BT-Drucksache 17/11417

Debatte über den vermeintlichen Missbrauch des Asylrechts durch serbische und mazedonische Staatsangehörige

Vom 5. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11417
17. Wahlperiode 05. 11. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Andrej Hunko,
Petra Pau, Jens Petermann, Dr. Petra Sitte, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Debatte über den vermeintlichen Missbrauch des Asylrechts durch serbische und
mazedonische Staatsangehörige

Wie bereits in den vergangenen Jahren hat auch 2012 die Zahl der Asyl-
suchenden aus Serbien und Mazedonien am Ende des Sommers spürbar zu-
genommen. In diesem Jahr fand der Anstieg allerdings bereits früher und in
stärkerem Umfang statt (zu den Zahlen vgl. Antwort der Bundesregierung auf
die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. „Beschränkungen der Reise-
freiheit für Roma aus Serbien, Montenegro und Mazedonien infolge des EU-
Visaregimes“ auf Bundestagsdrucksache 17/8984, Frage 33, sowie die Presse-
veröffentlichungen des Bundesministeriums des Innern vom 12. Oktober 2012).
Erfahrungsgemäß werden die Zahlen ab spätestens Dezember 2012 vermutlich
auch wieder entsprechend deutlich zurückgehen.

Der Anstieg der Zahlen zu den Herbst- und Wintermonaten ist also weder eine
plötzlich auftretende neue Erscheinung dieses Jahres, noch dürfte die um etwa
ein Viertel gegenüber dem Vorjahr gestiegene Gesamtzahl aller Asylsuchenden
im Zeitraum Januar bis September 2012 angesichts der zu erwartenden Entwick-
lung eine unüberwindbare Herausforderung für die betroffenen Behörden dar-
stellen. Die Überlastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) und der Aufnahmekapazitäten der Länder und Kommunen dürfte vor
diesem Hintergrund eher mit dem massiven Abbau von Kapazitäten nach dem
Tiefstand der Asylbewerberzahlen im Jahr 2007 (mit weniger als 20 000 An-
trägen) und Planungsmängeln zu erklären sein. Die Überlastung der Kapazitäten
des BAMF und der Aufnahmekapazitäten wird seitens des Bundesministeriums
des Innern in der öffentlichen Debatte aber einseitig der Gruppe der Staats-
angehörigen aus Serbien und Mazedonien angelastet, die zu 90 Prozent Roma
sind. Obwohl diese vor systematischer Diskriminierung und Ausgrenzung, Ras-
sismus und existenzbedrohlichen Notlagen fliehen, werden sie als „Asylmiss-
braucher“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnet – wie übrigens schon die
Gruppe der Roma-Flüchtlinge aus Rumänien Anfang der 90er-Jahre. Rumänien
wurde mit der Asylrechtsreform des Jahres 1993 zum „sicheren Herkunftsstaat“
erklärt. Einen solchen Schritt hat das Bundesministerium des Innern nun auch für
Serbien und Mazedonien angekündigt. Es ist aber fraglich, wie damit eine merk-

liche Verfahrensbeschleunigung erreicht werden kann, da bereits jetzt die Asyl-
verfahren in Bezug auf diese beiden Länder mit durchschnittlich 1,3 Monaten
extrem kurz sind. Schon im dritten Quartal 2012 lag der Wert bei nur 2,5 Mona-
ten, für alle Herkunftsländer zusammen bei durchschnittlich 7,3 Monaten (vgl.
die quartalsweisen Kleinen Anfragen der Fraktion DIE LINKE. zu ergänzenden
Informationen zur Asylstatistik, zuletzt auf Bundestagsdrucksache 17/11221,
Frage 4).

Drucksache 17/11417 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zum Abbau von Kapazitäten
zur Aufnahme von Asylsuchenden in den Zentralen Erstaufnahmeeinrich-
tungen der Länder in den vergangenen fünf Jahren und zu den Gründen
dazu, warum die Kapazitäten nicht den seit 2008 kontinuierlich steigenden
Asylzahlen angepasst wurden?

