BT-Drucksache 17/11488

Umgehung von Tarifverträgen im Einzelhandel durch christliche Gewerkschaften

Vom 9. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11488
17. Wahlperiode 09. 11. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina
Bunge, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Jutta Krellmann, Yvonne Ploetz, Kathrin
Vogler, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Umgehung von Tarifverträgen im Einzelhandel durch christliche Gewerkschaften

„Aktuell könnte der Werkvertrag eine Renaissance erleben, wenn für die Zeit-
arbeit Mindestlöhne eingeführt werden. Dann werden Zeitarbeitsfirmen ver-
mehrt auf Werkvertragskonstruktionen umsteigen, um, sofern es sich tatsäch-
lich um Werkverträge handelt, diese Mindestlöhne zu umgehen“, schreibt die
„Berliner Kanzlei HK 2“ auf ihrem Informationsportal „Zeitarbeit und Recht“
(abrufbar unter zeitarbeit-und-recht.de/tce/frame/main/577.htm).

Dass selbst der ab dem 1. Januar 2012 gültige Mindestlohn für die Leiharbeits-
branche von derzeit 7,50 Euro im Osten, bzw. 8,19 Euro im Westen keineswegs
einen sicheren Schutz vor Lohndumping bietet, zeigt sich in immer mehr Bran-
chen. Insbesondere im Handel übertragen immer mehr Unternehmen systema-
tisch zentrale Aufgaben an Subunternehmen. Bezahlt werden die Arbeiten nicht
mehr wie bei der Leiharbeit pro Arbeitsstunde, sondern pro „Werk“, etwa für
den Regalservice, die Warenlogistik, den Kassenservice, Markteinrichtung oder
Inventuren. Die Auftraggeber müssen also nur die Werkpauschale zahlen und
nicht etwa die wesentlich höheren Tariflöhne im Einzelhandel oder die Min-
destlöhne für Leiharbeiter. In vielen Fällen handelt es sich bei den Werkver-
tragsfirmen faktisch um dieselben (Sub-)Unternehmen, die vorher die gleichen
Tätigkeiten in der Leiharbeitsbranche verrichtet haben oder sie gründen dazu
100-prozentige Tochterunternehmen, die ihre Leistungen jetzt deutlich billiger
anbieten können.

Um den Vorwurf von Scheinwerkverträgen und Lohndumping zu entkräften,
hat sich für den Bereich der sogenannten Instore Logistik Services im Juli 2010
der Arbeitgeberverband Instore und Service Logistik e. V. (ILS) in Berlin ge-
gründet. Vorausgegangen war dem ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG)
Bremen. Das LAG hatte entschieden, dass „Dienstleistungsunternehmen, die
einen so genannten drittbezogenen Personaleinsatz am Markt anbieten (hier:
Warenverräumung in Einzelhandelsunternehmen), nicht generell als eigener
Wirtschaftszweig angesehen werden können. Wenn bei solchen Unternehmen
beschäftigte Arbeitnehmer ausschließlich in Betrieben eines bestimmten Wirt-
schaftszweiges eingesetzt werden, ist die dort übliche Vergütung heranzuziehen

(vgl. LAG Bremen, 17. Juni 2008 1 Sa 29/08 bzw. 28. August 2008, 3Sa
69/08).“ Nach eigenen Angaben hat der Arbeitgeberverband ILS bundesweit
17 Mitglieder mit ca. 50 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dabei handelt
es sich nach eigenen Angaben zu mehr als 80 Prozent um geringfügige Be-
schäftigungsverhältnisse. Verbandsziel sei es vor allem „durch die Verein-
barung von tariflichen Mindestarbeitsbedingungen und die Zertifizierung von
Sozial- und Organisationsstandards Maßstäbe für die Branche zu setzen“ (ab-

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rufbar unter: ils-verband.de/index.php?id=31). Gleichzeitig versucht der Ver-
band, durch politische Imagepflege auf sich als Branche aufmerksam zu ma-
chen. So war der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, Dr. Heinrich
Kolb, zu Gast bei der ILS-Mitgliederversammlung am 17. Oktober 2012.

