BT-Drucksache 17/13631

Feststellung der Erwerbsfähigkeit nach § 44a des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch

Vom 23. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13631
17. Wahlperiode 23. 05. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Heidrun Dittrich, Klaus
Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Dr. Ilja Seifert, Harald
Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Feststellung der Erwerbsfähigkeit nach § 44a des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch

Mit der Organisationsreform des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) in
der laufenden Legislaturperiode ist auch das Verfahren zur Feststellung der
Erwerbsfähigkeit grundsätzlich verändert worden. Nach § 44a Absatz 1 Satz 1
SGB II stellt nunmehr die Agentur für Arbeit fest, ob der oder die Arbeitsu-
chende erwerbsfähig ist. Gleichzeitig heißt es aber, dass bei einem Widerspruch
eines anderen Trägers – durch den kommunalen Träger der Grundsicherung für
Arbeitsuchende, einen anderen Träger, der bei voller Erwerbsminderung zustän-
dig wäre, oder die Krankenkasse, die bei Erwerbsfähigkeit Leistungen der Kran-
kenversicherung zu erbringen hätte – eine gutachterliche Stellungnahme einzu-
holen ist, die von dem zuständigen Träger der Rentenversicherung zu erstellen
ist. Dieses Gutachten ist laut Gesetz ebenso verbindlich für die Agentur für Ar-
beit wie für weitere Leistungsträger (§ 44a Absatz 2 SGB II).

Dieses Verfahren ist aus verschiedenen Gründen zu hinterfragen. Es erscheint
problematisch, dass die Deutsche Rentenversicherung als potenzieller Kosten-
träger für entstehende Ansprüche auf eine Erwerbsminderungsrente die verbind-
liche Entscheidung über die Erwerbsfähigkeit trifft. Zudem gibt es Hinweise,
dass infolge der gesetzlichen Bestimmungen andere Institutionen (insbesondere
der Medizinische Dienst der Krankenkassen und der amtsärztliche Dienst) keine
eigenständigen Gutachten mehr erstellen mit dem Hinweis auf den verbindlichen
Charakter der Entscheidung der Träger der Rentenversicherung.

In Ergänzung dazu stellen sich Fragen zu dem Zugang zu einer Erwerbsminde-
rungsrente.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie waren die gesetzlichen Regelungen und Verfahren zur Feststellung der
Erwerbsfähigkeit

a) vor der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende und

b) zwischen der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende und vor
der SGB-II-Organisationsreform?
2. Ist es zutreffend, dass nach den früheren Verfahren alle involvierten Leis-
tungsträger jeweils eigenständige Gutachten über die Erwerbsfähigkeit der
betreffenden Person erstellt haben?

3. Wie wurde bei abweichenden Begutachtungen durch unterschiedliche Sozial-
versicherungsträger eine abschließende Entscheidung herbeigeführt?

Drucksache 17/13631 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Welche Möglichkeiten hatten die Antragsstellenden nach der damaligen Re-
gelung, und haben sie nach der heutigen Regelung, im Falle aus ihrer Per-
spektive nicht befriedigender Gutachten, eine erneute Begutachtung im
Auftrag des zuständigen Sozialversicherungsträgers oder eine Begutach-
tung durch einen unabhängigen medizinischen Gutachter zu erwirken?

5. Welche statistischen Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Verfahren
zur Feststellung von Erwerbsfähigkeit seit 2000 (bitte jeweils nach
a) Anzahl der Verfahren, b) Ausgang der Verfahren, c) Anzahl der Wider-
sprüche gegen Entscheidungen, d) deren Bescheidung, e) Anzahl der Kla-
gen und f) deren Ergebnisse ausführen)?

6. Wie wurde dieser Status quo ante nach Kenntnis der Bundesregierung durch
die verschiedenen Sozialversicherungsträger und die Kommunen (als Trä-
ger der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) beurteilt und
bewertet?

7. Wie wurde der Status quo ante nach Kenntnis der Bundesregierung durch
die wissenschaftliche Begleitforschung nach dem damaligen § 6c SGB II
bewertet?

8. Welche Vorschläge zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit wurden gegebe-
nenfalls durch die Begleitforschung mit welcher Begründung vorgelegt
(Änderungen des Regelungsgehalts sowie Verfahrensvorschläge)?