2. Welche Kenntnisse hat sie darüber hinaus zum Abbau von Aufnahme-
kapazitäten in den Kommunen für Asylsuchende, die aus den Erstauf-
nahmeeinrichtungen weiterverteilt werden?

3. Welche Kenntnisse hat sie dazu, in welchem Umfang und in welchen
Bundesländern in den letzten drei Jahren die Anmietung privater Wohnun-
gen durch Asylsuchende gefördert wurde und aus welchen Gründen dies
geschehen ist?

4. Wann, in welchem Rahmen und mit welchem Ergebnis haben Bund, Länder
und Kommunen in den letzten zwei Jahren Gespräche über die Frage der
Unterbringung von Asylsuchenden angesichts steigender Asylzahlen ge-
führt?

5. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu Schwierigkeiten bei der
Unterbringung von Asylsuchenden beispielsweise in den Jahren 2000 bis
2003, als zwischen 71 000 und 88 000 Asylsuchende registriert und unter-
gebracht wurden, und wenn aus dieser Zeit keine entsprechenden Probleme
bekannt sind, wie bewertet die Bundesregierung die Handhabbarkeit heuti-
ger Unterbringungsprobleme?

6. Wie viele Erst- und Folgeanträge (bitte differenzieren) wurden von Staats-
angehörigen aus Serbien, Mazedonien, Montenegro, Albanien und Bosnien-
Herzegowina seit 2009 bis heute gestellt (bitte weiterhin nach Monaten
differenzieren und jeweils den prozentualen Anteil der Roma-Angehörigen
benennen)?

7. Was lässt sich genaueres zur Familien-, Geschlechts- und Altersstruktur der
Asylsuchenden aus Serbien und Mazedonien des Jahres 2012 sagen, über
welche genaueren Kenntnisse zur Herkunft bzw. zum vorherigen Wohnort
verfügt das BAMF, und wie viele der Asylsuchenden aus Serbien kamen
aus dem Kosovo?

8. Wie hoch ist der Anteil derjenigen Asylsuchenden aus Serbien und Maze-
donien der Jahre 2010, 2011 und 2012 (bitte differenzieren), die zuvor be-
reits einmal in Deutschland oder einem anderen europäischen Land (bitte
differenzieren) um Asyl oder andere Formen der Schutzgewährung nachge-
sucht haben, und welche Kenntnisse über die Dauer des vorherigen Aufent-
halts in Deutschland oder einem anderen europäischen Land bzw. die
Gründe der Ausreise oder Abschiebung liegen vor?

9. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass es zu keinem auch nur in An-
sätzen vergleichbaren Anstieg von Asylsuchenden aus den Ländern
Montenegro, Albanien und Bosnien-Herzegowina gekommen ist, obwohl
auch für diese seit Kurzem die Visumfreiheit gilt – und spricht dies nicht
dafür, dass die verstärkte Asylsuche mit der Situation der Roma in den
Ländern Serbien und Mazedonien zu tun haben muss (bitte ausführen)?

10. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass es laut Entscheiderbrief 9/2012
des BAMF in der Schweiz in den letzten Monaten eine ganz ähnliche Ent-
wicklung in Bezug auf Asylsuchende aus Serbien und Mazedonien gab (S. 1
und 7), obwohl das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum
Asylbewerberleistungsgesetz in der Schweiz nicht zur Anwendung kommt,

dieses Urteil nach Ansicht von Regierungs- und Behördenvertretern aber der
Grund für die verstärkte Asylsuche in Deutschland sein soll?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11417

11. Wie ist die Entwicklung der Zahl der Asylsuchenden in allen anderen
Mitgliedstaaten der EU, in denen das Urteil des BVerfG keine Wirkung hat,
seit Juli 2012, und wenn diese dort ebenfalls ansteigend ist, hält die
Bundesregierung an ihrer Einschätzung fest, dass das Urteil des BVerfG
maßgeblich für diese Entwicklung sei (bitte begründen)?

12. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung seit diesem Sommer er-
griffen, um Asylverfahren von Antragstellerinnen und Antragsteller aus
Serbien und Mazedonien zu einem schnellen Abschluss zu führen (bitte dif-
ferenziert darstellen)?

