BT-Drucksache 17/1328

Einsatz von Pfefferstaub (Wirkstoff Capsaicin II) durch Sicherheitskräfte in Deutschland

Vom 6. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1328
17. Wahlperiode 06. 04. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Niema Movassat, Wolfgang Neskovic,
Petra Pau, Jens Petermann, Kathrin Vogler, HalinaWawzyniak und der Fraktion
DIE LINKE.

Einsatz von Pfefferstaub (Wirkstoff Capsaicin II) durch Sicherheitskräfte in
Deutschland

Kurz vor den Protestdemonstrationen gegen die Neonazi-Demo am 13. Februar
2010 in Dresden meldete die „BILD-Zeitung“ (10. Februar 2010), dass die säch-
sische Polizei mit Spezialwaffen aus den USA ausgerüstet worden sei. Landes-
innenministerMarkusUlbig (CDU) habe für die EinsatzkräfteHightech-Pistolen
der Firma „Pepperball™“ angeschafft und eineWoche vor den Demonstrationen
extra eine Pepperball-Vorschrift „VwV PeBa SEK“ erlassen, damit die neuen
Distanzwaffen in Sachsen durch die Polizei gegen „bewaffnete, gewalttätige
oder aggressive Personen“ auch eingesetzt werden dürften.

„BILD“ meldete weiter, dass die Vorschrift den Vermerk „Wird nicht veröffent-
licht“ trage, aber der Zeitung vorliege und das InnenministeriumdieWaffenliefe-
rung auch bestätigt habe. Der Sprecher des sächsischen Innenministers wird mit
den Worten zitiert: „Aus einsatztaktischen Gründen können wir dazu aber nicht
mehr sagen“. „Neues Deutschland“ berichtete, dass Sachsen das erste Bundes-
land sei, „dass diese Schusswaffe einführt“ (Neues Deutschland vom 11. Februar
2010). Mit Verweis auf das sächsische Innenministerium meldete die Zeitung
weiter, dass die Einführung der Waffen schon länger geplant gewesen sei, die
SEK-Beamtinnen und -beamten aber bisher noch keine Erfahrungen im Einsatz
mit der Pistole hätten sammeln können.

Nach unbestätigten Meldungen in diversen Internetforen (u. a. www.copzone.de)
sollen dieWaffen am 13. Februar 2010 in Dresden dann auch zum erstenMal ge-
gen Demonstrantinnen und Demonstranten im Bereich einer Bahnunterführung
am Bischofsweg eingesetzt worden sein.

Hauptprodukt der Firma „Pepperball™“ ist eine pressluftgetriebene Handwaffe,
die über 200 Schuss kleiner Plastikkugeln verfügt. Diese können wie beim
„paintball“ innerhalb kurzer Zeit verschossen werden, beim Aufprall wird der
Reizstoff PAVA (Capsaicin II) freigesetzt. Dieser Reizstoff ist auch in Pfeffer-
spray enthalten, er ist künstlich erzeugt und ähnelt dem schärfsten Pfeffer-
bestandteil. Der Vertreiber für den deutschen Markt schreibt auf seiner Home-
page: „Die roten Pfeffer-Geschosse dürfen in Deutschland nur zum Zwecke der
Tierabwehr erworben werden.“

Über den Einsatz von Waffen der Marke „Pepperball™“ wird in Polizeikreisen
schon lange diskutiert. Unter der Überschrift „Neueste Entwicklung oder Gummi-
geschosse haben ausgedient“ war in der Dezemberausgabe 2007 der „Deutsche
Polizei“ zu lesen: „Durch einen Beschuss von harten Oberflächen in der Nähe
von Personen können diese dem Reizstoff ausgesetzt werden, durch

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Direktbeschuss kann als Steigerung der Schmerzreiz durch den Aufprall hinzu-
gefügt werden. Dadurch können die Reihen der Störer (…) ausgedünnt werden
(…).“