9. Mit welcher Begründung wurde das Verfahren zur Feststellung der Er-
werbsfähigkeit nach dem § 44a SGB II durch die SGB-II-Organisations-
reform geändert?

10. Welche Ziele wollte die Bundesregierung durch die Änderung erreichen,
und inwieweit sieht die Bundesregierung diese Ziele als erreicht an?

11. Welche rechtlichen Möglichkeiten stehen einer Leistung beantragenden
Person zur Verfügung, um gegen die Feststellung einer Erwerbs(un)fähig-
keit der Agentur für Arbeit vorzugehen?

12. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Kritik, dass
mit dem aktuellen Verfahren bei Widersprüchen ein potenzieller Kostenträ-
ger (die Rentenversicherung) die zentrale Verantwortung für die Feststel-
lung der Erwerbsfähigkeit innehat (bitte begründen)?

13. Welche rechtlichen Möglichkeiten stehen einer Person zur Verfügung, um
sich gegen ein – andere Sozialversicherungsträger bindendes – Gutachten
der Rentenversicherung zur Wehr zu setzen?

14. Wie begründet die Bundesregierung die Notwendigkeit einer Bindungswir-
kung der Gutachten der zuständigen Träger der Rentenversicherung auf alle
gesetzlichen Leistungsträger nach dem SGB II, III, V, VI und XII, und wie
bewertet die Bundesregierung die rechtliche Zulässigkeit dieser Einschrän-
kung der jeweiligen Rechte der Träger des SGB II, III, V, VI und XII?

15. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Aussage,
dass die zitierte Bindungswirkung gegen das Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts vom 20. Dezember 2007 verstößt, nach dem zuständige Verwal-
tungsträger verpflichtet seien, Aufgaben „grundsätzlich durch eigenen Ver-
waltungseinrichtungen, also mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln
und eigener Organisation“ (Leitsatz) wahrzunehmen (bitte begründen)?

16. In wie vielen Fällen gab es seit der Neuregelung Widersprüche und Klagen
gegen Entscheidungen zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit, die auf der
Grundlage von Gutachten der Rentenversicherung ergangen sind (bitte jähr-
liche Angaben)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13631

17. Wie sind diese Fälle letztlich entschieden worden?

18. In wie vielen Fällen hat der Medizinische Dienst der Krankenkassen nach
Ablauf des Krankengeldbezugs ein Gutachten zur Feststellung der Erwerbs-
fähigkeit erstellt (bitte jährliche Angaben seit 2000; absolut sowie in Rela-
tion zur Gesamtzahl der Fälle), und mit welchem Ergebnis?

19. In wie vielen Fällen sind Arbeitslose im Leistungsbezug des SGB II oder
SGB III zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit vom amtsärztlichen Dienst
untersucht worden (bitte jährliche Angaben seit 2000, getrennt nach SGB II
und SGB III), und mit welchem Ergebnis?

Zugang zu Erwerbsminderungsrente

20. Wie viele Personen haben seit dem Jahr 2000 eine Erwerbsminderungsrente
beantragt, und bei wie vielen Personen wurde der Antrag bewilligt (bitte
jährliche Angaben)?

21. Bei wie vielen Anträgen auf eine Erwerbsminderungsrente seit dem Jahr
2000 wurden

a) die Anträge zunächst abgelehnt,

b) Widerspruch eingelegt (mit welchem Ergebnis) und

c) Klage eingereicht (mit welchem Ergebnis) (Zahlen bitte jährlich)?

22. Wie lange war die durchschnittliche Verfahrensdauer für die Bewilligung
eines Antrags auf Erwerbsminderungsrente

a) insgesamt,

b) nach einem Widerspruch und

c) nach einer Klage?

23. Wie hoch ist die durchschnittliche Rentenhöhe für eine Erwerbsminde-
rungsrente (bitte jährlichen Durchschnitt seit dem Jahr 2000 und nach voller
und teilweiser Erwerbsminderung differenzieren)?

24. Wie viele Neurentner und Neurentnerinnen haben bei dem Eintritt in die
Erwerbsminderungsrente aufgrund der Verfahrensdauer eine Nachzahlung
erhalten, wie hoch waren die Nachzahlungen im Durchschnitt, und wie hat
sich die Höhe der Summe der Nachzahlungen seit 2000 entwickelt (bitte je-
weils jährliche Angaben)?

Berlin, den 23. Mai 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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