BT-Drucksache 17/13089

Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Marokkos in der Westsahara und Lösung des Konflikts durch Referendum unterstützen

Vom 16. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13089
17. Wahlperiode 16. 04. 2013

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Heike Hänsel, Katrin Werner,
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm,
Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Thomas Nord, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Kathrin Vogler und der
Fraktion DIE LINKE.

Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Marokkos in der
Westsahara und Lösung des Konflikts durch Referendum unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Bundestag verurteilt, dass Marokko nach wie vor einen großen Teil der
Westsahara seit 1975 völkerrechtswidrig besetzt hält. Der Bevölkerung der
Westsahara steht auch im Zuge der Dekolonialisierung das Recht auf Selbst-
bestimmung zu. Die UN-Generalversammlung hat bereits zwischen 1966
und 1972 in zahlreichen Resolutionen die Notwendigkeit eines Referendums
über die Unabhängigkeit der Westsahara festgestellt. Ansprüche Mauretaniens
und Marokkos auf die Westsahara wurden im Gutachten des Internationalen
Gerichtshofes vom 16. Oktober 1975 eindeutig zurückgewiesen. Mit der
Resolution 690 vom 29. April 1991 hat der UN-Sicherheitsrat diese Forde-
rung auch gegenüber Marokko erneuert und zur Vorbereitung und Durchfüh-
rung des Referendums die Mission der Vereinten Nationen für das Referen-
dum in Westsahara (MINURSO) eingerichtet. Marokko blockiert seit 1991
die Durchführung des Referendums.

2. Der Bundestag kritisiert, dass dieses Referendum bis heute nicht abgehalten
worden ist. Marokko versucht, mit einer seit Jahren gezielten Ansiedlung
marokkanischer Staatsbürger/-innen in der völkerrechtswidrig besetzten
Westsahara die Zusammensetzung der Bevölkerung gezielt zu seinen Guns-
ten zu manipulieren und marginalisiert die Sahrauis damit weiter. Darüber
hinaus missachtet Marokko das durch den UN-Sicherheitsrat in der Resolu-
tion 1429 vom 30. Juli 2002 anerkannte Selbstbestimmungsrecht der West-
saharabevölkerung und den in diesem Zusammenhang ausgearbeiteten Re-
ferendumplan des ehemaligen US-Außenministers James Baker, der vorsah,
die Bevölkerung bis 2008 in einem Referendum darüber entscheiden zu las-
sen, ob sie die volle Unabhängigkeit will, unter einem „Autonomiestatut“
leben oder zu Marokko gehören möchte. So soll es nach dem Willen Marokkos

kein Referendum mit drei Optionen (Unabhängigkeit, Anschluss an Marokko
oder Autonomie) geben.

3. Der Bundestag verurteilt, dass die marokkanische Regierung nicht nur durch
die Besatzung Völkerrecht bricht. Sie macht sich auch kontinuierlich
schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig. Regelmäßig kommt es zu
willkürlichen Inhaftierungen und Anklagen wie bei der Auflösung des Protest-

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camps von ca. 20 000 sahrauischen Männern, Frauen und Kindern im Lager
Gdaim Izyk nahe El Aaiún (Laâyoune) Anfang November 2010, bei der zahl-
reiche Menschen getötet und verletzt wurden. Die Ereignisse von Gdaim Izyk
und El Aaiún im November 2010 sind nach wie vor nicht durch eine unpar-
teiische und unabhängige Untersuchung geklärt worden. Zuletzt ging die
marokkanische Polizei am 25. März 2013 beim Besuch des UN-Beauftragten
für die Westsahara Christopher Ross brutal gegen sahrauische Demonstra-
tionsteilnehmer und -teilnehmerinnen in El Aaiún vor. In seinem Bericht vom
28. Februar 2013 hat der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen über Fol-
ter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
oder Strafe das große Ausmaß von Folter, insbesondere in den besetzen Ge-
bieten durch Marokko, belegt (A/HRC/22/53/Add. 2).

