BT-Drucksache 17/12787

Stellensituation im Pflegedienst der Krankenhäuser und quantitative und qualitative Standards der Personalbemessung

Vom 14. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12787
17. Wahlperiode 14. 03. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer, Harald Weinberg, Diana Golze,
Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Katja Kipping, Yvonne Ploetz, Kathrin Vogler,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Stellensituation im Pflegedienst der Krankenhäuser und quantitative und
qualitative Standards der Personalbemessung

Die Personalsituation im Pflegedienst der Krankenhäuser in Deutschland hat
sich in den vergangenen Jahren verschlechtert und zugespitzt. Nach den An-
gaben des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Patientinnen und Patienten
(Fallzahl) von 2003 bis 2011 von 17,30 Millionen auf 18,34 Millionen gestiegen,
während die Zahl der Pflegekräfte (Vollzeitäquivalente) von 2003 bis 2011 von
320 158 auf 310 817 zurückgegangen ist. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist
die Verdichtung von Arbeit und in der Folge eine steigende Überlastung des
Pflegepersonals in den Krankenhäusern. Ein weiterer Hinweis hierfür ist auch
der internationale Vergleich: In Krankenhäusern in Deutschland versorgt ein
Beschäftigter 20 Patientinnen und Patienten im Jahr, während z. B. in den USA
sich die Beschäftigten nur um acht Fälle kümmern müssen. In der Schweiz sind
es neun Fälle, in Dänemark, Norwegen und Großbritannien zwölf, in Spanien 13
(Deutsche Krankenhausgesellschaft – DKG). Daher rührt die hohe Zahl von
Überlastungsanzeigen in Deutschland. Zudem leiden Gesundheits- und Kran-
kenpflegerinnen und -pfleger besonders häufig unter arbeitsbedingten Gesund-
heitsproblemen (Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. 2010;
Statistisches Bundesamt 2009). Wie internationale Studien belegen, gibt es einen
starken Zusammenhang zwischen der Personalausstattung und der Qualität der
Versorgung. Schlechte Personalausstattung bedeutet auch oft eine schlechte Ver-
sorgung, in einigen Fällen wird auch die Gesundheit und des Lebens der Patien-
tinnen und Patienten gefährdet.

Auch das 2009 aufgelegte Pflegestellenförderprogramm der Bundesregierung
konnte bisher nicht für eine substantielle Entlastung sorgen (Deutscher Pflege-
rat e.V. 2012, Pflege-Thermometer 2012, Deutsches Institut für angewandte
Pflegeforschung e.V. 2012). Parallel dazu ist die finanzielle Situation der Kran-
kenhäuser in Deutschland äußerst angespannt. Seit dem Ende der Konvergenz-
phase zur Einführung der Fallpauschalen (DRG System) im Jahr 2009 mussten
die Krankenhäuser eine Finanzierungslücke von 6,5 Prozent schließen, das ent-
spricht 3,8 Mrd. Euro, die durch Einsparungen – meist beim Personal – gedeckt

werden mussten (Entschließung des Bundesrates zur Weiterentwicklung des
Vergütungsrechts für Krankenhäuser, Bundesratsdrucksache 432/12). Nach ei-
ner Umfrage unter Krankenhausdirektoren haben 43 Prozent der Allgemein-
krankenhäuser das Jahr 2011 mit einem Defizit abgeschlossen. Diese nach Auf-
fassung der Fragesteller von der Bundesregierung beförderte finanzielle Situa-
tion der Krankenhäuser veranlasst die Krankenhausleitungen sicherlich nicht,
dringend benötigte neue Einstellungen vorzunehmen. Angesichts dieser Zuspit-

Drucksache 17/12787 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

zung der Personalsituation des Pflegedienstes der Krankenhäuser und die durch
die Unterbesetzung befürchteten Auswirkungen auf die Qualität der Patienten-
versorgung und die Patientensicherheit, stellt sich zunehmend die Frage, durch
welche Maßnahmen eine dauerhafte und ausreichende Personalbesetzung im
Pflegedienst der Krankenhäuser bundesweit erreicht werden kann.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welchen gesetzlichen Vorgaben unterliegen Krankenhäuser bezüglich ihrer
Personalausstattung im

a) Bereich Psychiatrie/Psychosomatik,

b) Bereich der somatischen Stationen?

