BT-Drucksache 17/12590

Einrichtungen des Jugendwohnens - Bestandsaufnahme und Perspektiven

Vom 27. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12590
17. Wahlperiode 27. 02. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Einrichtungen des Jugendwohnens – Bestandsaufnahme und Perspektiven

Jugendwohnen ist ein Angebot, das sich an Jugendliche im Alter von 14 bis
27 Jahren richtet. Einrichtungen des Jugendwohnens bieten Unterkunft, Ver-
pflegung und sozialpädagogische Begleitung aus einer Hand. Insbesondere
Jugendliche aus ärmeren Familien greifen auf die Angebote des Jugendwoh-
nens zurück und sind vielfach auf sie angewiesen. Die Angebote werden jedes
Jahr von mehr als 200 000 jungen Menschen genutzt. Zielgruppe sind junge
Menschen, die aufgrund ihrer Ausbildung, wegen der Teilnahme an schu-
lischen oder beruflichen Bildungs- und Eingliederungsmaßnahmen sowie aus
sonstigen sozialen Gründen ihr Elternhaus verlassen und an einem anderen Ort
auf sich alleine gestellt sind. Ein bedeutender Teil der Bewohner/Bewohnerin-
nen sind minderjährig, so dass die Einrichtungen des Jugendwohnens auch die
Aufsichtspflicht über diese Jugendlichen wahrnehmen müssen. Aber auch Ju-
gendliche mit Behinderung sind im Rahmen von Eingliederungsleistungen in be-
sonderem Maße von der Existenz dieser Einrichtungen abhängig. Die Anforde-
rungen an Einrichtungen des Jugendwohnens sind folglich groß und vielfältig.

Ihre Bedeutung wird parallel zu den steigenden Mobilitätsanforderungen an
junge Menschen in Ausbildung weiter zunehmen. Eine neue Entwicklung stellt
hierbei die europaweite Mobilität dar. Jugendwohnheime sind oftmals die ein-
zige Möglichkeit, kostengünstig und vor allem in der Gemeinschaft zu wohnen
und mit Gleichaltrigen die Freizeit zu verbringen. In den Jugendwohnheimen,
die der Kinder- und Jugendhilfe zuzuordnen sind, werden junge Frauen und
Männer zudem pädagogisch betreut. Sie profitieren in ihrer persönlichen Ent-
wicklung von Unterstützungs-, Informations- und Beratungsangeboten, die sie
in ihren Unterkünften vorfinden. Abhängig von der Situation vor Ort können
im Rahmen des Jugendwohnens auch die Angebote der Hilfen zur Erziehung in
Anspruch genommen werden. Dies ist regional unterschiedlich ausgestaltet und
hängt auch von der Ausrichtung des jeweiligen Trägers ab.

Im Gegensatz zu dieser Bedeutung und des Erfolges dieser Einrichtungen so-
wie des prognostizierten wachsenden Bedarfes von Einrichtungen des Jugend-
wohnens und deren Kapazitäten wirft die tatsächliche Situation, in der sich die
Angebote des Jugendwohnens vor Ort befinden, viele Fragen auf. Über die

Hälfte der Einrichtungen befindet sich in lediglich vier Bundesländern. Da-
durch entstehen ungleiche Zugangsmöglichkeiten für junge Menschen zu die-
sem Angebot, die sich, wenn die Entwicklung anhält, noch weiter verschärfen
werden. So stellt der 14. Kinder- und Jugendbericht fest, dass das Jugendwoh-
nen nicht mehr in der Breite vorhanden ist, wie dies in früheren Jahren der Fall
war. Auch ein Ausbau, der diese Entwicklung umkehren könnte, ist nicht in
Sicht. Die bestehenden Einrichtungen bleiben sich weitestgehend selbst über-

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lassen, die Programme zur Sanierung von Einrichtungen des Jugendwohnens
wurden ab dem Jahr 2004 eingestellt. Der Verband der Kolpinghäuser e. V. be-
ziffert bereits für das Jahr 2007 den Investitionsstau auf durchschnittlich 1 Mio.
Euro pro Einrichtung.

