BT-Drucksache 17/11701

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz

Vom 28. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11701
17. Wahlperiode 28. 11. 2012

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Jens Petermann, Jan Korte, Agnes Alpers, Herbert Behrens,
Matthias W. Birkwald, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia
Jochimsen, Ralph Lenkert, Petra Pau, Kathrin Senger-Schäfer, Raju Sharma,
Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Herstellung der
institutionellen Unabhängigkeit der Justiz

A. Problem

Als einzige der drei Staatsgewalten ist die Justiz nicht organisatorisch unabhän-
gig, sondern wird von der Exekutive als eine der anderen beiden Gewalten ver-
waltet. Die Einflussnahmemöglichkeiten der Exekutive haben erhebliche Be-
deutung für die Justiz. Dies gilt besonders für

• die Auswahl einzustellender Bewerberinnen und Bewerber,

• die Steuerung der Karrieren von Richterinnen und Richtern, namentlich
durch Entscheidungen über die Beurteilung, Beförderung und andere Perso-
nalmaßnahmen der Richterinnen und Richter,

• Berichtspflichten von und Weisungsmöglichkeiten gegenüber den Staatsan-
waltschaften sowie

• die Entscheidung über die Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaf-
ten.

Die bestehenden Karrierestrukturen im Richterdienst begünstigen informelle
Abhängigkeitsstrukturen. Der hierarchische Aufbau der Justiz sowie wesentli-
che Grundzüge des Amtsrechts der Richterinnen und Richter entstammen dem
historischen Beamtenrecht. Das Beamtenrecht ist auf die Bedürfnisse der Exe-
kutive zugeschnitten und mit einer unabhängigen Justiz nicht vereinbar.

Die große Mehrheit der anderen europäischen Demokratien hat ihre Justiz be-
reits im Sinne der Gewaltenteilung zur Stärkung der Unabhängigkeit der Recht-
sprechung als wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit institutionell ver-
selbständigt. Deutschland muss wieder den Anschluss an den europäischen
Standard der Rechtsstaatlichkeit finden und die Justiz in Bund und Ländern in-
stitutionell unabhängig ausgestalten.
B. Lösung

Es ist eine umfassende Reform der Justizstrukturen vorzunehmen. Dazu sind so-
wohl Änderungen des Grundgesetzes erforderlich wie auch einer Vielzahl von
einzelgesetzlichen Regelungen sowohl auf Bundes- wie auf Länderebene. Der
vorliegende Entwurf bezieht sich zunächst auf die notwendigen Änderungen des
Grundgesetzes. In einem weiteren Gesetzentwurf (vgl. Fraktion DIE LINKE.,

Drucksache 17/11701 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

„Entwurf eines Gesetzes zur Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der
Justiz“ vom 28. November 2012, Bundestagsdrucksache 17/11703) werden Än-
derungen u. a. des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Deutschen Richterge-
setzes vorgenommen.

Kernelemente der Reform sind zwingende Vorgaben für und der Ausbau der Be-
fugnisse von Richterwahlausschüssen im Bund und in den Ländern zur Stärkung
der demokratischen Legitimation, die Überführung der Staatsanwaltschaften aus
der Exekutive in die Justiz, die Abschaffung ämterbasierender justizinterner
Hierarchien sowie die Regelung binnendemokratischer Strukturen der Selbst-
verwaltung.

Der vorliegende Entwurf geht auf die Arbeit der Neuen Richtervereinigung –
Zusammenschluss von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und
Staatsanwälten e. V. aus dem Jahr 2010 zurück.

C. Alternativen

Keine.

D. Kosten

Die notwendigen Folgeänderungen auf der Ebene einfachen Gesetzesrechts ha-
ben auf Bundes- und auf Landesebene finanzielle Folgen. Im Bund sind durch
die bisher höhere Besoldung von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern jeden-
falls keine Mehrausgaben zu erwarten. Je nach dem Niveau der Besoldung, das
einfachgesetzlich auf Landesebene festgelegt wird, können auf Landesebene
Mehrkosten entstehen, deren Höhe nicht absehbar ist.

geln, soweit Artikel 74 Absatz 1 Nummer 27 nichts ande-

3. Artikel 95 Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Über die Berufung der Richter dieser Gerichte so-
wie der Staatsanwälte des Bundes entscheidet ein Rich-
terwahlausschuss. Je ein Drittel seiner Mitglieder werden
vom Deutschen Bundestag und Bundesrat entsandt, ein
Drittel seiner Mitglieder werden von den Richtern und
Staatsanwälten des Bundes sowie von der Rechtsanwalt-

res bestimmt.

(4) Über die Einstellung der Richter und Staatsanwälte
in den Ländern entscheidet ein Richterwahlausschuss.
Zwei Drittel seiner Mitglieder werden von der gesetzge-
benden Körperschaft des Landes entsandt, ein Drittel sei-
ner Mitglieder werden von den Richtern und Staatsan-
wälten des Landes sowie von der Rechtsanwaltschaft des
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11701

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Herstellung der
institutionellen Unabhängigkeit der Justiz

Vom …

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Absatz 2 des
Grundgesetzes ist eingehalten:

Artikel 1

Änderung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnum-
mer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt
durch … geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Artikel 74 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt geändert:

aa) In Nummer 27 werden nach dem Wort „Richter“
die Wörter „und Staatsanwälte“ eingefügt.

bb) Nach Nummer 27 wird folgende Nummer 27a
eingefügt:

„27a. die organisatorische Unabhängigkeit der
rechtsprechenden Gewalt in den Ländern;“.

b) In Absatz 2 wird die Angabe „Nr. 25 und 27“ durch
die Angabe „Nummer 25, 27 und 27a“ ersetzt.

2. Artikel 92 wird wie folgt gefasst:

„Artikel 92

(1) Die rechtsprechende Gewalt liegt in den Händen
der Richter und Staatsanwälte. Die Rechtsprechung ist
den Richtern anvertraut. Im Bereich der Strafrechtspflege
sind die Gestaltung des Ermittlungsverfahrens und die
Mitwirkung an der Rechtsprechung und an der Strafvoll-
streckung den Staatsanwälten anvertraut. Mit Ausnahme
der Ämter der Richter des Bundesverfassungsgerichts
sind die Ämter der Richter und Staatsanwälte einheitlich.
Die Richter und Staatsanwälte haben Anspruch auf eine
angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädi-
gung. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(2) Die rechtsprechende Gewalt wird durch das Bun-
desverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetz
vorgesehenen Bundesgerichte, durch die Bundesanwalt-
schaft sowie durch die Gerichte und Staatsanwaltschaften
der Länder ausgeübt und durch die Richter und Staatsan-
wälte verwaltet. Das Nähere regelt ein Gesetz.“

4. Artikel 96 wie folgt geändert:

a) Dem Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:

„Oberster Gerichtshof für dieses Gericht ist der Bun-
desgerichtshof.“

b) Die Absätze 2 und 3 werden aufgehoben.

c) Die Absätze 4 und 5 werden die Absätze 2 und 3.

5. Artikel 97 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 1 werden nach dem Wort „Richter“ die
Wörter „und Staatsanwälte“ eingefügt.

b) Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Die hauptamtlich angestellten Richter und
Staatsanwälte können wider ihren Willen nur kraft
richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und
unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen,
vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen, dauernd oder
zeitweise ihres Amtes enthoben, an eine andere Stelle
oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzge-
bung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Errei-
chung auf Lebenszeit angestellte Richter und Staats-
anwälte in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der
Einrichtung der Gerichte oder Staatsanwaltschaften
oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Ge-
richt, Staatsanwälte an eine andere Staatsanwaltschaft
versetzt werden.“

6. Artikel 98 wird wie folgt gefasst:

„Artikel 98

(1) Die Rechtsstellung der Richter und Staatsanwälte
des Bundes ist durch besonderes Bundesgesetz zu regeln.

