BT-Drucksache 17/14147

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zu den Ergebnissen des G8-Gipfels und zum Europäischen Rat am 27./28. Juni 2013 in Brüssel

Vom 26. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14147
17. Wahlperiode 26. 06. 2013

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe,
Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln),
Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Dr. Frithjof Schmidt und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

zu den Ergebnissen des G8-Gipfels und zum Europäischen Rat
am 27./28. Juni 2013 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Serbien hat am 22. Dezember 2009 einen Antrag auf Beitritt zur Europäischen
Union (EU) gestellt. Seit dem 1. März 2012 ist Serbien offizieller Beitrittskan-
didat der EU. In ihrem Bericht über die Fortschritte Serbiens bei der Erreichung
des notwendigen Maßes an Erfüllung der Beitrittskriterien und insbesondere
des prioritären Ziels von Schritten im Hinblick auf eine spürbare und nachhal-
tige Verbesserung der Beziehungen zum Kosovo vom 22. April 2013 hat die
EU-Kommission die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien emp-
fohlen.

Die irische EU-Ratspräsidentschaft strebt eine Befassung des Europäischen
Rates mit dieser Empfehlung am 27./28. Juni 2013 an, um eine Entscheidung zur
Aufnahme von Beitrittsverhandlungen herbeiführen zu können.

Am 19. April 2013 haben Serbien und das Kosovo eine Vereinbarung zu Prinzi-
pien der Normalisierung ihrer Beziehungen geschlossen. Der Deutsche Bundes-
tag begrüßt diese Vereinbarung und die darin bekundete Kompromissbereit-
schaft beider Seiten. Ebenso begrüßt der Deutsche Bundestag die Zustimmung
der Parlamente Serbiens und des Kosovo zu dieser Vereinbarung. Insbesondere
Serbiens Bereitschaft zum Abbau der unrechtmäßigen serbischen Parallelstruk-
turen im Nordkosovo ist von erheblicher Bedeutung. Die Vereinbarung bedeutet
einen ersten großen Schritt und birgt eine historische Chance zur dauerhaften

Lösung des Konflikts. Der Plan zur Implementierung dieser Vereinbarung, auf
den sich beide Staaten am 26. Mai 2013 geeinigt haben, zeigt einen gangbaren
Weg auf, wie die Parallelstrukturen im Norden des Kosovo schrittweise bis Ende
2013 abgebaut und die Vereinbarungen umgesetzt werden können. Beide Seiten
müssen jetzt beweisen, dass sie die Übereinkunft ernsthaft mit Leben füllen wol-
len und können. Die Umsetzung, wie im Implementierungsplan vorgesehen, ist
ein wichtiger und unverzichtbarer Schritt auf Serbiens Weg in die Europäische

Drucksache 17/14147 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Union. Darüber hinaus bleibt grundsätzlich eine kritische Auseinandersetzung
mit der serbischen Rolle in den Kriegen der 90er-Jahre Voraussetzung für dau-
erhaften Frieden und Versöhnung in der Region.

Der Deutsche Bundestag unterstützt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
mit Serbien mit dem Ziel der Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union.
Nach Einschätzung der EU-Kommission erfüllt Serbien die Voraussetzung der
EU-Verträge für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Serbien hat in den
letzten Jahren erkennbare Fortschritte bei der Erfüllung der politischen sowie
wirtschaftlichen Kriterien gemacht. Bei der Normalisierung seiner Beziehun-
gen zum Kosovo hat Serbien seine Anstrengungen in den letzten Monaten er-
höht und im Dialogprozess wichtige Fortschritte gemacht. Wichtig ist nun, dass
Serbien den eingeschlagenen Kurs fortsetzt und verbliebene Zweifel an seiner
Bereitschaft zur Umsetzung von erzielten Vereinbarungen in eigenem Interesse
ausräumt. Sobald die am 19. April 2013 geschlossene Vereinbarung umgesetzt
wurde bzw. unumkehrbare Schritte zum Abbau der unrechtmäßigen serbischen
Parallelstrukturen umgesetzt worden sind, können aus Sicht des Deutschen
Bundestages erste Verhandlungskapitel eröffnet werden. Hierbei sind die Ein-
schätzungen der EU-Kommission, des Europäischen Parlaments und der loka-
len Zivilgesellschaft zugrunde zu legen. Ein wahltaktisches Verzögern von
Fortschritten im Erweiterungsprozess, die Serbien sich durch die Umsetzung
der Vereinbarung verdient hätte, wäre das falsche Zeichen an die serbische Be-
völkerung und würde das bisher Erreichte aufs Spiel setzen.