4. Der Bundestag ist besorgt, dass internationale Menschenrechtsorganisa-
tionen wie Amnesty International davon ausgehen, dass die Mehrzahl der im
Zuge der Räumung des Protestcamps Gdaim Izyk Inhaftierten Folter ausge-
setzt waren. Auch teilt der Bundestag die Ansicht, dass die Anklage vor
einem Militärgericht die Voraussetzungen für einen fairen Prozess nicht er-
füllte. Mit der langen Haftdauer ohne Anklage – die Prozesseröffnung
wurde insgesamt drei Mal verschoben – verstößt die marokkanische Justiz
auch gegen geltendes marokkanisches Recht. In dem politischen Schaupro-
zess wurden acht Sahrauis zu einer lebenslangen Haftstrafe und die übrigen
16 Angeklagten in der Mehrzahl zu Haftstrafen zwischen 20 und 30 Jahren
verurteilt. Aus Sicht ihrer Verteidigung wurde in keinem einzigen Fall der
Beweis einer Tatbeteiligung erbracht.

5. In seinem Jahresbericht dokumentiert Amnesty International auch für 2011
Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten, insbesondere durch den
marokkanischen Geheimdienst Direction de la Surveillance du Territoire –
DST – (www.amnesty.de/jahresbericht/2012/marokko-und-westsahara). Ins-
besondere Sahrauis, die sich für die Unabhängigkeit der Westsahara aus-
sprechen, aber auch die Bewegung 20. Februar (Mouvement du 20 février)
sind betroffen. In diesem Zusammenhang kritisiert der Bundestag, dass die
Bundesregierung seit 1966 militärische Ausbildungshilfe für die marokka-
nischen Streitkräfte leistet, obwohl diese an der völkerrechtswidrigen Be-
satzung der Westsahara beteiligt sind. Auch bei der „Flüchtlingsabwehr“ ar-
beiten Deutschland, die EU und Marokko eng zusammen, was unter anderem
Ausrüstungs- und Ausstattungshilfen für marokkanische Polizei- und Gen-
darmeriekräfte beinhaltet. Solche waren auch an der Räumung des Protest-
camps Gdaim Izyk und den Gewalttaten gegen die sahrauische Bevölkerung
beteiligt.

6. Der Bundestag lehnt sowohl das geplante neue Fischereiabkommen zwi-
schen der EU und Marokko als auch das EU-Agrarabkommen mit Marokko
ab, da die Gebiete der völkerrechtswidrig besetzten Westsahara und der vor-
gelagerten Küste nicht ausdrücklich ausgenommen sind. Zu keinem Zeit-
punkt wurde die sahrauische Bevölkerung auch nur konsultiert. Aus Sicht des
Juristischen Dienstes des Europaparlaments sind diese Verträge daher völker-
rechtswidrig. Damit wird einer Festlegung des völkerrechtlichen Status der
Westsahara vorgegriffen, indem die unveräußerlichen Rechte der Völker der
Gebiete ohne Selbstregierung auf ihre natürlichen Ressourcen durch die Ab-
kommen nicht gesichert und garantiert sind. Aus Sicht des marokkanischen
Informationsministers Mustapha El Khalfi bedeuten derartige Abkommen,
welche die Westsahara nicht ausdrücklich ausschließen, eine Anerkennung
der marokkanischen Ansprüche (wsrw.org vom 21. Januar 2013: www.wsrw.
org/a106x2483).

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7. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ihre Unterstützung beim
Ausbau der Energiegewinnung durch Solar- und Windkraft durch marokka-
nische Firmen und Behörden auf dem Gebiet der Westsahara einzustellen, der
ebenfalls ohne Konsultationen mit der sahrauischen Bevölkerung erfolgt und
von dem bislang u. a. deutsche Firmen, darunter die Siemens AG, profitieren
konnten. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
(GIZ) GmbH ist in diesem Sinne anzuweisen, keine Maßnahmen zur Er-
schließung erneuerbarer Energien in der völkerrechtswidrig besetzten West-
sahara zu unterstützen oder durchzuführen und keine finanzielle Unterstüt-
zung beim Ausbau der Energiegewinnung durch Solar- und Windkraft mehr
zu leisten, bis die Westsahara ihren Status als Gebiet ohne Selbstregierung
durch ein Referendum geklärt hat und die Besatzung durch Marokko beendet
ist.