(2) Wenn ein Richter oder Staatsanwalt des Bundes im
Amte oder außerhalb des Amtes gegen die Grundsätze
des Grundgesetzes oder gegen die verfassungsmäßige
Ordnung eines Landes verstößt, so kann das Bundesver-
fassungsgericht mit Zweidrittelmehrheit auf Antrag des
Bundestages anordnen, dass der Richter oder Staatsan-
walt in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu verset-
zen ist. Im Falle eines vorsätzlichen Verstoßes kann auf
Entlassung erkannt werden.

(3) Die Rechtsstellung der Richter und Staatsanwälte
in den Ländern ist durch besondere Landesgesetze zu re-
schaft jeweils aus ihrem Kreis gewählt. Das Nähere regelt
ein Bundesgesetz.“

Landes jeweils aus ihrem Kreis gewählt. Das Nähere re-
gelt ein Gesetz.

Drucksache 17/11701 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

(5) Die Länder können für Richter und Staatsanwälte
des Landes eine Absatz 2 entsprechende Regelung tref-
fen. Geltendes Landesverfassungsrecht bleibt unberührt.
Die Entscheidung über eine Richteranklage steht dem
Bundesverfassungsgericht zu.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 29. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

riert ist. Die Wahl zur Bundesrichterin oder zum Bundesrich- tionen bisher gesetzlich den Präsidentinnen oder Präsidenten
ter setzt regelmäßig einen Vorschlag und die Unterstützung
durch die Exekutive eines Landes voraus. Dazu, wie dieser
Vorschlag zu Stande kommt, gibt es keine Vorgaben. Die

der Gerichte zufallen, handeln sie insoweit in Verwaltungs-
funktion und damit eingebunden in die Exekutive.

Neben diesen Befugnissen bestehen zusätzliche spezielle
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11701

Begründung

A. Allgemeines

I. Derzeitige Sach- und Rechtslage

Als einzige der drei Staatsgewalten ist die Justiz nicht orga-
nisatorisch unabhängig. Nur die Judikative verwaltet sich
bislang nicht selbst. Die organisatorische Unabhängigkeit
der Legislative, die über ihre eigene Parlamentsverwaltung
verfügt, wird als selbstverständlich angesehen. So haben der
Deutsche Bundestag und der Bundesrat ihr eigenes Personal,
eigenständige wissenschaftliche Dienste und üben in ihren
Liegenschaften die Polizeigewalt aus.

Dagegen wird die Judikative von der Exekutive verwaltet.
Jedes Gericht – mit Ausnahme des Bundesverfassungs-
gerichts – gehört zum Geschäftsbereich eines Ministeriums
und hat insoweit in administrativen Angelegenheiten die
Stellung einer nachgeordneten Behörde.

Die Einflussnahmemöglichkeiten der Exekutive haben er-
hebliche Bedeutung für die Justiz, sie reichen insbesondere
über rein fiskalische Vorgaben und z. B. Liegenschaftsange-
legenheiten hinaus. Denn vor allem in Personalangelegen-
heiten hat die Justizministerialverwaltung entscheidende
Funktionen.

Bewerbungen um die Aufnahme in den Richterdienst sind
regelmäßig an die Exekutive zu richten, die auch tatsächlich
die wesentliche Auswahlentscheidung trifft. Selbst in den
Ländern, in denen ein Richterwahlausschuss besteht und die-
ser nicht nur über die Verleihung des Status als Richterin
oder Richter auf Lebenszeit entscheidet, sondern schon vor
der Einstellung zu beteiligen ist, liegt die Auswahlentschei-
dung praktisch in der Hand der Ministerialverwaltung. Denn
es entspricht üblicher Praxis, dass die Richteramtsbewerbe-
rinnen und Richteramtsbewerber sich regelmäßig nur der
Ministerialbürokratie persönlich vorstellen. Die Entschei-
dungsgrundlage für den Richterwahlausschuss ist dann die
Papierform der Bewerber, die sich lediglich aus den nur aus
Noten bestehenden Examina (allenfalls noch einer kaum
aussagekräftigen Personalakte aus der Referendarausbil-
dung) sowie dem ministeriellen Besetzungsbericht zusam-
mensetzt. Wenn dann auch die Zahl der dem Richterwahl-
ausschuss präsentierten Kandidatinnen und Kandidaten der
Zahl der zu besetzenden Stellen entspricht, verkürzt sich die
Entscheidungsmacht des Richterwahlausschusses de facto
auf eine Bestätigung des Vorschlages der Verwaltung. Beför-
derungsentscheidungen trifft die Ministerialverwaltung in
den meisten Ländern allein, schon eine Mitwirkung hieran
durch einen ggf. bestehenden Richterwahlausschuss ist die
Ausnahme.

Das bundesrechtlich geregelte Verfahren der Auswahl von
Bundesrichterinnen und Bundesrichtern unterscheidet sich
von den verwaltungslastigen Verfahren der Länder nicht im
entscheidenden Punkt, auch wenn es völlig anders struktu-

Die bisherige Möglichkeit der Exekutive, durch Vorschläge
zur bzw. Entscheidung über Beförderung von Richterinnen
und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten Ein-
fluss zu nehmen, muss entfallen. Auch wenn die Einfluss-
nahme sich meist darin erschöpft, subtil zu vorauseilendem
Gehorsam zu stimulieren, genügt ein solcher Mechanismus,
um die Unabhängigkeit zu beeinträchtigen (vgl. EuGH, Ur-
teil vom 9. März 2010, Rs. C-518/07, Rn. 36 zur Unabhän-
gigkeit von Datenschutzbeauftragten), und es liegt hierin ein
zentrales Machtmittel der Exekutive gegenüber Richterin-
nen und Richtern, die Beförderungsämter und die damit ver-
bundene höhere Besoldung sowie den ggf. als höher angese-
henen Status anstreben. So entscheidet die Exekutive bislang
weitgehend rechtsschutzfrei, ob und wann eine Richterin
oder ein Richter an eine Oberinstanz zur „Erprobung“ ab-
geordnet wird, was faktische Voraussetzung für eine
Beförderung ist. Sie legt auch die Eignungsprofile für die zu
besetzenden Stellen fest und hat damit zentrale Steuerungs-
möglichkeiten für Richterinnenkarrieren und Richterkarrie-
ren in der Hand. Von diesen Mitteln macht sie auch Ge-
brauch.

Hinzu kommt, dass die Beurteilung der Richterinnen und
Richter, die die notwendige formale Grundlage für Beför-
derungsentscheidungen ist, ausschließlich in der Hand der
Exekutive liegt. Die formal die Beurteilung ausstellenden
Gerichtspräsidentinnen und Gerichtspräsidenten handeln in-
soweit in exekutiver Funktion, sind der Ministerialverwal-
tung insoweit nachgeordnet, die zwar regelmäßig nicht in die
einzelnen Beurteilungen eingreift, aber Beurteilungsricht-
linien vorgibt.

Abordnungen, die einer Richterin oder einem Richter eine
besondere Gelegenheit zum Aufbau von Spezialkenntnissen
und damit faktisch den Zugang zu besonderen Funktionen in
der Justiz eröffnen, werden ebenfalls von der Justizministe-
rialverwaltung vergeben. Zu nennen sind hier besonders sel-
tene Funktionen, etwa internationale Verwendungen bei den
Institutionen der Europäischen Gemeinschaft oder Mitglied-
schaften in international besetzten Gremien auf völkerrecht-
licher Ebene des Europarates oder der Vereinten Nationen
und deren Unterorganisationen.

Gegenstände und Umfang richterlicher und staatsanwalt-
schaftlicher Fortbildung liegen vollständig in der Hand der
Ministerialverwaltung. Diese bestimmt also maßgeblich, mit
welcher Thematik und welchem Umfang Richterinnen und
Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ihre Rechts-
kenntnisse dienstlich vertiefen können und hat damit nicht
unerheblichen inhaltlichen Einfluss auf die Tätigkeit der
Justiz.

