BT-Drucksache 17/14451

Mögliche ökonomisch motivierte Medizin in Krankenhäusern durch Fehlanreize der Fallpauschalen

Vom 23. Juli 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14451
17. Wahlperiode 23. 07. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Harald Weinberg, Kathrin Vogler, Diana Golze,
Dr. Martina Bunge, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Kathrin Senger -Schäfer,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche ökonomisch motivierte Medizin in Krankenhäusern durch Fehlanreize

Die Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups – DRG) in Krankenhäusern
wurden 2003 bis 2005 eingeführt. Seitdem werden Leistungen der Krankenhäu
ser nicht mehr nach Liegedauer, sondern pauschal nach Diagnose vergütet. Im
Gegensatz zu allen anderen Ländern werden die DRG in Deutschland als reines
Preissystem eingesetzt. Eine effektive Mengenbegrenzung gibt es nicht. Da die
Entgelte für die erbrachten Leistungen in den letzten Jahren langsamer stiegen
als die Kosten, wurde ein Teufelskreis in Gang gesetzt. Krankenhäuser können
nur überleben, wenn sie die Fallzahlen steigern. Das bedeutet, entweder müssen
mehr Patientinnen und Patienten behandelt oder die Invasivität der Behandlung
ausgeweitet werden – z. B. durch mehr Operationen oder andere Eingriffe. Die
Finanzsituation der Krankenhäuser wird zusätzlich dadurch bedroht, dass die
Länder ihrer Verpflichtung, die notwendigen Investitionen zu tragen, nicht
nachkommen und daher Investitionen über DRG-Erlöse finanziert werden müs
sen.

Kliniken üben durch Bonusverträge Druck auf Ärztinnen und Ärzte aus, damit
sie die Zahl lukrativer Operationen steigern. In der „ARD“ wird über Provisio
nen berichtet, die Kliniken ihren Ärztinnen und Ärzten für Privatliquidationen
zahlen (ARD-Krankenhaus-Report: „Wo Medizin Kasse macht“ vom 11. Juli
2013). Rund um die Krankenhäuser ist ein Wildwuchs von Anbietern aus Mar
keting, Presse, Öffentlichkeitsarbeit entstanden, die ihre Dienstleistungen an
bieten, um mehr Patientinnen und Patienten zu gewinnen. Krankenhäuser
spezialisieren sich auf bestimmte Abteilungen, die sich rechnen, z. B. Ortho
pädie, Kardiologie oder Schmerztherapie. Kliniken, die eine Grund- und Regel
versorgung anbieten, sind benachteiligt. Patientinnen und Patienten tragen aus
Sicht der Kliniken „unsichtbare Preisschilder“, die „gute“ und „böse“ Diagno
sen unterscheiden (ebd.). In diesen Fehlanreizen liegt der Grund dafür, dass
Deutschland „OP-
Für Patientinnen und Patienten bedeutet das, sie müssen sich überflüssigen oder
medizinisch nicht indizierten Eingriffen unterziehen, um den Krankenhäusern
ein Überleben zu ermöglichen. Eine „ökonomisch motivierte Medizin“ (ebd.)
stellt nicht vorrangig das Wohl der Patientinnen und Patienten in den Mittel
punkt, sondern wirtschaftliche Kriterien. Zeitaufwändige pflegerische oder me
dizinische Behandlungen oder Zuwendungen wirken dabei kostentreibend und
werden aus wirtschaftlichen – nicht aus medizinischen – Gründen reduziert.

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Weltmeister“ ist.

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der Fallpauschalen

Darunter leidet die Versorgungsqualität. Im Qualitätsranking des Euro Health
Consumer Index 2012 rutschte die Bundesrepublik Deutschland nach einem
guten Platz 6 im Jahr 2009 auf Rang 14.
Prof. Volker Penter, Studienleiter des KPMG Gesundheitsbarometers 2013,
spricht von „gefährlichen Anreizen“, denn „nur die Menge bringt Kohle“
(ebd.). Prof. Volker Penter fordert ein „Vergütungssystem, das nicht alleine auf
Quantität, sondern auf nachhaltige Qualität setzt“ (Süddeutsche Zeitung vom
19. Februar 2013).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der stationären
Operationen und invasiver Eingriffe in den Krankenhäusern der Bundes
republik Deutschland seit 2003 entwickelt?