13. Welche Maßnahmen wurden von der Bundesregierung in den vergangenen
beiden Jahren ergriffen, um den allgemeinen Anstieg der Asylsuchenden-
zahl, aber insbesondere, um den deutlichen Anstieg von Asylanträgen
serbischer und mazedonischer Staatsangehöriger jeweils im Herbst zu be-
wältigen?

a) Welche Veränderungen hat das BAMF in der internen Organisation der
Verfahrensabläufe getroffen (Priorisierung bei der Bearbeitung von Neu-
zugängen, personelle Umstrukturierung, Dolmetscherkapazitäten etc.)?

b) In welchem Ausmaß wurde Personal anderer Behörden des Bundes zum
BAMF versetzt, und welche weiteren Versetzungen sind geplant?

c) Welche sonstigen Personalaufstockungen oder Maßnahmen gab es oder
sind geplant?

14. Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die seit 2011
stabile durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Asylanträgen serbischer
und mazedonischer Staatsangehöriger von ca. drei Monaten?

15. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, einzelne Bundesländer gingen
nicht konsequent genug bei der Beendigung des Aufenthalts (Abschiebung)
von abgelehnten Asylsuchenden aus den in Frage stehenden Staaten vor,
und welche genaueren (auch statistischen) Kenntnisse hat sie hierüber?

16. Welche Maßnahmen sind nach Kenntnis der Bundesregierung von Seiten
der serbischen Regierung bzw. durch den serbischen Gesetzgeber ergriffen
worden, um einem vermeintlichen Missbrauch der Visumfreiheit durch
eigene Staatsangehörige entgegenzuwirken?

17. Wie sind diese Maßnahmen im Einzelnen und in ihrer Summe im Hinblick
auf wesentliche Rechte des internationalen Pakts über die zivilen Rechte
(Recht, einen Antrag auf Asyl zu stellen; Recht, den Heimatstaat zu ver-
lassen) zu bewerten?

18. Welche Maßnahmen sind nach Kenntnis der Bundesregierung von Seiten
der mazedonischen Regierung bzw. durch den mazedonischen Gesetzgeber
ergriffen worden, um einem vermeintlichen Missbrauch der Visumsfreiheit
durch eigene Staatsangehörige entgegenzuwirken?

19. Ist der Bundesregierung bekannt, dass Asylantragsteller aus Mazedonien
nach ihrer Rückkehr für bis zu einem Jahr beim Bezug von Sozialleistun-
gen, inklusive Gesundheitsleistungen, gesperrt werden, und sieht die Bun-
desregierung hierin (nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG zum
Existenzminimum) eine Verletzung der Menschenwürde der Betroffenen
(bitte begründen)?

20. Wie sind die in den Fragen 18 und 19 genannten Maßnahmen im Einzelnen
und in ihrer Summe im Hinblick auf wesentliche Rechte des internationalen
Pakts über die zivilen Rechte (Recht, einen Antrag auf Asyl zu stellen;
Recht, den Heimatstaat zu verlassen) zu bewerten?

Drucksache 17/11417 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

21. Inwieweit geht die Bundesregierung davon aus, dass bei der serbischen und
mazedonischen Ausreisekontrolle Techniken des „ethnic profiling“ zum
Einsatz kommen, d. h. dass vor allem äußerlich den Roma als zugehörig
erachtete Menschen bei der Ausreise besonders streng kontrolliert werden,
und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

22. Inwieweit werden Serbien bzw. Mazedonien Daten über abgelehnte Asyl-
antragsteller zugänglich gemacht, sei es durch direkte Datenübermittlun-
gen, sei es durch Zugriff auf Daten über Personen, die wegen einer Aus-
weisung oder Abschiebung zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sind?

23. Welche Maßnahmen wurden zur verstärkten EU-Einreisekontrolle (ins-
besondere durch Ungarn und Slowenien) in Bezug auf mutmaßliche Asyl-
suchende aus Serbien und Mazedonien ergriffen?