Mitgliedsunternehmen der ILS (abrufbar unter: ils-verband.de/index.php?id=34)
sind unter anderem das Unternehmen „Instore solutions services GmbH“ (ISS)
aus Potsdam, eine 49-prozentige Tochter des Rossmannkonzerns, die u. a.
Warenverräumung über Werkverträge anbietet (vgl. „Die verborgene Seite
des Rossmann-Reiches“, Handelsblatt, 11. Mai 2012). Auch die SERVICE
INNOVATION GROUP GmbH (SIG) mit Sitz in Ettlingen bietet über die Retail
Instore Logistics GmbH und CO. KG für die Metro-Tochter real Beschäftigte
auf Werkvertragsbasis an (vgl. „Regale einräumen für 5,70 Euro“, Frankfurter
Rundschau, 13. Februar 2012). Die COMBERA Handels Service GmbH mit
Sitz in Leipzig hat ebenfalls auf Werkvertragsbasis mit dem Netto Marken-
Discount Warenverräumung zu 6 Euro angeboten (vgl. „Arbeitsbedingungen
im Handel. Wachsender Abstand“, DER TAGESSPIEGEL, 18. März 2012).
4U@work aus Lohmar bietet über deren Mutterunternehmen TEAMWORK –
Die BÜTTGEN GmbH im Rahmen eines Werkvertrages Teams für Kassen-
service, Neueinrichtung und Umbauten an. Auch 4U@work wirbt auf seiner
Homepage offensiv für die „schwerwiegenden Vorteile im Werkvertrag“ (abruf-
bar unter: www.4u-at-work.de/?page_id=170). Auch das Mitgliedsunternehmen
Trade-Log Instore-Services GmbH mit Sitz im hessischen Wettenberg, deren
Geschäftsführer der ILS-Vorsitzende Michael Jeurgens bis 2. April 2009 war,
wirbt auf seiner Homepage für Werkverträge: „Ihre Kassen sind nicht aus-
reichend besetzt? Im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung unterstützen wir
in Spitzen- oder Randzeiten, oder übernehmen den kompletten Kassenbereich
im Rahmen eines Werkvertrages“ (abrufbar unter: www.tradelog-services.com/
tradelog_de/index.php?page=extra_services).

Bereits im März 2009 hatte der Bundesverband Deutscher Dienstleistungs-
unternehmen e. V. (BVD) mit der im Christlichen Gewerkschaftsbund Deutsch-
lands (CGB) organisierten DHV – die Berufsgewerkschaft e. V. (kurz: DHV)
einen Mantel- und Entgelttarifvertrag geschlossen. Der Entgelttarifvertrag sieht
in der Entgeltgruppe E1 seit dem 1. Oktober 2012 einen Stundenlohn von
6 Euro im Osten und 6,63 Euro im Westen vor. Für geringfügig Beschäftigte
sind sogar nur Stundenlöhne von 4,80 Euro (Ost) bzw. 5,20 Euro (West) ausge-
wiesen.

Der ILS war damals noch als „Fachgruppe“ im BVD organisiert. Der BVD
wirbt auf seiner Homepage damit, dass die Abkommen „einen flexiblen Tarif-
rahmen“ gewährleisten und „Zwang und Bevormundung“ vermieden werden,
die „allgemeinen Arbeitsbedingungen auf ein Minimum reduziert“ seien, tarif-
liche Entgelte nur Mindestbezüge festlegten und tarifliche Öffnungsklauseln
Änderungen und Ergänzungen durch Betriebsvereinbarung und Einzelvertrag
vorbehalten seien (abrufbar unter: www.bvddeutschland.de/leistungen2_1.html
?nav=leistungen&id=13). Der Tarifvertrag von 2009 bezog sich in seiner Prä-
ambel auf den sogenannten „B.O.L.E.R.O. Tarifvertrag für Zeitarbeitsunter-
nehmen“, der im Jahr 2003 zwischen der Tarifgemeinschaft Christliche Ge-
werkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP) und dem BVD geschlossen wurde.