2. Hält die Bundesregierung die Personalausstattung in deutschen Kranken-
häusern, besonders im Bereich der Pflege, für ausreichend?

Falls ja, womit begründet die Bundesregierung diese Einschätzung?

3. Welche Folgen resultieren nach Ansicht der Bundesregierung aus einer
personellen Unterdeckung von Krankenhäusern für die Patientinnen und
Patienten und für das Personal?

4. Liegen der Bundesregierung Hinweise zur Versorgung von Patientinnen
und Patienten und zur gesundheitlichen Situation von Pflegekräften in
Krankenhäusern vor, die auf eine personelle Unterdeckung von Kranken-
häusern zurückzuführen sein könnten (bitte benennen)?

5. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, verbindlich Mindestanforde-
rungen an die personelle Ausstattung in Krankenhäusern zur Sicherung
einer ausreichenden Mindestpersonalbesetzung im Pflegedienst gesetzlich
vorzugeben, ihre Einhaltung zu kontrollieren und durchzusetzen, und wenn
nein, warum nicht?

6. Sieht die Bundesregierung ausschließlich die Länder in der Pflicht, oder
fände sie bundeseinheitliche Rahmenbedingungen zur Qualitätssicherung
sinnvoll?

7. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung im bestehenden Recht die Möglich-
keit gegeben, verbindliche Mindeststandards für die personelle Besetzung
von Krankenhäusern gesetzlich vorzugeben, die zur Sicherung einer aus-
reichenden Mindestpersonalbesetzung im Pflegedienst führen, z. B. auf
Grundlage des § 137 Absatz 1 Nummer 2 des Fünften Buches Sozial-
gesetzbuch (SGB V), und wenn nein, warum nicht?

8. Mit welchen Maßnahmen bzw. gesetzlichen Vorgaben ist aus Sicht der
Bundesregierung bereits heute sichergestellt, dass die Personalbesetzung
im Pflegedienst der deutschen Krankenhäuser einem Mindestumfang ent-
spricht, so dass einerseits die Patientensicherheit zu keiner Zeit in Frage
gestellt ist und andererseits die körperliche und psychische Gesundheit der
Mitarbeiter des Pflegedienstes der Krankenhäuser ebenfalls nicht gefährdet
wird?

9. Wurden bei der Einführung des G-DRG-Systems durch das Gesetz zur Ein-
führung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser
(Fallpauschalengesetz – FPG) vom 23. April 2002 Mindestanforderungen an
die Struktur- und Ergebnisqualität für Krankenhäuser gesetzlich vorgegeben,
bzw. wurde die Aufforderung an die Spitzenverbände der GKV, die DKG
und die PKV erteilt, diese Mindestanforderungen zu vereinbaren?

10. Welche Mindestanforderungen müssen gegebenenfalls aus dem FPG hin-

sichtlich der Art und der Anzahl des Personals sowie an dessen Qualifika-
tion abgeleitet werden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12787

11. Sieht die Bundesregierung die im Entwurf eines Gesetzes zur Einführung
des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser (Fall-
pauschalengesetz – FPG), Bundestagsdrucksache 14/6893 auf Seite 30 f.
formulierten Verpflichtungen hinsichtlich der sächlichen und personellen
Mindestvoraussetzungen für die Leistungserbringung als weitgehend um-
gesetzt an?

Falls nicht, was ist aus Sicht der Bundesregierung zu veranlassen?

12. Für welche Teil- (Fach-)bereiche wurden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung Mindestanforderungen an die Strukturqualität von Krankenhäusern
von der gemeinsamen Selbstverwaltung auf Grundlage der Regelungen des
FPG vereinbart, und welche Mindestanforderungen sind das?

13. Inwieweit lassen sich aus den gegebenenfalls bisher in Teil- (Fach-)berei-
chen vereinbarten Mindestanforderungen an die Strukturqualität von Kran-
kenhäusern Mindestanforderungen auch für die personelle Ausstattung von
Krankenhäusern bzw. deren Teil- (Fach-)bereiche verbindlich vorgeben,
deren Einhaltung kontrollieren und durchsetzen, bzw. welche Mindest-
anforderungen an die personelle Ausstattung von Krankenhäusern sind be-
reits auf diesem Wege verbindlich vereinbart worden?

