BT-Drucksache 17/11033

Eine kohärente Gesamtstrategie für Pakistan - Für eine aktive Einbindungsdiplomatie, Stärkung der demokratischen Kräfte und eine verlässliche Entwicklungszusammenarbeit

Vom 17. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11033
17. Wahlperiode 17. 10. 2012

Antrag
der Abgeordneten Johannes Pflug, Dr. Rolf Mützenich, Dr. Hans-Peter Bartels,
Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, Martin Gerster, Iris Gleicke,
Dr. Barbara Hendricks, Dr. Bärbel Kofler, Ute Kumpf, Thomas Oppermann,
Dr. Sascha Raabe, Stefan Rebmann, Karin Roth (Esslingen), Frank Schwabe,
Wolfgang Tiefensee, Manfred Zöllmer, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der
Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Müller (Köln),
Tom Koenigs, Agnes Brugger, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Eine kohärente Gesamtstrategie für Pakistan – Für eine aktive
Einbindungsdiplomatie, Stärkung der demokratischen Kräfte und eine
verlässliche Entwicklungszusammenarbeit

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Pakistan stand viel zu lange abseits der politischen Agenda und wurde in seiner
regionalen Bedeutung unterschätzt. Dies haben die in den vergangenen Jahren
ergriffenen einzelnen Initiativen zur Unterstützung der Stabilisierung und der
demokratischen Entwicklung Pakistans nicht verändert. Die im September
2012 unterzeichnete Roadmap für einen deutsch-pakistanischen strategischen
Dialog ist zwar ein Schritt zur Aufwertung Pakistans in der deutschen Außen-
politik, jedoch ersetzt sie keine kohärente ressortübergreifende deutsche (und
europäische) Gesamtstrategie für Pakistan. Die Aktivitäten Deutschlands blei-
ben halbherzig und inkonsistent. Dabei kommt Pakistan eine entscheidende
Rolle für die Entwicklung der gesamten süd- und zentralasiatischen Region zu.
Während das Land nahezu ausschließlich unter afghanistanpolitischen, früher
kaschmirpolitischen, Gesichtspunkten wahrgenommen wird, schwelen unge-
löste Konflikte mit Indien weiter und die Frage des Umgangs mit dem pakista-
nischen Atomwaffenprogramm bleibt unbeantwortet.

Gleichzeitig steht das Land innenpolitisch angesichts von unklaren Machtstruk-
turen, Governancedefiziten, Terror, schwacher wirtschaftlicher und sozialer In-

frastruktur und Naturkatastrophen vor dramatischen Herausforderungen. Der
Vorsitzende der unabhängigen pakistanischen Menschenrechtskommission
bringt es mit den Worten auf den Punkt „Name a Problem – we’ve got it“.

Doch um seine komplexen Probleme in Angriff nehmen zu können und seiner
regionalen Verantwortung gerecht zu werden, muss Pakistan international in-
tensiver eingebunden werden. Mehr als bisher müssen sich Deutschland und

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die EU mit diesem Land und seinen Eigenheiten politisch auseinandersetzen.
Zwar hatte die Große Koalition 2007 während der deutschen Doppelpräsident-
schaft in der EU und den G8 eine Initiative zur Stabilisierung der Lage in
Pakistan (insbesondere in den Stammesgebieten FATA (FATA = Federally
Administered Tribal Areas) und in der Grenzregion zu Afghanistan) ergriffen.
Jedoch wurde dieser richtige Ansatz von der schwarz-gelben Koalition aus
CDU/CSU und FDP nicht ausreichend weiterverfolgt und umgesetzt.

Es gilt vor allem, die Zivilgesellschaft und die demokratischen Kräfte in Parla-
ment, Regierung und Justiz als Gegenpol zu korrupten Eliten und einem über-
mächtigen Militär zu stärken. Dabei muss die deutsche Pakistanpolitik im Rah-
men einer kohärenten, ressortübergreifenden Gesamtstrategie erfolgen, die in
Zusammenarbeit mit unseren Partnern zu entwickeln ist.