Der Deutsche Bundestag nimmt zur Kenntnis, dass Serbien die Bereitschaft si-
gnalisiert, grundlegende Kompromisse mit dem Kosovo einzugehen und sich
um gutnachbarschaftlicher Beziehungen – eine der zentralen Beitrittsvorrauset-
zungen – bemüht. Trotz aller angebrachter Vorsicht in der Beurteilung handelt
es sich um nicht weniger als eine historische Chance auf die dauerhafte Beile-
gung des Konflikts zwischen dem Kosovo und Serbien. Die Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen mit Serbien ist ein deutliches Signal an die serbische
Bevölkerung, dass die Europäische Union an ihrem Versprechen der europä-
ischen Perspektive für Serbien festhält und dass es am Willen und an den Taten
Serbiens selbst liegt, wie schnell und erfolgreich sich dieser Prozess entwickelt.

Der Deutsche Bundestag ist sich der besonderen Verantwortung der EU für die
Länder des Westlichen Balkans bewusst. Die Gewalt der Kriege der 90er-Jahre
darf sich nicht wiederholen, Konflikte dürfen nicht wieder aufflammen. Die In-
tegration in die EU ist ein starker Garant für Frieden und Stabilität. Es ist daher
richtig, dass die EU in der Thessaloniki-Erklärung aus dem Jahr 2003 eine
europäische Perspektive für diese Länder formuliert hat und die Integration
aktiv angeht.

Der Deutsche Bundestag erklärt seine Ansicht, dass für eine dauerhafte Stabili-
tät auf dem Westbalkan eine möglichst gleichzeitige Heranführung der Staaten
an die Europäische Union notwendig ist. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen
das Kosovo und die Region des Westbalkans mit den bestehenden Konflikten
und Blockaden zu einem Schwerpunkt der europäischen und deutschen Politik
werden. Die Europäische Union braucht endlich ein engagiertes wie abge-
stimmtes Vorgehen, um diesen Teil Europas auf dem Weg zu europäischer Inte-
gration und nachhaltigem Frieden zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag
hält es aus diesem Grund für dringend erforderlich, dass die Verhandlungen
über ein Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen mit dem Kosovo möglichst
gleichzeitig mit den Beitrittsverhandlungen mit Serbien begonnen werden.

Nach dem Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Rumänien und Bulgarien
hat sich der Europäische Rat auf neue Grundsätze bei der Erweiterung der
Europäischen Union geeinigt. Danach bestimmen die Ergebnisse der Reformen

das individuelle Tempo des Beitrittsprozesses in einem Land. Ein Beitrittstermin
wird erst festgelegt, wenn die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss stehen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14147

Schwierige Fragen wie die Reform der Verwaltung und Justiz sowie die Be-
kämpfung der Korruption sollen frühzeitig behandelt werden, um den Nachweis
überzeugender Erfolgsbilanzen vor Abschluss der Verhandlungen zu ermög-
lichen. Der Deutsche Bundestag ist überzeugt, dass in den Beitrittsverhandlun-
gen mit Serbien auch der Bereich „Außenbeziehungen“ von Beginn an verhan-
delt werden muss und dessen Öffnungs- und Schließungsbenchmarks mit der
Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo verbunden werden müssen. Für
den angestrebten Beitritt Serbiens zur EU ist die völkerrechtliche Anerkennung
des Kosovo notwendig. Es muss ausgeschlossen werden können, dass Serbien
einen späteren Beitritt des Landes behindert oder gar verhindern kann. Diese
Grundsätze und eine strikte Konditionalität in allen Phasen der Verhandlungen
sind aus Sicht des Deutschen Bundestages unerlässlich für erfolgreiche Beitritts-
verhandlungen.

