BT-Drucksache 17/14549

Entschädigung von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern polnischer Herkunft wegen Verfolgung im Nationalsozialismus

Vom 13. August 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14549
17. Wahlperiode 13. 08. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Andrej Hunko, Harald Koch,
Thomas Nord, Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Entschädigung von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern polnischer
Herkunft wegen Verfolgung im Nationalsozialismus

In den Jahren 2009 bis 2011 fanden im Umfeld des 20. Jahrestages des „Ver-
trages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über
gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“ von 1991 umfang-
reiche bilaterale Gespräche zwischen Regierungsvertretern der Republik Polen
und der Bundesrepublik Deutschland statt, an denen in Form des deutsch-polni-
schen Runden Tisches u. a. auch polnische Organisationen aus Deutschland ein-
gebunden waren.

Ein wichtiges Thema dieser bilateralen Gespräche war aufgrund der Forderun-
gen der polnischen Organisationen die Verfolgung der polnischen Minderheit
während der NS-Zeit. Im Ergebnis wurde das erste Mal in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland von Seiten offizieller Vertreter der Bundesrepublik
Deutschland die Tatsache der Verfolgung und Ermordung polnischer Personen
deutscher Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer ethnischen Herkunft während der
NS-Zeit anerkannt. Das wurde in der Bundestagsdebatte am 10. Juni 2011
ausdrücklich unterstrichen. So stellte der Bundestagsabgeordnete Karl-Georg
Wellmann (CDU/CSU) mit dem Hinweis auf die zum Schluss der Debatte ver-
abschiedete Entschließung „Deutschland und Polen – Verantwortung aus der
Geschichte, Zukunft in Europa“ (Bundestagsdrucksache 17/6145) fest: „Erst-
mals wird [in dem Bundestagsbeschluss – Anm. der Verf.] die in der NS-Zeit
enteignete und verfolgte polnische Minderheit genannt und geehrt. Das betrifft
vor allen Dingen diejenigen, die wegen ihrer Tätigkeit für diese Minderheit ins
KZ kamen und ermordet wurden. Das sind weit über 1 000. Es war überfällig,
dass wir diese Opfer ehren.“ (Plenarprotokoll 17/115).

Wenn auch die genannte Bundestagsentschließung in ihrem Kern bilaterale
Beziehungen zweier Staaten, der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Polen, zum Inhalt hat, so ist doch festzuhalten, dass hier das erste Mal das höchste
politische Gremium der Bundesrepublik Deutschland, der Deutsche Bundestag
als direkt gewähltes Organ der deutschen Bevölkerung, die Verfolgung der
polnischen Minderheit deutscher Staatsangehörigkeit während der NS-Zeit an-
erkannt hat: „Der Deutsche Bundestag will diese Opfer ehren und rehabilitieren.

Er spricht sich deshalb für die Einrichtung einer Dokumentationsstelle zur Ge-
schichte und Kultur der Polen in Deutschland aus.“.

Drucksache 17/14549 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Einrichtung dieser Dokumentationsstelle wurde zum Bestandteil der aus
diesen bilateralen Gesprächen resultierenden Dokumenten:

Gemeinsame Erklärung des Runden Tisches zu Fragen der Förderung der deut-
schen Minderheit in Polen und der polnisch-stämmigen Bürger und Polen in
Deutschland nach dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammen-
arbeit vom 17. Juni 1991; Gemeinsame Erklärung der Regierungen der Bundes-
republik Deutschland und der Republik Polen zum 20. Jahrestag der Unter-
zeichnung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammen-
arbeit: Nachbarn und Partner 20 Jahre gute Nachbarschaft vom 21. Juni 2011;
Programm der Zusammenarbeit anlässlich des 20. Jahrestags der Unterzeich-
nung des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, zwi-
schen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Polen vereinbart, 21. Juni 2011.

Im Gegensatz zur Benennung der „Dokumentationsstelle“ finden sich in diesen
Dokumenten keine Hinweise darauf, wie die Rehabilitation der verfolgten
Polinnen und Polen deutscher Staatsangehörigkeit vollzogen werden soll. Es
gibt auch keinerlei Hinweise auf eine mögliche materielle Entschädigung dieses
Personenkreises, wie auch darauf, ob es von Seiten der Bundesregierung Über-
legungen darüber gibt, was mit den 1939/1940 beschlagnahmten Immobilien
und anderen Gütern der polnischen Minderheit bzw. den erzielten Erlösen
daraus in Zukunft zu geschehen hat.