Der Ministerialverwaltung kommen die maßgeblichen
Dienstaufsichtsbefugnisse über Richterinnen und Richter,
Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zu. Soweit diese Funk-
Vorschläge sind als Personalangelegenheiten vertraulich,
werden aber auch als vertrauliches Politikum behandelt.

Einwirkungsmöglichkeiten gegenüber Staatsanwältinnen und
Staatsanwälten, da diese bislang in jeder Hinsicht in die Exe-

Drucksache 17/11701 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

kutive eingeordnet sind. Staatsanwältinnen und Staatsanwälte
unterliegen dem internen und externen Weisungsrecht sowie
ggf. Berichtspflichten. Von den Weisungsrechten wird so-
wohl in allgemeiner Form, als auch in Einzelfällen Gebrauch
gemacht. Die Berichtspflichten dienen nicht nur dazu,
Staatsanwältinnen und Staatsanwälte davon abzuhalten, in
eigener Verantwortung bestimmte Maßnahmen zu ergreifen.

In der Summe liegen die für das persönliche Fortkommen in
positiver wie auch in negativer Weise entscheidenden Hand-
lungs- und Entscheidungsmöglichkeiten bisher in der Hand
der Exekutive. Die bestehenden Karrierestrukturen im Rich-
terinnendienst und Richterdienst begünstigen informelle Ab-
hängigkeitsstrukturen. Der hierarchische Aufbau der Justiz
entstammt dem historischen Beamtenrecht, ist auf die Be-
dürfnisse der Exekutive zugeschnitten und mit einer unab-
hängigen Justiz nicht vereinbar. Zwar hat sich die Justiz auf-
grund verfassungsgerichtlicher Vorgaben formal von den
Richterinnenbeamten und Richterbeamten verabschiedet,
die Amtsbezeichnungen geändert und für die Richterinnen
und Richter eine eigene Besoldungsordnung geschaffen.
Gleichwohl funktionieren das Laufbahndenken, die innere
Hierarchie sowie das System von Belohnungen und Belas-
tungen, die von der Exekutive gewährt werden können, im
Kern unvermindert.

Wirklich unabhängig wird eine Richterin oder ein Richter
nur sein, wenn sie oder er auch innerhalb der Justiz keinen
Abhängigkeiten ausgesetzt ist, durch ihr oder sein Wohlver-
halten nichts gewinnen und nichts verlieren kann. Das setzt
eine egalitär und binnendemokratisch organisierte sowie
selbstverwaltete Justiz voraus, in der alle Richterinnenämter
und Richterämter einheitlich sind.

Die demokratische Legitimation der Richterinnen und Rich-
ter, die durch die bisherigen Strukturen in ihr Amt gekom-
men sind, wird allgemein anerkannt. Es ist jedoch festzustel-
len, dass schon die Entscheidungsträger der Exekutive, die
maßgeblich über die Berufung von Richterinnen und Rich-
tern entscheiden, nur über eine mittelbare demokratische
Legitimation verfügen. Das vorliegende Gesetz stärkt die de-
mokratische Legitimation der Justiz dadurch, dass die Parla-
mente einen überwiegenden Einfluss auf die Auswahl von
Richterinnen und Richtern erhalten und die bisher zentrale
Funktion der nur mittelbar legitimierten und selbst nicht be-
troffenen Exekutive entfällt.

Nicht zuletzt dient die vorliegende Strukturreform der Justiz
der Stabilisierung der staatlichen Strukturen und Funktionen
insgesamt. Denn durch sie werden die zweite und die dritte
Staatsgewalt weitgehend entflochten, was der Effektivierung
beider Staatsgewalten dient.

Der bisherige, ständige steuernde Eingriff in laufende Ange-
legenheiten der Judikative durch die Exekutive widerspricht
dem Leitgedanken der Gewaltenteilung.

Sachliche Gründe für den Eingriff der Exekutive in die Ver-
waltungsstrukturen der Judikative bestehen nicht. Er ist ins-
besondere unnötig, da die Justiz bei entsprechenden gesetz-
lich vorzusehenden internen Strukturen ohne weiteres in der
Lage ist, ihre Angelegenheiten effizient und erfolgreich
selbst zu regeln. Insbesondere verfügt sie über das hierfür
bestens qualifizierte Personal, dessen sich die Exekutive
schon bisher gerne bedient: vielfach werden Richterinnen

wo sie ausschließlich Verwaltungsaufgaben wahrnehmen.
Alleine in den Justizministerien des Bundes und der Länder
sind zusammengenommen ständig mehrere hundert Richte-
rinnen und Richter tätig. Auch andere Ressorts greifen auf
Abordnungen aus der Justiz zurück. Nicht selten werden
abgeordnete Richterinnen oder Richter alsbald nach dieser
Tätigkeit als Richterinnen und Richter befördert, obwohl sie
dort gerade keine richterliche Erfahrung gewinnen konnten.

Die für den Rechtsstaat konstitutive richterliche Unabhän-
gigkeit, die in Artikel 97 Absatz 1 GG ausdrücklich garan-
tiert ist, ist nicht als Grundrecht der Richterinnen und Richter
ausgestaltet. Das unterscheidet sie zwar qualitativ eindeutig
von der Wissenschaftsfreiheit des Artikels 5 Absatz 3 Satz 1
GG. Gleichwohl bestehen gewichtige Parallelen insoweit,
als beides, die richterliche Unabhängigkeit wie auch die
Wissenschaftsfreiheit kein Selbstzweck im Interesse deren
Träger sind, sondern wesentlich darauf zielen, ein gesamt-
gesellschaftliches Interesse dadurch zu verfolgen, dass die
Träger dieser Rechte in die Lage versetzt werden sollen, frei
und unbeeinflusst ihrer Tätigkeit nachzugehen. Welch hohe
Bedeutung Partizipation an wissenschaftsrelevanten Ver-
waltungsentscheidungen für die Träger des Grundrechts aus
Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 GG hat, hat erst jüngst das Bundes-
verfassungsgericht hervorgehoben (BVerfG, Beschluss vom
20. Juli 2010, 1 BvR 748/06, Absatznummer 88 ff.), als es
die strukturelle Aushöhlung der Einflussnahmemöglichkeit
von Professorinnen und Professoren auf wissenschaftsrele-
vante Verwaltungsfragen, die deren forschende und lehrende
Tätigkeit formal unberührt ließ, als mit dem Grundgesetz
unvereinbar erkannte. In gleichem Sinne bedarf auch die
Rechtsprechung der strukturell-organisatorischen Sicherung
vor externen Eingriffen, die rechtsprechungsrelevant sind,
selbst wenn sie nicht die Spruchtätigkeit in einzelnen Verfah-
ren unmittelbar betrifft. Äußere Ordnung und Inhalt wissen-
schaftlicher Tätigkeit sind letztlich untrennbar verbunden –
das gilt entgegen der bisherigen Rechtsprechung zur richter-
lichen Unabhängigkeit auch für die richterliche Tätigkeit.
Aus diesem Grunde umfasst die richterliche Unabhängigkeit
nach dem internationalen Standard, wie er auf der Ebene des
Europarates von dem CCJE (Consultative Counsel of Euro-
pean Judges) in der „Magna Charta der Richter“ niedergelegt
ist, auch Verwaltungsfragen wie z. B. die Einstellung, Beför-
derung und Fortbildung der Richterinnen und Richter sowie
die Finanzierung der Judikative und führt zum organisato-
rischen Erfordernis der Selbstverwaltung (Magna Charta of
Judges, Straßburg, 17. November 2010, CCJE (2010)3 final,
Absatznummer 4 ff.). In diesem Sinne kann mit guten Grün-
den vertreten werden, dass das große Übergewicht der Exe-
kutive bei der Verwaltung der Judikative in Deutschland be-
reits mit Artikel 97 Absatz 1 GG unvereinbar ist. Selbst
wenn aber der bisherige status quo der Verwaltung der Judi-
kative durch die Exekutive im Ergebnis verfassungsrechtlich
tragfähig sein sollte, ist eine Änderung des Grundgesetzes
aus den dargestellten praktischen wie auch demokratietheo-
retischen Gründen vorzuziehen.