8. Der Bundestag kritisiert, dass mit der letzten Verlängerung des Mandats der
UN-Mission MINURSO durch den UN-Sicherheitsrat bis zum 30. April
2013 das Mandat nicht auf die Beobachtung und Meldung von Menschen-
rechtsverletzungen in der Westsahara erweitert wurde und setzt sich für
einen solchen Mechanismus bei der anstehenden Verlängerung ein, solange
unabhängige Menschenrechtsbeobachter und -beobachterinnen keinen
freien Zugang zu den besetzten Gebieten haben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine internationale Untersuchung der Vorfälle um die gewaltsame Auflösung
des Protestcamps Gdaim Izyk Anfang November 2010 und die Niederschla-
gung der anschließenden Demonstrationen und die Revision der Urteile
gegen die 24 Sahrauis allein schon deshalb einzufordern, da dieses Verfahren
nicht vor einem Militärgericht sondern laut Verfassung vor einem Straf-
gerichtshof hätte stattfinden müssen;

2. die politisch motivierten und im Zusammenhang mit der Besatzungspolitik
stehenden Prozesse gegen Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten zu
kritisieren und auf die Europäische Kommission dahingehend einzuwirken,
dass die Einhaltung der Menschenrechte in Marokko Voraussetzung für ver-
tragliche Vereinbarungen und die Vertiefung der Zusammenarbeit im Rah-
men der europäischen Nachbarschaft zwischen der EU und Marokko ist;

3. sich der Forderung des Europäischen Parlaments vom 7. Februar 2013 anzu-
schließen, alle Gefangenen sofort und bedingungslos freizulassen, die in
politisch motivierten und in Zusammenhang mit der Besatzungspolitik
stehenden Prozessen verurteilt wurden;

4. die Angriffe auf die Presse- und Informationsfreiheit durch das Königreich
Marokko zu verurteilen und dieses aufzufordern, Journalistinnen und
Journalisten, unabhängigen Beobachterinnen und Beobachtern sowie huma-
nitären Organisationen unverzüglich freien Zugang in die Westsahara zu ge-
statten und ihre Bewegungsfreiheit zu garantieren;

5. die Menschenrechtslage in und die völkerrechtswidrige Besatzung der West-
sahara bei allen Kontakten mit der marokkanischen Regierung zu themati-
sieren und dabei eindeutig Position für das Völkerrecht und die baldige
Durchführung des Referendums zu beziehen;

6. die schwerwiegenden, anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der West-
sahara durch das marokkanische Besatzungsregime im Menschenrechtsrat
der Vereinten Nationen zu thematisieren und auf eine entsprechende Ver-
urteilung hinzuwirken;

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7. jegliche Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für marokkanische Polizei-
und Armeekräfte einzustellen, bis die völkerrechtswidrige Besatzung der
Westsahara beendet ist;

8. im Rahmen der UN, der EU und von bilateralen Gesprächen gegenüber der
marokkanischen Regierung konsequent auf die schnellstmögliche Umset-
zung der mit der Resolution 690 vom 29. April 1991 des UN-Sicherheits-
rates auch gegenüber Marokko erneuerten Forderung nach einem Referen-
dum in der Westsahara zu drängen;

9. dafür Sorge zu tragen, dass die Begünstigungen Marokkos im Rahmen der
Europäischen Nachbarschaftspolitik und des „fortgeschrittenen Status“
(advanced status) sowie das Assoziierungsabkommen zwischen der EU
und Marokko so lange ausgesetzt werden, bis Marokko die völkerrechts-
widrige Besatzung der Westsahara beendet, das Königreich Marokko die
Resolutionen der UN-Generalversammlung umsetzt und das Referendum
über die Zukunft der Westsahara (Unabhängigkeit, Anschluss an Marokko
oder Autonomie) unter UN-Aufsicht nicht weiter blockiert;

10. die Beteiligung deutscher Unternehmen an Abbau, Abtransport und Weiter-
verarbeitung von Ressourcen wie Phosphaten in der Westsahara oder an
Fischfang sowie an Explorationen z. B. von Öl und Gas zu untersuchen und
zur Anzeige zu bringen;