Anlässlich ihrer Hauptversammlung vom 11. November 2012 hat die Deutsch-
Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland auf ihrer in einer Reso-
lution kritisiert, dass das Eingeständnis der politischen Verfolgung und teil-
weise Ermordung der polnischen Minderheit während der NS-Zeit wie auch die
Schlussfolgerungen daraus von Seiten der Bundesrepublik Deutschland wäh-
rend bilateraler Verhandlungen erfolgt ist. Die Deutsch-Polnische Gesellschaft
stellte fest, dass die Diskussion über die Verfolgung deutscher Staatsbürger
anderer ethnischer Herkunft während der NS-Zeit und die entsprechend daraus
zu ziehenden Schlussfolgerungen in erster Linie eine Angelegenheit der inner-
deutschen Gesellschaft zu sein hat und nicht in bilaterale Gespräche ausgelagert
werden darf. Im Zuge der 1939/1940 erfolgten Auflösung und des Verbotes der
polnischen Organisationen wurde deren gesamtes Eigentum beschlagnahmt und
in Staatsbesitz überführt. Die Erlöse aus dem Verkauf wurden dem deutschen
Staatshaushalt zugeführt. Durch die Übernahme der Vermögen des Deutschen
Reiches durch die Bundesrepublik Deutschland sind so diese Erlöse in den
Besitz der Bundesrepublik Deutschland übergegangen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Aufarbeitung der Verfol-
gung und Ermordung polnischer Staatsangehöriger während der NS-Zeit
unabhängig von bilateralen Gesprächen in erster Linie eine Aufgabe der
bundesdeutschen Gesellschaft zu sein hat?

Welche Schritte gedenkt sie zu tun, damit die bundesdeutsche Gesellschaft
dieser Aufgabe gerecht wird?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14549

2. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass mit der Einrichtung einer „Doku-
mentationsstelle zur Geschichte und Kultur der Polen in Deutschland“, für
die sich der Deutsche Bundestag in seiner Entschließung „Deutschland und
Polen – Verantwortung aus der Geschichte, Zukunft in Europa“ (Bundestags-
drucksache 17/6145) ausgesprochen hat, die Rehabilitierung der polnischen
Minderheit noch nicht abgeschlossen ist, vor dem Hintergrund, dass die dor-
tige Passage „Der Deutsche Bundestag will diese Opfer ehren und rehabili-
tieren. Er spricht sich deshalb für die Einrichtung einer Dokumentationsstelle
zur Geschichte und Kultur der Polen in Deutschland aus.“, die mit Bezug auf
die polnische Minderheit erfolgte, so verstanden werden könnte, dass mit der
Einrichtung dieser „Dokumentationsstelle“ die Rehabilitierung der polnischen
Minderheit abgeschlossen sei, und welche weiteren entsprechenden Maß-
nahmen werden von ihr gegenwärtig erwogen?

3. Beabsichtigt die Bundesregierung, gesetzliche oder andere Maßnahmen zu
ergreifen, damit der genannte Personenkreis, wie auch seine Familien-
angehörigen neben der moralischen Rehabilitation auch eine materielle Ent-
schädigung für die erlittenen Haft- und Verfolgungszeiten erhalten?

Wenn nein, warum nicht?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es sich bei der 1939/1940 er-
folgten Auflösung und der dem Verbot der polnischen Organisationen an-
schließenden Beschlagnahmung ihres gesamten Eigentums im Grunde ge-
nommen um das den polnischen Organisationen geraubte Vermögen handelt?

5. Wie gedenkt die Bundesregierung mit diesem vom NS-Staat den polnischen
Organisationen im Grunde geraubten Vermögen in Zukunft umzugehen?

6. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass die Ursachen für die Verhinde-
rung der Rehabilitierung, die erst 2011 durch den Deutschen Bundestag auf
den Weg gebracht wurde und die bisher keinen Niederschlag in der Arbeit
von politischen Gremien auf Bundes- wie auf Landesebene sowie in gericht-
lichen Prozessen, wo Anträge polnischer NS-Verfolgter deutscher Staats-
angehörigkeit auf Rehabilitierung und Entschädigung immer wieder abge-
lehnt wurden, gefunden hat, als Teil der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland von unabhängigen wissenschaftlichen Institutionen schnellst-
möglich aufgearbeitet und dokumentiert werden muss?

Wenn nein, warum nicht?

7. Welche Möglichkeiten sieht und welche Schritte plant die Bundesregierung,
um die entsprechenden, die Rehabilitation verhindernden juristischen Urteile
und Beschlüsse auf Bundes- wie auf Landesebene aufheben zu können?

Berlin, den 13. August 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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