Die große Mehrheit der anderen europäischen Demokratien
hat ihre Justiz bereits zur Stärkung der Unabhängigkeit der
Rechtsprechung als wesentliches Element der Rechtsstaat-
lichkeit institutionell verselbständigt. Deutschland muss
wieder den Anschluss an den aktuellen europäischen Stan-
und Richter – statusbedingt nur auf Zeit – von Rechtspre-
chungsaufgaben befreit und in der Verwaltung eingesetzt,

dard der Rechtsstaatlichkeit finden und die Justiz in Bund
und Ländern institutionell unabhängig ausgestalten.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/11701

II. Erforderliche Änderungen des Grundgesetzes

Um die wesentlichen Merkmale der neuen Justizstruktur
bundeseinheitlich durchzusetzen bedarf es einer Änderung
des Grundgesetzes. Im Grundgesetz müssen zentrale Grund-
entscheidungen getroffen werden, die auch für die Länder
verbindliche Vorgaben enthalten, auch wenn sie einfachge-
setzlicher Ausgestaltung bedürfen.

Um das Demokratieprinzip besser zu erfüllen, bedarf der Zu-
gang von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und
Staatsanwälten zur Justiz einer möglichst hohen demokrati-
schen Legitimation, so dass Richterwahlausschüsse verbind-
lich vorzugeben sind, die mehrheitlich vom Parlament – auf
Bundesebene von Bundestag und Bundesrat gleichmäßig –
besetzt werden und denen auch von der Justiz und der
Rechtsanwaltschaft entsandte Mitglieder angehören.

Die Unabhängigkeit der Justiz ist zur besseren Durchsetzung
des Gewaltenteilungsprinzips herzustellen. Dies erfordert
die Selbstverwaltung der Justiz. Als tragendes Strukturprin-
zip dieser Staatsgewalt soll dies unmittelbar auf der Ebene
des Grundgesetzes verankert werden. Damit sind binnende-
mokratische Strukturen vorgegeben, die die Einheitlichkeit
der Ämter und die Vergabe von Funktionen nur durch Wah-
len und nur auf Zeit erfordern.

Die Staatsanwaltschaften sind auf der Ebene der Verfassung
aus der Exekutive auszugliedern und in die Judikative zu
überführen. Das entspricht weitgehend dem europäischen
Standard der Rechtsstaatlichkeit. Nur eine unabhängige
Staatsanwaltschaft vermag wegen ihrer zentralen Funktion
für die Strafrechtspflege eine insgesamt unabhängige und
funktionierende Strafjustiz vorbehaltlos zu gewährleisten.
Daher sind auch die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte
mit der persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit auszu-
statten. Wie bei Richterinnen und Richtern schon bisher ist
es notwendig, aber auch hinreichend, die Rechtmäßigkeit
staatsanwaltschaftlichen Handelns durch einfachgesetzliche
Mechanismen zu unterstützen.

In der Justiz kann das hierarchisch geprägte Laufbahnprinzip
und die Vergabe von Beförderungsämtern auf Lebenszeit
nicht mehr eingreifen. Daher ist verfassungsrechtlich die
Einheitlichkeit der Richterinnenämter und Richterämter vor-
zugeben, damit der Weg frei wird für eine demokratisch fun-
dierte, moderne und unabhängige Justiz.

Die grundlegenden Statusangelegenheiten der Richterinnen
und Richter, Beamtinnen und Beamten gehören auch nach
der Föderalismusreform I zur Gesetzgebungskompetenz des
Bundes (vgl. Bundestagsdrucksache 17/813, S. 14). Sie auf
der Ebene der Verfassung zu verankern berührt daher nicht
die Kompetenzen der Länder sondern dient nur der adäqua-
ten Verankerung auf normhierarchisch oberster Ebene.

Zur Erreichung der Ziele des Gesetzes, die Judikative als ei-
genständige Staatsgewalt aufzuwerten, ist es nicht erforder-
lich, etwa durch Änderung des Artikels 76 GG, der Judika-
tive ein eigenes Gesetzgebungsinitiativrecht einzuräumen.
Der Entwurf verfolgt insoweit eine klare Gewaltentrennung
und lehnt eine weitergehende Ausweitung der Kompetenzen
der Judikative ab.

anderen Gesetzen, zum Teil auch auf Landesebene zu über-
antworten.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (Änderung des Grundgesetzes)

Zu Nummer 1 (Artikel 74 GG)

Die institutionelle Unabhängigkeit der Justiz erzwingt als
demokratisches Strukturprinzip für die Judikative eine bun-
deseinheitliche Lösung. Die neue Nummer 27a begründet
daher für die Ausgestaltung der organisatorischen Unabhän-
gigkeit der rechtsprechenden Gewalt in den Ländern die
konkurrierende Gesetzgebungskompetenz. Das sichert, dass
der Bund für die Regelungen der Justizstrukturen in den Län-
dern eine Bundeskompetenz auch insoweit hat, als bisher die
Landesrichtergesetze die landesinternen Justizstrukturen re-
geln. Die Regelung ist erforderlich, denn es ist wichtig, im
Bundesrecht wesentliche Einzelheiten über die Justizstruk-
turen zu regeln, damit bundesweit ein vergleichbares Maß
organisatorischer Unabhängigkeit der Judikative hergestellt
wird.

Zu Nummer 2 (Artikel 92 GG)

Am bisherigen Inhalt von Artikel 92 GG, der den Richterin-
nen und Richtern die Rechtsprechung anvertraut, wird fest-
gehalten, die Regelung wird lediglich erweitert.

Absatz 1 Satz 1 regelt die Zugehörigkeit sowohl der Richte-
rinnen und Richter, als auch der Staatsanwältinnen und
Staatsanwälte zur Judikative. Durch Hinzunahme der Staats-
anwältinnen und Staatsanwälte überführt er sie aus der
Exekutive in die Judikative. Damit werden sie aus ihrem bis-
herigen Beamtinnen- und Beamtenstatus und den daraus fol-
genden hierarchischen Eingliederungen herausgelöst. Dieser
grundlegende Systemwechsel ist erforderlich, um der Rolle
der Staatsanwaltschaften für das Funktionieren der Straf-
rechtspflege angemessen Rechnung zu tragen. Die Staatsan-
waltschaften waren der Justiz bisher nur zugeordnet, ohne
dass jedoch die notwendigen strukturellen Konsequenzen
gezogen wurden. Die hinsichtlich der Besoldung schon be-
stehende Gleichstellung der Staatsanwältinnen und Staatsan-
wälte mit Richterinnen und Richtern war bereits ein erster
Schritt in diese Richtung. Auch das einfachgesetzliche Pro-
zessrecht berücksichtigt bereits in vielfacher Hinsicht, dass
eine staatsanwaltschaftliche Handlung mit einer richterli-
chen vergleichbaren Rang haben kann. Die zentrale Bedeu-
tung der Staatsanwaltschaften für die Ahndung von Strafta-
ten wird besonders in den Fällen deutlich, in denen Defizite
zu Tage treten. Das zeigen die besorgten Stellungnahmen des
Europarates, die zwar im Schwerpunkt andere Staaten be-
trachten, aber einerseits auch die Bundesrepublik Deutsch-
land in den Blick nehmen und andererseits erkennen lassen,
welche Probleme aus einer fehlenden institutionalisierten
Unabhängigkeit auch der Staatsanwältinnen und Staatsan-
wälte entstehen können. Es ist erforderlich, diese Signale
aufzunehmen und die strukturellen Vorgaben durch konse-
quente Einbeziehung der Staatsanwaltschaften in die Judika-
tive und Gewährung sachlicher und persönlicher Unabhän-
gigkeit zu ändern, um den Gefahren vorzubeugen, auf die der
Zahlreiche Einzelfragen sind der Regelung im einfachge-
setzlichen Gerichtsverfassungsrecht, Besoldungsrecht und

Europarat hinweist. Da Staatsanwältinnen und Staatsanwälte
unmittelbar staatliche Gewalt ausüben, hat eine Zuweisung

Drucksache 17/11701 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

an eine der drei staatlichen Gewalten zu erfolgen; eine den
Rechnungshöfen vergleichbare, mit sachlicher Unabhängig-
keit ausgestattete Sonderstellung kommt bereits deshalb
nicht in Frage. Die Rechnungshöfe haben keinerlei für Dritte
zwingenden Entscheidungsbefugnisse.