24. Inwieweit wurden die vorgenannt bezeichneten Maßnahmen auf EU-Ebene
abgestimmt?

25. Mit welchen Regierungen anderer EU-Mitglieder hat sich die Bundesregie-
rung über weitere Schritte gegenüber Serbien und Mazedonien (bilateral
und in den EU-Gremien) abgestimmt, und welche Schritte wurden jeweils
unternommen?

26. Welche Informationen hat die Bundesregierung zu Vertreibungen bzw. Auf-
lösungen von „Roma-Ghettos“ in Serbien und Mazedonien?

27. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu einem allgemeinen oder
weitgehenden Zustand der Straflosigkeit bei Gewalttaten oder strafrecht-
lich relevanten Diskriminierungen im privaten und öffentlichen Sektor
gegenüber Roma-Angehörigen jeweils in Serbien und Mazedonien?

28. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Zunahme antiziganisti-
scher Stimmungen und Übergriffe auf Roma in Serbien und Mazedonien in
den vergangenen Monaten?

29. Welchen Zusammenhang sieht sie zwischen diesen Entwicklungen und
Äußerungen eigener Regierungsvertreter und den Regierungsvertretern
weiterer EU-Staaten zu einer möglichen Rücknahme der Visumfreiheit
infolge der gestiegenen Asylantragszahlen aus beiden Staaten?

30. Hat die Bundesregierung die vom Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen
herausgegebene Studie „Die Liberalisierung des Visasystems und Ein-
schränkungen des Rechts auf Asyl – Zur Situation serbischer Roma, die im
Ausland Asyl beantragt haben“ zur Kenntnis genommen, und welche
Schlussfolgerungen zieht sie hieraus?

31. Was entgegnet die Bundesregierung gegenüber der Befürchtung, dass die
aktuelle Debatte um einen angeblichen Asylmissbrauch und um die
Wiedereinführung der Visumpflicht antiziganistische Ressentiments in
Deutschland, aber auch in Serbien und Mazedonien befördert und insbe-
sondere bei Wiedereinführung der Visumpflicht mit einer nochmaligen
Verstärkung der rassistischen Gewalt und Ausgrenzung gegenüber den
Roma in Serbien und Mazedonien gerechnet werden muss, und inwieweit
berücksichtigt sie dies in ihrem Handeln (bitte ausführen)?

32. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Asylsuchende aus Syrien
angesichts einer im zweiten Quartal 2012 97-prozentigen Schutzquote
schnell als „Prima-facie“-Flüchtlinge ohne aufwändige Prüfung anzuerken-
nen, damit diese offenkundig schutzbedürftigen Flüchtlinge nicht monate-
oder jahrelang auf eine Anhörung bzw. Entscheidung warten müssen, und
falls es hierzu keine rechtliche Möglichkeit geben sollte, wird die Bundes-
regierung eine solche schaffen, wenn ohnehin ein Gesetzgebungsverfahren

zur Einordnung von Serbien und Mazedonien als „sichere Herkunftsstaa-
ten“ betrieben werden sollte, und wenn nein, bitte begründen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11417

33. Wie ist es zu rechtfertigen, dass sich die Dauer der Asylverfahren von Asyl-
suchenden mit hohen Anerkennungschancen infolge der Personalaus-
stattung des BAMF weiterhin verlängert und damit auch die Integration der
zu einem hohen Prozentsatz später dauerhaft Bleibeberechtigten behindert
wird – durch Arbeitsverbote bzw. -einschränkungen, durch Beschränkun-
gen der Bewegungsfreiheit, durch die Verpflichtung, in Gemeinschafts-
unterkünften zu leben usw.?

34. Wie ist es zu erklären, dass nach EUROSTAT-Angaben (Statistisches Amt
der Europäischen Union) im zweiten Quartal 2012 EU-weit 2 Prozent aller
Asylsuchenden aus Serbien als Flüchtlinge anerkannt wurden (2,5 Prozent
Gesamtschutzquote), in Deutschland jedoch nur 0 Prozent, und wie ist die
Gesamtschutzquote bei Asylsuchenden (soweit erfasst für Roma) aus Ser-
bien und Mazedonien in Frankreich?