11. im Rahmen ihrer „Energiepartnerschaft“ mit dem Königreich Marokko
sicherzustellen, dass keine Projekte in der besetzten Westsahara mit deut-
schem Know-how und Kapital gefördert werden;

12. sich dafür einzusetzen, dass ein Fischereiabkommen zwischen der EU und
Marokko nicht im Widerspruch zum Völkerrecht steht, indem die Gebiete
vor der Küste der Westsahara ausdrücklich ausgenommen werden;

13. sich dafür einzusetzen, dass ein Agrarabkommen zwischen der EU und
Marokko nicht im Widerspruch zum Völkerrecht steht, indem die Gebiete
der völkerrechtswidrig besetzten Westsahara ausdrücklich ausgenommen
werden;

14. darauf hinzuwirken, dass bei einer Verlängerung der UN-Mission MINURSO
das Mandat auf die Beobachtung und Meldung von Menschenrechtsverlet-
zungen in der Westsahara erweitert wird, solange unabhängige Menschen-
rechtsbeobachter/-innen keinen freien Zugang zu den besetzten Gebieten
haben.

Berlin, den 16. April 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Das Königreich Marokko wird von der Bundesregierung und der EU als enger
Partner in der Nachbarschaftspolitik, bei der „Bekämpfung der illegalen Migra-
tion“ bei den Einsätzen der Bundesmarine im Mittelmeer und beim Ausbau der
erneuerbaren Energien in der MENA-Region (MENA: Nahost und Nordafrika)
behandelt, obgleich es seine völkerrechtswidrige Besatzung der Westsahara seit
1975 aufrechterhält und eine Lösung – insbesondere die Abhaltung eines seit
1991 vorgesehenen Referendums – blockiert. Den Sahrauis wird nicht nur ihr

Selbstbestimmungsrecht und ihre Verfügungsgewalt über die Rohstoffe und

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Energiepotentiale der Westsahara vorenthalten, sie werden darüber hinaus auch
sozial stark benachteiligt – der Besitz von Häusern und das Betreiben von Ge-
schäften ist ihnen verwehrt, der Zugang zu Bildung und Arbeitsplätzen wird
erschwert – und Opfer von massiven Menschenrechtsverletzungen durch die
marokkanischen Sicherheitsbehörden, wie die Hohe Kommissarin für Men-
schenrechte, das Europäische Parlament und verschiedene Menschenrechts-
organisationen wie Amnesty International in ihren Berichten wiederholt fest-
stellen.

Die Nichtverlängerung des völkerrechtswidrigen Fischereiabkommens hat eine
Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes der Sahrauis, namentlich der Poli-
sario, zunächst verhindert oder zumindest aufgeschoben. Die Bundesregierung
muss insbesondere auch vor dem Hintergrund der sich massiv verschlechtern-
den Sicherheitslage in der Sahara und dem Sahel insgesamt darauf hinwirken,
dass sich junge Sahrauis nicht eventuell genötigt sehen, zum Mittel der Gewalt
zu greifen. Allerdings liegt es nun an Marokko, der EU und auch der Bundes-
regierung, endlich die Möglichkeiten zur Herbeiführung von Frieden durch
eine faire, selbstbestimmte und völkerrechtskonforme Klärung des Status der
Westsahara zu nutzen. Gibt es innerhalb der nächsten Monate keine deutlichen
Fortschritte bei der Umsetzung des UN-Friedensplans von 1990 wird das
Risiko eines neuen bewaffneten Konfliktes um die durch Marokko völker-
rechtswidrig besetzte Westsahara vor dem Hintergrund einer angespannten
Situation in den angrenzenden Staaten bewusst in Kauf genommen. Die derzeit
stattfindenden Gespräche über ein Agrarabkommen zwischen der EU und
Marokko und die Ansiedelung von Wind- und Solarkraftwerken mit finanzieller
und technischer Unterstützung durch Deutschland sind dabei der falsche Weg,
da sie die Rechte der Sahrauis erneut ignorieren und der Aufrechterhaltung der
marokkanischen Besatzung in der Westsahara dienen, das den Zugriff auf dieses
rohstoffreiche Gebiet sichern will und der durch EU und Bundesregierung hier-
mit implizit legitimiert wird.

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