BT-Drucksache 17/11837

Unseriöses Inkasso eindämmen

Vom 12. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11837
17. Wahlperiode 12. 12. 2012

Antrag
der Abgeordneten Nicole Maisch, Ingrid Hönlinger, Jerzy Montag, Cornelia Behm,
Harald Ebner, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Friedrich Ostendorff,
Markus Tressel, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter,
Sven-Christian Kindler, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Stephan Kühn,
Dr. Hermann E. Ott, Dorothea Steiner, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Unseriöses Inkasso eindämmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Unseriöse Geschäftspraktiken von Inkassodiensten sind ein großes Ärgernis für
Verbraucher und Verbraucherinnen. Immer wieder versuchen Unternehmen,
unberechtigte Forderungen einzutreiben, es werden völlig überzogene Gebüh-
ren verlangt, die oft ein Vielfaches der Forderungssumme betragen oder Inkas-
sodienste wenden bedenkliche Methoden an.

In einer Studie der Verbraucherzentralen, (www.vzbv.de/8264.htm, 1. Dezember
2011) im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, von Ende 2011 wurden über 4 000 Fälle von Beschwerden
gegen Inkassodienste registriert, näher untersucht wurden laut Studie 3 671 Fälle.
In 84 Prozent der vorliegenden Beschwerden von Verbraucherseite wurden die
von Inkassodienstleistern erhobenen Hauptforderungen als nichtberechtigt an-
gesehen. 75 Prozent der Verbraucher und Verbraucherinnen fühlten sich durch
Schreiben von Inkassofirmen bedroht oder eingeschüchtert und haben häufig
gezahlt, obwohl sowohl die Forderungen als auch die Gebühren unberechtigt
waren.

Außerdem sind Inkassodienstleister bis heute nicht dazu verpflichtet, über die
Gläubiger der Forderung und den der Forderung zugrunde liegenden Vertrag zu
informieren. Doch selbst nach massenhaften Beschwerden über unseriöse Un-
ternehmen ist es bis heute kaum möglich, ihnen die Zulassung zu entziehen
bzw. ausreichend Sanktionsinstrumente einzusetzen.

Die Aufsicht über Inkassounternehmen ist zersplittert: aktuell werden Inkasso-
dienste von 79 Aufsichtsbehörden zugelassen. Eine verbrauchergerechte Prü-
fung ihrer Arbeit findet kaum statt. So wurden deutschlandweit bisher erst zwei
Zulassungen infolge von Verbraucherbeschwerden entzogen.
Trotz immer wieder auftretenden massenhaften Beschwerden vonseiten der
Verbraucherinnen und Verbraucher bezüglich unseriöser Forderungen fehlt es
bislang an klaren Regelungen zu Berufsausübungspflichten, insbesondere hin-
sichtlich Darlegungs- und Informationspflichten, für Inkassodienstleister, an ef-
fektiver Aufsicht und effektiven Sanktionsmöglichkeiten gegenüber unseriösen
Inkassofirmen.

Drucksache 17/11837 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Bundesregierung hat die Forderungen des Bundesrates vom 27. Mai 2011
zur Bekämpfung unseriöser Inkassodienste (Bundesratsdrucksache 271/11)
sowie vom 14. Oktober 2011 (Bundesratsdrucksache 525/11; siehe auch die Ge-
genäußerung der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 17/7745, S. 18 f.
und die der Verbraucherschutzministerkonferenz vom 16. September 2011) bis-
her nicht aufgegriffen. Ganz im Gegenteil, die Informationspflichten für In-
kassodienste wurden abgelehnt (Bundestagsdrucksache 17/6482, S. 13). Dieses
Versäumnis muss schnellstmöglich behoben werden. Ein bisher nicht veröffent-
lichter Referentenentwurf aus dem Bundesministerium der Justiz vom Frühjahr
2012 mit Regelungen für Inkassodienste (Entwurf eines Gesetzes gegen un-
seriöse Geschäftspraktiken) wurde bisher nicht in den Deutschen Bundestag
eingebracht. Die Bundesregierung lässt damit weiterhin unseriöse Geschäfts-
praktiken zu und schadet damit auch seriös arbeitenden Inkassounternehmen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. umgehend einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Inkassokostenordnung
vorzulegen, in welcher Inkassoregelsätze festgelegt werden. Die Inkasso-
kostenordnung sollte dabei grundsätzlich am Aufwand im konkreten Fall
orientiert sein und Höchstgrenzen für Gebühren typischer Inkassotätigkeiten
vorsehen. Haupt- und Nebenforderung müssen in einem angemessenen Ver-
hältnis zueinander stehen;

