BT-Drucksache 17/12185

Für gleiche Rechte - Einbürgerungen erleichtern

Vom 29. Januar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12185
17. Wahlperiode 29. 01. 2013

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Diana Golze, Jan Korte, Agnes Alpers,
Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau,
Jens Petermann, Kathrin Senger-Schäfer, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte,
Frank Tempel, Halina Wawzyniak, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Für gleiche Rechte – Einbürgerungen erleichtern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Erleichterte Einbürgerungen sind ein wirksames Mittel, um hier lebenden
Migrantinnen und Migranten nichtdeutscher Staatsangehörigkeit gleiche
Rechte zu verschaffen. Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht ist viel zu
restriktiv – auch nach seiner Reform im Jahr 1999 und erst recht nach weiteren
Verschärfungen im Jahr 2007. Dies zeigt die im europäischen Vergleich sehr
niedrige Einbürgerungszahl bzw. -quote. Seit dem Jahr 2003 liegt die Zahl
der Einbürgerungen unterhalb des Wertes, der zuletzt nach dem alten Reichs-
und Staatsangehörigkeitsrecht erzielt wurde (1999: 143 000, 2011: 107 000).
Nur gut zwei von 100 Ausländerinnen und Ausländern, die bereits seit über
zehn Jahren in Deutschland leben, ließen sich im Jahr 2011 einbürgern. Der
Bundestag tritt deshalb für eine grundlegende Öffnung des Staatsangehörig-
keitsrechts und wirksame Einbürgerungserleichterungen ein.

2. Der Bundestag beklagt das mit dem restriktiven Staatsangehörigkeitsrecht
verbundende Demokratiedefizit. Ausländische Staatsangehörige sind unab-
hängig von ihrer Aufenthaltsdauer auf nahezu allen Ebenen von der zentra-
len politischen Mitbestimmung in der parlamentarischen Demokratie durch
Wahlen und Abstimmungen ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht
hat in seinem Urteil vom 31. Oktober 1990 zum kommunalen Ausländer-
wahlrecht (2 BvF 2/89 und 6/89) festgestellt, dass es der „demokratischen
Idee“ entspricht, „eine Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer
politischer Rechte und den dauerhaft einer bestimmten staatlichen Herr-
schaft Unterworfenen herzustellen“. Um auf den Wandel der Bevölkerungs-
zusammensetzung durch Einwanderungsprozesse zu reagieren, bleibe „nach
geltendem Verfassungsrecht nur die Möglichkeit, […] dass […] der Erwerb
der deutschen Staatsangehörigkeit erleichtert wird“ (a. a. O., Rn. 56). Nur
dadurch kann verhindert werden, dass ein Teil der Bevölkerung zwar alle
staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen muss, aber nicht über alle entsprechen-
den Rechte verfügt. Das derzeitige Einbürgerungsrecht steht demnach im
Widerspruch zur Idee der Demokratie. Die vom Bundesverfassungsgericht
beklagte Kluft ist seit dem Urteil aus dem Jahr 1990 noch gewachsen: Die
Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner ohne deutsche Staatsangehörigkeit
stieg von 5,5 Millionen im Jahr 1990 auf knapp 6,9 Millionen, ihre durch-
schnittliche Aufenthaltsdauer ist deutlich auf 19 Jahre gestiegen.

Drucksache 17/12185 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Der Bundestag erinnert daran, dass im Wesentlichen bekannt ist, welche
Maßnahmen ergriffen werden müssen, um zu einer merklichen Anhebung
der Einbürgerungsbereitschaft bzw. -quote kommen zu können: Die gene-
relle Akzeptanz der Mehrstaatigkeit, der Verzicht auf hohe Sprach- und Ein-
kommensanforderungen und Gebühren sowie kurze Aufenthaltsfristen (von
unter fünf Jahren). Dies ergibt sich aus einer vergleichenden Betrachtung der
europäischen Regelungen und Einbürgerungsquoten bzw. der unterschied-
lichen Einbürgerungspraxis in den Bundesländern. Von der Optionspflicht
hingegen geht nach Überzeugung des Bundestages das genau falsche Signal
aus. Zwar wird sie erst in den nächsten Jahren voll zum Tragen kommen und
zur unfreiwilligen Ausbürgerung von hier als Deutsche geborenen und auf-
gewachsenen Jugendlichen in größerer Zahl führen. Doch bereits jetzt sind
viele Betroffene verunsichert, denn die Jugendlichen werden in einer ohne-
hin schwierigen Lebensphase unnötig belastet. Aber auch auf Behörden und
Gerichte kommt eine Vielzahl höchster komplexer, langwieriger Rechts-
streitverfahren zu, die zu vermeiden sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung vor diesem Hinter-
grund auf,

