BT-Drucksache 17/11167

Die Gaza-Blockade beenden

Vom 24. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11167
17. Wahlperiode 24. 10. 2012

Antrag
der Abgeordneten Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln),
Marieluise Beck (Bremen), Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel,
Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Omid Nouripour, Lisa Paus,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Gaza-Blockade beenden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Blockade des Gaza-Streifens durch die israelische Regierung besteht seit
fünf Jahren und ein Ende ist nicht in Sicht. Waren dürfen nur äußerst begrenzt
importiert und kaum exportiert werden. Die Blockade verhindert eine echte wirt-
schaftliche Erholung, während der Wiederaufbau des seit dem Krieg 2008
massiv verarmten und zum Teil zerstörten Gebiets hauptsächlich durch den
Schmuggel über die zahlreichen Tunnel ermöglicht wird. Das bietet Anlass für
massive Korruption, auch seitens der Hamas, und die Entstehung von mafiösen
Strukturen. Es herrscht zwar kein Hunger in Gaza, aber durch Blockade, Kor-
ruption und Reisebeschränkungen hat die Armut zugenommen. Über 70 Prozent
der Bevölkerung des Gaza-Streifens ist von ausländischer Hilfe abhängig. Für
die Menschen in Gaza gibt es kaum Möglichkeiten der beruflichen oder persön-
lichen Entwicklung. Nach offiziellen Angaben liegt die Arbeitslosenquote bei
31,5 Prozent (verglichen mit 18,7 Prozent im Jahr 2000). Die Jugendarbeits-
losigkeit liegt sogar bei 47 Prozent. Der Besuch von Ost-Jerusalem oder der
Westbank, sei es zu familiären oder religiösen Zwecken, wird nur in seltenen
Fällen gestattet. Es fehlen zurzeit etwa 250 Schulen in Gaza. Auch die Arbeit der
Vereinten Nationen (VN) leidet unter der Blockade.

Die Blockade, die sich gegen die Hamas richten soll, bewirkt oft das Gegenteil:
Politisch und wirtschaftlich profitiert die Hamas, und die Zivilistinnen und
Zivilisten, insbesondere die jungen, säkularen Bewohner, leiden darunter.

Der Deutsche Bundestag hat in einer fraktionsübergreifenden Initiative bereits
im Jahr 2010 die Aufhebung der Gaza-Blockade und eine Verbesserung der hu-
manitären Lage in Gaza gefordert. Seitdem hat es gewisse Lockerungen gege-
ben; die Blockade besteht jedoch fort und die Lockerungen reichen nicht aus, um
die Situation in Gaza grundlegend zu verbessern.
Nach einem Ende August 2012 veröffentlichten Bericht der VN wird der Gaza-
Streifen im Jahr 2020 nicht mehr bewohnbar sein, wenn bis dahin nicht grund-
legende Verbesserungen in den Bereichen Wasser- und Elektrizitätsversorgung,
Gesundheit und beim Bau von Schulen unternommen werden. Ohne Verbindun-
gen nach außen könne eine weitgehend urbane Ökonomie wie die des Gaza-
Streifens nicht dauerhaft bestehen, so der Bericht.

Drucksache 17/11167 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Der VN-Bericht stellt auch den Zusammenhang mit dem Zwei-Staaten-Konzept
her: Danach hängt die Lebensfähigkeit eines künftigen palästinensischen Staates
ab von einer angemessenen Verbindung zwischen der Westbank und dem Gaza-
Streifen, wodurch für das gesamte palästinensische Territorium ein Zugang zum
Meer gegeben wäre.

Damit es zu der dringend notwendigen Verbesserung der Lebensbedingungen
für die Bewohner und Bewohnerinnen des Gaza-Streifens und zu den notwendi-
gen infrastrukturellen Entwicklungsmaßnahmen kommen kann, bedarf es einer
Beendigung der israelischen Blockade unter Berücksichtigung Israels legitimer
Sicherheitsinteressen. Dafür bedarf es der Unterbindung des Beschusses Israels
durch Raketen und Granaten aus dem Gaza-Streifen, eines Grenzkontroll-
regimes, das statt Tunnelwirtschaft freien Warenverkehr über Land- und Seeweg
erlaubt, aber Waffenlieferungen nach Gaza unterbindet, wie es der Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen mit der Resolution 1860 (2009) gefordert hat und einer
Normalisierung des Grenzverkehrs zwischen dem Gaza-Streifen, Israel und
Ägypten.

In diesem Zusammenhang werden diejenigen Staaten, die bislang ein Kontakt-
verbot zu der im Gaza-Streifen regierenden Hamas aufrechterhalten, über die
Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme nachdenken müssen. Schon jetzt erschwert
dieses Kontaktverbot die notwendige humanitäre Arbeit internationaler Organi-
sationen wie dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für palästinensische Flücht-
linge im Nahen Osten (UNRWA) in Gaza erheblich. Die Hamas bleibt aufgefor-
dert, Gewaltakte gegen Israel aktiv zu unterbinden. Sollte eine Einheitsregierung
zwischen der Hamas und der Fatah entstehen, so muss sie die Bedingungen des
Nahostquartetts reflektieren. Sonst kann es auf Dauer keine tragfähige Lösung
für den Gaza-Streifen geben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die israelische Regierung zu einem grundlegenden Politikwechsel gegenüber
Gaza und einer Aufhebung der Blockade Gazas aufzufordern;

2. von der Hamas die Unterbindung von Gewalt gegen Israel sowie die Einhal-
tung der Menschenrechte im Gaza-Streifen einzufordern. Dazu gehören u. a.
ein Moratorium der Anwendung der Todesstrafe, eine Beendigung von Fol-
ter, ein Ende der Aburteilung von Zivilisten durch Militärgerichte und eine
Reform des Justizsystems;

3. sich gegenüber der ägyptischen und israelischen Regierung für die Gewähr-
leistung eines regelmäßigen, kontrollierten Grenzübergangs einzusetzen und
dafür falls notwendig Unterstützung anzubieten, bei dem auch Israels legi-
time Sicherheitsinteressen gewahrt bleiben;

4. ein offizielles Vertretungsbüro für die Bevölkerung in Gaza zu eröffnen, um
den Bewohnerinnen und Bewohnern des Gaza-Streifens einen leichteren Zu-
gang zu einer konsularischen Vertretung Deutschlands zu ermöglichen;

5. weiterhin die Arbeit der UNRWA finanziell und politisch zu unterstützen;

6. sich weiterhin für eine vollständige Aufklärung aller Völkerrechtsverletzun-
gen während des Gaza-Krieges 2008 einzusetzen.

Berlin, den 24. Oktober 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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