2. die Darlegungs- und Informationspflichten des Inkassodienstleisters festzu-
legen. Dessen Schreiben sollte folgenden Bestandteile enthalten:

– Registrierungsbehörde des Inkassodienstes,

– eine ladungsfähige Anschrift des Inkassodienstes,

– Inhaber der Forderung mit dessen ladungsfähiger Anschrift,

– Forderungsgrund und -höhe,

– Datum des Eintritts des Verzugs,

– Art, Höhe und Entstehungsgrund einer Inkassovergütung oder sonstiger
Inkassokosten, soweit diese geltend gemacht werden,

– soweit Zinsen geltend gemacht werden, eine Zinsberechnung unter Dar-
legung der zu verzinsenden Forderung, des Zinssatzes und des Zeitraums,
für den die Zinsen berechnet werden,

– soweit ein Zinssatz über dem gesetzlichen Verzugszinssatz geltend ge-
macht wird, einen gesonderten Hinweis hierauf und die Angabe, auf-
grund welcher Umstände der erhöhte Zinssatz gefordert wird,

– Adresse einer Beschwerdestelle;

3. für Verstöße gegen die Regelungen für Inkassodienstleister einen abgestuf-
ten Sanktionskatalog zu schaffen, nach dem die zuständigen Behörden im
Rahmen ihrer Aufsicht folgende Maßnahmen ergreifen können:

– eine Weisung aussprechen,

– eine bußgeldbewehrte Auflage erteilen,

– den Widerruf der Registrierung androhen,

– die Registrierung widerrufen und

– ein zeitweiliges Verbot der Inkassotätigkeit aussprechen;

4. die Höhe des möglichen Bußgelds bei Verstößen gegen die Regelungen für
Inkassodienstleister auf 100 000 Euro zu erhöhen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11837

5. gemeinsam mit den Bundesländern die Einführung einer Aufsicht mit einer
Registrierungs- und Aufsichtsbehörde pro Bundesland zu prüfen;

6. nach zwei Jahren die Wirksamkeit der Sanktionsinstrumente und Aufsicht
mittels einer Evaluierung zu prüfen;

7. die unabhängige Marktbeobachtung zur Identifizierung und Veröffent-
lichung unseriöser Geschäftspraktiken durch die Verbraucherzentralen zu
stärken.

Berlin, den 12. Dezember 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Täglich werden Verbraucherinnen und Verbraucher mit unseriösen Zahlungs-
forderungen per Post und per E-Mail, häufig ohne Darstellung der Kosten, des
Forderungsgrundes und mit Gebühren ohne jegliche Grundlage konfrontiert.
Die arbeitsteilige Durchsetzung von Zahlungsforderungen nimmt immer mehr
zu. Der neue Dienstleistungsmarkt führt bisher nicht zu einem angemessenen
Kostenrahmen, sondern macht mit Fantasiegebühren ohne berechtigten Grund,
die teilweise weit über die Hauptforderung hinausgehen, von sich reden. Hier
braucht es einen ordnenden Eingriff in das Marktgeschehen, damit das bereits
„erheblich gestörte Rechtsempfinden“ (Referentenentwurf des Bundesministe-
riums der Justiz: „Entwurf eines Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken“
vom 12. März 2012) wieder geheilt wird. Das Fehlen einer Inkassokostenord-
nung führte bisher zu Fantasiegebühren und zu einer Vielzahl unberechtigter
Forderungen. Gebühren und Kosten wurden überwiegend nach den wirtschaft-
lichen Interessen des Inkassodienstes erhoben. Der Bundesverband Deutscher
Inkasso-Unternehmen e. V. (BDIU) verweist in einer Stellungnahme auf
„marktwirtschaftliche Gesichtspunkte“. Der Verbraucher hat jedoch keinen
Einfluss darauf, von welchem Unternehmen er mit einer Forderung belangt
wird. Die Rechtsprechung akzeptiert zurzeit eine Anlehnung an das Rechtsan-
waltsvergütungsgesetz (RVG). Die im Branchenverband registrierten Dienste
gehen jedoch meist über die RVG-Sätze hinaus.

