BT-Drucksache 17/12747

Auswirkungen der Übernahme redaktioneller Beiträge konkurrierender Zeitungen auf die Medienvielfalt im östlichen Ruhrgebiet und Südwestfalen

Vom 11. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12747
17. Wahlperiode 11. 03. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Matthias W. Birkwald, Inge Höger, Andrej Hunko,
Ulla Jelpke, Niema Movassat, Ingrid Remmers, Kathrin Senger-Schäfer,
Kathrin Vogler, Sahra Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen der Übernahme redaktioneller Beiträge konkurrierender Zeitungen
auf die Medienvielfalt im östlichen Ruhrgebiet und Südwestfalen

Zum 1. Februar 2013 wurde trotz breiter Proteste aus der Bevölkerung die
Schließung der eigenständigen Redaktionen der zur WAZ Mediengruppe ge-
hörenden Westfälischen Rundschau (WR) weitgehend vollzogen. Dadurch ver-
loren 120 abhängig beschäftigte und etwa 150 freiberufliche Journalisten ihren
Arbeitsplatz.

Die WAZ-Gruppe hat die unternehmerische Entscheidung getroffen, die Inhalte
der Lokalteile der weiterhin als eigenständiger Zeitungstitel erscheinenden WR
teils von der parallel erscheinenden eigenen Westfalenpost, teils von den im kon-
kurrierenden Medienhaus Lensing Medien GmbH & Co. KG erscheinenden
Ruhr Nachrichten oder anderen konkurrierenden Verlagen zu übernehmen.
Bereits seit 2009 wird der ehemals von einer eigenständigen Redaktion erstellte
Mantelteil großenteils vom sogenannten Content Desk der WAZ-Gruppe
geliefert.

Somit entsteht im Erscheinungsgebiet der WR, das mit den in den kreisfreien
Städten Dortmund und Hagen, in den Kreisen Unna, Olpe, Siegen-Wittgen-
stein, Hochsauerlandkreis und im Märkischen Kreis weite Teile des östlichen
Ruhrgebiets und Südwestfalens umfasst, ein neuer Typus eines faktischen „Ein-
Zeitungs-Kreises“. Er ist dadurch geprägt, dass es zwar formal weiterhin min-
destens zwei Zeitungen mit selbständigen Titeln gibt, diese aber zumindest in
der lokalen Berichterstattung inhaltsgleich sind.

Bereits seit Mitte der 2000er Jahre sind im Ruhrgebiet im Bereich der Lokal-
presse faktische Monopolgebiete entstanden. Seit dem Jahr 2006 wurden von der
WAZ-Gruppe und dem Medienhaus Lensing Medien GmbH & Co. KG in Kon-
kurrenzgebieten wechselseitig die Lokalredaktionen der jeweils auflagenschwä-
cheren Ausgaben eingestellt, teilweise Beschäftigte entlassen und das Gebiet
dem jeweils auflagenstärkeren Verlag überlassen. Betroffen waren seitens des
Verlags Lensing-Wolff und dem mit diesem verbundenen Verlag J. Bauer KG
(Marl, Kreis Recklinghausen, Bottrop, Gladbeck, Gelsenkirchen.). Aus den sie-

ben Kommunen Haltern, Datteln, Herten, Marl, Oer-Erkenschwick, Reckling-
hausen und Waltrop (alle Kreis Recklinghausen) wird nur noch durch eine WAZ-
Kreisredaktion in Recklinghausen berichtet.

Durch die Aufgabe der WR- und der WAZ-Redaktion in Dortmund wird die
größte Stadt des Ruhrgebietes faktisch Monopolgebiet für Lensing-Wolff.

Drucksache 17/12747 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

In folgenden Kommunen bzw. Kreisen gibt es durch die Entwicklung seit dem
Jahr 2006 nur noch eine Tageszeitung mit Lokalredaktion:

Dortmund, Gelsenkirchen, Bottrop, Gladbeck, große Teile des Ennepe-Ruhr-
Kreises, große Teile des Kreises Unna, große Teile des Märkischen Kreises so-
wie wie in der beschrieben Weise große Teile des Kreises Recklinghausen.