1. einen Gesetzentwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes mit
dem Ziel umfassender Einbürgerungserleichterungen vorzulegen und dabei
insbesondere folgende Punkte zu beachten:

a) der Einbürgerungsanspruch soll grundsätzlich nach fünfjährigem Aufent-
halt bestehen,

b) die deutsche Staatsangehörigkeit wird durch Geburt in Deutschland er-
worben, wenn zumindest ein Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt
hier hat (ius soli),

c) Mehrfachstaatsangehörigkeiten infolge einer Einbürgerung oder auf-
grund der Geburt in Deutschland werden generell akzeptiert, ebenso ent-
fällt der Zwang zur Entscheidung für eine Staatsbürgerschaft nach Er-
reichen der Volljährigkeit (Optionspflicht),

d) die Einbürgerungen erfolgen unabhängig vom Einkommen, der Bezug
von Sozialleistungen ist unschädlich,

e) die Einbürgerungswilligen werden nicht auf ihre „innere Gesinnung“ hin
geprüft, ihre grundrechtlich geschützte Meinungs- und Gewissensfreiheit
ist zu achten,

f) die Fähigkeit zur einfachen mündlichen Verständigung in der deutschen
Sprache ist ausreichend,

g) die Teilnahme an Staatsbürgerschaftskursen ist keine Einbürgerungs-
voraussetzung; entsprechende Kurse werden als freiwillige, kostenfreie
und alltagsnahe Angebote ausgestaltet,

h) die Einbürgerungsgebühren sind auf einen symbolischen Betrag zu sen-
ken,

i) die im Jahr 2007 vorgenommene Verschärfung der „Bagatellgrenze“
außer Betracht bleibender Straftaten wird rückgängig gemacht;

2. bis zu einer grundlegenden Reform des Staatsangehörigkeitsrechts die be-
stehenden Handlungsspielräume des geltenden Rechts durch entsprechende
Anwendungshinweise kurzfristig zu nutzen, etwa

a) indem die hier geborenen und aufwachsenden Kinder mit humanitärem
bzw. einem anderen regelmäßig auf Dauer angelegten Aufenthaltsstatus
ab dem Alter von drei Jahren im Regelfall eingebürgert werden, um ihnen
ein gleichberechtigtes Aufwachsen in Deutschland zu ermöglichen,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12185

b) durch klare und großzügige Vorgaben zur Hinnahme der mehrfachen
Staatsangehörigkeit, zur Prüfung der „Verfassungstreue“, zu Lebensun-
terhaltsnachweisen und zur Ermäßigung oder Befreiung von Gebühren
die diesbezüglich sehr unterschiedliche Praxis in den Bundesländern zu
vereinheitlichen.

Berlin, den 29. Januar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Fraktion DIE LINKE. forderte bereits mit einem Antrag auf Bundestags-
drucksache 17/2351 vom 30. Juni 2010 umfassende Einbürgerungserleichte-
rungen und stützte sich dabei unter anderem auf Erkenntnisse aus der Antwort
der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE. zum
Staatsangehörigkeitsrecht und zur Einbürgerungspraxis (Bundestagsdrucksache
16/13558). Hierauf wird zur Begründung Bezug genommen. Insbesondere der
europäische Vergleich zeigt Möglichkeiten zur Erleichterung der Einbürgerung
auf: Zwölf EU-Länder akzeptieren grundsätzlich die Mehrstaatigkeit, elf ver-
langen keinen Nachweis einer eigenständigen Lebensunterhaltssicherung als
Voraussetzung der Einbürgerung, in 15 EU-Ländern beträgt die geforderte
Mindestaufenthaltsdauer fünf Jahre oder weniger, 16 EU-Länder sehen keinen
Einbürgerungstest vor, sieben verzichten auf Einbürgerungsgebühren oder ver-
langen nur einen symbolischen Betrag (ebd., Frage 28).