II. Der Deutsche Bundestag erklärt gemäß § 10 Absatz 2 des Gesetzes über die
Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in
Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) sein Einvernehmen
dazu, dass die Bundesregierung einem Beschluss des Rates zur Aufnahme
von Verhandlungen über einen Beitritt Serbiens zur Europäischen Union
zustimmt.

Er fordert die Bundesregierung auf,

– der Eröffnung erster Verhandlungskapitel zuzustimmen, sobald die am
19. April 2013 geschlossene Vereinbarung umgesetzt wurde bzw. unum-
kehrbare Schritte zum Abbau der unrechtmäßigen serbischen Parallelstruk-
turen umgesetzt wurden. Dabei sind die Einschätzungen der Europäischen
Kommission, des Europäischen Parlaments und der lokalen Zivilgesell-
schaft zugrunde zu legen;

– eine strikte Anwendung der Kopenhagener Kriterien und deren vollständige
Erfüllung in den Beitrittsverhandlungen mit Serbien einzufordern;

– sich dafür einzusetzen, dass wichtige Herausforderungen der Beitrittsver-
handlungen mit Serbien so früh wie möglich angegangen werden, um in die-
sen Bereichen noch innerhalb des Verhandlungsprozesses überzeugende Er-
folgsbilanzen zu ermöglichen. Zu diesen Herausforderungen gehören insbe-
sondere

• die Kapitel „Justiz und Grundrechte“ sowie „Recht, Freiheit und Sicher-
heit“ und insbesondere die Einleitung von Maßnahmen zur Bekämpfung
von Korruption, organisierter Kriminalität und Diskriminierung sowie
zur Sicherstellung der Unabhängigkeit von Justiz und Verwaltung;

• das Kapitel „Außenbeziehungen“ und insbesondere die Normalisierung
der Beziehungen zum Kosovo und Bosnien und Herzegowina;

• eine starke Meinungs- und Medienfreiheit sowie eine starke Zivilgesell-
schaft als Grundlage einer funktionierenden Demokratie;

• die Situation der Minderheiten und insbesondere die Situation der Roma,
denen soziale und wirtschaftliche Rechte weiterhin vorenthalten werden;

• europäische Umweltstandards, insbesondere vor dem Hintergrund von
Korruption in diesem Bereich;

– auch bilateral gegenüber Serbien deutlich zu machen, dass für den Erfolg
des eigenen Beitrittsprozesses die Pflege gutnachbarschaftlicher Beziehun-
gen und ein aktives Bemühen um Fortschritte in den Beitrittsprozessen der
anderen Staaten der Region unerlässlich ist. Das gilt insbesondere für das

Kosovo und Bosnien und Herzegowina;

Drucksache 17/14147 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
– gegenüber Serbien anzuregen, die serbische Zivilgesellschaft in den Beitritts-
prozess einzubinden und mit ihr eine öffentliche Debatte über Fortschritte in
den Verhandlungen und über die Umsetzung der Reformen zu führen;

– den Deutschen Bundestag gemäß dem EUZBBG fortlaufend über den Stand
der Beitrittsverhandlungen zu unterrichten und dabei auch die eigene Hal-
tung deutlich zu machen;

– im Rahmen der Europäischen Union, des Europarates und der Organisation
für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa stärker als bisher für eine re-
gionale Konfliktlösung einzutreten, die die multiethnische Zusammenarbeit
auf allen Ebenen fördert und darauf abzielt, den Ländern der Region mög-
lichst einen gemeinsamen Weg in die EU zu ermöglichen;

– die in den Bundeshaushalt für Krisenprävention, Friedenserhaltung und
Konfliktbewältigung für Südosteuropa eingestellten Mittel nicht weiter zu
verringern.

Berlin, den 25. Juni 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.