BT-Drucksache 17/11776

"racial profiling" bei verdachtslosen Personenkontrollen der Bundespolizei

Vom 28. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11776
17. Wahlperiode 28. 11. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Sevim Dag˘delen, Annette Groth,
Andrej Hunko, Niema Movassat, Petra Pau, Jens Petermann, Ingrid Remmers,
Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Katrin Werner,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

„racial profiling“ bei verdachtslosen Personenkontrollen der Bundespolizei

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Koblenz hat in einer Verhandlung gegen
die Bundespolizei festgestellt, dass polizeiliche Personenkontrollen allein auf-
grund der Hautfarbe in Deutschland unzulässig sind. In dem Fall ging es um die
anlasslose Kontrolle eines Reisenden mit dunkler Hautfarbe durch Angehörige
der Bundespolizei. Weil sich der Reisende zunächst weigerte, sich auszuweisen,
wurde er von der Bundespolizei zum Verlassen des Zuges gezwungen und zur
nächsten Dienststelle gebracht, wo dann seine Personalien festgestellt wurden.
Der Mann ist deutscher Staatsbürger (zum Hergang vgl. das Urteil in der ersten
Instanz, VG Koblenz, 5 K 1026/11.KO, www.zvr-online.com/index.php?id=94).

Der Bundespolizist, der die Kontrolle durchgeführt hatte, gab zu, dass er den
Reisenden vor allem aufgrund seiner Hautfarbe kontrolliert hatte: Er spreche
Leute an, „die ihm als Ausländer erschienen … Der Kläger sei hierbei aufgrund
seiner Hautfarbe ins Raster gefallen“, heißt es in der Entscheidung des Verwal-
tungsgerichtes Koblenz.

Der Reisende sah sich in unzulässiger Weise diskriminiert. Das OVG Koblenz
sah das ebenfalls so, und stellte klar, dass Kontrollen aufgrund der Hautfarbe
gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes verstoßen.

Beim dargelegten Fall handelt es sich um einen Fall von „racial profiling“ (auch
„ethnic profiling“ genannt). Sicherheitsbehörden entscheiden dabei aufgrund
einer vermuteten ethnischen Zugehörigkeit einer Person über grundrechtsein-
schränkende Eingriffe (meist Personenkontrollen) gegenüber einer Person, und
nicht aufgrund eines Verhaltens, aus dem sich konkrete Anhaltspunkte für einen
Verdacht ergeben. „Jegliche Form des ethnischen Profiling ist auch nach interna-
tionalem Recht ungesetzlich, weil es gegen die Garantien des Internationalen
Übereinkommens über die Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung
verstößt“, heißt es in einer Stellung der EU-Agentur für Grundrechte (Funda-
mental Rights Agency – FRA) aus dem Jahr 2009. Auch der UN-Menschen-
rechtsausschuss hat entschieden, dass polizeiliche Ausweiskontrollen, die durch

die „Rasse“ oder ethnische Herkunft begründet sind, gegen die internationalen
Nichtdiskriminierungsstandards verstoßen (vgl. ENAR Fact Sheet 40, Ethni-
sches Profiling, Oktober 2009).

Zugeschriebene „rassische“ Merkmale wie die Hautfarbe dürfen es nicht recht-
fertigen, dass Personen zum bevorzugten Ziel einschränkender und diskriminie-
render polizeilicher Maßnahmen werden.

Drucksache 17/11776 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Dies hat die Bundespolizei in der Berufungsverhandlung vor dem OVG Koblenz
zwar auch eingeräumt in Form einer Entschuldigung gegenüber dem Reisenden.
Der Verlauf der Verhandlung wie auch die Aussagen des Bundespolizisten in der
ersten Instanz legen allerdings den Verdacht nahe, dass in den Reihen der Polizei
das Bewusstsein über die Problematik des racial bzw. ethnic profiling nur unge-
nügend entwickelt ist. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerk-
schaft (DPolG) Rainer Wendt hat das Urteil des OVG Koblenz mit den Worten,
„die Gerichte machen schöngeistige Rechtspflege, aber richten sich nicht an der
Praxis aus“, kritisiert (www.spiegel.de/panorama/justiz/gericht-verbietet-polizei-
kontrollen-wegen-hautfarbe-a-864325.html). Da die DPolG einen nicht uner-
heblichen Teil der Polizei repräsentiert, befürchten die Fragesteller, dass die
rechtswidrige Praxis zumindest von Teilen der Bundespolizei bewusst durchge-
führt wurde, und weiterhin an ihr festgehalten wird.