14. Warum wurde nach Kenntnis der Bundesregierung von der gemeinsamen
Selbstverwaltung gegebenenfalls bisher keine allgemeingültige Verein-
barung zur personellen Besetzung des Pflegedienstes der Krankenhäuser
auf Grundlage des FPG vereinbart, welche zur Sicherung einer ausreichen-
den Mindestpersonalbesetzung im Pflegedienst der Krankenhäuser führt?

15. Welche Gründe lagen vor, die zwischen 1993 und 1995 existierenden all-
gemeinverbindlichen Vorgaben zur Personalbemessung im allgemeinen
Pflegedienst der Krankenhäuser (Pflegepersonalregelung – PPR) 1996 zu-
nächst auszusetzen und 1997 vollständig außer Kraft zu setzen?

16. Welche Aufgabe hatte die PPR, bzw. welche Ziele verfolgte sie, und waren
diese Ziele mit der Aussetzung bzw. der Außerkraftsetzung erreicht?

17. Konnte das gegebenenfalls erreichte Ziel der PPR nach deren Außerkraft-
setzung gehalten werden, bzw. wie entwickelte sich die Zahl aller Beschäf-
tigten (bitte unter Angabe von Voll- und Teilzeitbeschäftigung) im Pflege-
dienst der Krankenhäuser seit 1991 bis heute?

18. Inwieweit ist die PPR bzw. ein auf der Grundlage der PPR weiterentwickel-
tes Personalbemessungsinstrument als Basis geeignet oder nicht geeignet,
verbindliche Mindestanforderungen an die personelle Ausstattung im
Pflegedienst der Krankenhäusern gesetzlich vorzugeben (bitte begründen)?

19. Inwieweit wird die PPR nach Kenntnis der Bundesregierung heute noch in
den Krankenhäusern zu anderen Zwecken als der Personalbemessung an-
gewendet?

20. Inwieweit ist die Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) als Grund-
lage geeignet, verbindliche Mindestanforderungen an die personelle Aus-
stattung im Pflegedienst von stationären Einrichtungen der Erwachsenen-
psychiatrie und der Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. in entsprechenden
Abteilungen von Krankenhäusern gesetzlich vorzugeben?

21. Welche Auswirkung wird aus Sicht der Bunderegierung die mit dem Gesetz
zur Einführung eines pauschalierenden Entgeltsystems für psychiatrische
und psychosomatische Einrichtungen (PsychEntgG) unterbundene Weiter-
entwicklung der Psych-PV unter Berücksichtigung der Erkenntnisse zur
Personalentwicklung im Pflegedienst der Krankenhäuser im Zuge der Ein-

führung des G-DRG-Systems haben?

Drucksache 17/12787 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

22. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen des
Pflege-Thermometers 2012, dass „bislang nur in geringem Umfang syste-
matische und transparente Verfahren der Personalbemessung auf bundes-
deutschen Intensivstationen eingesetzt werden“ (Deutsches Institut für an-
gewandte Pflegeforschung e.V.)?

23. Hält die Bundesregierung den Vorschlag zur Einführung eines systema-
tischen Monitorings zur Patientensicherheit im Intensivpflegebereich für
sinnvoll, um auf der Basis der daraus abgeleiteten, qualitätsbezogenen
Kennzahlen die Stärke und Zusammensetzung des Fachpersonals besser
entwickeln und steuern zu können (Pflege-Thermometer, S. 81)?

Wenn nicht, warum nicht?

24. Welche Konsequenzen leitet die Bundesregierung aus Ergebnissen des
Pflege-Thermometers 2012 ab, dass einerseits „die Übernahme von medizi-
nischen Entscheidungen und Leistungen durch Pflegekräfte auf Intensiv-
stationen … offenkundig notwendig (ist), um den laufenden Betrieb der
Stationen aufrechterhalten zu können“, andererseits hohe Belastungen des
Pflegepersonals zu Gesundheitsrisiken der Patienten führen, die sich bei-
spielsweise darin äußern, dass 73,1 Prozent der befragten Leitungskräfte
von Intensivstationen, Mängel in der Händedesinfektion aufgrund des Per-
sonalmangels nicht ausschließen können, „was insbesondere im intensiv-
medizinischen Bereich mit hohen Risiken behaftet ist“?

25. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen des
Pflege-Thermometers 2012, nach welchen mittels Befragung leitender
Pflegekräfte von Intensivstationen zur Gewährleistung der Patienten-
sicherheit festgestellt wurde, dass es exemplarisch auf „zwei von drei
Stationen … bei unruhigen Patienten zu Sturzereignissen aus dem Bett
kam“ oder „dass mehr als jede zweite Intensivstation im Jahr 2011“ bei
Patienten das selbständige „Entfernen eines zentralvenösen Katheters ver-
zeichnete“, was in der Regel „mit erheblichen Folgen für die Betroffenen
verbunden ist“?

26. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass pflegerische Leistungen ein
fester Bestandteil der Versorgung und Vergütung von Krankenhäusern sind
und deren Qualität sich maßgeblich auf die Patientensicherheit auswirkt,
diese pflegerischen Leistungen sich aber nur bedingt in der Ressourcen-
zuweisung innerhalb der einzelnen Kliniken bzw. in den G-DRGs abbilden
(bitte begründen)?

27. Inwieweit ist aus Sicht der Bundesregierung der Ansatz zielführend, in die
G-DRG-Systeme finanzielle Mittel für Bereiche mit Patienten, die in der
pflegerischen Versorgung hochaufwendig sind, einfließen zu lassen, ob-
wohl das G-DRG-System nicht vorsieht, einzelnen Berufsgruppen gezielt
Erlöse zuzuweisen?

28. Inwieweit ist die Abbildung von komplexen pflegerischen Leistungen über
Pflegekomplexmaßnahmenscores (PKMS) als unzureichend zu bewerten,
da diese derzeit nur einen Teil des pflegerischen Handlungsspektrums um-
fassen und in deren gültiger Version hinsichtlich der Identifikation hoch-
aufwendiger Pflegeleistungen nicht geprüft und daher nicht für die an-
gestrebte Verteilung finanzieller Mittel geeignet ist (Positionspapier des
Deutschen Pflegerates e.V. „Pflegerische Leistungen im G-DRG-System“,
September 2012)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12787

29. Ist es gelungen, durch die Schaffung des PKMS die Absicherung von mehr
Pflegefachpersonalstellen zu erreichen und einem weiteren Pflegefach-
personalabbau entgegenzuwirken bzw. Pflegefachpersonalstellen neu zu
schaffen und zu finanzieren und damit eine etwaige Nachhaltigkeit des
dreijährigen Pflegestellenförderprogramms zu sichern?

30. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem Vorschlag des Deutschen Pflegerates, welcher maßgeblich an der
Entwicklung des PKMS beteiligt war, die PPR mehrstufig weiterzuent-
wickeln und damit den PKMS in eine systemkonforme Abbildung hoch-
aufwendiger pflegerischer Leistungen zu überführen?

31. Ist aus Sicht der Bundesregierung die Feststellung richtig, dass es nach gel-
tendem Recht allein den Krankenhäusern und damit deren Leitung obliegt,
wie und wofür deren Erlöse Verwendung finden und die Erlöse daher nicht
zwangsläufig für eine ausreichende personelle Ausstattung im Pflegedienst
eingesetzt werden müssen, die einerseits die Patientensicherheit gewähr-
leisten und andererseits der Gesunderhaltung der Beschäftigten des Pflege-
dienstes genügen?

32. Reicht aus Sicht der Bundesregierung allein die Strategie der Bereitstellung
zusätzlicher finanzieller Mittel aus, um verbindlich eine ausreichende Per-
sonalbesetzung im Pflegedienst der Krankenhäuser zu erreichen, und wenn
nein, welche Strategien sieht die Bundesregierung hier jenseits der externen
verbindlichen Vorgabe von Standards der Personalbemessung als geeignet
an, und warum?

33. Reichen nach Ansicht der Bundesregierung die jährlichen Anpassungen der
Mittelzuweisungen an die Krankenhäuser aus, um Tarifsteigerungen aus-
reichend zu refinanzieren, oder sind die Zuweisungen so bemessen, dass
eine Produktivitätssteigerung, also die Verringerung von Personal, einkalku-
liert ist und damit angeregt werden soll?

34. Hält die Bundesregierung die Arbeitsverdichtung beim Personal für wirt-
schaftlich geboten?

Berlin, den 14. März 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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