Hier sind vor allem drei Bereiche zentral:

1. Für eine aktive Einbindungsdiplomatie

Die Erkenntnis über Pakistans geopolitische Bedeutung und seine gleichzeitig
ambivalente Rolle ist mittlerweile weit verbreitet. Die schwarz-gelbe Bundes-
regierung zieht daraus jedoch nicht die nötigen außenpolitischen Konsequen-
zen. Die 2008 gegründete Gruppe „Freunde eines demokratischen Pakistan“, an
der sich Deutschland beteiligt, entpuppte sich als leere Hülle. Die im Septem-
ber 2012 unterzeichnete Roadmap für einen deutsch-pakistanischen strate-
gischen Dialog geht zwar einen Schritt in die richtige Richtung. Es ist jedoch
fraglich, ob die Bundesregierung in der Lage ist, diese in hinreichendem Maße
umzusetzen, sodass sie der besonderen Bedeutung Pakistans tatsächlich gerecht
wird. Deutschland hat es außerdem nicht vermocht, die EU gegenüber Pakistan
als einflussreichen Akteur zu positionieren. Dabei hätte Deutschland dafür das
Potenzial, da es über große politische Glaubwürdigkeit und ein hohes Ansehen
in Pakistan verfügt. Die fehlende Umsetzung der Folgerungen aus der EU-Prä-
sidentschaft 2007 durch die jetzige Regierung schwächen dieses Ansehen.

Ansätze zur multilateralen politischen und wirtschaftlichen Einbindung Pakis-
tans in einen regionalen Mechanismus zur Friedensstabilisierung stehen noch
am Anfang. Durch den „Istanbul Prozess für regionale Sicherheit und Koopera-
tion“ wurden nun erste, wenn auch kleine Fortschritte erzielt. Die Aussichten
auf eine Entwicklung stärker institutionalisierter und nachhaltiger Koopera-
tionsformen bleiben jedoch unkonkret und sind über das Stadium von Wunsch-
vorstellungen noch nicht hinaus gekommen. Der Prozess für eine stärkere regi-
onale Zusammenarbeit muss intensiv und aufmerksam begleitet werden. Ge-
rade die EU kann dabei aus der eigenen Erfahrung heraus Unterstützung anbie-
ten.

Die EU war in der Politik gegenüber Pakistan bislang jedoch nahezu bedeu-
tungslos, obwohl die EU mit einem jährlichen Handelsvolumen von rund
7 Mrd. Euro der wichtigste Handelspartner Pakistans ist und im Jahr 2010 hu-
manitäre Hilfe in Höhe von 150 Mio. Euro zur Linderung der Not nach der
Fluthilfe bereitstellte. Auf bilateraler Ebene ist es in erster Linie Großbritan-
nien, das aufgrund historischer Verbindungen intensive Kontakte pflegt und
umfangreiche Unterstützungsprogramme unterhält. Das britische Engagement
wurde vor allem im Bereich Bildung 2011 massiv ausgebaut. Pakistan ist damit
zum größten Einzelempfängerland Großbritanniens geworden.

Pakistans Außen- und Sicherheitspolitik ist sehr stark durch die langjährigen
Konflikte mit Indien geprägt. Vertrauensbildende Maßnahmen sowie Initiativen
für eine Entspannung des Verhältnisses und eine verstärkte Kooperation zwi-
schen beiden Staaten sind von zentraler Bedeutung für die Sicherheit in der ge-

samten Region und müssen so umfangreich wie möglich gefördert werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11033

Bislang hat sich Pakistan nicht ernsthaft aktiv in die Friedensbemühungen in
Afghanistan eingebracht. Ebenso wenig konnte sich die internationale Gemein-
schaft dazu durchringen, Pakistan glaubhaft einzubeziehen. Zwar sind mittler-
weile mit Afghanistan bilaterale und zusätzlich mit den USA trilaterale Ge-
sprächsformate etabliert. So wurde eine gemeinsame Kommission zur Unter-
stützung des afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozesses eingerichtet.
Die Kontakte lassen aber noch keine gegenseitige Verbindlichkeit erkennen.
Auch wenn sich die Beziehungen zwischen Afghanistan und Pakistan durch die
intensive Besuchsdiplomatie auf Regierungsebene und konkrete Fortschritte
bei den Handelsbeziehungen (afghanisch-pakistanisches Handels- und Transit-
abkommen) nach beiderseitigem Bekunden verbessert haben, ist das Verhältnis
nach wie vor von tiefem Misstrauen geprägt.