Obwohl das Staatsangehörigkeitsrecht unterschiedslos für die gesamte Bundes-
republik Deutschland gilt und es vereinheitlichende Verwaltungsvorschriften
und vorläufige Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern gibt,
sind in der Einbürgerungspraxis der Bundesländer erhebliche Unterschiede
festzustellen. So fällt auf, dass Bayern und Baden-Württemberg seit Jahren
deutlich niedrigere Einbürgerungsquoten aufweisen als andere westliche Bun-
desländer. Dabei ist in beiden Ländern der Anteil von Personen mit langjähri-
gem Aufenthalt und deren Beschäftigungsquote deutlich höher als im Bundes-
durchschnitt, was Einbürgerungen eigentlich begünstigen sollte. Im Jahr 2011
lag die Einbürgerungsquote in Bayern jedoch bei nur 1,0 Prozent und in Baden-
Württemberg bei nur 1,09 Prozent. In den übrigen westlichen Bundesländern
war dieser Wert zum Teil deutlich höher, in Schleswig-Holstein und Hamburg
mit 2,03 bzw. 2,28 Prozent sogar mehr als doppelt so hoch (Bundesdurch-
schnitt: 1,44 Prozent). Auch beim „ausgeschöpften Einbürgerungspotential“
(Einbürgerungen bezogen auf Personen mit mindestens zehnjährigem Aufent-
halt) ergibt sich dasselbe Bild: Beide Südländer lagen mit Abstand an letzter
Stelle (1,65 bzw. 1,70 Prozent, Bundesdurchschnitt: 2,28 Prozent).

Weil die unterschiedliche Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung in
den einzelnen Bundesländern eine Erklärung für die unterschiedlichen Quoten
sein kann, werden im Folgenden nur die Einbürgerungsquoten von Menschen
mit gleicher Staatsangehörigkeit, d. h. unter vergleichbaren sozioökonomischen
Bedingungen betrachtet (Angaben des Statistischen Bundesamtes für das Jahr
2010). Überraschendes Ergebnis: Bei der größten Gruppe, den türkischen Staats-
angehörigen, ist der Abstand zwischen den Einbürgerungsquoten der beiden
Bundesländer zum Bundesdurchschnitt noch einmal größer: 1,0 Prozent (Bay-
ern) bzw. 1,12 Prozent (Baden-Württemberg) im Vergleich zu 1,61 Prozent im
Durchschnitt (Mecklenburg-Vorpommern: 3,67 Prozent, Saarland: 2,94 Prozent,
Schleswig-Holstein: 2,59 Prozent). Gleiches gilt beim „ausgeschöpften Einbür-

Drucksache 17/12185 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

gerungspotential“, hier betragen die Werte 1,1 bzw. 1,3 Prozent im Vergleich zu
1,8 Prozent im Durchschnitt.

Die Anforderungen an nachzuweisende Deutschkenntnisse kommen als Erklä-
rungsfaktor für die unterschiedlichen Einbürgerungsquoten kaum noch in Be-
tracht, nachdem diese infolge einer gesetzlichen Verschärfung im Jahr 2007
bundesweit vereinheitlicht wurden. Mithin ist offenkundig insbesondere der
unterschiedliche Umgang mit der Mehrstaatigkeit bei Einbürgerungen ein
Grund für die Ungleichbehandlung im Bundesgebiet: Während im Jahr 2010
türkische Staatsangehörige aufgrund von Ausnahmeregelungen im Staatsange-
hörigkeitsrecht bundesweit zu 27,7 Prozent bei einer Einbürgerung ihre bishe-
rige Staatsangehörigkeit behalten konnten (bei anderen Staatsangehörigen be-
trug dieser Anteil 61,9 Prozent), war dies in Baden-Württemberg nur zu 10 Pro-
zent und in Bayern sogar nur zu 3,7 Prozent der Fall. In Hamburg, Hessen und
Nordrhein-Westfalen lag die Mehrstaatigkeitsquote bei türkischen Staatsange-
hörigen hingegen bei 37 Prozent. Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht
zu begründen. Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit darf nicht davon
abhängen, in welchem Bundesland ein Einbürgerungsantrag gestellt wird.

Ein weiterer möglicher Erklärungsfaktor für die unterschiedlichen Einbürge-
rungsquoten ist eine abschreckende Wirkung des in Baden-Württemberg erst
im Juli 2011 eingestellten, insbesondere auf Muslime abzielenden „Gesin-
nungstests“ bzw. der Überprüfungspraxis der „Verfassungstreue“ in Bayern, wo
umfangreiche Listen mit angeblich „extremistischen“ oder „extremistisch be-
einflussten“ Organisationen (zu denen in Bayern auch die Partei DIE LINKE.
und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA gerechnet wer-
den) ausgefüllt werden müssen. Solche diskriminierenden und abschreckenden
Prüfverfahren müssen durch entsprechende Anwendungshinweise ausgeschlos-
sen werden.