Gebühren und Kosten sollen im Anschreiben detailliert aufgeschlüsselt werden,
getrennt von der Hauptforderung. Die Höhe der Nebenforderungen sollte am
Aufwand des Inkassodienstes zu messen sein und in einem angemessenen
Verhältnis zur Hauptforderung stehen. Inkassotätigkeiten sind meist einfache
Tätigkeiten mit EDV-Unterstützung, welche zum Großteil automatisiert ab-
gewickelt werden.

Die Inkassokostenverordnung muss sich nicht wie z. B. bei Steuerberatern
unter anderem an der „Art der Aufgabe“ orientieren, da die Aufgabe bei der
Inkassotätigkeit klar umgrenzt ist. Entscheidend ist bei der Inkassotätigkeit da-
her der Zeitfaktor. Insbesondere bedeutet die Eintreibung vieler gleichartiger
Forderungen (Masseninkasso) weniger Aufwand als die Beitreibung einzelner
Forderungen. Auch vor dem Hintergrund der Fälle von Masseninkasso bietet es
sich an, sich grundsätzlich nicht am Wert der Forderung zu orientieren, sondern
vorrangig am Zeitaufwand. Dabei sollte eine Höchstgrenze für Gebühren typi-
scher Inkassotätigkeiten eingeführt werden, d. h. ein pauschaler Höchstwert für

die erste Mahnung, zweite Mahnung, Telefongespräch, Adressermittlung und

Drucksache 17/11837 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

andere typische Inkassodienstleistungen. Es sollen dabei Ausnahmen von der
Deckelung der Inkassoregelsätze zugelassen werden, wenn der tatsächliche
Beitreibungsaufwand außer Verhältnis zu der veranschlagten Gebühr steht. Der
zusätzliche Aufwand muss tatsächlich erforderlich sein und darf wiederum
nicht völlig außer Verhältnis zur Höhe der Forderungen stehen. Die Dar-
legungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit des übermäßigen Aufwandes
soll beim Gläubiger liegen. Sonderregelungen müssen für Bagatellforderungen
getroffen werden. Als Bagatellforderungen werden Hauptforderungen in Höhe
von bis zu 50 Euro angesehen. Hier sind die Forderungshöhe und die Inkasso-
gebühr in ein angemessenes Verhältnis zu setzen, sodass nicht nur der Aufwand
ausschlaggebend ist.

Zu Nummer 2

Um betroffene Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage zu versetzen,
Zahlungsaufforderungen auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und gege-
benenfalls dagegen vorgehen zu können, müssen ausreichende Informationen zu
Forderung und Gläubiger vorliegen. Aufgrund zahlreicher Fälle unberechtigter
Inkassoforderungen von nichtregistrierten Unternehmen benötigen Verbraucher
außerdem auch Daten zum Inkassodienst, wie Ansprechpartner, eine ladungsfä-
hige Anschrift des Unternehmens sowie die Angabe der Behörde, bei der der In-
kassodienst registriert ist. Grundsätzlich müssen alle geltend gemachten Kosten
detailliert dargestellt und für Verbraucherinnen und Verbraucher in einer nach-
vollziehbaren Weise aufgeführt werden. Hierzu gehören insbesondere die Be-
rechnung der Zinsen, das Datum des Verzugseintritts der Forderung, Auftragge-
ber und Gegenstand des Vertrags.