Jugendwohnen hat zwar eine lange Tradition in der Jugendsozialarbeit, ist aber
in der Trägerschaft der Kinder- und Jugendhilfe sehr unterschiedlich ausge-
prägt. Träger von Jugendwohnheimen sind vor allem kirchliche Träger (z. B.
das Kolpingwerk) sowie der Internationale Bund für Sozialarbeit e. V. Aber auch
gewerbliche Träger verfügen über Jugendwohnheime, die häufig bei entspre-
chenden Zusammenschlüssen der Industrie angesiedelt sind. Dies führt unter
anderem zu einer wenig zuverlässigen Datenbasis und in der Folge zu erhebli-
chen Problemen. Über die Kinder- und Jugendhilfestatistik 2010 werden ledig-
lich 210 Jugendwohnheime erfasst. In der Studie des Verbandes der Kolping-
häuser in Deutschland e. V. (2012) ist für das Jahr 2007 von 558 Einrichtungen
die Rede. Diese irritierenden Ergebnisse von 210 Einrichtungen in einer bun-
desweiten amtlichen Statistik zur Kinder- und Jugendhilfe und 558 in einer
bundesweiten Erhebung weisen unter anderem auf die ganz unterschiedlichen
Finanzierungsstrukturen der Jugendwohnheime sowie deren aktueller struktu-
reller Verortung gerade auch jenseits der Kinder- und Jugendhilfe hin, fasst der
14. Kinder- und Jugendbericht die Lage zusammen.

Dementsprechend stellt sich die Frage, ob neben einem zentralen Informations-
angebot, wie es mit der Internetplattform Auswärts-Zuhause zumindest in Tei-
len gegeben ist, eine bundesweit tätige Koordinierungsstelle erforderlich ist,
deren Aufgaben unter anderen eine Erarbeitung einer Bedarfs- und Angebots-
struktur zum Entwickeln einer bedarfsgerechten Angebotsgestaltung sowie
Entwicklung und Implementierung von Qualitätsstandards umfassen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Einrichtungen des Jugendwohnens gibt es in Deutschland?

Wie hat sich diese Zahl seit dem Jahr 2000 entwickelt (wenn möglich bitte
nach Bundesländern aufschlüsseln)?

2. Befinden sich unter diesen Einrichtungen, Einrichtungen, die ausschließlich
einem Geschlecht zur Verfügung stehen (wenn möglich bitte nach Bundes-
ländern aufschlüsseln)?

3. Ist die Barrierefreiheit dieser Einrichtungen flächendeckend gewährleistet
(wenn möglich bitte nach Bundesländern aufführen)?

4. Wie viele Plätze stellen die Einrichtungen des Jugendwohnens zur Verfü-
gung?

Wie hat sich diese Zahl seit dem Jahr 2000 entwickelt?

Wie viele davon sind barrierefrei (wenn möglich bitte nach Bundesländern
aufschlüsseln)?

5. Wie viele Jugendliche nutzen das Angebot „Jugendwohnen“?

Wie hat sich diese Zahl seit dem Jahr 2000 entwickelt?

Wie viele von ihnen sind minderjährig (wenn möglich bitte nach Bundeslän-
dern und Geschlecht aufschlüsseln)?

6. Wie viele der Jugendlichen nutzten das Angebot aufgrund von Blockunter-
richt im Rahmen ihrer Berufsausbildung?

Wie hat sich diese Zahl seit dem Jahr 2000 entwickelt?
Wie viele von ihnen sind minderjährig (wenn möglich bitte nach Bundeslän-
dern und Geschlecht aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12590

7. Wie viele der Jugendlichen nutzten das Angebot, um einer Ausbildung
nachgehen zu können?

Wie hat sich diese Zahl seit dem Jahr 2000 entwickelt?

Wie viele von ihnen sind minderjährig (wenn möglich bitte nach Bundes-
ländern und Geschlecht aufschlüsseln)?

8. Wie vielen Jugendlichen wurde der Antrag aufgrund einer Vollbelegung
der Einrichtung abgelehnt?

Wie hat sich diese Zahl seit dem Jahr 2000 entwickelt?

Wie viele von ihnen sind minderjährig (wenn möglich bitte nach Bundes-
ländern und Geschlecht aufschlüsseln)?

9. Wie viele junge Menschen mit Behinderung nutzen das Angebot des Ju-
gendwohnens?

Wie hat sich diese Zahl seit dem Jahr 2000 entwickelt?

Wie viele von ihnen sind minderjährig?

Wie viele junge Menschen mit Behinderung mussten aufgrund fehlender
Barrierefreiheit abgewiesen werden (wenn möglich bitte nach Bundeslän-
dern und Geschlecht aufschlüsseln)?

10. Wie viele junge Menschen mit so genannten individuellen Beeinträchtigun-
gen und/oder sozialen Benachteiligungen nutzen das Angebot des Jugend-
wohnens?

Wie hat sich diese Zahl seit dem Jahr 2000 entwickelt?

Wie viele von ihnen sind minderjährig (wenn möglich bitte nach Bundes-
ländern und Geschlecht aufschlüsseln)?

