BT-Drucksache 17/13296

Arbeitsunfähigkeitsmeldungen bei Erwerbslosigkeit

Vom 23. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13296
17. Wahlperiode 23. 04. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina
Bunge, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Dr. Ilja Seifert, Harald
Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Arbeitsunfähigkeitsmeldungen bei Erwerbslosigkeit

Erwerbslose sind, sofern sie Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetz-
buch (SGB II) oder nach dem SGB III beziehen, verpflichtet, eine Arbeits-
unfähigkeit infolge von Krankheit der zuständigen Stelle – Agentur für Arbeit
oder Jobcenter – zu melden. Spätestens zum dritten Krankheitstag ist nach den
gesetzlichen Vorschriften ein ärztliches Attest vorzulegen.

Mit dem Arbeitsmarktinstrumentenreformgesetz von 2008 ist in das SGB II
(Hartz IV) ein Passus neu eingefügt worden, wonach bei Zweifeln an der Arbeits-
unfähigkeit der Medizinische Dienst der Krankenkassen mit einer Begutachtung
beauftragt werden kann (§ 56 Absatz 1 Satz 5 SGB II).

Im Juni 2012 hat der Gemeinsame Bundesausschuss Kriterien definiert, nach
denen eine Erwerbslose/ein Erwerbsloser als arbeitsunfähig gilt. Danach gelten
für Erwerbslose in der Arbeitslosenversicherung andere Kriterien als für Hartz-
IV-Leistungsberechtigte.

Des Weiteren hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) in ihren Fachlichen Hin-
weisen zu § 56 SGB II ohne spezielle Rechtsgrundlage eigenständig Sachver-
halte festgelegt, die Zweifel an den Anzeigen von Arbeitsunfähigkeit und auch
an Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Ärzten erlauben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Rechtsfolgen hat eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung jeweils in der
Arbeitslosenversicherung (SGB III) und in der Grundsicherung für Arbeit-
suchende (SGB II)?

2. Ist es zutreffend, dass eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung als wichtiger Grund
für das Versäumen eines Melde- oder sonstigen Termins anzusehen ist, der
Sanktionen nach dem SGB II ausschließt?

3. Welche sachliche Begründung gibt es für die geforderte Anzeige und den
Beleg für eine Arbeitsunfähigkeit bei den Jobcentern für die Personengrup-
pen im SGB II, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, etwa weil

sie bereits erwerbstätig sind oder Kinder unter drei Jahren oder sonstige An-
gehörige betreuen?

4. Welche sachlichen Gründe und empirisch nachgewiesenen Sachverhalte
lagen der Einführung eines Verfahrens bei Zweifeln an der Arbeitsunfähig-
keit 2008 zugrunde?

Drucksache 17/13296 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

5. In wie vielen Fällen wurden vor der Einführung 2008 von den örtlichen
Trägern der Grundsicherung Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit gemeldet
und wie dokumentiert?

6. Wie viele Fälle von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit wurden von den
örtlichen Trägern bislang in der Arbeitslosenversicherung (SGB III) und
bei Hartz IV (SGB II) dokumentiert?

Seit wann werden entsprechende Zweifel dokumentiert?

7. In wie vielen Fällen wurde jeweils der Medizinische Dienst der Kranken-
kassen (MDK) mit einem Gutachten beauftragt?

Zu welchen Ergebnissen und Rechtsfolgen führten die Aufträge an den MDK
(bitte Angaben pro Jahr seit Beginn der Dokumentation, getrennt nach
SGB II und SGB III)?

8. Ist es zutreffend, dass ein Vorschlag im Gemeinsamen Bundesausschuss
vorgelegt worden ist, der eine unbürokratische und abschließende Bestäti-
gung einer Arbeitsunfähigkeit durch den behandelnden Arzt vorgeschlagen
hat (vgl. Gemeinsamer Bundesausschuss: Zusammenfassende Dokumenta-
tion zum Beratungsverfahren gemäß § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 zur
Änderung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie), und aus welchen Gründen
ist dieser Vorschlag von der Bundesregierung abgelehnt worden?

9. Ist es zutreffend, dass die Kriterien für eine Arbeitsunfähigkeit nach den Be-
schlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses unterschiedlich sind, je
nachdem, ob der Patient erwerbstätig ist oder nicht und bei Erwerbslosen
zudem eine Unterscheidung zwischen Leistungsbezieher/Leistungsbeziehe-
rinnen der Arbeitslosenversicherung (SGB III) oder der Grundsicherung für
Arbeitsuchende (SGB II) stattfindet?