Positive und einheitliche Vorgaben zur Anwendung des Staatsangehörigkeits-
rechts sind auch erforderlich in Bezug auf die Anforderungen zu Ausnahmen
vom Nachweis der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung bzw. zum Erlass
oder der Senkung von Einbürgerungsgebühren aus Gründen der „Billigkeit“
oder des öffentlichen Interesses. Diese Ausnahmevorschriften und ihre groß-
zügige Anwendung müssen gegenüber den potentiell Betroffenen und in der
Öffentlichkeit offensiv beworben werden, um auf die Möglichkeit einer – unter
Umständen kostenfreien oder ermäßigten – Einbürgerung trotz Sozialhilfe-
bezugs aufmerksam zu machen. Die Erlangung gleicher Rechte durch Einbür-
gerung darf nicht von der sozialen Lage und dem Einkommen der hier lebenden
Migrantinnen und Migranten abhängig gemacht werden. Die hohen Kosten der
Einbürgerung wirken auf viele grundsätzlich Einbürgerungsberechtigte ab-
schreckend (vgl. Ausschussdrucksache 17(4)539/A, S. 15).

Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration
nennt in ihrem Neunten Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer
in Deutschland weitere Beispiele für notwendige Vereinheitlichungen der
Einbürgerungspraxis durch geänderte Verwaltungsvorschriften und für Bera-
tungsdefizite der Einbürgerungsbehörden (Bundestagsdrucksache 17/10221,
S. 191 ff.).

In Bremen gelten mit Erlass vom 17. Oktober 2012 Einbürgerungserleichterun-
gen für Kinder und Jugendliche mit humanitärer Aufenthaltserlaubnis – und
zwar ausdrücklich über die Vorgaben der vorläufigen Anwendungshinweise
bzw. der Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsrecht hinaus. Eine
Ermessenseinbürgerung nach § 8 des Staatsangehörigkeitsgesetzes soll dem-
nach erfolgen, wenn die Jugendlichen als „faktische Inländer“ angesehen wer-
den können, was laut Erlass nach sechsjährigem erfolgreichem Schulbesuch der
Fall ist, wenn zugleich seit acht Jahren ein Aufenthalt in Deutschland besteht
(davon drei Jahre rechtmäßig). Eine Einbürgerung kommt somit bei dieser Per-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12185

sonengruppe statt erst mit 16 Jahren bereits mit etwa 12 Jahren in Betracht, aus-
drücklich auch unabhängig von einem etwaigen Sozialhilfebezug der Eltern,
der den Kindern nicht zugerechnet werden könne.

Die Bremer Fraktion DIE LINKE. hatte weitergehende Erleichterungen gefor-
dert, da insbesondere völkerrechtliche Vorgaben zu einem großzügigeren Han-
deln verpflichten. Nach Artikel 3 Absatz 1 des Übereinkommens über die
Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention) muss das Kindeswohl bei
allen staatlichen Entscheidungen vorrangig berücksichtigt werden. Bei hier ge-
borenen Kindern mit einer Daueraufenthaltsperspektive in Deutschland kann
nicht begründet werden, warum für sie andere Kriterien und Rechte gelten
sollen als für andere in Deutschland geborene Kinder in gleicher Lage. Im Inte-
resse des Kindes, aber auch im öffentlichen Interesse der Aufnahmegesellschaft
ist es, die dauerhafte Zugehörigkeit hier geborener und aufwachsender Kinder
möglichst schnell und verlässlich zu klären. Artikel 7 Absatz 1 der UN-Kinder-
rechtskonvention enthält „das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben“,
und die Bundesregierung hat in ihrer Denkschrift zum Abkommen erklärt, dass
hierunter der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu verstehen ist (Bun-
destagsdrucksache 12/42). Dieses Recht muss aber auch effektiv sein, d. h. die
Kinder können nicht auf Wartezeiten verwiesen werden (bis zum 16. Lebens-
jahr), die doppelt so lang sind wie die Regelaufenthaltsdauer zur Erlangung
eines Einbürgerungsanspruchs. Nach Artikel 7 Absatz 2 der UN-Kinderrechts-
konvention ist dieses Einbürgerungsrecht der Kinder im Einklang mit inner-
staatlichem Recht zu verwirklichen, was im Rahmen der Ermessenseinbürge-
rung nach § 8 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) problemlos möglich ist.
Die Bundesregierung irrt, wenn sie der Auffassung sein sollte (dies legt eine
Antwort vom 18. Dezember 2012 auf eine Schriftliche Frage der Abgeordneten
Sevim Dag˘delen nahe), die Regelung der UN-Kinderrechtskonvention gelte
nur für staatenlose Kinder – was sich zweifelsfrei aus dem Wort „insbesondere“
in Artikel 7 Absatz 2 ergibt. Zudem wird in Artikel 7 Absatz 2 ausdrücklich auf
Verpflichtungen aus internationalen Übereinkünften verwiesen. Das von
Deutschland im Jahr 2005 ratifizierte europäische Übereinkommen über die
Staatsangehörigkeit verpflichtet die Vertragsstaaten, Einbürgerungen von Per-
sonen zu erleichtern, die im „Hoheitsgebiet geboren sind und sich dort recht-
mäßig und gewöhnlich aufhalten“ (Artikel 6 Absatz 4 Buchstabe e). Somit
muss für diese Personengruppe eine deutlich kürzere Aufenthaltsdauer als im
Regelfall vorgesehen werden, sonst würde dem Erleichterungsgebot nicht ent-
sprochen.