Seit dem 1. Mai 2011 hat der nun selbständige Arbeitgeberverband ILS und der
BVD mit der DHV ebenfalls einen Mantel- und Entgelttarifvertrag abgeschlos-
sen. Auch hier sieht die Entgelttabelle für die Tätigkeiten in der Entgeltgruppe
E1 einen Stundenlohn von 6 Euro (Ost) und 6,50 Euro (West) vor. Seit dem
1. Oktober 2012 gilt für diese Entgeltgruppe ein Stundenlohn von 6,12 Euro
(Ost) bzw. 6,63 Euro (West) (Eckdaten der ILS-Tarifverträge: ils- verband.de/

fileadmin/Freigabe/docs/Eckdaten_der_ILS-Tarifvertraege_2011.pdf). Damit lie-
gen die Mindestentgelte 18,4 Prozent unter dem Mindestlohn für Leiharbeits-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11488

branchen im Osten und 19 Prozent unter denen im Westen. Zugleich betragen
die Entgelte im DHV-ILS-Tarifvertrag weniger als zwei Drittel der über der
gleichen Tätigkeit anzuwendenden Stundenvergütungen auf Basis der Tarif-
verträge im Einzelhandel. So beträgt das Stundenentgelt in der vergleichbaren
Tarifgruppe im Einzelhandel Nordrhein-Westfalen 12,29 Euro (Differenz 46 Pro-
zent) bzw. 10,72 Euro für Berlin – Ost (Differenz 43 Prozent). Juristisch liegt
dennoch keine Sittenwidrigkeit der Entlohnung vor, denn Bezugspunkt der
Bewertung der Sittenwidrigkeit ist nicht der einschlägige Tarifvertrag für den
Einzelhandel der ver.di – Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, sondern der
Tarifvertrag mit der christlichen Gewerkschaft DHV. Ohne Anerkennung des
Tarifvertrags der DHV mit der ILS wäre der Tatbestand der Sittenwidrigkeit
gegeben. Zudem entspricht der Tarifvertrag nicht der Qualität herkömmlicher
Tarifverträge, denn der ILS nutzt zahlreiche gesetzliche Öffnungsklauseln, um
untertarifliche Standards zu schaffen. Gleichzeitig werden wichtige Bestand-
teile, wie Weihnachts- und Urlaubsgeld etc. nicht geregelt. Der Vorsitzende der
ILS, Michael Jeurgens, behauptet dennoch in der „Lebensmittel Zeitung“: „Wir
sind die Guten“ (abrufbar unter: www.lebensmittelzeitung.net/news/karriere/
Tarifvertrag-Regalverraeumer-formieren-sich_85909.html). Die Wochenzeitung
„DIE ZEIT“ stellt dazu fest: „Rund anderthalb Jahre, nachdem durch den
Schlecker-Skandal die Lohndumping-Methode in der Leiharbeit bekannt ge-
worden war, geht die Lohndrückerei im Einzelhandel weiter – nur mit einem
neuen Etikett.“ (vgl. „Die neue Leiharbeit“, DIE ZEIT, 29. August 2011).

Eine christliche Gewerkschaft, die Billiglöhne im Einzelhandel ermöglichte,
gab es bereits: die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeit-
arbeit und Personalserviceagenturen – CGZP. Sie hatte seit 2003 durch Tarif-
verträge für die Leiharbeitsbranche die Umgehung des Equal Pay-Grundsatzes
im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) erst ermöglicht. Und bereits da-
mals verschafften sich die Arbeitgeber mit den CGZP-Tarifverträgen erheb-
liche Wettbewerbsvorteile zu Lasten hundertausender betroffener Leiharbeit-
nehmerinnen und Leiharbeitnehmer und der Konkurrenz, die mit den DGB-Ge-
werkschaften (DGB = Deutscher Gewerkschaftsbund) höhere Tarifabschlüsse
vereinbart hatten. Zuletzt hatte das Bundesarbeitsgericht im Mai 2012 die
CGZP seit ihrer Gründung im Jahr 2002 für tarifunfähig erklärt. Die DHV ist
eine von ehemals sechs Gründungsgewerkschaften der CGZP. Vorsitzender der
DHV ist Gunter Smits, der zugleich Vorsitzender der CGZP ist.

