BT-Drucksache 17/1475

Klimaschutzziele gesetzlich verankern

Vom 22. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1475
17. Wahlperiode 22. 04. 2010

Antrag
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dorothee Menzner, Sabine Stüber,
Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Ralph Lenkert, Ulla Lötzer, Richard Pitterle,
Michael Schlecht, Dr. Herbert Schui, Dr. Axel Troost, Sahra Wagenknecht
und der Fraktion DIE LINKE.

Klimaschutzziele gesetzlich verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Klimawandel schreitet schneller voran als erwartet. Schon heute sind ins-
besondere Menschen in Regionen betroffen, die am wenigsten zur globalen
Erwärmung beigetragen haben. Gleichzeitig hat sich trotz 20-jähriger UN- Kli-
maverhandlungen der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen im letzten Jahr-
zehnt beschleunigt. Die Emissionsentwicklung liegt damit oberhalb des pessi-
mistischsten Szenarios des UN-Klimarates (Intergovernmental Panel on Climate
Change – IPCC). Sie ist weit entfernt vom Ziel der Europäischen Union und des
Copenhagen Accords, die globale Erwärmung auf 2 Grad gegenüber vorindust-
riellen Werten zu beschränken. Schon ein Temperaturanstieg von 1,5 Grad ließe
den Klimawandel für Millionen Menschen in vielen Regionen der Welt zu einer
Überlebensfrage werden. Er würde massive Verschlechterungen für Millionen
Menschen bedeuten und ganze Länder wie die Malediven oder flache Küsten-
gebiete wie in Bangladesch in ihrer Existenz bedrohen. In den ersten sieben Jah-
ren dieses Jahrhunderts wurde bereits ein Viertel der zwischen 2000 und 2050
für das Einhalten des 2-Grad-Ziels zulässigen Emissionsmenge freigesetzt. Tritt
im nächsten Jahrzehnt keine Trendumkehr beim globalen Klimagas-Ausstoß
ein, steuern wir auf Kipppunkte des Klimasystems zu – eine weitere globale Er-
wärmung wäre nicht mehr zu verhindern. Werden sie erreicht, wird es kaum
mehr möglich sein, grundlegende Änderungen des Erdklimas umzukehren.

Auf den UN-Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember letzten Jahres wurden
weltweit großen Hoffnungen gesetzt. Sie wurden enttäuscht, vor allem infolge
der Blockade beziehungsweise der Unbeweglichkeit großer Industriestaaten.
Ein rechtsverbindliches Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls ist nicht in
Sicht. Nach dem Scheitern des Gipfels ist es darum umso wichtiger, dass unab-
hängig vom Fortgang der internationalen Verhandlungen nationale Regierungen
anspruchsvolle Klimapolitik betreiben. Dafür sind unter anderem ambitionierte
Klimaschutzziele festzusetzen.
In Deutschland besteht hierbei momentan das Problem, dass die Klimaschutz-
ziele seitens der jeweiligen Bundesregierung bislang nur proklamiert wurden.
Entsprechend können die Ziele von der Regierung ohne Mitwirkung des Parla-
ments geändert werden. Abweichungen vom Zielpfad bleiben folgenlos, wie das
Beispiel der weit verfehlten Selbstverpflichtung Deutschlands zeigt, bis 2005
gegenüber 1990 den CO2-Ausstoß um 25 Prozent zu mindern. Aus diesem
Grund ist es notwendig, die Klimaschutzziele der Bundesrepublik Deutschland