Zu Nummer 3

Das Fehlverhalten von Inkassodiensten muss effektiver sanktioniert werden.
Bisher fehlt es an wirksamen Sanktionsinstrumenten im Gesetz über außerge-
richtliche Rechtsdienstleistungen (RDG).

Im RDG sind Geldbußen lediglich in geringfügiger Höhe vorgesehen. Bei der
Schaffung des RDG wurde das vorherige Sanktionssystem, das neben dem
Widerruf der Registrierung mildere Maßnahmen, wie die Verhängung von Ord-
nungsmitteln, vorgesehen hatte, dahingehend geändert, dass keine abgestuften
Sanktionen mehr vorgesehen sind. Die einzige Möglichkeit, die ausdrücklich
zur Sanktionierung dauerhaft unqualifizierter Rechtsdienstleistungen zum
Nachteil der Rechtsuchenden oder des Rechtsverkehrs vorgesehen ist, ist der
Widerruf der Registrierung des Dienstleisters. Diese Entscheidung unterliegt
jedoch hohen Hürden, da hier in das Grundrecht der Berufsfreiheit eingegriffen
wird, sodass diese Möglichkeit nur in einem sehr engen Rahmen zur An-
wendung kommt. Trotz zahlreicher Kundenbeschwerden wurden erst die Regis-
trierungen zweier Unternehmen widerrufen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN fordert daher einen abgestuften Sanktionskatalog, nach dem die zu-
ständigen Behörden im Rahmen ihrer Aufsicht weitere Maßnahmen außerhalb
des Widerrufs der Registrierung ergreifen können.

Zu Nummer 4

Die bisherige Höchstsumme des Bußgeldes von 5 000 Euro wird von vielen
Bürgerinnen und Bürgern als ungenügend empfunden. Um diesem Rechtsemp-
finden Rechnung zu tragen, ist die Höchstsumme der Geldbuße, die bei Verstö-
ßen gegen die Regelungen für Inkassounternehmen verhängt werden kann, da-
her auf 100 000 Euro anzuheben.

Zu Nummer 5

Die Zulassung und Prüfung von Inkassofirmen sollte nicht wie bisher auf

79 Gerichte verteilt sein, sondern auf 16 Behörden, eine pro Bundesland. Die
bisherige Aufsicht der Inkassodienste wird selbst vom Bundesverband Deut-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11837

scher Inkasso-Unternehmen e. V. (BDIU) als „nicht effektiv“ bezeichnet. Hier
bedarf es einer anlassbezogenen Aufsicht, die vor allem nach Verbraucher-
beschwerden aktiv wird und überwacht. Auch der Bundesverband Deutscher
Inkasso-Unternehmen e. V. fordert eine anlassbezogene Aufsicht, wie sie bis
zur Einführung des RDG üblich war. Ziel ist es, dass am Markt nur registrierte
Dienste aktiv sind. Außerdem soll, sowie eine einheitliche Aufsichtspraxis, die
unseriösen Inkassounternehmen effizient und nachhaltig entgegenwirkt, ge-
schaffen werden.

Zu Nummer 6

Zur Kontrolle der Effektivität der Sanktionsinstrumente und Aufsichtssysteme
soll die Bundesregierung nach zwei Jahren eine Evaluation in Zusammenarbeit
mit den Landesbehörden koordinieren und dem Deutschen Bundestag vorlegen.

Zu Nummer 7

Zur Stärkung der Marktbeobachtung im Bereich unseriöse Inkassodienste brau-
chen wir Akteure am Markt, die unabhängig und mit umfassender Marktkennt-
nis Missstände aufdecken sowie der Politik und Regulierungsbehörden diese
mitteilen. Hierzu bedarf es einer systematischen Analyse von Marktakteuren
und Verbraucherbeschwerden. Die Verbraucherverbände leisten hierbei schon
wertvolle Arbeit und sollten in dieser weiter gestärkt werden. Hierzu gehören
neben ausreichenden Mitteln zur Marktanalyse auch Beschwerderechte gegen-
über den Aufsichtsbehörden.

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