Das erfordert Gegenmaßnahmen, die über die bloße Wiederholung bisheriger
Statements der Bundesregierung hinausgehen. Gegen rassistische Denkmuster
und Strukturen – in der Gesellschaft wie auch in der Polizei – hilft nicht eine ein-
fache Belehrung über internationales Recht und das Diskriminierungsverbot.
Vielmehr scheint eine breite und langfristige Kampagne zur Sensibilisierung
(nicht nur) der Bundespolizei geboten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erklärung hat die Bundesregierung dafür, dass bei der Kontrolle des
in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Reisenden die Bundespoli-
zisten die Sensibilität für die grundrechtsrelevante Problematik des racial
bzw. ethnic profiling vermissen ließen?

2. Wie schätzt die Bundesregierung die Verbreitung der rechtswidrigen Polizei-
praxis in Bund und Ländern ein?

3. Wie erklärt die Bundesregierung, dass es Vorgesetzten der in dem genannten
Verfahren beteiligten Bundespolizisten offenbar nie aufgefallen ist, welche
rechtswidrige Praxis diese anwenden, bzw. wenn es ihnen aufgefallen ist,
warum haben sie die Praxis nicht abgestellt?

4. Was hat die Bundespolizei in der Vergangenheit unternommen, um ihre An-
gehörigen zu sensibilisieren und ihnen zu vermitteln, dass Grundrechtsein-
griffe, zu denen auch Ausweiskontrollen gehören, nicht entscheidend von
Nationalität oder ethnischer Herkunft einer Person abhängig gemacht werden
dürfen (bitte Angaben zum Zeitraum seit Wegfall der Grenzkontrollen durch
das Schengen-Abkommen machen)?

a) Welche Schulungen und Trainings wurden bzw. werden für Polizeianwär-
ter während der Ausbildung durchgeführt?

b) Welche weiteren Schulungen, Trainings und Fortbildungsmaßnahmen
wurden bzw. werden für Angehörige der Bundespolizei durchgeführt
(bitte jeweils auch diejenigen auflisten, die von externen Stellen durchge-
führt wurden)?

c) Welche Materialien zur Aushändigung an alle Angehörigen der Bundes-
polizei wurden bzw. werden erstellt, in denen das Verbot von racial bzw.
ethnic profiling erläutert wurde (bitte nach Möglichkeit als Anlage bei-
fügen)?

d) Welche Dienstanweisungen, Merkblätter, Mitarbeitervermerke und Ähn-
liches wurden zu dieser Thematik erstellt und den Angehörigen der Bun-
despolizei zugestellt (bitte nach Möglichkeit als Anlage beifügen), und
welche sind in Planung?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11776

e) Inwieweit wurde und wird bei Vorbereitung und Nachbereitung von Ein-
sätzen oder bei anderen Anlässen, bei denen die Einsatzstrategie bespro-
chen wird, die Problematik des racial bzw. ethnic profiling angespro-
chen?

f) Welche weiteren Maßnahmen wurden und werden zu dieser Thematik
durchgeführt oder sind geplant?

5. Inwiefern hält es die Bundesregierung anlässlich des beschriebenen Ge-
richtsverfahrens, bei dem offenbar wurde, dass Angehörige der Bundes-
polizei wie selbstverständlich die Hautfarbe eines Reisenden als „Raster“
gewertet haben, das eine Kontrolle rechtfertige, für erforderlich, dass die
Bundespolizei verstärkte Anstrengungen zur Bekämpfung möglicher rassis-
tischer Denk- und Verhaltensmuster unternimmt, und inwiefern ist in diesem
Zusammenhang beabsichtigt, Schulungen, Trainings und Fortbildungsmaß-
nahmen, Dienstanweisungen und weitere in Frage 4 erwähnte Maßnahmen
zu überarbeiten bzw. neu einzuführen (bitte möglichst vollständig beantwor-
ten)?

6. Hat die Bundespolizei in der Vergangenheit Anstrengungen unternommen,
um zu erfassen, mit welcher Häufigkeit Angehörige der Bundespolizei Aus-
weiskontrollen anhand Kriterien des racial bzw. ethnic profiling vorgenom-
men haben (bitte ggf. konkrete Ergebnisse mitteilen), und welche Anstren-
gungen sollen diesbezüglich in der Zukunft unternommen werden?