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endlich gesetzlich festzuschreiben. Vorbild kann hier Großbritannien sein, wo
die nationalen Klimaschutzziele per Gesetz verankert wurden.
Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, die deutschen Treibhausgasemis-
sionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Dieses Ziel
wird jedoch durch die Meseberger Beschlüsse zum Integrierten Klimaschutz-
und Energiepaket (IKEP) nicht gedeckt. Studien kamen nach Verabschiedung
des IKEP zu dem Ergebnis, dass mit den eingeleiteten Maßnahmen lediglich et-
was über 30 Prozent Minderungen erzielt werden können. Dementsprechend
müssen zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden bzw. beschlos-
sene Maßnahmen daraufhin überprüft werden, welche Wirkung sie tatsächlich
auf die Senkung der Treibhausgasemissionen haben. Dafür ist unter anderem ein
fortlaufendes Monitoring der Zieleerfüllung notwendig.
Die Treibhausgasemissionen Deutschlands lagen laut Umweltbundesamt
(UBA) im Jahr 2009 infolge der Wirtschaftskrise um 8,4 Prozent unter denen
von 2008. Der Rückgang gegenüber 1990 wird vom UBA mit 29 Prozent ange-
geben. Aus Sicht des Klimaschutzes erleichtert es diese Entwicklung, die natio-
nalen Ziele auf ein Niveau anzuheben, welches den klimapolitischen Forderun-
gen an die Bundesrepublik Deutschland und ihrer postulierten Vorreiterrolle
gerecht wird. Das Anziehen der Wirtschaftstätigkeit nach der Krise muss für
einen sozialökologischen Strukturwandel genutzt werden, der dauerhaft ein
deutlich niedrigeres Emissionsniveau zur Folge hat.

Hinsichtlich der Höhe der Treibhausgasemissionen sind die wissenschaftlich ge-
botenen Einsparforderungen als Maßstab anzusetzen, die an Industriestaaten als
Hauptverursacher des Klimawandels gestellt werden. Der wissenschaftliche Bei-
rat Globale Umweltveränderungen bei der Bundesregierung (WGBU) etwa sieht
in seinem „Budget-Ansatz“ für Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland
eine Halbierung der Emissionen bis 2020 vor. Ferner ist zu berücksichtigen, dass
die Bundesrepublik Deutschland durch die sozial und wirtschaftlich katastro-
phale Deindustriealisierung Ostdeutschlands zumindest erhebliche „wallfall
profits“ im Klimaschutz erzielt hat. Fast die Hälfte der Treibhausgasminderun-
gen der Bundesrepublik Deutschland seit 1990 kann diesem Effekt zugeordnet
werden. Entsprechend muss die Minderungsleistung Deutschlands deutlich über
dem Durchschnitt der Industrieländer liegen.
Die zusätzlich zu ergreifenden Maßnahmen zum Schutz der Erdatmosphäre,
u. a. zum Umbau des Energiesystems, hin zu einer vollständig regenerativen
Erzeugung, sind nicht als Last zu begreifen, sondern als Chance für eine ökolo-
gische und sozial nachhaltige Entwicklung. So kann die Bundesrepublik
Deutschland nicht nur eine Vorreiterrolle im Klimaschutz einnehmen. Eine
solche Strategie wirkt gleichzeitig positiv auf Beschäftigung und Technologie-
entwicklung.
Bei der Abrechnung der nationalen und sektoralen Minderungsziele ist zu
berücksichtigen, dass die so genannten projektbasierten flexiblen Instrumente
im Klimaschutz, wie der Clean Development Mechanism (CDM), extrem miss-
brauchsanfällig sind. Mittels vermeintlicher Klimaschutzinvestitionen im Aus-
land werden dabei oft „faule“ Emissionsgutschriften erzeugt. Solche Zertifikate
ermöglichen es Betreibern von emissionshandelspflichtigen Anlagen, hier-
zulande die Erfüllung von Minderungspflichten abzurechnen, obwohl hinter den
Gutschriften keine zusätzlichen Emissionsminderungen im Süden stehen.
Dadurch werden nationale Klimaschutzziele hintergangen. Ähnliches ist abseh-
bar für zukünftig eventuell mögliche Gutschriften aus Landnutzungsänderungen
sowie aus vermiedener Entwaldung. Ihnen wird in Fachkreisen ein noch höheres
Missbrauchspotential zugeschrieben als Gutschriften aus CDM-Vorhaben. Sol-
che Emissionsgutschriften, sollten sie eingeführt werden, dürfen daher in der
Bundesrepublik Deutschland nicht zum Einsatz kommen.

