BT-Drucksache 17/11769

Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik

Vom 29. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11769
17. Wahlperiode 29. 11. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Agnes Brugger, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy,
Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik

Abrüstungspolitik gehört zu den Grundpfeilern deutscher Außenpolitik. Die
Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP
zur nuklearen Abrüstung bekannt und erklärt, dass sie sich für den Abzug der in
Deutschland stationierten US-Atomwaffen einsetzten will. In ihrem Bericht zum
Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung
sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale zum Jahr 2011 setzte sich
die Bundesregierung für dieses Jahr wichtige abrüstungspolitische Ziele und
skizzierte hierzu Perspektiven.

Weder bei der Ausarbeitung eines neuen strategischen Konzepts der North
Atlantic Treaty Organization (NATO) in Lissabon 2010 noch beim Gipfel in
Chicago in diesem Jahr ist es jedoch gelungen, den Abzug der in Deutschland
stationierten US-Atomwaffen einzuleiten. Auch bezüglich der Umsetzung des
Verbots von Landminen und Streumunition besteht weiter Handlungsbedarf.
Deutsche Banken und Versicherer investieren trotz der internationalen Ächtung
in die Herstellung dieser völkerrechtswidrigen Waffen. Weitere Fragen bezüg-
lich des Engagements der Bundesregierung im Bereich Abrüstung und Rüs-
tungskontrolle stellen sich durch die Pläne der Bundeswehr zur Beschaffung
bewaffneter bzw. waffenfähiger Drohnen. Im Rahmen der Chemiewaffenkon-
vention ist das Ziel, innerhalb von 15 Jahren sämtliche Chemiewaffen unter
internationaler Aufsicht zu vernichten, nicht erreicht worden. 44 Prozent der
weltweiten Chemiewaffenbestände sind noch nicht zerstört. Syrien, das dem
Chemiewaffenübereinkommen noch nicht beigetreten ist, hat jüngst den Besitz
chemischer Waffen zugegeben. Die Biowaffen-Konvention verfügt immer noch
nicht über ein entsprechendes Verifikationsregime zur Überwachung der Einhal-
tung des Vertrags. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf andere Bereiche
des internationalen Abrüstungs- und Rüstungskontrollregimes besteht dringen-
der Handlungsbedarf.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Anpassungen sind bei den für die nukleare Teilhabe in der NATO von
der Bundeswehr zur Verfügung gestellten Trägersystemen vor dem Hinter-
grund der Modernisierung der in Deutschland stationierten US-Atomwaffen
(Life Extension Program – LEP) erforderlich?

Drucksache 17/11769 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Welche Trägersysteme sind nach den Kenntnissen der Bundesregierung in
der Lage, neue US-Atomwaffen vom Typ B61-12 einzusetzen?

Welche Kosten fallen nach Berechnung der Bundesregierung an, um diese
Systeme an die neuen Atomwaffensysteme anzupassen?

3. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die nukleare Teilhabe der
NATO Deutschland die Mitsprache in Bezug auf die Ausgestaltung der
Nuklearpolitik der NATO, einschließlich Fragen der Stationierung amerika-
nischer Atomwaffen in Deutschland, sichert?

a) Wenn ja, sollten dann nach ihrer Auffassung die Pläne zur Stationierung
von Atomwaffen des Typs B61-12 Gegenstand politischer Beratungen in
der NATO sein?

b) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung in der Frage der Stationie-
rung der Atomwaffen des Typs B61-12?

4. Welche Initiativen unternimmt bzw. plant die Bundesregierung, um die Ein-
beziehung substrategischer Atomwaffen in die Verhandlungen zwischen
den USA und Russland über weitere nukleare Abrüstungsschritte zu unter-
stützen?

5. Setzt die Bundesregierung auch nach dem NATO-Gipfel in Chicago ihre
Bemühungen um den Abzug der in Deutschland stationierten US-Atom-
waffen fort?

a) Wenn ja, in welchen Gremien und im Austausch mit welchen Partnern?

b) Warum hat der auf dem NATO-Gipfel in Chicago vereinbarte neue Rüs-
tungskontrollausschuss der NATO seine Arbeit noch nicht aufgenom-
men?

c) Welche Themen sollen nach Auffassung der Bundesregierung Gegen-
stand der Beratungen im Rüstungskontrollausschuss sein?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die humanitären Folgen des Einsatzes
von Atomwaffen?

7. Wann sollte nach Auffassung der Bundesregierung eine Konferenz über die
Einrichtung einer Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen und
Mittleren Osten stattfinden, und welche Initiativen unternimmt die Bundes-
regierung, um diesen Prozess zu unterstützen?

8. Befürwortet Deutschland direkte Gespräche zwischen den USA und dem
Iran über eine Lösung des Nuklearkonflikts?

9. Wurde deutschen Truppen im Auslandseinsatz bisher durch den Einsatz be-
waffneter Drohnen von Verbündeten Unterstützung geleistet?