7. Welche näheren Kriterien, Verhaltensweisen, Muster und Regeln werden in
Rundschreiben, internen Vorgaben, Anweisungen usw. den Bediensteten
der Bundespolizei für die Praxis anlassloser Befragungen oder Kontrollen
vor- bzw. an die Hand gegeben, und welche Rolle spielt dabei insbesondere
das Aussehen, die Hautfarbe usw. einer Person (bitte nach Möglichkeit als
Anlage beifügen)?

8. Wie genau erklärt die Bundesregierung, dass die Zahl der Befragungen bzw.
Identitätsfeststellungen nach § 22 Absatz 1a bzw. § 23 Absatz 1 Nummer 3
des Bundespolizeigesetzes (BpolG) seit dem Jahr 2005 weitgehend konti-
nuierlich und zum Teil erheblich angestiegen ist (vgl. Bundestagsdruck-
sache 17/6778, Antworten zu den Fragen 1a und 1b), und wie lauten die je-
weiligen Werte für die Jahre 2011 und 2012 (soweit vorliegend, bitte nach
Rechtsgrundlage und Inland, Grenzgebiet und Flughäfen differenzieren)?

9. Was kann die Bundesregierung zu Maßnahmen in anderen EU-Ländern
sagen, mit dem Ziel, das racial bzw. ethnic profiling zu vermeiden bzw. zu
verbieten?

10. Inwieweit kann die Bundesregierung bestätigen und welche Schlussfolge-
rungen zieht sie daraus, dass Untersuchungen in Spanien erbracht haben
sollen, dass Personenkontrollen, die nicht nur ausschließlich auf Merk-
malen wie Hautfarbe oder vermeintlichem Aufenthaltsstatus beruhten, er-
heblich effektiver im Sinne der Polizeiarbeit waren (www.migazin.de/2012/
10/29/ethnic-profiling-als-methode-der-polizeiarbeit/)?

11. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass bei Polizeikontrollen, die maß-
geblich an äußeren Kriterien (wie Hautfarbe, Kleidung usw.) anknüpfen,
professionelle Kriminelle gerade nicht ins Visier geraten, weil diese sich auf
dieses Kontrollschema einstellen, und vor allem mit solchen Personen
agieren, die äußerlich nicht diesem Kontrollschema entsprechen (bitte aus-
führen)?

Drucksache 17/11776 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

12. Sieht die Bundesregierung die Gefahr für ein friedvolles gesellschaftliches
Zusammenleben und das Vertrauen in staatliche Institutionen in einer Ge-
sellschaft mit einem steigenden Anteil von Menschen mit Migrationshinter-
grund, wenn diese sich polizeilichen Maßnahmen allein aufgrund ihres
nicht deutschen Aussehens ausgesetzt sehen (bitte ausführen)?

13. Wie kann nach Ansicht der Bundesregierung der Konflikt gelöst werden,
dass die Polizeibefugnis nach § 22 Absatz 1a BPolG zur Verhinderung oder
Unterbindung unerlaubter Einreise zwangsläufig solche Personen ins Visier
geraten lässt, die für nicht deutsch gehalten werden, weil andere als eth-
nische Kriterien als Anknüpfungspunkt für einen rechtmäßigen Aufenthalt
nur schwer denkbar sind, und muss dies nicht zwangsläufig dazu führen, auf
eine solche Norm zu verzichten, weil sie zwangsläufig mit diskriminieren-
den Wirkungen verbunden ist, die im demokratischen Rechtsstaat bei einer
Abwägung aller Gesichtspunkte nicht hinzunehmen sind (bitte ausführen)?

14. In welchem Umfang werden bei anlasslosen Befragungen und Kontrollen
der Bundespolizei Verstöße welcher Art festgestellt (bitte die Zahl der Be-
fragungen und der „Treffer“ – Feststellungen von Straftaten oder Ordnungs-
widrigkeiten oder Fahndungsmeldungen – ins Verhältnis setzen und soweit
möglich, regional differenzieren), und inwieweit spielen dabei insbeson-
dere die Tatbestände unerlaubter Aufenthalt/Einreise bzw. Verstöße gegen
die Residenzpflicht eine Rolle (bitte, sofern keine genauen Daten vorliegen
sollten, zumindest ungefähre Angaben machen)?

