BT-Drucksache 17/11807

Extremismus-Video der Bundeszentrale für politische Bildung

Vom 5. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11807
17. Wahlperiode 05. 12. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Nicole Gohlke, Agnes Alpers, Sevim Dag˘delen,
Wolfgang Neskovic, Jens Petermann, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Jörn
Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Extremismus-Video der Bundeszentrale für politische Bildung

Mit den einleitenden Worten „Es herrscht Bombenstimmung in Deutschland“ be-
ginnt ein Video der Bundeszentrale für politische Bildung, das sich mit
„Extremismus“ beschäftigt. Das Video hat in der Öffentlichkeit zum Teil scharfe
Kritik ausgelöst und wurde von der Bundeszentrale für politische Bildung mittler-
weile zwecks „Überarbeitung“ aus dem Netz genommen, ist aber an anderer Stelle
weiterhin zu sehen.

Der Tenor des Videos ist eine Gleichsetzung von sogenanntem Linksextremis-
mus mit Neofaschismus und islamistischem Terrorismus. Dabei werden die
zehn Morde, die von der Nazi-Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund
(NSU) begangen wurden, als „Döner-Morde“ und „Privatkrieg“ bezeichnet.
Diese wiederum werden als angebliche Reaktion von Nazis auf Straftaten dar-
gestellt, die Linken zugeschrieben werden. Wörtlich heißt es in einem banali-
sierenden Plauderton: „Die Linken fackeln Luxuskarossen ab und die Rechten
kontern mit den sogenannten Dönermorden.“

Die Bezeichnung „Döner-Morde“ ist aus Sicht der Fragesteller nicht nur höchst
unangemessen und eine Verunglimpfung bzw. Beleidigung der Ermordeten so-
wie ihrer Angehörigen. Die Gedenkstunde, die für die NSU-Opfer ausgerichtet
wurde, wird durch das Video praktisch wieder konterkariert. Die dargestellte
Gleichwertigkeit von Menschenleben und Autos ist zugleich eine menschenver-
achtende Verharmlosung neofaschistischer Straftaten. Inwiefern eine solche
Darstellung den Ansprüchen auf „politische Bildung“ gerecht werden soll, kön-
nen die Fragesteller nicht erkennen.

Als roter Faden zieht sich durch das Video die Extremismusthese mit ihrer
Gleichsetzung von Neofaschisten und linken Aktivisten, die angeblich von den
„Rändern“ der Gesellschaft her die Mitte bzw. das Grundgesetz bedrohten.
Unterschiede zwischen Neofaschisten und Linken werden praktisch nicht ge-
macht – als sei die Ermordung von über 150 Menschen durch Neofaschisten seit
1990 (vgl. www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-09/todesopfer-rechte-
gewalt) das Gleiche wie das Anzünden von Autos oder Sachbeschädigungs-

delikten, wie sie häufig, wenngleich auf äußerst unsicherer Grundlage, Linken
zugeschrieben werden.

Überhaupt nicht thematisiert wird, wie sehr rassistische und antidemokratische
Denkmuster und Strukturen schon längst in der Mitte der Gesellschaft angekom-
men sind. Dabei haben einschlägige Untersuchungen, wie „Die Mitte im Um-
bruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012“ der Friedrich-Ebert-
Stiftung e. V. oder die Zehnjahresstudie „Deutsche Zustände“ des Forscher-

Drucksache 17/11807 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

teams um den Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer, verdeut-
licht, dass Rassismus, übersteigerter Nationalismus und die Neigung zu autori-
tären Politikvorstellungen hohe Zustimmungswerte in der sogenannten Mitte
der Bevölkerung finden.

Die Fixierung auf angebliche „Ränder“ der Gesellschaft entspricht daher nicht
den Anforderungen an eine moderne politische Bildungsarbeit. Zudem ist in Be-
zug auf den NSU mittlerweile zur Genüge bekannt, dass Verfassungsschutz und
V-Leute erheblich zum Schutz der gewalttätigen Naziszene, wenn nicht sogar
zur Förderung beigetragen haben.

Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung zufolge hat „der verantwort-
liche Fachbereich nach sehr intensiver und langer Beratung mit einem Experti-
sekreis aus politikdidaktischen und sozialpädagogischen Expertinnen und Ex-
perten sich entschieden, für bestimmte Themen auch weniger erprobte und
teilweise auch kontrovers beurteilte Vermittlungsformen zu wählen.“ Die Inten-
tion des Videos sei aber „nicht verstanden“ worden.

Das ist aus Sicht der Fragesteller eine sehr euphemistische Darstellung. Ange-
sichts des bis zum Anschlag ausgereizten „Extremismus“-Ansatzes scheint eine
Überarbeitung nicht angemessen, vielmehr eine komplette Löschung erforder-
lich. Dass Steuergelder dafür ausgegeben worden sind, die Morde des NSU an
neun Migranten und einer Polizistin als „Döner-Morde“ zu bezeichnen, diese
wiederum als bloßes „Kontern“ von angeblich links motivierten Sachbeschädi-
gungen darzustellen und von der Qualität her gleichzusetzen, ist nach Auffas-
sung der Fragesteller skandalös und muss Fragen danach aufwerfen, nach wel-
chen Kriterien die Bundeszentrale für politische Bildung arbeitet und welche Art
von Abnahmekontrolle für ihre Materialien besteht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kosten sind bei der Produktion des Videos entstanden (bitte nach
Einzelpunkten aufschlüsseln)?

2. Wer genau hat den Auftrag zur Erstellung des Videos erteilt, und welche An-
forderungen enthielt der Auftrag (soweit möglich entsprechende Dokumente
beilegen oder deren Inhalt umfangreich wiedergeben)?

3. Welche Besprechungen oder sonstigen Absprachen und welche Zwischen-
beratungen zur Filmproduktion hat es zwischen der Produktionsfirma SEO
Entertainment GmbH und der Bundeszentrale für politische Bildung (wem
genau dort) gegeben, und was war der wesentliche Inhalt dieser Besprechun-
gen oder (auch schriftlich oder telefonisch durchgeführter) Beratungen?

4. Auf welche an der Produktion des Videos beteiligten Personen sowie Institu-
tionen gehen nach Kenntnis der Bundesregierung die Formulierungen „Döner-
Morde“, „kontern“, „Bombenstimmung“, „Privatkrieg“ in diesem Film zu-
rück?

5. Wer hat den Film der Produktionsfirma auf Seiten der Bundeszentrale für
politische Bildung abgenommen, und wer hat die Entscheidung getroffen,
das Video ins Internet zu stellen?

6. Wer gehört dem erwähnten „Expertisekreis aus politikdidaktischen und so-
zialpädagogischen Expertinnen und Experten“ genau an (bitte möglichst
vollständig mit Nennung von Namen, Funktion und ggf. Qualifikation auf-
zählen), und hat dieser Kreis einstimmig empfohlen, das Video ins Internet
zu stellen?

a) Wer hat diesen Expertisekreis zusammengestellt, und nach welchen Krite-

rien wurden seine Mitglieder ausgewählt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11807

b) Erhalten die Mitglieder eine Vergütung für ihre Tätigkeit, und wenn ja,
in welcher Höhe für genau welche Arbeitsleistungen?

c) Inwiefern, und von wem gab es aus dem Kreis heraus Kritik bzw. Wider-
spruch?

d) Welche Konsequenzen werden daraus (von wem) für die Zusammenset-
zung dieses „Expertisekreises“ gezogen?

7. Welche Entscheidungsabläufe und Kontrollinstanzen gibt es auf Seiten der
Bundeszentrale für politische Bildung bei der Beauftragung und Verbrei-
tung von Materialien, und auf welchen Ebenen der Bundeszentrale für
politische Bildung sind diese jeweils angesiedelt?

a) Welchen Änderungsbedarf sieht die Bundesregierung hierbei?

b) Welche weiteren Konsequenzen will die Bundesregierung ziehen?

8. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Darstellung der Bundeszentrale für
politische Bildung, „die Rechten“ hätten mit den Morden an neun Migran-
ten und einer Polizistin links motivierte Straftaten „gekontert“, die Morde
der Nazis seien also lediglich eine „Reaktion“ auf vermeintliche Straftaten
von linken Gruppen (bitte begründen)?

9. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die mutmaßlich vom NSU begange-
nen Morde an neun Migranten und einer Polizistin zeitlich vor den Wellen
von angeblich links motivierten Brandanschlägen auf Autos insbesondere
in Berlin und Hamburg stattfanden, und daher schon aus Gründen der Chro-
nologie keine Reaktion auf die Autobrände sein konnten?

10. Inwiefern ist die Bezeichnung der rassistisch motivierten Morde als
„Döner-Morde“ aus Sicht der Bundesregierung angemessen, um politische
Bildung zu betreiben?

11. Hat die Bundesregierung eine Prüfung vorgenommen, ob das Video straf-
rechtlich relevanten Inhalt hat, etwa eine Verunglimpfung des Andenkens
Verstorbener oder Beleidigung, und wenn ja, zu welchem Ergebnis kam sie
dabei?

12. Inwiefern ist die in dem Video unterschiedslos auf „Extremisten“ bezogene
Bereitschaft, Andersdenkende umzubringen (grafisch unter anderem durch
Köpfen angedeutet), nach Auffassung der Bundesregierung geeignet, zur
politischen Bildung beizutragen?

13. Inwiefern hält die Bundesregierung die Gleichsetzung angeblicher Links-
extremisten mit Neofaschisten für eine angemessene Form der politischen
Bildung, angesichts der Tatsache, dass Neofaschisten seit dem Jahr 1990
über 150 Menschen ermordet haben?

14. Inwiefern hält die Bundesregierung die im Video vorgenommene Gleich-
wertigkeit von Menschenleben mit Autos für einen angemessen Beitrag zur
politischen Bildung?

15. Inwiefern hält die Bundesregierung die unterschiedslose Bezeichnung neo-
faschistisch motivierter Morde und (vermeintlich) linksmotivierter Sachbe-
schädigung als „Privatkrieg“ für einen angemessen Beitrag zur politischen
Bildung?

16. Wo, bei welchen Gelegenheiten, und von welchen Personen wurden nach
Kenntnis der Bundesregierung jemals in Deutschland Sprengstoffgürtel
(keine Attrappen) gefunden oder gar gezündet, wie im Film behauptet?

Sollten solche Gürtel bislang in Deutschland niemals zum Einsatz gekom-

men sein, inwiefern hält die Bundesregierung dann eine solche Behauptung
im Film für eine angemessene Form der politischen Bildung?

Drucksache 17/11807 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

17. Ist der Bundesregierung bekannt, dass nicht nur – wie im Film behauptet –
sogenannte islamische Extremisten, sondern alle Muslime Allah für den
einzigen Gott halten, und dass alle Anhänger einer monotheistischen Reli-
gion einschließlich der jüdischen und christlichen von der Existenz eines
einzigen Gottes ausgehen?

Wenn ja, ist die Bundesregierung der Meinung, dass Monotheismus an sich
schon Extremismus ist?