Wenn ja, in welchen Fällen (Einsatzort und Anlass), durch welche Ver-
bündete, und mit welchen Konsequenzen (Schäden, Verletzte, Tote, zivile
Opfer)?

10. Welche Szenarien zum Einsatz bewaffneter Drohnen unter deutschem
Kommando werden im Zuge der Debatte über die Beschaffung waffenfähi-
ger Drohnen für die Bundeswehr seitens der Bundesregierung diskutiert?

Unter welchen Umständen darf die Bundeswehr nach Auffassung der Bun-
desregierung bewaffnete unbemannte Flugkörper zur gezielten Tötung von
Individuen einsetzen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11769

11. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Berichts des Büros für
Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag „Stand und Per-
spektiven der militärischen Nutzung unbemannter Systeme“, nach welchem
der Einsatz bewaffneter unbemannter Systeme die Hemmschwelle zum
Einsatz militärischer Gewalt in Konflikten senken kann?

Wenn ja, welche Schlüsse zieht die Bundesregierung daraus für eine et-
waige Beschaffung seitens der Bundeswehr?

12. Welche sicherheitspolitische Begründung liegen der Erwägung des Bundes-
ministers der Verteidigung (DIE WELT vom 3. August 2012) und des In-
spekteurs der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner (tagesschau.de vom
30. August 2012), zugrunde, bewaffnete Drohnen zu beschaffen?

Welche Einsatzszenarien liegen diesen Erwägungen konkret zugrunde?

13. Aus welchen Gründen ist der Rückgriff auf bemannte Plattformen und Sys-
teme im Verbund mit unbemannten Aufklärungssystemen aus Sicht des
Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) nicht ausreichend?

14. Welchen rüstungskontroll- und rüstungsexportpolitischen Regelungsbedarf
sieht die Bundesregierung in Bezug auf bewaffnete unbemannte Systeme,
und welche Initiativen hat sie in dieser Hinsicht unternommen bzw. sind ge-
plant?

15. Inwiefern besteht ein Zusammenhang zwischen der Einigung zur Bereit-
stellung von Patriot-Abwehrraketen an der türkisch-syrischen Grenze
(NATO-Rat am 20. November 2012) mit der Ankündigung Deutschlands
(NATO-Gipfel in Chicago am 21. Mai 2012), Patriot-Raketen als einen
möglichen deutschen Beitrag zur territorialen Raketenabwehr einzubringen?

Ist die vereinbarte Bereitstellung der Patriot-Raketen an der türkisch-
syrischen Grenze im Zusammenhang mit einer Einplanung in das NATO-
Raketenabwehrsystem bei krisenhaften Entwicklungen zu sehen (siehe Ant-
wort der Bundesregierung vom 21. März 2012 auf die Kleine Anfrage der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Ausgestaltung des Raketenab-
wehrsystems der NATO auf Bundestagsdrucksache 17/9044, zu Frage 25)?

16. Für welche konkreten Szenarien und an welchen Standorten plant das
BMVg, die deutschen Patriot-Raketen in das Raketenabwehrsystem der
NATO zu integrieren?

17. Gab es seitens der NATO, der USA oder anderer NATO-Partner eine An-
frage bezüglich der Integration der deutschen Patriot-Raketen in das NATO-
Raketenabwehrsystem, und inwiefern wurde abgestimmt, wie Letztere sich
in das Gesamtsystem funktional integrieren?

18. Welche weiteren technischen und finanziellen Beiträge plant die Bundes-
regierung für den Aufbau des NATO-Raketenabwehrsystems in Europa zu
leisten?

a) Welche Kosten fallen durch die national beizustellenden Sensoren und
Effektoren an?

b) Welche Kosten fallen durch den Aufbau und den Betrieb des gemeinsam
finanzierten Führungssystems an?

c) Welche weiteren Kosten kommen auf die Bundesrepublik Deutschland
zu?

d) Gibt es Pläne zur Umrüstung der Fregatten?

Wenn ja, welche technischen Anpassungen sind hierbei erforderlich, und
wie hoch sind die zu erwartenden Kosten?

Drucksache 17/11769 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

19. Inwiefern sieht die Bundesregierung ihre Verpflichtungen gemäß dem
Übereinkommen zum Einsatz, zur Entwicklung, Herstellung, Lagerung so-
wie zum Import und Export von Streumunition (Oslo-Übereinkommen) im
Einklang mit der Lagerung von Streumunition anderer Staaten auf deren
Militärstützpunkten in der Bundesrepublik Deutschland und im Einklang
mit dem Transport von Streumunition über deutschem Hoheitsgebiet?

20. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich der Lagerung ame-
rikanischer Streumunition an US-Stützpunkten in der Bundesrepublik
Deutschland und über deren Transport?

a) Welche konkreten Vereinbarungen hat die Bundesregierung bezüglich
der Lagerung von Streumunition an US-Stützpunkten in der Bundes-
republik Deutschland und deren Transport über deutschem Hoheits-
gebiet mit der US-amerikanischen Administration getroffen?

b) Sieht die Bundesregierung ihre Bemühungen, Länder, die nicht Vertrags-
staaten sind, vom Beitritt zur Oslo-Konvention zu überzeugen, durch das
Gestatten der Lagerung und des Transports von Streumunition anderer
Staaten auf und über deutschem Hoheitsgebiet beeinträchtigt?