2. Was waren nach Kenntnis der Bundesregierung die zehn häufigsten statio
nären Operationen (bitte seit 2003 und nach Bundesländern auflisten)?

3. Was sind nach Kenntnis der Bundesregierung die zehn häufigsten Operati
onen bei privat und bei gesetzlich Versicherten (bitte getrennt auflisten)?

4. Ist bezüglich der zehn häufigsten Operationen nach Kenntnis der Bundes
regierung ein unterschiedliches Benehmen je nach Krankenhaustyp (öf
fentlich, in gemeinnütziger Trägerschaft oder privat) feststellbar?

5. Was sind nach Kenntnis der Bundesregierung die zehn häufigsten Opera
tionen in anderen europäischen Ländern sowie in den USA und in Asien?

6. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Endoprothe
sen von Knie oder Hüfte seit 2003 entwickelt (bitte nach Bundesländern
und im europäischen Vergleich aufschlüsseln)?

7. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Wirbelsäu
len-OPs seit 2003 entwickelt (bitte nach Bundesländern und im europä
ischen Vergleich aufschlüsseln)?

8. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Kaiser
schnitte seit 2003 entwickelt (bitte nach Bundesländern und im europä
ischen Vergleich aufschlüsseln)?

9. Was sind aus Sicht der Bundesregierung die Gründe für diese Entwicklung,
und kann die Bundesregierung ausschließen, dass es mit durch die Fallpau
schalen gesetzten Anreizen zu tun hat?

10. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Existenz
gründungen im Bereich Marketing und Öffentlichkeitsarbeit sowie Consul
ting mit Schwerpunkt Krankenhäuser entwickelt?

Wie viele Unternehmen gab es 2003, und wie viele gibt es aktuell?

11. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Krankenhausinves
titionen der Länder in den Jahren seit 2003 entwickelt (bitte nach Bundes
ländern aufschlüsseln)?

12. Hat die Bundesregierung Kenntnis über den aufgelaufenen Investitionsstau
in Kliniken und Krankenhäusern, und wie hoch beziffert sie diesen?

13. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Kliniken mit
einem Rundumangebot der Grund- und Regelversorgung entwickelt, und
wie die Zahl der spezialisierten Kliniken (bitte nach Bundesländern auf
schlüsseln)?

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17. Wahlperiode–Deutscher Bundestag –2–1445117/Drucksache

14. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Kranken
häuser in öffentlicher, privater und freigemeinnütziger Trägerschaft seit
2013 entwickelt (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

15. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Konzentration der
Krankenhausträger seit 2003 entwickelt, und wie viele Kliniken sind in der
Trägerschaft privater Klinikkonzerne wie HELIOS Kliniken GmbH,
RÖHN-KLINIKUM Aktiengesellschaft, Asklepios Kliniken GmbH oder
Vivantes – Netzwerk für Gesundheit?

16. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass insbesondere bei Kliniken in
privater Trägerschaft ein Prozess des „Rosinenpickens“ stattfindet, bei dem
Bereiche, die hohe Erlöse erzielen (z. B. Kardiologie oder orthopädische
Chirurgie) ausgebaut und wirtschaftlich weniger lukrative Abteilungen ge
schlossen werden, oder finden diese Prozesse nach Einschätzung der Bun
desregierung in öffentlichen oder freigemeinnützigen Krankenhäusern
gleichermaßen statt?

17. Ist nach Ansicht der Bundesregierung in allen Regionen Deutschlands, ins
besondere in ländlichen Regionen, eine umfassende stationäre Versorgung
gewährleistet?

Wie schätzt die Bundesregierung die Situation der stationären Versorgung
in ländlichen Regionen ein, und welche Handlungsperspektiven ergeben
sich daraus?

Berlin, den 23. Juli 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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