Die Änderung beseitigt nicht den Unterschied zwischen den
Funktionen der Richterin und des Richters einerseits und der
Staatsanwältin und des Staatsanwalt andererseits. Bereits die
Tatsache, dass beide Funktionen nebeneinander aufgeführt
werden zeigt und festigt, dass sie voneinander unterschieden
sind. Durchgreifende Bedenken dagegen, die Staatsanwalt-
schaft der Judikative zuzuordnen bestehen indes nicht. Denn
schon nach bisherigem Verständnis von Begriff und Aufgabe
der Judikative war es nicht wesensfremd, ihre Tätigkeiten
der rechtsprechenden Gewalt zuzuordnen. Das Gesetz zieht
die Grenze zwischen den drei Staatsgewalten in diesem Sin-
ne neu. Dass nach dem nunmehr verfolgten Konzept, unter-
schiedliche Funktionen innerhalb der Judikative durch ihre
Mitglieder ausüben zu lassen, dennoch schon sprachlich eine
Differenzierung nach Richterinnen und Richtern, Staats-
anwältinnen und Staatsanwälten erfolgt, betont zum einen
die Unterschiede der beiden Tätigkeitsbereiche. Zum ande-
ren wird verdeutlicht, dass der weitere Aufgabenbereich,
nämlich derjenige der Selbstverwaltungstätigkeit, künftig
selbstverständlicher Bestandteil richterlicher wie staatsan-
waltlicher Tätigkeit ist.

Die Formulierung, dass die rechtsprechende Gewalt in den
Händen der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen
und Staatsanwälten liegt, geht über die schlichte Regelung
einer Zuständigkeit hinaus und unterstreicht damit die be-
sondere Verantwortung, die den Angehörigen beider Berufs-
gruppen für die Judikative zugewiesen wird.

Artikel 92 Absatz 1 Satz 2 vertraut die Rechtsprechung ex-
klusiv den Richterinnen und Richtern an. Damit ist die direk-
te rechtsprechende Tätigkeit im Sinne von Vorbereitung,
Verhandlung und ggf. Entscheidung förmlicher Gerichtsver-
fahren gemeint, also nicht die zur rechtsprechenden Gewalt
insgesamt auch zugehörige Selbstverwaltungstätigkeit. Diese
Formulierung betont damit zum einen die besondere Verant-
wortung nur der Richterinnen und Richter für Rechtspre-
chung i. e. S. und im Kontext mit den weiteren Formulierun-
gen die gemeinsame Verantwortung der Richterinnen und
Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte für die Ver-
waltung der dritten Gewalt insgesamt. Nach entsprechender
Zuweisung durch einen Justizrat kann allerdings auch jeder-
zeit ein Funktionswechsel einer Staatsanwältin oder eines
Staatsanwaltes in die Funktion einer Richterin bzw. eines
Richters erfolgen. Artikel 97 Absatz 1 GG steht einem sol-
chen Funktionswechsel in jedem Fall nicht entgegen.

Die Regelung hält daran fest, dass den Richterinnen und
Richtern die Rechtsprechung „anvertraut“ wird. Diese, über
eine nüchterne Aufgabenzuweisung hinausgehende Formu-
lierung war schon bisher als Zeichen besonderen Vertrauens
in die Richterinnen und Richter zu verstehen. Zugleich ord-
net die Regelung die Begrifflichkeit neu: Rechtsprechung ist
der den Richterinnen und Richtern obliegende Teil der recht-
sprechenden Gewalt, für die Richterinnen und Richter,
Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gemeinsam Verant-
wortung tragen. Daraus folgt auch, dass die Selbstverwal-

enthält den verfassungsrechtlichen Kerngehalt der Rolle der
Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Der Sache nach weist
er ihnen die Gestaltung des Ermittlungsverfahrens, die Mit-
wirkung an der Rechtsprechung und die Mitwirkung an der
Strafvollstreckung zu. Eine unmittelbare Änderung des Auf-
gabenbereichs der Staatsanwaltschaften ist damit nicht ver-
bunden, die Regelung intendiert vielmehr eine verfassungs-
rechtliche Verfestigung. Die Regelung stellt einerseits sicher,
dass die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im Bereich der
Strafrechtspflege die Verantwortung für das Ermittlungsver-
fahren haben und Eingriffen der exekutiven Gewalt, ins-
besondere der Polizei, eine verfassungsrechtliche Grenze
gesetzt ist. Sie gewährleistet gleichermaßen, dass sie im
Bereich der Strafrechtspflege an der den Richterinnen und
Richtern vorbehaltenen Rechtsprechung und an der Straf-
vollstreckung verfassungsrechtlich garantierte Beteiligungs-
rechte haben. Damit begrenzt sie gleichzeitig die den Rich-
terinnen und Richtern anvertraute Befugnis im Bereich der
Strafrechtspflege und trägt zu einer wechselseitigen Kontrolle
und Mäßigung innerhalb der rechtsprechenden Gewalt bei.
Die Regelung schließt nicht aus, dass den Staatsanwältinnen
und Staatsanwälten über die verfassungsrechtlich garantier-
ten Rechte Befugnisse hinaus weitere Aufgaben durch einfa-
ches Gesetz übertragen werden können. Andererseits stellt
Satz 3 mit der Formulierung, dass dies den Staatsanwältin-
nen und Staatsanwälten anvertraut wird, eine Parallele zum
bisherigen Artikel 92 und zu Absatz 1 Satz 2 neuer Fassung
her. Dies drückt aus, dass den Staatsanwältinnen und Staats-
anwälten innerhalb der Judikative zwar spezifisch andere
Aufgaben zukommen als den Richterinnen und Richtern,
dass beiden Berufsgruppen jedoch im Ergebnis gleich hohe
Wertschätzung entgegengebracht wird und dass sie in ver-
gleichbarer Weise individuell in die Verantwortung genom-
men werden.

Satz 4 schreibt die Einheitlichkeit der Richterinnenämter und
Richterämter vor. Die Regelung entwickelt die vom Bundes-
verfassungsgericht schon bisher anerkannte Gleichwertig-
keit der bisher bestehenden Richterinnenämter und Richter-
ämter fort. Die Einheitlichkeit der Richterinnenämter und
Richterämter bewirkt, dass es im Bund und in den Ländern
jeweils nur noch ein einheitliches Amt als Richterin oder
Richter, Staatsanwältin oder Staatsanwalt gibt und Unter-
schiede nicht mehr das innegehabte Amt, sondern lediglich
die innegehabte Funktion betreffen. Damit wird die Justiz
hierarchiefrei, was bereits in der im bisherigen Verfassungs-
recht vorgesehenen persönlichen und sachlichen Unabhän-
gigkeit angelegt war, auch wenn dies bisher ausschließlich
auf Rechtsprechungsaufgaben im engeren Sinne beschränkt
war und etwa für Richterinnen oder Richter auf Probe nur
eingeschränkt galt (vgl. BVerfGE 14, 156). Dies schließt die
Entwicklung ab, für die die bereits Jahrzehnte zurückliegen-
den Amtsrechtsreformen (mit der Verabschiedung von
Amtsbezeichnungen wie „Gerichtsrat“ und „Obergerichts-
rat“) der Anfang waren und die durch die sukzessive Aufhe-
bung von Vorrechten höher beförderter Richterinnen und
Richter im GVG und im Prozessrecht vorsichtig fortgeführt
wurde. Die Neuregelung erzwingt, dass jegliche gesetzliche
Aufgabenzuweisung an Richterinnen und Richter, Staats-
anwältinnen und Staatsanwälte nur noch an bestimmte funk-
tionale Zuständigkeiten, nicht an einen Status – sei es einen
tungsstrukturen, mit denen Angelegenheiten der Judikative
geordnet werden, konzeptionell gemeinsame sind. Satz 3