Die Geschichte der christlichen Gewerkschaft DHV reicht weit zurück. Als
„Deutschnationaler Handlungsgehilfen-Verband“ wurde er 1933 beim Sturm
der Nationalsozialisten auf die Gewerkschaftshäuser als einzige deutsche Ge-
werkschaft zunächst nicht aufgelöst, weil seine Mitgliedschaft ohnehin mehr-
heitlich nationalsozialistisch war. Tatsächlich begreift sich der DHV, der sich
1950 als „DHV – Deutscher Handels- und Industrieangestellten-Verband“ wie-
dergründete, als Nachfolgerorganisation des deutschnationalen Handlungs-
gehilfenverbandes. Erst 2006 erfolgte die Namensänderung in die heutige Be-
zeichnung DHV – die Berufsgewerkschaft. (vgl. „verkauft und verraten. Wie
selbst ernannte ‚Gewerkschaften‘ Arbeitnehmer und ihre Interessen missach-
ten“, IG Metall Vorstand, 2009, S. 22 ff, abrufbar unter www.igmetall.de/cps/
rde/xbcr/internet/docs_ig_metall_xcms_143409_2.pdf).

Dringend zu klären ist die Frage, ob der DHV überhaupt eine tariffähige Ge-
werkschaft ist. In der Vergangenheit ist der DHV vor allem durch den Ab-
schluss von Schein- bzw. Dumpingtarifverträgen aufgefallen. So wird die
DHV als „Erfüllungsgehilfe der Arbeitgeber“ bezeichnet, etwa in einer Sen-
dung des Politmagazins „Panorama“ vom Februar 2007 (vgl. „Dumpinglöhne –
wie christliche Gewerkschaften die Arbeitnehmer verraten“, abrufbar unter:
daserste.ndr.de/redirectid.jsp?id=christlichegewerkschaften100).

Drucksache 17/11488 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

„REPORT MAINZ“ berichtete im April 2008, dass Arbeitgeber Mitarbeiter
dafür bezahlt hätten, DHV-Mitglieder zu werden, um so Haustarifverträge ab-
schließen zu können. Bei einem Treffen mit Undercover-Reportern habe ein
hochrangiges DHV-Mitglied gegen verdeckte Zahlungen (durch Buchung von
Seminaren) zugesichert, einen Gefälligkeitstarifvertrag abzuschließen. Der Ar-
beitsrechtler und Tarifexperte Prof. Dr. Peter Schüren sagte dazu im selben
Beitrag: „Wenn man es ernst nimmt mit dem Schutz der Arbeitnehmer vor
solchen Missbräuchen, dann muss man bei derartig groben Indizien handeln.“
Vor Gericht müsse die Tariffähigkeit der DHV überprüft werden. Denn solange
niemand gegen die Gewerkschaft klagt, werden ihre Tarife benutzt. (vgl.
„gekaufte Pseudogewerkschaften: Arbeitgeber setzen im Osten Dumpingtarif
durch“, abrufbar unter www.swr.de/report/-/id=233454/nid=233454/did=3220
422/1hwd30t/index.html).

Seit gut zehn Jahren wird der Equal Pay-Grundsatz durch Unterbietungstarifver-
träge christlicher Gewerkschaften ausgehebelt. Vorreiter waren die Tarifverträge
von CGZP/DHV und dem BVD. Nach der Tarifunfähigkeit der CGZP und der
Einführung des Mindestlohns in der Leiharbeitsbranche geschieht dies nun über
die christliche Gewerkschaft DHV und den aus dem BVD ausgegründeten Ar-
beitgeberverband ILS. Mit dem Verweis auf die DHV-Tarifverträge versucht der
Verband ILS einerseits dem Tatbestand der Sittenwidrigkeit nach § 138 des Bür-
gerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu entgehen und somit dem Bereich der ILS ein
positives Image zu verschaffen. Andererseits versucht der ILS mit eigenen Tarif-
abschlüssen, sich als eigenständige Branche zu präsentieren. Ein Großteil der
Unternehmen, die im Bereich der Instore Logistik in- und außerhalb des Verban-
des tätig sind und auf die DHV-Tarife mittels Werkverträgen zurückgreifen, ver-
suchen so, die Einzelhandelstarifverträge von ver.di zum Schaden der Beschäf-
tigten und der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu umgehen.