18. Soll nach Kenntnis der Bundesregierung das Video tatsächlich überarbeitet
werden, und wenn ja, nach welchen Kriterien?

a) Soll die Bezeichnung „Döner-Morde“ wegfallen?

b) Soll die Darstellung der NSU-Morde als Reaktion auf vermeintlich
linksmotivierte Sachbeschädigungen wegfallen?

c) Soll die unterschiedslose Darstellung von „Linksextremisten“, Neofa-
schisten und Islamisten wegfallen?

d) Soll die Problematik des „Extremismus der Mitte“, also der hohen Zu-
stimmung zu rassistischen und autoritären Politikansätzen, aufgegriffen
werden?

e) Soll dargestellt werden, dass Rechtsextremisten (und nicht Linke) seit
dem Jahr 1990 150 politisch motivierte Morde begangen haben?

f) Soll dargestellt werden, dass die „Urheberschaft“ für das „Abfackeln
von Luxuskarossen“ bei der linken Szene keineswegs gesichert ist
(www.berlin.de/aktuelles/berlin/2655569-958092-polizei-weniger-
autobrandstiftungen-nach.html)?

g) Soll dargestellt werden, dass neofaschistische Zusammenschlüsse (im
Gegensatz zu linken) jahrelang durch V-Leute zum Teil sehr hohe Geld-
beträge und Unterstützung etwa bei der Beschaffung falscher Papiere er-
halten haben (www.taz.de/!84018)?

h) Welche weiteren Änderungen sind beabsichtigt?

i) Soll die Bezeichnung „Ganzkörperdusche“ für einen Wasserwerferein-
satz geändert werden?

j) Soll das Video komplett gelöscht werden?

19. Inwiefern hält die Bundesregierung die Bezeichnung des Einsatzes von
Wasserwerfern gegen (im Video: linke) Demonstrantinnen und Demon-
stranten als „Ganzkörperdusche“ für einen angemessenen Beitrag zur poli-
tischen Bildung, angesichts der Tatsache, dass dieser polizeiliche Eingriff in
die Grundrechte mit erheblichen Gefahren für die körperliche Unversehrt-
heit verbunden und deswegen nur in besonderen Umständen erlaubt ist?

20. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass
dieses Video nicht etwa „falsch verstanden“ wurde, sondern vielmehr das
logische Ergebnis des gleichmacherischen „Extremismus“-Ansatzes ist,
und inwiefern zieht sie daraus die Schlussfolgerung, mit dieser Gleichset-
zung zu brechen?

21. Wie viele Anschläge durch islamistische Attentäter in Deutschland sind der
Bundesregierung bekannt, bei denen Sprengstoffgürtel zum Einsatz kamen
(bitte vollständig aufzählen), und inwiefern hält sie vor dem Hintergrund
ihrer diesbezüglichen Kenntnisse die Darstellung eines mit einem Spreng-
stoffgürtel ausgestatteten „Islamisten“ im Video für angemessen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11807

22. Welche weiteren Projekte sind derzeit bei der Bundeszentrale für politische
Bildung im Themenfeld „Extremismus“ in Vorbereitung, und inwiefern
werden diese neu überprüft?

23. Auf der Grundlage welcher wissenschaftlichen Quellen und Publikationen
beschäftigt sich die Bundeszentrale für politische Bildung mit „Extremis-
mus“?

a) Gibt es einschlägige interne Handreichungen, Anweisungen für Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter, entsprechende Papiere oder programmatische
Aufsätze, die den Umgang der Bundeszentrale für politische Bildung mit
dem Thema „Extremismus“ inhaltlich und wissenschaftlich bestimmen
(bitte ggf. beilegen bzw. mit Namen von Autorinnen und Autoren und Ti-
teln auflisten)?

b) Inwieweit werden Erkenntnisse der „Extremismusforschung“ in Bil-
dungsangebote umgesetzt (bitte entsprechendes Material, Links oder
Bildungsmaterialien beilegen)?

c) Lässt sich die Bundeszentrale für politische Bildung in Fragen der bild-
nerischen Vermittlung zum „Extremismus“-Problem wissenschaftlich
beraten, und wenn ja, von wem, und mit welchem Ergebnis (bitte ent-
sprechende Protokolle bzw. Empfehlungen beilegen oder deren Inhalt
angeben)?

Berlin, den 5. Dezember 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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