In einem deutschen Klimaschutzgesetz sollten ferner Eckpunkte von langfris-
tigen Finanztransfers in Entwicklungsländer festgeschrieben werden. Diese sol-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1475

len es Ländern des globalen Südens ermöglichen, bei ihrer wirtschaftlichen Ent-
wicklung die fossile Phase in ihrem Energiesystem zu überspringen bzw. zügig
hinter sich zu lassen. Außerdem sollen die Gelder für Maßnahmen zur Anpas-
sung an den Klimawandel eingesetzt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ein deutsches Klimaschutzgesetz vorzulegen, welches
– Kohlendioxid (CO2) als Schadstoff definiert, ähnlich der Anfang Dezember

2009 von der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA vorgenommenen
Klassifizierung von CO2 als Gefahr für die öffentliche Gesundheit und das
Wohlergehen der Bevölkerung;

– ein nationales Klimaschutzziel bis 2020 in Höhe von mindestens 50 Prozent
Minderung der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 festschreibt;

– ein nationales Klimaschutzziel bis 2050 in Höhe von mindestens 90 Prozent
Minderung der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 festlegt;

– für die nicht dem europäischen Emissionshandelssystem unterliegenden Be-
reiche (Verkehr, Haushalte, Gewerbe, Dienstleistungen und Landwirtschaft)
zweijährliche Zwischenziele festsetzt;

– für die dem europäischen Emissionshandelssystem unterliegenden Sektoren
der deutschen Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie zwei-
jährliche Orientierungswerte formuliert;

– für die dem europäischen Emissionshandelssystem unterliegenden Sektoren
der deutschen Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie sowie
für die Abrechnung internationaler Minderungsverpflichtung der Bundes-
republik Deutschland gegenüber den Vereinten Nationen die Anrechnung
von Gutschriften aus projektbasierten flexiblen Instrumenten, wie dem Clean
Development Mechanism, für die Zeit nach 2012 untersagt;

– für die dem europäischen Emissionshandelssystem unterliegenden Sektoren
der deutschen Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie sowie
für die Abrechnung internationaler Minderungsverpflichtung der Bundes-
republik Deutschland gegenüber den Vereinten Nationen die Anrechnung
von evtl. entstehenden Gutschriften aus Landnutzungsänderungen und ver-
miedener Entwaldung bzw. Wiederaufforstung untersagt;

– für Deutschland einen geeigneten Sanktionsmechanismus für die Nichterfül-
lung von sektoralen Klimaschutzzielen entsprechend des Verursacherprin-
zips festschreibt;

– bei drohender Nichterfüllung der deutschen Klimaschutzziele rechtzeitig ei-
nen Mechanismus auslöst, in dessen Ergebnis zusätzliche Klimaschutzmaß-
nahmen ergriffen werden, um die Ziele zu erreichen;

– die Bundesregierung zu einem jährlichen Klimaschutzbericht verpflichtet, der
die anteilige Zielerfüllung und zu ergreifende Maßnahmen zum Inhalt hat;

– die Einsetzung einer unabhängigen Klimaschutzkommission festschreibt, die
vom Deutschen Bundestag eingesetzt wird und die die Bundesregierung bei
der Erfüllung der Klimaschutzziele unterstützt sowie gegebenenfalls Korrek-
turen bei den Zielen und Maßnahmen entsprechend dem neuesten wissen-
schaftlichen Kenntnisstand anregt;

– festlegt, dass Entwicklungsländer durch deutsche Finanzhilfen bei der Umset-
zung der Strategien zu einer emissionsarmen Entwicklung und zur Anpassung
an den Klimawandel ab 2011 mit jährlich 600 Mio. Euro ansteigend unter-
stützt werden, um ab 2020 die jährliche Summe von 7 Mrd. Euro zu erreichen.

Berlin, den 22. April 2010
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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