11. Wie viele der bestehenden Jugendwohneneinrichtungen mit wie vielen
Plätzen werden durch Kammern, Innungen und Betriebe getragen?

Wie hat sich diese Zahl seit dem Jahr 2000 entwickelt (wenn möglich bitte
nach Bundesländern aufschlüsseln)?

12. Wie viele der bestehenden Plätze im Jugendwohnen wurden nach Maßgabe
durch § 13 Absatz 3 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) finan-
ziert?

Wie hat sich diese Zahl seit dem Jahr 2000 entwickelt (wenn möglich bitte
nach Bundesländern aufschlüsseln)?

13. Wie viele der bestehenden Einrichtungen des Jugendwohnens arbeiten mit
der Agentur für Arbeit und den Jugendämtern als zentrale Kostenträger re-
gelmäßig zusammen?

Wie hat sich diese Zahl seit dem Jahr 2000 entwickelt (wenn möglich bitte
nach Bundesländern aufschlüsseln)?

14. Wie viele der Einrichtungen des Jugendwohnens haben mit keinem der
möglichen Kostenträger eine Entgeltvereinbarung geschlossen, und wie hat
sich die Zahl dieser Einrichtungen seit dem Jahr 2000 entwickelt (wenn
möglich bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

15. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die rechtliche Veranke-
rung des Jugendwohnens im SGB VIII und die tatsächliche Finanzierung
durch andere Sozialleistungsbereiche und Kostenträger nicht aufeinander
abgestimmt sind, und dass dadurch eine bedarfsorientierte Steuerung und
Finanzierung erschwert wird, und sieht die Bundesregierung hier Hand-

lungsbedarf (bitte begründen)?

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16. Welche Bundesländer gewähren nach Kenntnis der Bundesregierung
Blockschüler/Blockschülerinnen einen Zuschuss für den Zeitraum der Un-
terkunft in Einrichtungen des Jugendwohnens während des Berufsschulun-
terrichts?

Sieht die Bundesregierung hier Handlungsbedarf (auch in Folge des Urteils
des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes von 1987, dass junge Menschen
durch die Zentralisierung des berufsschulischen Unterrichts und der damit
verbundenen zusätzlichen finanziellen Mehraufwendungen nicht belastet
werden dürfen), und wenn nein, warum nicht?

17. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Bedeutung des
Jugendwohnens aufgrund des demographischen Wandels und der zuneh-
mend erforderlichen Mobilität zunimmt?

18. Plant die Bundesregierung eine Initiative, um das Jugendwohnen zu stär-
ken, und wenn nein, warum nicht?

19. Plant die Bundesregierung, die Datenbasis bezüglich des Jugendwohnens
zu verbessern, und wenn nein, warum nicht?

20. Plant die Bundesregierung, ein Programm zur baulichen Instandsetzung
und Nachrüstung der Jugendwohnheime aufzulegen, in Anbetracht der Tat-
sache, dass seit dem Jahr 2004 keine Fördermittel mehr für bauliche In-
standsetzungen verfügbar sind und von einem Investitionsstau von insge-
samt 500 Mio. Euro ausgegangen werden kann?

Und wenn nein, wie kann nach Ansicht der Bundesregierung dieser In-
standhaltungsstau aufgelöst werden?

21. Was wird die Bundesregierung unternehmen, um Angebote des Jugend-
wohnens flächendeckend und bedarfsgerecht sicherzustellen, und damit die
bestehenden ungleichen Zugangsmöglichkeiten zu reduzieren?

22. Worin sieht die Bundesregierung die Gründe für die derzeitige bundesweite
ungleiche Verteilung der Einrichtungen des Jugendwohnens?

23. Plant die Bundesregierung, eine Koordinationsstelle Jugendwohnen einzu-
richten oder zu fördern, deren Aufgaben unter anderem darin bestehen, In-
formationsstelle zu sein, Angebots- und Bedarfsstruktur zu erfassen mit
dem Ziel der Entwicklung eines bedarfsgerechten Angebots sowie Quali-
tätsstandards zu entwickeln und zu implementieren, und wenn nein, warum
nicht?

24. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem von ihr ge-
förderten Bericht des Verbandes der Kolpinghäuser e. V. „Jugendwohnen
in Deutschland. Ergebnisse des Forschungs- und Praxisentwicklungspro-
jektes ‚leben. lernen. chancen nutzen.‘“?

25. Zu welchen Terminen seit Januar 2010 und mit welchen Verbänden hat das
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
fachliche Gespräche zum Thema Jugendwohnen geführt?

Welche Schritte wurden durch das BMFSFJ nach diesen Fachgesprächen
eingeleitet?

Berlin, den 27. Februar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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