Innerhalb der Gesellschaft mehren sich jedoch die Stimmen, der Praxis des
Lohndumpings verschärft zu begegnen. Gezielte Unterbietungstarifverträge
sollten nach der Erfahrung mit der CGZP im Fokus einer Regierungsstrategie
stehen, die Lohnbetrug vermeiden will. Insbesondere gilt es zu überprüfen, ob
sich Unternehmen in neugebildeten Arbeitgeberverbänden als eigenständige
Branche ausgegeben und eigene Tarifverträge schließen dürfen, die neben den
bereits vorhandenen Branchentarifverträgen der einschlägigen Gewerkschaften
existieren.

Wir fragen die Bundesregierung:

DHV – die Berufsgewerkschaft (kurz: DHV)

1. Mit welchem Arbeitgeberverband hat die CGZP, der die Tariffähigkeit recht-
lich aberkannt wurde, nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2003 Tarifver-
träge abgeschlossen (bitte nach Jahren, Arbeitgeberverband und Branchezu-
gehörigkeit aufschlüsseln)?

2. Welche Tarifverträge hat die DHV nach Kenntnis der Bundesregierung mit
welchen Arbeitgeberverbänden seit 2003 abgeschlossen (bitte nach Jahren,
Arbeitgeberverband, Geltungsbereich und Branchezugehörigkeit aufschlüs-
seln)?

3. Wie viele Verfahren auf Feststellung der Tariffähigkeit der DHV wurden
nach Kenntnis der Bundesregierung seit 1956 vor deutschen Arbeitsgerich-
ten geführt?

4. In wie vielen Verfahren wurde nach Kenntnis der Bundesregierung festge-
stellt, dass die DHV für die jeweilige Branche nicht tariffähig ist (bitte nach
Jahr der Entscheidung, Gericht und Branche aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11488

5. Wann wurde nach Kenntnis der Bundesregierung zuletzt die Tariffähigkeit
der DHV vor einem deutschen Arbeitsgericht abschließend geprüft?

Welches Ergebnis erbrachte diese Überprüfung, und welche Gründe wur-
den in dem Urteil ausgeführt?

6. Welche Verfahren auf Feststellung der Tariffähigkeit der DHV sind nach
Kenntnis der Bundesregierung derzeit an welchen deutschen Arbeitsge-
richten anhängig (bitte auch Kläger und Branche benennen)?

7. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Mitgliederstärke der
DHV?

Kann sie die von der DHV angegebene Mitgliederstärke von 80 000 Perso-
nen bestätigen?

Rechtsprechung zur Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung

8. Welche Kriterien wurden durch die Rechtsprechung zur Feststellung der
Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung entwickelt, und hält die Bun-
desregierung diese Kriterien für ausreichend (bitte begründen)?

9. Trifft es zu, dass mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom
5. Oktober 2010 (1 ABR 88/09), wonach eine Arbeitnehmervereinigung
dann tariffähig ist, wenn sie sozial mächtig und von ihrem organisatorischen
Aufbau her in der Lage ist, die ihr gestellten Aufgaben einer Tarifvertrags-
partei zu erfüllen, wobei für die Feststellung der Mächtigkeit und Leis-
tungsfähigkeit die Mitgliederzahl entscheidend ist und es bei einer noch
jungen Arbeitnehmerkoalition, wenn diese sich im zeitlichen Zusammen-
hang mit ihrer Gründung an der Aushandlung von Tarifverträgen beteiligt,
nicht ausreichend ist, alleine auf die Anzahl abgeschlossener Tarifverträge,
ohne Angabe zur Zahl ihrer Mitglieder und ihrer organisatorischen Leis-
tungsfähigkeit, zu verweisen, um ihre Tariffähigkeit belegen zu wollen, das
BAG eine Verschärfung des bestehenden Kriterienkatalogs vorgenommen
hat (bitte begründen)?

10. Trifft es zu, dass bei der Frage der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerver-
einigung auch von einer relativen Betrachtungsweise auszugehen ist, näm-
lich dann, wenn die Organisationsstärke einer Arbeitnehmervereinigung im
Verhältnis zu dem von ihr selbst gewählten räumlichen und fachlichen
Organisationsbereich bestimmt wird?

Wenn ja, teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die DHV, deren
Zuständigkeit sich insbesondere auf kaufmännische und verwaltende Be-
rufe bezieht, die Tariffähigkeit für andere Branchen, etwa Groß-, Außen-
und Einzelhandel und die Warenlogistik, nicht zwingend gegeben ist (bitte
begründen)?