Der Einsatz von Pepperball™-Produkten und allgemein von Pfefferstaub („Pfef-
fergas“) steht in der Kritik. Der Wirkstoff kann Erstickungsgefühle und Brech-
reiz auslösen, zu vorübergehender Erblindung führen und einen brennenden
Schmerz auf der Haut verursachen. Aber auch tödliche Wirkungen sind doku-
mentiert. Am27. Oktober 2004 berichtete die „NewYork Times“ über eine junge
Studentin, die wenige Tage vor ihrem 22. Geburtstag von einem Pfeffergeschoss
am Auge getroffen wurde und wenige Stunden später starb. Sie war nur zufällig
getroffen worden, als die Polizei eine Gruppe Baseballfans in ihrer Nähe be-
schoss. Das Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ berichtet in seiner Ausgabe
53/2009 von einer Studie des Suchtmediziners JohnMendelson, der für das Cali-
fornia Medical Center in San Francisco eine Reihe von Todesfällen unter
Kokainkonsumenten untersucht hatte. Seine Untersuchungen legen nahe, dass
Capsaicin die tödliche Wirkung von Kokain signifikant erhöht. Todesfälle bei
Menschen traten unter anderem in psychiatrischen Anstalten auf. NachMeinung
des Forschers reagieren Menschen zudem sehr unterschiedlich auf den Wirk-
stoff, daher könne gar nicht kalkuliert werden, wann die tödliche Dosis erreicht
sei. Im polizeilichen Einsatz sind die Beamtinnen und Beamten selten an einer
richtigen Dosierung als vielmehr daran interessiert, vermeintliche „Angreifer“
zu verjagen oder Gruppen mutmaßlicher „Störer“ auseinanderzutreiben. Dies ist
bereits heute beim Einsatz von Pfefferspray zu beobachten, das zum Teil exzes-
siv gegen Demonstrantinnen und Demonstranten angewendet wird.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von
Pfefferstaub (unabhängig von der Art der Verwendung als Spray oder Ge-
schoss) bei der Polizei vor dem Hintergrund der möglichen Gesundheitsge-
fährdung?

2. Welchen waffenrechtlichen Regelungen unterliegen Pepperball™- oder ähn-
liche Systeme, und inwiefern ist es Privatpersonen sowie bei privaten Sicher-
heitsdiensten Beschäftigen gestattet, solche Systeme zu führen oder einzu-
setzen?

3. Welche Bundesländer haben nach Kenntnis der Bundesregierung Pepper-
ball™-Geschosse und -Systeme im Einsatz, und seit wann?

4. Verfügt die Bundespolizei über Produkte der Marke Pepperball™ oder ähnli-
cheWaffen, und wenn ja,

a) über wie viele derartige Abschusssysteme und Geschosse verfügt sie (bitte
aufgliedern nach Stückzahlen und Einheiten),

b) nach welchen Kriterien dürfen diese Systeme eingesetzt werden, und ist
insbesondere der Einsatz gegenMenschenansammlungen zulässig,

c) bei welchen Gelegenheiten sind diese Systeme bislang zum Einsatz ge-
kommen (bitte für den Zeitraum ab Januar 2008 vollständig auflisten)?

5. Beabsichtigt die Bundesregierung die (ggf. weitere) Anschaffung von Pep-
perball™-Systemen (o. Ä.) für die Bundespolizei, und wenn ja, in welchen
Stückzahlen, und für welche Einsätze?

6. Inwiefern ist beabsichtigt, Pepperball™-Systeme (o. Ä.) bei Auslandsein-
sätzen deutscher Polizisten zu verwenden, und welche Rechtsgrundlage
kommt hierfür in Frage?

Inwiefern haben deutsche Polizisten bislang im Ausland solche Systeme ver-
wendet (bitte komplett auflisten)?

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7. Kann die Bundesregierung eineMeldung auf dem Internetportal de.indyme-
dia.org bestätigen, nach der die Bundespolizei im Vorfeld der Demonstra-
tionen in Dresden bereits „Pepperball™“-Geschosse eingesetzt haben soll
(http://de.indymedia.org/2010/02/273556.shtml)?

8. Inwiefern verfügen die Polizeien der Länder nach Kenntnis der Bundes-
regierung über Pepperball™- oder vergleichbareWaffensysteme?

Nach welchen Kriterien dürfen diese in den Ländern eingesetzt werden, und
ist insbesondere der Einsatz gegenMenschenansammlungen zulässig?

9. Inwieweit gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in den Ländern Über-
legungen, Pepperball™- oder vergleichbareWaffensysteme anzuschaffen?

10. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung weitere Verdachtsfälle von Per-
sonen, die infolge des Einsatzes von Pfefferstaub (ob als Spray oder Ge-
schossinhalt) schwere Verletzungen davongetragen haben oder gestorben
sind?

