BT-Drucksache 17/13545

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung - Drucksachen 17/13111, 17/13529 - Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012) vom 21. November 2012 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012

Vom 15. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13545
17. Wahlperiode 15. 05. 2013

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour,
Katja Keul, Dr. Valerie Wilms, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel, Kai Gehring, Thilo Hoppe, Uwe
Kekeritz, Ute Koczy, Tom Koenigs, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel
Sarrazin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 17/13111, 17/13529 –

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie
vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens
der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008)
vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008,
1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008,
1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010,
2020 (2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012) vom 21. November 2012
und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbindung mit
der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU)
vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU
vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU
vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/GASP des Rates der EU vom
7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU
vom 23. März 2012

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Piraterie am Horn von Afrika gefährdet die Versorgung der somalischen
Bevölkerung mit Hilfsgütern, den freien Zugang zur Hohen See und Leib und
Leben der Seeleute. Aus diesem Grund wurde 2008 unter dem Mandat der Ver-
einten Nationen die EU-geführte Atalanta-Operation eingesetzt. Atalanta ba-
siert damit auf breiter, internationaler Legitimation. Ihr vorrangiges Ziel ist, die
Schiffe des Welternährungsprogramms (World Food Programme – WFP) vor
Piraterie zu schützen, um die notwendige Versorgung der hungernden Bevölke-

Drucksache 17/13545 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

rung Somalias zu gewährleisten. Darüber hinaus sieht das Mandat auch den
Schutz der zivilen Schifffahrt auf den internationalen Wasserstraßen der Region
vor.

Eine der Schwächen der Mission lag dabei darin, dass sie sich gegen die Symp-
tome der Piraterie richtete, während eine konsistente Strategie zur Bekämpfung
der Ursachen aber bisher fehlt. Die Operation verlief im Sinne dieser begrenz-
ten Aufgaben bislang größtenteils erfolgreich. Die nach wie vor bestehende
Pirateriegefahr konnte eingedämmt werden – die Zahl der gekaperten Schiffe
ist im Jahr 2012 gegenüber den Vorjahren weiter deutlich gesunken. Mehr als
170 Schiffe des WFP mit Nahrungsmitteln und anderen humanitären Hilfsgü-
tern fanden seit 2008 unter dem Schutz der Atalanta-Operation sicher ihren
Weg nach Somalia. Die Hilfslieferungen konnten nicht verhindern, dass allein
zwischen Oktober 2010 und April 2012 ca. 258 000 Menschen infolge der
Hungerkatastrophe gestorben sind. Neben den Menschen in Somalia sind See-
leute und Passagiere Opfer der Piraterie. Sie werden teilweise monate- oder
jahrelang in Geiselhaft gehalten, müssen währenddessen um ihr Leben bangen
und leiden auch nach ihrer Freilassung häufig unter starken gesundheitlichen
Beeinträchtigungen.

In den vergangenen Jahren hat eine große Mehrheit im Deutschen Bundestag
Atalanta unterstützt und getragen. Daher wurde das Mandat – trotz bekannter
Schwächen – bis 2011 auch immer mit großer Mehrheit beschlossen. Die 2012
erstmals zur Abstimmung gestellte und nun zu verlängernde Ausweitung des
Mandats auf somalische Küstengebiete und innere Küstengewässer ist nach wie
vor nicht zielführend. Obwohl im vergangenen Jahr nur einmal von der Mög-
lichkeit des Eingriffs an Land Gebrauch gemacht wurde, birgt das Mandat wei-
terhin ein erhöhtes Eskalationspotenzial. Mit ihrer Politik, die Küste Somalias
zum militärischen Operationsgebiet zu machen, verhindert die Bundesregie-
rung unnötig und unverständlicherweise die langjährige breite Zustimmung, die
im Bundestag für das Atalanta-Mandat herrschte.