Beförderungsstatus, sei es z. B. den Status als Richterin oder
Richter auf Probe – anknüpfen kann und zieht entsprechen-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/11701

den Änderungsbedarf im einfachgesetzlichen Recht nach
sich. Die Regelung schließt jedoch insbesondere nicht aus,
dass innerhalb eines Spruchkörpers die Funktion der Vorsit-
zenden oder des Vorsitzenden fortbesteht – nur kann es sich
dabei nicht mehr um ein an die Person gebundenes Amt han-
deln. Wo dieser Änderung nicht durch eine entsprechende
Auslegung entsprochen werden kann, ist durch Änderungen
des einfachgesetzlichen Rechts sicher zu stellen, dass „Vor-
sitzender“, „Präsident“ etc. nur Funktionen sind, die im Üb-
rigen nach sachgerechten Kriterien vergeben werden müs-
sen. Es bietet sich etwa an, innerhalb eines Spruchkörpers
die Vorsitzende oder den Vorsitzenden zu wählen, was der
binnendemokratischen Struktur der Justiz in besonderem
Maße entsprechen würde, oder der oder dem lebensältesten,
berufserfahrensten oder berichterstattenden Richterin oder
Richter die Funktion der/des Vorsitzenden zuzuweisen. Die
Einzelheiten hierzu bedürfen jedoch keiner verfassungs-
rechtlichen Festlegung.

Das Amt der Richterinnen und der Richter des Bundesver-
fassungsgerichts wird nicht in die Einheitlichkeit der Richte-
rinnenämter und Richterämter einbezogen. Das wäre mit
dem Status des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungs-
organ auf Bundesebene, das zwar Gericht ist, aber außerhalb
des Instanzenzuges steht, nicht vereinbar. Zudem ist das
Bundesverfassungsgericht schon bisher der Bindungen an
die Exekutive ledig, die durch das vorliegende Gesetz für die
übrige Justiz erst noch gelöst werden.

Die angemessene Entschädigung für die Richterinnen und
Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bedarf einer
besonderen verfassungsrechtlichen Verankerung, damit hier
bestehende Defizite ausgeglichen werden. Nach bisherigem
Recht war lediglich ausgeschlossen, dass die Richterinnen-
besoldung und Richterbesoldung so festgesetzt wird, dass
Richterinnen und Richter nur ein ärmliches Auskommen ha-
ben und eine Kümmerexistenz am Rande der Gesellschaft
fristen müssen (BVerfGE 26, 141, 158). Auch für die Ent-
scheidungsträger der Legislative besteht eine verfassungs-
rechtliche Garantie angemessener Entschädigung. In glei-
chem Sinne ist es angemessen, eine inhaltlich entsprechende
Garantie auch für die Entscheidungsträger der Dritten Ge-
walt vorzusehen, was durch die Übernahme des Wortlautes
von Artikel 48 Absatz 3 Satz 1 GG sichergestellt wird. Die
Regelung beinhaltet jedoch weder eine Festlegung der Höhe
der Entschädigung noch die Vorgabe einer strukturell analo-
gen Zusammensetzung der Entschädigung. Die Entschädi-
gung kann wegen der Einheitlichkeit der Ämter für alle
Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsan-
wälte nur einheitlich sein. Damit wird ausgeschlossen, dass
bestimmte richterliche Funktionen, wie bisher Beförde-
rungsämter, wegen des damit verbundenen pekuniären An-
reizes angestrebt werden.

Der Gesetzesvorbehalt des letzten Satzes von Absatz 1 dient
dazu, die bereits angesprochene weitere gesetzliche Ausge-
staltung zu ermöglichen.

Absatz 2 nimmt im Wesentlichen Inhalte von Artikel 92 GG
alter Fassung auf und fügt hier den neben dem fortbestehen-
den Hinweis auf die Bundesgerichte erforderlichen Hinweis
auf die Bundesanwaltschaft sowie bei der Erwähnung der

Grundlegende Bedeutung hat die inhaltlich neue Garantie
der Selbstverwaltung. Sie steht im inneren Zusammenhang
mit Artikel 92 Absatz 1 Satz 1 und ist das Kernstück der neu-
en Justizstruktur, mit der die Dritte Gewalt den Auftrag und
die Befugnis erhält, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln.
Dies stellt sicher, dass alle administrativen Entscheidungen
in der Justiz von den Entscheidungsträgern der Justiz getrof-
fen werden. Diese umfassen insbesondere alle Entscheidun-
gen über den Einsatz von Personal – Richterinnen und Rich-
tern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sowie sonstige
Beschäftigte – und sonstigen Ressourcen der Justiz. Die Ent-
scheidungsstrukturen bedürfen einfachgesetzlicher Grund-
lage und Ausgestaltung.

Die Selbstverwaltungskompetenz beinhaltet dagegen nicht
auch die Haushaltshoheit, so dass der Haushaltsgesetzgeber
künftig der Dritten Gewalt, wie bisher schon der Exekutive,
die finanziellen Ressourcen für die Erfüllung ihrer Aufgaben
zuweist. Es wird allerdings Aufgabe der Judikative sein, ih-
ren Haushaltsbedarf beim Haushaltsgesetzgeber geltend zu
machen und zu verteidigen. Die Exekutive steuert bislang
die Dritte Gewalt durch die Anmeldung und die Zuweisung
der Haushaltsmittel. Die Ausstattung der Gerichte und die
Zuweisung von Stellen haben einen entscheidenden und ver-
fassungsrechtlich bedenklichen Einfluss auf die Rechtspre-
chung genommen. Solche Bedenken bestehen etwa gegen
die schon vorgekommene Praxis, dass Stellenzuweisungen
von der Erfüllung von Zielvereinbarungen abhängig ge-
macht werden, die vorgeben, welche Verfahren in welcher
Zeit entschieden werden. Zukünftig soll die Dritte Gewalt
selbstständig ihre Haushaltsmittel anmelden und im Rahmen
des parlamentarischen Budgetrechts selbstständig verteilen,
wie dies bereits beim Bundesverfassungsgericht, bei Rech-
nungshöfen oder bei einigen Datenschutzbeauftragten mit
Erfolg praktiziert wird.

Der Gesetzgeber hat bei Wahrung der Funktionsfähigkeit der
Rechtsprechung und der Selbstverwaltung einen breiten Ent-
scheidungsspielraum dabei, die justizinternen Selbstverwal-
tungsstrukturen zu regeln. Er entscheidet darüber, welche
justizinternen Gremien gebildet werden, mit wie vielen Per-
sonen sie besetzt sind und wie sie untereinander und mit den
durch justizinterne Wahlen bestellten Funktionsträgerinnen
und Funktionsträgern zusammenarbeiten. Der Gesetzgeber
kann auch vorsehen, dass in justizinterne Gremien aus Grün-
den der Transparenz oder der Stärkung der demokratischen
Legitimation auch nicht der Justiz angehörige Personen,
namentlich Parlamentarierinnen oder Parlamentarier oder
von Parlamenten entsandte Personen zu berufen sind, sei es
mit beratender Funktion, sei es mit vollem Stimmrecht.
Damit etwa zu bildende Gremien justizinterne bleiben und
deren Entscheidungen im Kern als Selbstverwaltung anzu-
sehen sind, muss allerdings deren weit überwiegende Mehr-
heit – nicht weniger als zwei Drittel – der stimmberechtigten
Gremienmitglieder Berufsrichterin oder Berufsrichter,
Staatsanwältin oder Staatsanwalt sein. Es liegt in der Hand
des Gesetzgebers zu entscheiden, inwieweit – unter Wah-
rung der berechtigten personenbezogenen Belange – die
Entscheidungen und Beratungen in den Selbstverwaltungs-
strukturen als solche öffentlich sein sollen und der Informa-
tionsfreiheit unterliegen. Gesetzlicher Regelung bedarf auch
die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gremien
Gerichte der Länder den gleichrangigen Bezug auf die
Staatsanwaltschaften ein.