Wie ist diese Unterscheidung zu rechtfertigen?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen auf das Arzt-Patien-
ten-Verhältnis, wenn der Arzt für eine korrekte Arbeitsunfähigkeitsbeschei-
nigung einen möglichen SGB-II-Leistungsbezug erfragen muss und die
Bescheinigung des Arztes über Leistungsansprüche bzw. deren teilweise
Versagung (Sanktionen) entscheidet?

11. Welche Gründe rechtfertigen Zweifel an der Korrektheit von Anzeigen von
Arbeitsfähigkeit und insbesondere von ärztlichen Arbeitsunfähigkeits-
bescheinigungen?

12. Ist es zutreffend, dass Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
bei einer gesetzlich krankenversicherten Person zu der Beauftragung des
MDK der Krankenkasse führen kann, nicht aber bei privat Versicherten?

Wie rechtfertigt die Bundesregierung ggf. diese Ungleichbehandlung?

13. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschaltung des MDK unter dem
Aspekt des Datenschutzes, wonach Sozialdaten nur erhoben werden dürfen,
wenn dies im konkreten Einzelfall erforderlich ist?

14. Welche Rechtsfolgen hat die Einschaltung des MDK, wenn das Gutachten
die betreffende Person trotz Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als arbeits-
fähig einstuft, für die jeweiligen Leistungsberechtigten und den behandeln-
den Arzt?

15. Auf welche Art und Weise kann in diesem Fall eine leistungsberechtigte
Person und ein Arzt rechtlich gegen den Inhalt des Gutachtens und/oder
seine rechtlichen Folgen vorgehen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13296

16. Wie bewertet die Bundesregierung bei Kosten von bis 290 Euro für einen
Hausbesuch (vgl. Fachliche Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu
§ 56 SGB II) die Verhältnismäßigkeit der Beauftragung des MDK bei
Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit?

17. In wie vielen Fällen und in welcher Höhe (durchschnittlich und Summe)
wurde bereits in den vergangenen Jahren nach § 65a SGB I Aufwendungs-
ersatz für vom Leistungsträger veranlasste medizinische Untersuchungen
gezahlt (bitte getrennt nach SGB II und SGB III antworten)?

Welche konkreten Kosten sind nach Ansicht der Bundesregierung von den
Leistungsträgern zu übernehmen?

18. Wie schließt die Bundesregierung aus, dass SGB-II-Leistungsberechtigte
auf eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vertrauen und aus diesem
Grund Termine nicht wahrnehmen, aber dann infolge von unterschied-
lichen Einschätzungen von behandelnden Ärzten und MDK sanktioniert
werden?

19. Wie viele Sanktionen wurden im SGB II seit 2008 aufgrund unterschied-
licher Einschätzungen über die Arbeitsfähigkeit jährlich ausgesprochen?

20. Warum ist es für die Bundesregierung nicht ausreichend, grundsätzlich das
Urteil der Ärzte über die Arbeitsunfähigkeit zu akzeptieren – zumal die
behandelnden Ärzte im Gegensatz zu den Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern in
Jobcentern eine einschlägige Ausbildung genossen haben und darüber
hinaus mit der Krankengeschichte der jeweiligen Person vertraut sind?

21. Wie bewertet die Bundesregierung die Fachlichen Hinweise der Bundes-
agentur für Arbeit zu § 32 SGB II, wonach Arbeitsunfähigkeit nicht in
jedem Einzelfall ein Nichterscheinen zu einem Meldetermin rechtfertigt
und von den Leistungsberechtigten auch „ein ärztliches Attest für die Un-
möglichkeit des Erscheinens zu einem Meldetermin verlangt werden kann“
(Fachliche Hinweise der BA zu § 32, Rn. 32.9)?

22. Wer entscheidet nach welchen Kriterien darüber, was ein solcher Einzelfall
ist?

Was befähigt eine Leistungssachbearbeiterin/einen Leistungssachbearbeiter
zu einer konkreten Einschätzung?

23. Wie bewertet die Bundesregierung, wenn infolge dieser Vorgaben von den
örtlichen Jobcentern sog. Bettlägerigkeitsbescheinigungen verlangt werden?

24. Inwieweit sind die Ärzte verpflichtet, ein derartiges Attest auszustellen,
und wo sind entsprechende Verpflichtungen geregelt?

25. Welche Möglichkeiten hat der Leistungsberechtigte ggf. nachträglich seine
Bettlägerigkeit nachzuweisen, und welche Möglichkeiten hat er, wenn der
Arzt bzw. die Ärztin sich weigert, eine solche auszustellen?

26. Mit welcher Größenordnung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit von
SGB-II-Leistungsberechtigten und daraus folgenden Überprüfungen durch
den MDK rechnet die Bundesregierung für die Zukunft?

Berlin, den 23. April 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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