35. Mit welcher Begründung wird regelmäßig eine Flüchtlingsanerkennung
von Roma aus Serbien oder Mazedonien ausgeschlossen, obwohl nach
Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b der EU-Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie
2011/95/EU) die Annahme einer Verfolgung auch bei einer Kumulierung
unterschiedlicher Maßnahmen in Betracht kommt, wenn diese so gravie-
rend sind, dass eine Person von diesen ähnlich betroffen wird, wie von
schwerwiegenden Verletzungen grundlegender Menschenrechte, was der
Fall ist, wenn Roma-Angehörige infolge einer allgegenwärtigen Diskrimi-
nierung und Ausgrenzung von Schulbildung, Erwerbsarbeit, beheizbaren
Wohnungen und sanitären Anlagen usw. ausgeschlossen sind und unter Un-
terernährung und Hunger leiden müssen?

36. Mit welcher Begründung wird regelmäßig eine Flüchtlingsanerkennung
von Roma aus Serbien oder Mazedonien ausgeschlossen, obwohl auch nach
dem Handbuch des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen
über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft
(Teil I Absatz 51 ff.) Formen der Diskriminierung, die für sich genommen
nicht den Tatbestand der Verfolgung erfüllen, als begründete Furcht vor
Verfolgung aufgrund „kumulativer Gründe“ angesehen werden können,
z. B. wenn eine allgemeine Atmosphäre der Unsicherheit im Herkunftsland
besteht oder wenn die Konsequenzen der Diskriminierung die Betroffenen
in hohem Maße benachteiligen, z. B. beim Recht, den Lebensunterhalt zu
verdienen oder beim Zugang zu Bildungseinrichtungen oder wenn durch sie
ein Gefühl der Furcht und Unsicherheit in Hinblick auf die Zukunft hervor-
gerufen wurde (bitte ausführen)?

37. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Roma in Serbien und
Mazedonien weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder ernied-
rigende Behandlung oder Bestrafung droht, wie es bei einer Aufnahme in
die Lister sicherer Herkunftsländer nach Artikel 16a Absatz 3 des Grund-
gesetzes erforderlich wäre (bitte ausführlich begründen)?

38. Welche weitere Verfahrensbeschleunigung erhofft sich die Bundesregie-
rung überhaupt aus einer Kategorisierung beider Länder als sichere Her-
kunftsstaaten, wenn die durchschnittliche Verfahrensdauer jetzt schon bei
nur gut einem Monat liegt und sie auch zuvor schon recht kurz war, zumal
die Aufnahme in die Liste sicherer Herkunftsstaaten individuelle Prüf-
verfahren nicht entbehrlich macht, sondern lediglich eine Beweislast-
umkehr erfolgt (bitte ausführen)?

39. Welche Schritte wären notwendig, um beide Staaten in die Liste sicherer
Herkunftsstaaten aufzunehmen, und wie lange würde das entsprechende
Gesetzgebungsverfahren nach Einschätzung der Bundesregierung in An-
spruch nehmen?

Drucksache 17/11417 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

40. Welchen Effekt für den politischen Diskurs in Deutschland erwartet die
Bundesregierung von einer anhaltenden Debatte über vermeintlichen Asyl-
missbrauch von Flüchtlingen aus Serbien und Mazedonien, und wie will sie
insbesondere vermeiden, dass in diesem Diskurs, wie bereits zu Beginn der
90er-Jahre, rechtsextremistische und rechtspopulistische Position und Par-
teien gestärkt werden?

41. Was entgegnet die Bundesregierung dem Vorsitzenden des Zentralrats
Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, der mit Blick auf den Bundes-
minister des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, erklärte, „das Thema Asyl-
missbrauch an einer Minderheit wie den Sinti und Roma abzuhandeln, halte
ich für mehr als diskriminierend. Da betreibt man ein Stückweit Hetze“,
und er hoffe überdies, dass dies „keine Retourkutsche gegen das Bundes-
verfassungsgericht“ gewesen sei (Mittelbayerische Zeitung, 23. Oktober
2012)?