11. Welche Untersuchungen sind der Bundesregierung bekannt, die sich mit der
Gesundheits- und Lebensgefährdung, die vonAngriffenmit pfefferstaubhal-
tigen Einsatzmitteln ausgehen, beschäftigen?

a) Inwiefern gehen diese Untersuchungen auf die Frage ein, ob bestimmte
Risikogruppen besonders starken gesundheitlichen Gefahren unterliegen,
und zu welchen Ergebnissen kommen sie dabei?

b) Inwiefern gehen diese Untersuchungen darauf ein, ob die Einnahme be-
stimmter Drogen und/oder Medikamente oder bestimmte körperliche
oder psychischeDispositionen dieGesundheitsgefährdung durch Pfeffer-
staub signifikant erhöht, und zu welchen Ergebnissen kommen sie dabei?

c) Inwiefern gehen diese Untersuchungen darauf ein, welche zusätzliche
Gefährdung der direkte Aufprall eines pfefferstaubhaltigen Geschosses
auf den menschlichen Körper bzw. sensible Organe wie etwa Augen be-
wirken, und zu welchen Ergebnissen kommen sie dabei?

d) Wer hat diese Untersuchungen jeweils in Auftrag gegeben, finanziert und
durchgeführt?

12. Welche Firmen oder Institute sind an der Entwicklung bzw. Erforschung von
Einsatzmitteln, die auf der Verwendung von Pfefferstaub (bzw. vergleichba-
ren Chemikalien) aus der Distanz basieren, beteiligt?

a) Inwiefern erhalten sie dabei Unterstützung durch den Bund (aus welchem
Etat)?

b) Inwiefern gibt es Kooperationen mit Bundesbehörden (welchen, welcher
Art)?

c) Welche Forschungen mit welchen Forschungszielen werden derzeit be-
trieben?

13. Welche Firmen wurden vertraglich vom Bund (bitte Behörde angeben) mit
der Forschung und Entwicklung solcher Systeme beauftragt?

a) Wie hoch sind die hierbei kalkulierten Kosten?

b) Welche Forschungenmit welchen Forschungszielen werden dabei betrie-
ben?

14. Welchen ein- und ausfuhrrechtlichen Bestimmungen unterliegt der Handel
mit pfefferstaubbasiertenWaffensystemen (Pepperball™ u. Ä.)?

Welche einschlägigen Regelungen gibt es hierzu auf nationaler sowie auf
EU-Ebene?

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15. Wie viele Genehmigungen auf Ausfuhr von pfefferstaubbasierten Waffen-
systemen (Pepperball™ u. Ä.) wurden in den letzten zehn Jahren gestellt,
und für wie viele Systeme wurden dabei Genehmigungen beantragt?

a) Wie viele dieser Anträge wurden bewilligt, zurückgezogen, abgelehnt,
und wie viele befinden sich noch im Genehmigungsverfahren?

b) Für wie viele Systeme sowie Geschosse wurden Ausfuhrgenehmigungen
erteilt (bitte nach den Empfängern aufgliedern)?

16. Welche Firmen in der Bundesrepublik Deutschland und international ent-
wickeln bzw. produzieren nach Kenntnis der Bundesregierung pfefferstaub-
basierteWaffensysteme (Pepperball™ u. Ä.)?

17. Welche technischen Merkmale (Dosierung, genauer Inhalt, maximale
Geschosszahl, Streubreite, Zielweite und -genauigkeit) weisen die in der
Bundesrepublik Deutschland verbreiteten bzw. zur Beschaffung geplanten
Systeme auf?

18. Verfügt die Bundeswehr über pfefferstaubbasierte Waffensysteme (Pepper-
ball™ u. Ä.), und wenn ja,

a) über wie viele derartige Abschusssysteme und Geschosse verfügt sie
(bitte aufgliedern nach Stückzahlen und Einheiten),

b) nach welchen Kriterien dürfen diese Systeme eingesetzt werden, und ist
insbesondere der ungezielte Einsatz gegen Menschenansammlungen zu-
lässig,

c) bei welchen Gelegenheiten sind diese Systeme bislang zum Einsatz ge-
kommen (bitte für den Zeitraum ab Januar 2005 vollständig auflisten)?

19. Plant die Bundesregierung die Anschaffung von (ggf. weiteren) pfeffer-
staubbasierten Waffensystemen (Pepperball™ u. Ä.) für die Bundeswehr,
und wenn ja, in welchen Stückzahlen, für welche Einsätze und für welche
Einsatzlagen?

20. Ist der Bundesregierung bekannt, inwieweit pfefferstaubbasierte Geschosse
in der Bundesrepublik Deutschland auch im Justizvollzugswesen eingesetzt
werden oder vorgehalten werden, etwa um bestimmte Lagen (Aufstände
u. Ä.) in Vollzugsanstalten zu bewältigen?

Berlin, den 1. April 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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