21. Welche Initiative unternimmt oder plant die Bundesregierung, um die Ver-
bote von Streumunition und Landminen gemäß ihren völkerrechtlichen
Verpflichtungen umfassend umzusetzen und die von deutschen Banken und
Versicherungen getätigten Investitionen in die Herstellung und Entwick-
lung dieser Waffen sowie die einkommensteuerliche Förderung solcher
Investitionen zu unterbinden?

22. Welche Projekte im Bereich Minenaktionen einschließlich Opferhilfe plant
die Bundesregierung mit jeweils welchem finanziellen Umfang und durch
jeweils welche Ressorts im Jahr 2013 zu unterstützen?

23. Wie bewertet die Bundesregierung die in der von ihr im Ersten Ausschuss
der Generalversammlung der Vereinten Nationen unterstützten Resolution
Effects of the Use of Armaments and Ammunitions Containing Depleted
Uranium der Non- Aligned-Movement-Staaten vorgenommene Bezug-
nahme auf das Vorsorgeprinzip (precautionary approach) zum Gebrauch
von angereichertem Uran?

Ist die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass die Bundeswehr selbst
keine Munition mit angereichertem Uran (DU-Munition) vorhält, bereit,
sich auf Grundlage des precautionary approach für ein Moratorium für den
Einsatz von DU-Munition einzusetzen?

24. Welche Ziele verfolgt die Bundesregierung für die dritte Überprüfungskon-
ferenz des Chemiewaffenübereinkommens, die vom 8. bis 19. April 2013 in
Den Haag stattfinden wird?

25. Bis wann werden die gegenwärtigen Chemiewaffen-Besitzerstaaten nach
Kenntnis der Bundesregierung die Vernichtung ihrer Chemiewaffen-Be-
stände abgeschlossen haben?

Welche bilateralen Gespräche führt die Bundesregierung diesbezüglich mit
Staaten wie z. B. Russland, die noch über 50 Prozent ihrer Bestände ver-
fügen?

26. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung im Rahmen der zivilen Kri-
senprävention zur Abrüstung von Chemiewaffen in Krisenregionen und
Postkonfliktregionen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11769

27. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Chemiewaffen-Be-
stände Syriens und anderer Staaten in der Region des Nahen und Mittleren
Ostens?

a) Setzt sich die Bundesregierung im Rahmen des Übereinkommens über
das Verbot chemischer Waffen dafür ein, dass einer möglichen syrischen
Nachfolgeregierung ein Angebot zur Entsorgung der Chemiewaffen-Be-
stände unterbreitet wird?

b) Welche Rolle sollte nach Auffassung der Bundesregierung die Organisa-
tion für das Verbot von Chemiewaffen (OVCW) bei Sicherung und Ver-
nichtung möglicher syrischer Chemiewaffen-Bestände spielen?

28. In welcher Form wird sich die Bundesregierung für das Ziel eines inter-
nationalen Verifikationsregimes für das Biowaffenübereinkommen einset-
zen?

a) Welche konkreten Aktivitäten plant die Bundesregierung, um während
des Intersessional Process 2012 bis 2015 das Thema Verifikation und
Compliance voranzubringen?

b) Wie hat sich die Bundesregierung in den letzten Jahren konkret an der
Weiterentwicklung des sogenannten Generalsekretärsmechanismus zur
Überprüfung von Einsätzen biologischer oder chemischer Waffen betei-
ligt?

29. Welche konkreten Ziele verfolgt die Bundesregierung in den Diskussionen
im Intersessional Process 2012 und 2013 zu den Vertrauensbildenden Maß-
nahmen (VBM) unter dem Biowaffenübereinkommen?

a) Wie kann nach Auffassung der Bundesregierung die Zahl derjenigen
Staaten, die an den VBM teilnehmen, erhöht werden?

b) Welche Möglichkeiten der Nutzung der erhobenen Daten (zentrale Aus-
wertung, statistische Erhebungen, Bewertung der Datenqualität, inhalt-
liche Bewertung etc.) präferiert die Bundesregierung, und wie will sie
diese implementieren?

30. Welche konkreten Vorschläge plant die Bundesregierung zur Verbesserung
der Umsetzung von Artikel X des Biowaffenübereinkommens über die Ver-
besserung der internationalen Kooperation bei der friedlichen Nutzung von
Biotechnologie (bitte nach Förderung von technologischer Zusammenar-
beit – Artikel X Absatz 1 – und Verhinderung der Behinderung technologi-
scher Entwicklung – Artikel X Absatz 2 – aufschlüsseln)?

Berlin, den 29. November 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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