42. Was hat die Bundesregierung den beiden evangelischen bzw. katholischen
Prälaten Dr. Karl Jüsten und Dr. Bernhard Felmberg entgegnet, die in einer
gemeinsamen Pressemitteilung vom 23. Oktober 2012 zur Besonnenheit
mahnten und forderten, Serbien und Mazedonien nicht als sichere Her-
kunftsstaaten einzustufen, zumal Roma in beiden Ländern schwerwiegen-
den Diskriminierungen ausgesetzt seien und keine Kürzungen der Sozial-
leistungen für Asylsuchende vorzunehmen (bitte ausführen)?

43. Inwieweit und mit welcher Begründung lässt die Äußerung des Parlamenta-
rischen Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern, Dr. Ole Schröder,
„Wir brauchen ja die Asylkapazitäten für die Menschen, die wirklich
unsere humanitäre Hilfe brauchen“ (epd, 25. Oktober 2012), die Schluss-
folgerung zu, dass nach Ansicht der Bundesregierung aus Serbien und
Mazedonien fliehende Roma keine humanitäre Hilfe brauchen?

44. Inwieweit sieht die Bundesregierung die unvoreingenommene Prüfung von
Asylanträgen von Personen aus Serbien und Mazedonien gefährdet, wenn
die für die Durchführung von Asylverfahren zuständige Abteilungspräsi-
dentin des BAMF im Entscheiderbrief 9/2012 erklärt, bei einer Schutz-
quote von weit unter einem Prozent sei bei diesen Personen „von einer
grundsätzlich aussichtslosen Asylantragstellung auszugehen“?

45. Wie ist die Haltung gegenüber asylsuchenden Roma aus Serbien und
Montenegro mit der Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel anläss-
lich der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus er-
mordeten Sinti und Roma Europas vereinbar, in der es unter anderem hieß,
dass „Sinti und Roma auch heute um ihre Rechte kämpfen“ und es deshalb
„eine deutsche und eine europäische Aufgabe“ sei, „sie dabei zu unter-
stützen, wo auch immer und innerhalb welcher Staatsgrenzen auch immer
sie leben“ (bitte ausführen)?

46. Wie ist die Forderung des Bundesinnenministers, Asylsuchende sollten
„ausschließlich“ Sachleistungen erhalten (afp, 19. Oktober 2012), mit dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz
vereinbar, das zum einen die gesellschaftliche Teilhabe zum grundrechtlich
geschützten Bestandteil des menschenwürdigen Existenzminimums er-
klärte und zum anderen eine Instrumentalisierung von Sozialleistungen
nach migrationspolitischen Zwecken eindeutig untersagt hat (bitte bei der
Beantwortung auf beide Aspekte gesondert eingehen)?

47. Wie lange dauert es nach Einschätzung der Bundesregierung, bis auf EU-
Ebene ein vom Rat geplanter Wiedereinsetzungsmechanismus in Bezug auf
die Visumpflicht beschlossen und in Kraft treten kann, und wie lautet genau
die zuletzt zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament diskutierte

Fassung der Wiedereinsetzungsklausel, bzw. welche unterschiedlichen Po-
sitionen zwischen Rat, Kommission und Parlament gibt es (bitte ausführen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/11417

48. Welche Rolle spielen „Schlepper“ bei der Einreise von Asylsuchenden aus
Serbien und Mazedonien, wo doch diese Einreise visumfrei möglich ist und
sie also nicht auf die Hilfe von „Schleppern“ angewiesen sind, und wenn
doch, welche Hilfen werden nach Kenntnis der Bundesregierung in An-
spruch genommen, und was genau ist daran strafbar?

49. Wie ist die in der Bundesregierung abgestimmte Haltung zur Frage einer
möglichen Wiedereinführung der Visumpflicht für Serbien und Mazedo-
nien, nachdem der Bundesinnenminister dies „schnellstmöglich“ gefordert
hat (dpa, 12. Oktober 2012), der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido
Westerwelle, hingegen vor einer neuen Asyldebatte warnte und außerdem
die Visafreiheit als „große Errungenschaft“ bezeichnete, die „nicht einfach
zur Disposition gestellt werden“ dürfe (kna, 21. Oktober 2012)?

Berlin, den 5. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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