15. Welche internen Stellen gibt es in der Bundespolizei, die beim Verdacht auf
rassistische Verhaltensweisen von Bundespolizisten tätig werden, und wie
hat sich deren Arbeit in der Vergangenheit gestaltet?

Inwiefern erwägt die Bundesregierung, ggf. eine solche Stelle (z. B. einen
Antirassismusbeauftragten) zu schaffen, und welche Überlegungen gibt es
hierzu?

16. Inwiefern hält die Bundesregierung die Schaffung eines unabhängigen Be-
auftragten für sinnvoll, bei dem rassistisches Fehlverhalten von Polizei-
beamtinnen und Polizeibeamten gemeldet werden kann, und welche
Schritte will sie in dieser Richtung unternehmen?

17. Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung dagegen, auf ver-
dachtslose Ausweiskontrollen durch die Bundespolizei generell zu verzich-
ten?

18. Inwiefern hält die Bundesregierung eine rechtliche Klarstellung, etwa im
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, aber auch im Bundespolizeigesetz,
für sinnvoll, die racial profiling eindeutig untersagt, und welche Initiativen
will sie in dieser Hinsicht unternehmen?

19. Ist die Äußerung des Staatssekretärs im Bundesministerium des Innern in der
Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 7. Novem-
ber 2012, bisher habe kein Gericht diese (in der Vorbemerkung dargestellte
polizeiliche) Maßnahme als rechtswidrig festgestellt, so zu verstehen, dass
die Bundesregierung diese Praxis für rechtens hält, oder war er der Auffas-
sung, dass das OVG Koblenz diese Praxis nicht für rechtswidrig hielt, oder
sollte dies nur ein Hinweis darauf sein, dass kein Urteil ergangen ist (bitte
ausführen)?

20. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des neuen Bundespolizeipräsi-
denten Dieter Romann, „Rassismus findet bei der Bundespolizei nicht statt“
(Interview im DER SPIEGEL vom 5. November 2012), und sieht sie hierin
nicht eine Ignoranz in der Führungsspitze der Bundespolizei in Bezug auf

das Problem möglicher rassistischer Einstellungen bei Angehörigen der
Bundespolizei?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11776

21. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass es bei Angehörigen der Bun-
despolizei rassistische Einstellungen gibt, die sich unter anderem bei an-
lasslosen Kontrollen und Befragungen im polizeilichen Handeln auswirken
(können), und wenn ja, wie begründet sie dies angesichts in der Wissen-
schaft immer wieder nachgewiesener rassistischer Einstellungen in relevan-
ter Größenordnung bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein, und wenn
nein, was wird sie unternehmen, um den Bundespolizeipräsidenten für die-
sen Problembereich zu sensibilisieren (bitte ausführen)?

22. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des neuen Bundespolizeipräsi-
denten Dieter Romann, hinter dem Verhalten der Beamten (vgl. Vorbemer-
kung der Fragesteller) stecke „selbstverständlich“ kein Rassismus (Inter-
view im DER SPIEGEL vom 5. November 2012), angesichts der Schilde-
rungen des Betroffenen (vgl. SPIEGEL ONLINE vom 1. November 2012),
wonach die Polizisten ihn vor sich hergeschubst hätten, obwohl er keinen
Widerstand geleistet habe, und wonach ein Polizist, der eine Tafel Schoko-
lade in seinem Rucksack fand, ihn gefragt habe, ob er die geklaut habe?

23. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass der Be-
troffene (siehe Vorbemerkung der Fragesteller und vgl. SPIEGEL ONLINE
vom 1. November 2012) erklärte, die beim OVG ausgesprochene Entschul-
digung des Beamten sei „förmlich, ohne Reue und nicht auf einer mensch-
lichen Ebene“ erfolgt?

24. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Betroffenen
(siehe Vorbemerkung der Fragesteller und vgl. SPIEGEL ONLINE vom
1. November 2012), die auch in der Vorbemerkung der Fragesteller zitierte
Äußerung der Deutschen Polizeigewerkschaft zeige, dass es in der polizei-
lichen Praxis so weitergehen solle wie bisher (bitte ausführen)?

Berlin, den 28. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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