Diese Entwicklung widerspricht nach dem Kommentar „Revier ohne Vielfalt“
des „Deutschlandfunks“ vom 1. Februar 2013 auch der medienpolitischen In-
tention des für die Übernahme der WR durch die WAZ-Gruppe grundlegenden
sogenannten WAZ-Modells „publizistischer Vielfalt unter einem betriebswirt-
schaftlichen Dach, (…). Die einzelnen Blätter blieben redaktionell unabhängig,
wurden allerdings gemeinsam verwaltet und produziert.“

Trotz der mit der hohen Bedeutung der Verhinderung von Medien- und Meinungs-
monopolen für die in Artikel 5 des Grundgesetzes (GG) formulierten Grund-
rechte der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit begründeten Sonder-
regelungen für den Zeitungssektor kann dieser Form der Herausbildung lokaler
Medienmonopole mit den auf die Eigentumsverhältnisse ausgerichteten Regeln
des Wettbewerbs- und Kartellrechts nicht entgegengewirkt werden.

Weiterhin gelten in Zeitungsverlagen nach § 118 Absatz 1 Satz 2 des Betriebs-
verfassungsgesetzes (BetrVG) weitgehende Beschränkungen der Mitbestim-
mungs- und Informationsrechte des Betriebsrates. Begründet werden diese Ein-
schränkungen mit dem Schutz der Weisungsrechte des Verlegers unter Bezug
auf Artikel 5 GG. Wenn jedoch in einem Zeitungsverlag unternehmerische Ent-
scheidungen von erheblicher Bedeutung für den Inhalt einer Zeitung – wie etwa
im geschilderten Fall die Aufgabe der eigenständigen redaktionellen Erarbeitung
journalistischer Inhalte – überwiegend nach betriebswirtschaftlichen Effizienz-
kriterien getroffen werden, stellt sich die Frage, ob diese Beschränkungen der
Informations- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates noch zeitgemäß
sind.

Dies gilt gleichermaßen für die Begrenzung der inneren Pressefreiheit durch
mit dem Tendenzschutz begründeten, besonderen Weisungsbefugnissen, wenn
wegen weitreichender inhaltlicher Übernahmen aus konkurrierenden Zeitungen
unterschiedlicher inhaltlicher Ausrichtung, eine schützenswerte spezifische
Tendenz der Zeitung für den Leser kaum mehr zu erkennen ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Bedeutung lokaler und regionaler
Medienvielfalt vor dem Hintergrund der zunehmenden Konzentration im
Zeitungssektor, und welche Konsequenzen zieht sie aus dieser Bewertung?

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die faktische Herausbildung
von lokalen Meinungsmonopolen auch dann ein grundrechtsrelevantes und
medienpolitisches Problem ist, wenn sie sich in Formen vollzieht, die nicht
dem Kartellrecht unterliegen?

Wie begründet sie ihre Haltung, und welche Konsequenzen zieht sie daraus?

3. Hält die Bunderegierung vor dem Hintergrund der beschriebenen Heraus-
bildung regionaler Meinungsmonopole durch Kooperation das Kartellrecht
noch für ein zeitgemäßes Instrument zum Schutz lokaler Medienvielfalt?

Wie begründet sie ihre Auffassung, und welche Alternativen oder ergänzen-
den Regelungsansätze hat sie dafür erwogen?

4. Welche weiteren Maßnahmen zur Sicherung lokaler und regionaler Zeitungs-
vielfalt hält die Bundesregierung für medienpolitisch sinnvoll?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12747

Wie begründet sie ihre Auffassung, und welche Konsequenzen zieht sie da-
raus?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Beschränkung der Mitbe-
stimmungs- und Informationsrechte von Betriebsräten in Zeitungsverlagen
durch Anwendung des Tendenzschutzes nicht mehr zeitgemäß ist, wenn
unternehmerische Entscheidungen von erheblicher Bedeutung für die journa-
listischen Inhalte in einem Zeitungsverlag überwiegend nach betriebswirt-
schaftlichen Effizienzkriterien getroffen werden, die nicht durch Artikel 5
GG geschützt sind?

Wie begründet sie ihre Auffassung, und welche Konsequenzen zieht sie da-
raus?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die mit Bezug auf den
Tendenzschutz begründeten Beschränkungen der inneren Pressefreiheit
durch besondere verlegerische Weisungsrechte nicht mehr zeitgemäß sind,
wenn wegen weitreichender inhaltlicher Übernahmen aus konkurrierenden
Zeitungen unterschiedlicher inhaltlicher Ausrichtung eine schützenswerte
spezifische Tendenz der Zeitung für den Leser kaum mehr zu erkennen ist?

Wie begründet sie ihre Haltung, und welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Berlin, den 11. März 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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