Anstatt bei der Pirateriebekämpfung auf eine Ausweitung des Militärischen zu
setzen, müssen die grundlegenden Ursachen der Piraterie verstärkt angegangen
werden. Dazu bedarf es einer langfristigen Stabilisierung Somalias und der Re-
gion durch eine Bekämpfung der strukturellen Konfliktursachen sowie von
Hunger und Armut, durch Institutionenaufbau und Bildungsprogramme mit
dem Ziel, funktionierende Staatlichkeit herzustellen und verantwortungsvolle,
an Menschenrechten orientierte Regierungsführung zu ermöglichen. Diesen
Prozess gilt es jetzt im internationalen Kontext anzustoßen. Nur so werden sich
eine dauerhaft erfolgreiche Pirateriebekämpfung und ein mittelfristiges Ende
der Atalanta-Mission verwirklichen lassen.

Im Rahmen eines umfassenden Ansatzes muss daher das zivile Engagement im
Sinne eines „Somalia first“ in den Mittelpunkt der Strategie zur Pirateriebe-
kämpfung gerückt werden. Das Somalia-Konzept der Bundesregierung sowie
die London-Konferenz aus 2012 haben zwar richtige Akzente in diese Richtung
gesetzt. Doch deren energische Umsetzung steht auch 2013 noch immer nicht
im Mittelpunkt des internationalen Somalia-Engagements. Die neue Regierung
braucht dringend mehr Unterstützung bei der Umsetzung ihrer Reformen.

Die EU schlägt mit ihrer im Juli 2012 beschlossenen zivil-militärischen Mis-
sion zum Aufbau der Kapazitäten der Staaten am Horn von Afrika und im west-
lichen Indischen Ozean im Bereich der maritimen Sicherheit (EUCAP Nestor)
den richtigen Weg ein. Die EU will in dieser Mission verschiedene Länder in
der Region beim Aufbau eines funktionierenden Küstenschutzes und ihres Jus-
tizsektors unterstützten. EUCAP Nestor soll komplementär zu der Ausbil-
dungsmission somalischer Streitkräfte (EUTM Somalia) und den Bemühungen

der EUNAVFOR Atalanta eine langfristige und nachhaltige Stabilisierung ins-
besondere durch Kapazitätenaufbau in der Region ermöglichen. Dieser richtige

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13545

Ansatz darf jetzt nicht durch eine andauernde Ausweitung des militärischen
Einsatzes konterkariert werden. Während für die Atalanta-Mission bis zu 1 400
Soldatinnen und Soldaten bereitgehalten werden, will die Bundesregierung die
EUCAP-Nestor-Mission lediglich mit bis zu fünf Polizeikräften und fünf Sol-
datinnen/Soldaten unterstützen. Der entscheidende und erfolgversprechende
zivile Ansatz zur Stabilisierung der Region steht damit nach wie vor im Schat-
ten des Militärischen.

Darüber hinaus müssen endlich auch die Finanzierungsstrukturen und die
Drahtzieher der Piraterie direkt und effektiv verfolgt werden. Dazu hat der UN-
Sonderberater für Pirateriebekämpfung, Jack Lang, bereits Anfang 2011 kon-
krete und umsetzbare Pläne vorgelegt. Sie sehen die Stärkung des lokalen und
regionalen Justiz- und Strafvollzugswesens vor. Ziel der internationalen Ge-
meinschaft muss sein, dass sich Piraten vor Gericht zu verantworten haben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Ausweitung des Atalanta-Operationsgebietes für die Kräfte der Bundes-
wehr über Land zurückzunehmen und sich auch auf europäischer Ebene für
eine Rücknahme einzusetzen sowie das Mandat von November 2011 wieder
zu etablieren und konsequent umzusetzen mit dem vordringlichen Ziel, den
Schutz der humanitären Hilfslieferungen nach Somalia zu gewährleisten und
die Handelsschifffahrt abzusichern;

2. sich für ein effizientes und koordiniertes Vorgehen auf See zur Abschre-
ckung, Verhütung und Beendigung von seeräuberischen Handlungen oder
bewaffneten Raubüberfällen und Geiselnahmen einzusetzen und anzustre-
ben, dass alle Maßnahmen der internationalen Pirateriebekämpfung am
Horn von Afrika und im Indischen Ozean so schnell wie möglich unter dem
Dach und der Führung der Vereinten Nationen zusammengeführt werden;

3. die zivile EU-Mission EUCAP Nestor zum Aufbau maritimer Fähigkeiten
im Westindischen Ozean und am Horn von Afrika insbesondere personell
stärker zu unterstützten;

