagsdrucksache 17/1159) der in Deutschland stationierten US-
Atomwaffen vom Typ B-61 im Rahmen der Budgetallokation zur Moderni-
sierung dieser Waffen Berücksichtigung findet?

11. Kann der Abzug der US-Atomwaffen in Deutschland aus Sicht der Bun-
desregierung als Gegenleistung in die Abrüstungsverhandlungen mit Russ-
land einbezogen werden, und falls ja, inwiefern kann dies zur Herstellung
von Transparenz bzw. zur beidseitigen Reduktion im substrategischen
Atomwaffenarsenal beitragen?

12. Ermöglicht der lasergesteuerte Lenkflugkörper der B61-12 gegenüber der
aktuellen, freifallenden B61 neue militärische Einsatzmöglichkeiten?

a) Stellt die B61-12 lediglich eine Betriebsdauerverlängerung („life exten-
sion program“) gemäß der im April 2010 veröffentlichten Nuclear Pos-
ture Review der USA (S. 39) dar, oder handelt es sich aufgrund der neuen
Eigenschaften und Fähigkeiten des Sprengkörpers um eine neue Waffe?

b) Inwiefern ist die Modernisierung der B61 vereinbar mit dem NPDI-
Arbeitspapier zur 2012 abgehaltenen NVV-Vorbereitungskonferenz
(NPT/CONF.2015/PC.II/WP.4, operativer § 10), welches dazu auffor-

dert, keine neuen Sprengköpfe zu entwickeln?

Drucksache 17/14793 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
13. Schließt die Bundesregierung eine Beteiligung an den Kosten der Moderni-
sierung in Deutschland stationierter Atomwaffen aus?

14. Welche Kosten entstehen der Bundeswehr insgesamt im Jahr 2013 für das
Bereithalten von Trägersystemen, Personal und Infrastruktur für die US-
Atomwaffen in Deutschland?

15. Wie bewertet die Bundesregierung am Ende der Legislaturperiode ihre
Schritte zum Abzug der in Deutschland verbliebenen Atomwaffen, den sie
sich im Koalitionsvertrag 2009 zum Ziel gesetzt hat (Koalitionsvertrag
S. 120)?

Berlin, den 24. September 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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