Diese internationalen Bestimmungen wurden in den Verwaltungsvorschriften
und Anwendungshinweisen zum Staatsangehörigkeitsrechts bislang nicht um-
gesetzt. Nummer 8.1.3.6 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Staats-
angehörigkeitsrecht (StAR-VwV) sieht eine selbständige Einbürgerung von
unter 16-jährigen Kindern nur dann vor, wenn eine familiäre Lebensgemein-
schaft mit deutschen Staatsangehörigen besteht. Diese Einschränkung und
Ungleichbehandlung ist jedoch wie dargestellt nicht mit den genannten Über-
einkommen und auch nicht mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot nach
Artikel 2 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention vereinbar. Auch Kinder mit
einer humanitären oder einer anderen im Regelfall auf Dauer angelegten Auf-
enthaltserlaubnis sollten deshalb unter den Bedingungen der Regelung Num-
mer 8.1.3.6 StAR-VwV eingebürgert werden, d. h. ab dreijährigem Aufenthalt
und wenn eine „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet
ist“ – was regelmäßig der Fall sein dürfte.

Die durch die Bundesregierung veranlasste Evaluierung der Optionsregelung
im Staatsangehörigkeitsrecht (vgl. Ausschussdrucksache 17(4)539/A) hat Be-
denken gegen die Optionspflicht (vgl. bereits den Antrag der Fraktion DIE
LINKE. auf Bundestagsdrucksache 16/9165) bestätigt: 64 Prozent der befrag-
ten deutschen Jugendlichen hatten den Wunsch geäußert, beide Staatsangehö-

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rigkeiten behalten zu können. 50 Prozent der Optionspflichtigen empfanden es
als ungerecht, dass sie sich im Gegensatz zu anderen (etwa: Kinder binationaler
Familien, EU-Angehörige) für eine Staatsangehörigkeit entscheiden müssen,
24 Prozent zeigten sich generell mit der Problematik überfordert. 34 Prozent
der Optionspflichtigen, die noch nicht auf Behördenschreiben reagiert hatten,
war nicht einmal bewusst, dass ihr Verhalten letztlich zu ihrer Ausbürgerung
führen wird. Auch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration warnt vor der Gefahr unfreiwilliger Ausbürgerungen von
Jugendlichen aufgrund von Unkenntnis, formalen Fristüberschreitungen oder
wegen Verfahrensverzögerungen, die nicht von den Betroffenen zu vertreten
sind (vgl. Bundestagsdrucksache 17/10221, S. 193 ff.). Es ist vor diesem
Hintergrund unverantwortlich, mit der gesetzlichen Rücknahme der Options-
pflicht zu warten, bis Ausbürgerungen in größerer Zahl stattfinden oder die
behördlichen Probleme und Rechtsstreitverfahren überhand nehmen. Bereits
bei einer Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom
10. Dezember 2007 zum Staatsangehörigkeitsrecht hatten sich ausnahmslos
alle geladenen Sachverständigen für eine Abschaffung der Optionspflicht
ausgesprochen oder dies sogar für verfassungsrechtlich geboten gehalten (vgl.
Protokoll Nr. 16/54). Da die Mehrstaatigkeit bei Einbürgerungen in Deutsch-
land – entgegen der gesetzlichen Annahme und ideologischer Bekundungen –
seit Jahren längst der Regelfall ist, gibt es auch keinerlei Rechtfertigung für den
unverhältnismäßigen Zwang zur Aufgabe einer Staatsangehörigkeit, zwei Jahr-
zehnte nach der Geburt als Deutsche.

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