Verband Instore Logistik Services e. V. (ILS)

11. Ist der Bundesregierung der Verband Instore Logistik Services e. V. (ILS)
bekannt?

Wenn ja, seit wann?

Hat es seit Bestehen des Verbandes oder in der Vergangenheit, als der Ver-
band noch als Fachgruppe unter dem Dach des BVD firmierte, Gespräche
oder ein informellen Austausch zwischen Verbandsvertretern und Mitglie-
dern der Bundesregierung oder nachgeordneten Arbeitsebenen in den Bun-
desministerien gegeben?

Wenn ja, wie oft haben bisher Gespräche stattgefunden, und welche Inhalte

hatten diese?

Drucksache 17/11488 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

12. Haben die bekannten Mitgliedsunternehmen der ILS bzw. deren Tochter-
unternehmen (abrufbar unter ils-verband.de/index.php?id=34) eine Erlaub-
nis zur Arbeitnehmerüberlassung, und wurden diese im Bereich der Arbeit-
nehmerüberlassung geschäftlich tätig (bitte einzeln angeben)?

Gab es Prüfungen der Mitgliedsunternehmen der ILS durch die Bundes-
agentur für Arbeit oder die Finanzkontrolle Schwarzarbeit?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

13. Wie viele der Mitgliedsunternehmen der ILS mit Erlaubnis zur Arbeitneh-
merüberlassung waren zum Stichtag 30. Juni 2012 Mischbetriebe?

Tarifvertragliche Regelungen im sogenannten Instore Logistik-Bereich

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch Tarifverträge, welche
Entgeltregelungen enthalten, die bei einer Vollzeiterwerbstätigkeit nicht
dazu führen, die Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit sicherzustellen,
sich auf Instore und Logistik spezialisierte Unternehmen im Einzelhandel
erhebliche Wettbewerbsvorteile gegenüber Einzelhandelsunternehmen ver-
schaffen, die diese Tätigkeiten durch ihre eigenen Beschäftigten erledigen
lassen (bitte begründen)?

15. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus Tariflöhnen, die
auch bei einer Vollzeiterwerbstätigkeit keine Existenzsicherung für die
erwerbstätige Person erlauben, angesichts der Tatsache, dass diese durch
die Allgemeinheit über Steuergelder subventioniert werden müssen?

16. Trifft es zu, dass nach dem Tarifvertrag zwischen DHV und ILS vom
1. Mai 2011, der in der Entgeltgruppe E1 einen Stundelohn von aktuell
6,63 Euro im Westen bzw. 6,12 Euro im Osten bei einer festgelegten
monatlichen Arbeitszeit von 173,34 Stunden vorsieht, das Monatsentgelt
im Westen 1 149,24 Euro bzw. 1 060,48 Euro im Osten beträgt und damit
selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung eine existenzsichernde Erwerbsarbeit
ohne aufstockende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
nicht möglich ist?

17. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Landesarbeitsgerichts Bre-
men (1 Sa 29/08), dass bei einer Stundenvergütung eine Abweichung von
einem Drittel, „… ganz wesentlich darüber entscheidet, ob über ein im
Rahmen eines Arbeitsverhältnisses gezahltes Stundenentgelt eine aus-
kömmliche Lebensgrundlage gezogen werden kann“ (bitte begründen)?

18. Trifft es zu, dass die Entgeltbeträge im Tarifvertrag zwischen DHV und
ILS vom 1. Mai 2011, die in der Entgeltgruppe E1 einen Stundenlohn von
aktuell 6,63 Euro im Westen bzw. 6,12 Euro im Osten vorsehen, und damit
weniger als zwei Drittel der für die gleiche Tätigkeit anzuwendenden Stun-
denvergütungen auf Basis der Tarifverträge des Einzelhandels, als sitten-
widrig anzusehen wären, wenn Bezugspunkt der Bewertung der Sittenwid-
rigkeit der einschlägige Tarifvertrag für den Einzelhandel der Dienstleis-
tungsgewerkschaft ver.di wäre und der Tarifvertrag zwischen der DHV und
dem ILS nicht bestünde (bitte begründen)?

19. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die wesentliche Funktion
des Tarifvertrages, den die DHV mit dem ILS abgeschlossen hat, darin
besteht, den Tatbestand des Wucherlohns (§ 138 BGB) zu beseitigen (bitte
begründen)?

20. Trifft es zu, dass durch geringfügige Beschäftigungsverhältnisse im so-
genannten Instore-Logistik-Bereich, die nach Aussage des ILS Geschäfts-
führers einen Anteil von 80 Prozent der Beschäftigten ausmachen und zur

Hälfte nach weniger als einem Jahr wieder beendet werden (abrufbar unter:

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/11488

www.lebensmittelzeitung.net/news/karriere/Tarifvertrag-Regalverraeumer-
formieren-sich_85909.html?a=6), dem Ziel der Bundesregierung „… die
Brückenfunktion von Mini- und Midi-Jobs in voll sozialversicherungs-
pflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu stärken“ (vgl. Koalitionsvertrag
zwischen CDU, CSU und FDP, S. 22), zuwiderläuft (bitte begründen)?

Instore-Logistik-Branche

21. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Behauptung
der ILS, dass „mit dem Instore Logistik Service ein eigenständiges Dienst-
leistungsgewerbe entstanden ist …“ – vgl. Ausschussdrucksache 17(11)871 –
(bitte begründen)?

22. Welchen Wirtschaftszweigklassifikationen des Statistischen Bundesamtes
(WZ 2008) sind die Tätigkeiten, die in den Bereich des Instore-Logistik-
Services fallen, zuzuordnen?

23. Welche Rechtsgrundsätze gelten bei der Frage nach der Eigenständigkeit
einer Branche, die für sich Tarifverträge schließt?

24. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Landesarbeitsgerichts Bre-
men (1 Sa 29/08), dass ... „nicht davon ausgegangen werden [kann], dass es
eine eigenständige Branche der Logistikdienstleister für Verbraucher-
märkte gibt“, es nicht erkennbar sei, wie sich Logistikdienstleister zu ande-
ren Logistikdienstleistern abgrenzen sollen und „dass sich allein durch die
Existenz von 70 größeren Firmen (...) eine eigene Branche der Logistik-
dienstleistern für Verbrauchermärkte herausgebildet haben soll“, nicht
nachvollziehbar sei (bitte begründen)?

25. Teilt die Bundesregierung die Behauptung der ILS, wonach sich ein Ver-
gleich der ILS-Tarife mit anderen Branchen verbiete – vgl. Ausschuss-
drucksache 17(11)871 – (bitte begründen)?

26. Trifft es zu bzw. teilt die Bundesregierung die Auffassung des Landes-
arbeitsgerichts Bremen (1 Sa 29/08), dass es sich bei der Warenverräu-
mung, der Kontrolle der Mindesthaltbarkeitsdaten sowie bei der Kontrolle
der Zugangs- als auch bei Bestandswaren um klassische Einzelhandels-
tätigkeiten handelt und es sich schon deshalb bei den vom sogenannten
Instore-Logistik-Service erbrachten Dienstleistungen um Dienstleistungen
handelt, die auch von den eigenen Beschäftigten des Einzelhandels er-
bracht werden?

Wenn ja, teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass für den Einzelhan-
del die hier geltenden Tarifverträge der DGB-Gewerkschaften anzuwenden
sind (bitte begründen)?

27. Wie viele Beschäftigte und wie viele Personalunternehmen sind nach
Kenntnis der Bundesregierung im Bereich des sogenannten Instore-Logis-
tik-Bereichs tätig (bitte aufschlüsseln seit 2003)?

Kann die Bundesregierung die Aussage des Vorsitzenden der ILS be-
stätigen, dass im sogenannten Instore-Logistik-Bereich 120 Personalunter-
nehmen mit ca. 350 000 Beschäftigten, die den Handel vor allem bei der
Warenverräumung unterstützen, tätig sind (vgl. Lebensmittel Zeitung,
abrufbar unter: www.lebensmittelzeitung.net/news/karriere/Tarifvertrag-
Regalverraeumer- formieren-sich_85909.html?a=6)?

Berlin, den 9. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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