und Funktionen, insoweit sind spezifische Strukturvorgaben
auf der Ebene der Verfassung nicht erforderlich. Der Gesetz-

Drucksache 17/11701 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

geber wird der Bedeutung der Justiz als dritte Staatsgewalt
dadurch Rechnung tragen, dass er die Vorschläge und Wün-
sche der Justiz angemessen bei gesetzlichen Strukturent-
scheidungen berücksichtigt, ggf. auch gewählten Gremien
oder Funktionsträgerinnen und Funktionsträgern, lokalen
wie übergreifend zuständigen, Satzungsautonomie gewährt.
Absatz 2 steht auf der Grundlage, dass die Selbstverwal-
tungsorgane – soweit dies der Sache nach, also auf Landes-
oder Bundesebene möglich ist – gemeinsame Organe der Ju-
dikative sind, Justizräte sich also zugleich aus Richterinnen,
Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten zusammen
setzen und Funktionen übergreifende Verwaltungsaufgaben
wahrnehmen. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes
bzw. der Länder folgt den allgemeinen Regeln.

Adressatin und Adressat der Befugnis zur Selbstverwaltung
sind die Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und
Staatsanwälte unmittelbar. Damit wird sichergestellt, dass
keine institutionalisierten Hierarchien etabliert werden, son-
dern jede Amtsinhaberin oder jeder Amtsinhaber einbezogen
wird und innerhalb der Justiz binnendemokratische Struktu-
ren einzuführen sind, ohne die Selbstverwaltung nicht ver-
wirklicht werden kann. Um zu vermeiden, dass Konflikte
zwischen Gerichten entstehen, die das Funktionieren der
Selbstverwaltung nachhaltig gefährden könnten, wird davon
abgesehen, die Gerichte zu Trägern der Selbstverwaltung zu
machen. Außerdem entspricht es dem demokratischen Ge-
danken eher, jedem Mitglied der Justiz – Richterin oder
Richter, Staatsanwältin oder Staatsanwalt – in binnendemo-
kratischen Strukturen eine Stimme zu geben. Binnendemo-
kratische Strukturen erfordern mindestens, dass alle Selbst-
verwaltungsfunktionen bis hinauf zur Spitze der Judikative
durch Wahlen und nur auf überschaubare Zeit vergeben wer-
den. Wahlberechtigt müssen alle Richterinnen und Richter,
Staatsanwältinnen und Staatsanwälte desjenigen Teils der
Justiz sein, auf den sich die zu vergebende Funktion bezieht.
Die Einzelheiten, auch zum Wahlverfahren, sind gesetzgebe-
rischer Ausgestaltung überlassen.

Zu Nummer 3 (Artikel 95 Absatz 2 GG)

Artikel 95 Absatz 2 wird neu gefasst, um die Vorgaben über
den Richterwahlausschuss des Bundes zu erweitern und der
neuen Justizstruktur anzupassen. Auch insoweit wäre eine
völlige Abkoppelung des Verfahrens von der Exekutive zwar
wünschenswert. Es entspricht allerdings einer die Verfas-
sung prägenden Entscheidung, die Länderinteressen auf
Bundesebene durch den Bundesrat vertreten zu lassen. Das
kann auch für die Mitwirkung an der Richterwahl hingenom-
men werden, obwohl der Bundesrat von der Exekutive der
Länder besetzt wird und insoweit eine Gewaltenverschrän-
kung vorliegt. Jedenfalls kann die bisherige Einbindung des
für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Bundesministers
schadlos aufgegeben werden.

Die demokratische Legitimierung der Mitglieder der Justiz
erfolgt wie bisher durch den Vorgang ihrer Auswahl als
einem einzigen Akt, der die Grundlage für einen auf Lebens-
zeit zu verleihenden Status legt. Wie bisher schon für Bun-
desrichterinnen und Bundesrichter, liegt die Entscheidung
auch künftig bei einem Richterwahlausschuss. Im Unter-
schied zur bisherigen Regelung ist eine Beteiligung der Exe-
kutive an dem Verfahren nicht mehr prägend. Die Auswahl-

vom Parlament bestimmten Personen zufallen. Ob das Mit-
glieder des Parlamentes sind oder nicht, bedarf keiner verfas-
sungsrechtlichen Vorgabe und wird in die Entscheidung des
Parlaments gestellt. Da Bundesrichterinnen und Bundesrich-
ter ausgewählt werden, sind auch Landesinteressen betroffen
und ist auch der Bundesrat mit einem Drittel der Mitglieder
des Richterwahlausschusses zu beteiligen. Das verbleibende
Drittel – für die statusbegründende Entscheidung mit Be-
dacht eine Minderheit – der Stimmen im Richterwahlaus-
schuss fällt Bundesrichterinnen und Bundesrichtern, Bun-
desanwältinnen und Bundesanwälten sowie Mitgliedern der
Rechtsanwaltschaft zu. Letztere sollen als wichtiges Organ
der Rechtspflege, mithin als wichtiger Teil der Justiz im wei-
teren Sinne, auch einbezogen werden; eine Entscheidung,
die bereits in einigen landesgesetzlichen Regelungen über
die Bildung von Richterwahlausschüssen in vergleichbarer
Weise getroffen wurde. Es obliegt allerdings dem diese Vor-
schrift ausgestaltenden Gesetzgeber, darüber zu entscheiden,
wie groß der Stimmanteil und damit der Einfluss der Rechts-
anwaltschaft sein soll. Mit dieser Zusammensetzung des
Ausschusses wird Kooptation ausgeschlossen, zugleich aber
der Sachverstand der Betroffenen für die Entscheidungsfin-
dung im Richterwahlausschuss nutzbar gemacht und mit
zwar nicht entscheidendem, aber doch vernehmbarem Ge-
wicht ausgestattet. Dass der Richterwahlausschuss mindes-
tens mit Mehrheit entscheidet, bedarf keiner Erwähnung. Es
wird vertreten, dass es aus Gründen demokratischer Legiti-
mation erforderlich wäre, eine doppelte Mehrheit in dem
Sinne vorzusehen, dass nicht nur die Zusammensetzung des
Richterwahlausschusses allgemein die richterlichen Mitglie-
der in die Minderheit setzen muss, sondern dass auch jede
einzelne Entscheidung mehrheitlich von den Personen getra-
gen wird, die von den gesetzgebenden Körperschaften ent-
sandt bzw. gewählt wurden. Einer derartigen einfachgesetz-
lichen Ausgestaltung steht Artikel 95 Absatz 2 GG nicht
entgegen.

Zu Nummer 4 (Artikel 96 GG)

Als Kernänderung wird Absatz 2 aufgehoben. Dieser sieht
vor, dass der Bund spezielle Gerichte im Verteidigungsfall
auf dem Gebiet des Strafrechts für Angehörige der Streit-
kräfte schaffen kann. Diese sollen den besonderen Anforde-
rungen, die an die Strafgerichtsbarkeit im Verteidigungsfall
gestellt würden, Rechnung tragen (Jachmann, in: Maunz/
Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Artikel 96 Rn. 24). Die
Aufgrund der Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg ein-
geschränkte Errichtungsbefugnis in Artikel 96 Absatz 2 GG
(vgl. Jachmann, a. a. O.) will sicherstellen, dass Wehrstraf-
gerichte als unabhängige Gerichte und in Distanz zu „Sach-
zwängen einer Armee in Ausnahmesituationen“ handeln
können; sie sieht daher spezielle Kriterien vor, um die Ent-
stehung einer unrechtsstaatlichen Militärgerichtsbarkeit zu
verhindern (Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetzkom-
mentar, Artikel 96 Rn. 25).