4. im Rahmen der internationalen Gemeinschaft dafür Sorge zu tragen, dass die
zivile und justizielle Verfolgung der Piraten insbesondere auf lokaler und re-
gionaler Ebene verbessert wird, dabei rechtsstaatliche und menschenrechtli-
che Standards zu Grunde gelegt werden und das innerstaatliche Trennungs-
gebot zwischen Polizei und Militär Beachtung findet;

5. im Hinblick auf die Beseitigung struktureller Ursachen der Piraterie und auf
eine langfristige Stabilisierung Somalias einen Strategiewandel in der Pira-
teriebekämpfung im Sinne einer „Somalia-first“-Politik einzuleiten und vor
dem Hintergrund des umfassenden Ansatzes der EU den zivilen Stabilitäts-
bemühungen in Somalia mehr Gewicht zu verleihen, indem

– sie sich dafür einsetzt, die unregulierte und meist illegale Fischerei durch
europäische und asiatische Fangschiffe zu stoppen;

– sie sich dafür einsetzt, die illegale Müllentsorgung insbesondere in den
Gewässern der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Somalias zu un-
terbinden und dafür effektive Kontrollmechanismen einzurichten;

– gezielt lokale und regionale Regierungs- und Verwaltungsstrukturen ge-
fördert werden, um Stabilitätsinseln zu schaffen, wie es die Bundesregie-
rung in ihrem Somalia-Konzept vorsieht;

– lokal und regional Entwicklungsanreize gesetzt werden, um der Armut
der Menschen in Somalia entgegenzutreten und durch den beschäfti-

gungsintensiven Aufbau der lokalen Wirtschaft ihre wirtschaftlichen

Drucksache 17/13545 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Aussichten zu verbessern und hierzu ihre Zusagen umzusetzen, die sie
auf den Londoner Somalia-Konferenzen gemacht hat;

– Gesprächskanäle zu verhandlungsbereiten Al-Shabaab- und Hizbul-
Islam-Vertretern weiterhin geöffnet werden, damit diese verstärkt in den
politischen Dialog mit einbezogen werden und Versöhnungsprozesse
weiter vorankommen;

– UNSOM, der neuen politischen UN-Mission in Somalia, bei ihrer Unter-
stützung der somalischen Regierung und von AMISOM besonders beim
Thema Menschenrechte und Frauen, Rechtsstaatsaufbau und Versöhnung
alle nötige Hilfe zukommen zu lassen;

– der Aufbau des Sicherheitswesens gefördert wird und geeignete Maßnah-
men unterstützt werden, durch die Waffenlieferungen nach Somalia ef-
fektiv verhindert sowie Geldwäsche und Finanztransaktionen gewalttäti-
ger Gruppen international wirksam bekämpft werden können;

– die Forderungen der interfraktionellen Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages (Bundestagsdrucksa-
che 16/5754) zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(„Politische Lösungen sind Voraussetzung für Frieden in Somalia“ –
Bundestagsdrucksache 16/4759) weiter umgesetzt werden, insbesondere
der Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und eines sozial ausgerichteten,
gut regulierten Mikrokreditwesens sowie die Stärkung der Frauen vor al-
lem in den Dorfgemeinschaften;

– sie dem EU-Sonderbeauftragten für das Horn von Afrika Unterstützung
zur Verbesserung der Koordination der europäischen Beiträge zur Lösung
der Somalia-Krise gewährt;

– das WFP darin unterstützt wird, Schiffe zu chartern, die für einen schnel-
len und sicheren Transport der Hilfsgüter nach Somalia die günstigsten
Voraussetzungen bieten;

– sie sich für das Einhalten der sogenannten Best Management Practices,
wie das Fahren im Konvoi mit hoher Geschwindigkeit und das Anbrin-
gen von Stacheldraht an Reling und Außenbord zum Schutz vor Überfäl-
len, einsetzt;

6. dem Deutschen Bundestag im Vorfeld zukünftiger Mandatsverlängerungen
den vom Parlamentsbeteiligungsgesetz geforderten Evaluierungsbericht vor-
zulegen und darin überprüfbare Maßnahmen und Meilensteine für die Mis-
sion und die Beteiligung der Bundeswehr darzulegen. Dazu gehört auch die
Planung einer möglichen Exitstrategie.

Berlin, den 15. Mai 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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