Der Entstehung einer unrechtsstaatlichen Militärgerichtsbar-
keit wird am effizientesten dadurch vorgebeugt, dass schon
die Errichtung einer Militärgerichtsbarkeit als Sonderge-
richtsbarkeit von vornherein unter keinen Umständen oder
Einschränkungen zugelassen wird.
entscheidung im Richterwahlausschuss muss zu einem
erheblichen Anteil – die Regelung schreibt ein Drittel fest –

Die übrigen Änderungen sind lediglich redaktionelle Folge-
änderungen, die aus der Aufhebung von Absatz 2 herrühren.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 11 – Drucksache 17/11701

Zu Nummer 5 (Artikel 97 GG) möglich sicher zu stellen, dass die Strafverfolgung möglichst
Zu Buchstabe a (Absatz 1 GG)

Die auf die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte erstreckte
Unabhängigkeit entspricht der richterlichen Unabhängig-
keit.

Das gilt insbesondere insoweit, als sie nur in den Grenzen
der Gesetze besteht. Das bedeutet konkret, dass das Verfah-
ren der Staatsanwaltschaft und ihre Entscheidungsmöglich-
keiten gesetzlich vorgegeben werden, was notwendig, aber
auch hinreichend ist, um die am Gesetz orientierte effektive
Strafverfolgung sicherzustellen. Die Schlüsselrolle, die den
Staatsanwältinnen und Staatsanwälten für die Strafverfol-
gung zukommt, gebietet es, sie mit Unabhängigkeit aus-
zustatten. Denn die bisher weisungsbefugte Spitze der
Exekutive kann selbst Ziel der Ermittlungen sein oder aus
politischen Gründen „geneigt sein, wirtschaftlichen Interes-
sen den Vorrang zu geben, wenn es um […] bestimmte Un-
ternehmen geht, die für das Land oder die Region wirtschaft-
lich von Bedeutung sind.“ (EuGH, Urteil vom 9. März 2010,
Rs. C-518/07, Rn. 35, im Kontext der Unabhängigkeit von
Datenschutzbeauftragten).

Der verfassungsrechtliche Gehalt der staatsanwaltschaftli-
chen Unabhängigkeit ist trotz der Besonderheiten der staats-
anwaltschaftlichen Aufgabe kein anderer, als der der richter-
lichen Unabhängigkeit. Zwar bedingen die Notwendigkeit
teaminterner sowie ggf. teamübergreifender Koordination
wie auch die Eilbedürftigkeit vieler staatsanwaltschaftlicher
Entscheidungen, dass Teammitglieder zuverlässig zusam-
menwirken. Das ist jedoch für die Zusammenarbeit im Kol-
legialgericht nicht anders. Es besteht schon grundsätzlich
kein Anlass zu bezweifeln, dass wie bisher schon die Richte-
rinnen und Richter künftig auch die Staatsanwältinnen und
Staatsanwälte dem Vertrauen in die sachgerechte Ausfüllung
der ihnen mit der Unabhängigkeit übertragenen großen Ver-
antwortung gerecht werden.

Selbstverwaltung ohne sachliche Unabhängigkeit von der
Exekutive würde die Eingriffsmöglichkeiten der Exekutive
in die Strafverfolgung nicht beenden und ist daher als Lö-
sungsansatz ungeeignet. Die Aufhebung lediglich des exter-
nen Weisungsrechts unter vollumfänglicher Beibehaltung
des internen Weisungsrechts – was mit der sachlichen Unab-
hängigkeit unvereinbar wäre – ist für die Staatsanwaltschaft
ebenfalls keine akzeptable Alternative zur Einbeziehung in
die Unabhängigkeitsgewährleistung des Artikels 97 Absatz 1
GG. Denn dadurch würde in Bezug auf Sachentscheidungen
lediglich eine verwaltungsinterne gegen eine strukturell un-
veränderte justizinterne Hierarchie ausgetauscht. Immerhin
würden die Aufsichtsfunktionen nicht mehr in der Exekutive
und durch politisch eingebundene Funktionsträgerinnen und
Funktionsträger ausgeführt. Die strukturelle Angreifbarkeit
der Staatsanwaltschaften durch sachfremde Einflüsse, na-
mentlich politische Einflussnahme von außen oder die Ver-
lockung, mit hierarchischer Macht versehene Funktionen an-
zustreben, könnte damit zwar womöglich vermindert, nicht
aber beseitigt werden. Das ist aber erforderlich, um so gut als

ohne Ansehen der Person nur am Recht orientiert wird.

Zu Buchstabe b (Absatz 2 GG)

Die Regelung erstreckt den bisherigen Gehalt des Absatz 2
(Unversetzbarkeit, Gesetzesvorbehalt für Altersgrenzen,
Möglichkeit der Versetzung bei Änderung der Gerichtsorga-
nisation) auf Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Das führt
die in Artikel 92 Absatz 1 angelegte Statusänderung der
Staatsanwältinnen und Staatsanwälte konsequent fort. Die
Begrenzung auf „planmäßig und endgültig“ angestellte
Richterinnen und Richter entfällt, weil der Status als Berufs-
richterin und Berufsrichter oder Staatsanwältin und Staats-
anwalt ohnehin nur noch ein einheitlicher ist, der auf Le-
benszeit verliehen wird.

Zu Nummer 6 (Artikel 98 GG)

Die Änderungen in den Absätzen 1, 2, 3 und 5 beschränken
sich darauf, die Statusangleichung von Richterinnen und
Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte durch Erwei-
terung des Anwendungsbereichs auch dieser Regelungen zu
vervollständigen.

Die Neufassung von Artikel 98 Absatz 4 GG betrifft die
Richterwahlausschüsse der Länder. Die bisher für die Länder
fakultative Einrichtung von Richterwahlausschüssen wird
nunmehr verbindlich. Zudem wird die Zusammensetzung
der Richterwahlausschüsse auf Landesebene insoweit fest
vorgegeben, als die überwiegende – zwei Drittel – Besetzung
mit Personen obligatorisch ist, die von dem Landesparla-
ment entsandt werden. Das können, müssen aber nicht Par-
lamentarierinnen oder Parlamentarier sein. Da zur Errei-
chung einer breiten demokratischen Legitimation möglichst
alle politischen Parteien in Richterwahlausschüssen vertre-
ten sein sollen, spricht das Gesetz von „Entsendung“ und
nicht – wie bei den richterlichen Mitgliedern der Richter-
wahlausschüsse – von „Wahl“. Im Rahmen des Möglichen
wird daher jede Parlamentsfraktion zu beteiligen sein. Wie
im Richterwahlausschuss auf Bundesebene wird den Ange-
hörigen der Justiz eine Beteiligung an dem Richterwahlaus-
schuss von einem Drittel zugewiesen. Dadurch wird auch
hier der Stimme der Justizangehörigen ein zwar erhebliches,
aber kein Übergewicht verliehen, damit die Auswahl der-
jenigen, die in die Justiz eintreten, über eine starke demokra-
tische Legitimation verfügt. Diese wird künftig wesentlich
stärker sein, als in den meisten Bundesländern bisher, in
denen die auf Beamtenebene sehr mittelbar demokratisch
legitimierte Exekutive einen wesentlichen Einfluss auf die
Auswahl der Richteramtskandidatinnen und Richteramts-
kandidaten hat. Die Regelung bedarf gesetzlicher Ausgestal-
tung, weil die zahlenmäßige Größe des Richterwahlaus-
schusses und weitere Einzelheiten festgelegt werden
müssen. Die Einzelheiten können jedoch einfachgesetzlicher
Landesregelung überlassen bleiben.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Artikel 2 regelt das Inkrafttreten.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.