Entscheidend für die Zukunft Afghanistans ist das Engagement der USA und
deren Zusammenarbeit mit Pakistan. Nach dem Angriff auf einen pakistani-
schen Grenzposten mit 24 getöteten Soldaten ist das Verhältnis zwischen den
USA und Pakistan auf einem Tiefpunkt angelangt. Im Zusammenhang mit den
Wikileaks-Enthüllungen, der Tötung Osama bin Ladens und den andauernden
Drohnenangriffen auf pakistanischem Boden auf der einen Seite und der mut-
maßlichen Unterstützung von Aufständischen und Terroristen in Afghanistan
durch den pakistanischen Geheimdienstes auf der anderen, ist das gegenseitige
Vertrauen schwer erschüttert. In diesem Fall können Deutschland und die EU
eine Brückenfunktion einnehmen.

Eine europäische Pakistanpolitik muss insbesondere zwei Ziele haben. Zum
einen muss sie ihren Beitrag leisten, Pakistan viel stärker in die internationale
Gemeinschaft einzubinden und darauf hinzuwirken, dass Pakistan seine inter-
nationale und regionale Verantwortung wahrnimmt. Ein erster und wichtiger
Schritt wäre, darauf hinzuwirken, das Verhältnis zwischen Pakistan und den
USA zu verbessern. Nur wenn sich die EU und die USA als verlässliche Partner
präsentieren, werden sie einen gewichtigen Ausgleich zu China darstellen.
Dazu gehört auch, in Pakistan auf breiter gesellschaftlicher Front für eine
realistischere Wahrnehmung von äußeren Bedrohungen zu werben. Die (ver-
meintliche) indische Bedrohung bestimmt nicht nur die Politik des Landes,
diese Sicht ist auch tief in der pakistanischen Gesellschaft verankert. Daher
sind vertrauensbildende Maßnahmen mit Indien von besonderer Relevanz. Hier
sollte insbesondere Großbritannien durch die Europäische Union dazu bewegt
werden, seine guten Beziehungen zu beiden Ländern im Sinne des „ehrlichen
Maklers“ einzusetzen. Zum anderen muss es darum gehen, Pakistan beim Auf-
bau und bei der Konsolidierung ziviler und demokratischer Strukturen zu unter-
stützen und damit die Reduzierung von Macht und Einfluss der Armee zu
Gunsten gewählter Institutionen zu befördern.

2. Pakistans demokratische Kräfte und Zivilgesellschaft stärken

Das Engagement für Demokratie und Menschenrechte, insbesondere die
Durchsetzung von Frauenrechten, ist für die Zusammenarbeit mit Pakistan von
herausragender Bedeutung. Pakistan verfügt über eine differenzierte, aktive
und starke Zivilgesellschaft, die sich mit den Problemen im eigenen Land, aber
auch mit Fragen der internationalen Friedenspolitik befasst. Auch das Parla-
ment hat an Gewicht und Einfluss gewonnen, wobei sich noch zeigen muss, ob
und wie sich die Volksvertreter und der Präsident gegenüber dem übermächti-
gen Militär behaupten können. Durch eine Stärkung dieser zentralen, aber auch
der dezentralen demokratischen Strukturen sowie eine aktive Zivilgesellschaft
kann der Einfluss des Militärs auf Politik und Gesellschaft zurückgedrängt wer-
den.

Insbesondere Frauen setzen sich verstärkt für Veränderungen ein. Die Band-

breite an gesellschaftlichen Rollen, die Frauen in Pakistan einnehmen, könnte
kaum größer sein. Während in entlegenen Gebieten Frauen zum Teil schreck-

Drucksache 17/11033 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

lichste Erniedrigungen erleiden müssen, finden sie sich in urbanen Zentren in
allen gesellschaftlichen und politischen Positionen. Als besonders aktive
Frauen haben sich alle weiblichen Abgeordneten im pakistanischen Parlament
in einer Interessensgemeinschaft, dem Women’s Parliamentary Caucus (WPC)
zusammengeschlossen und erste Kontakte zu ihren Kolleginnen in Afghanistan
aufgenommen, um über die Möglichkeiten einer politischen Lösung zu spre-
chen. Die besondere Stärke des WPC ist seine Unabhängigkeit und so hat er be-
reits mehrere Geber abgewiesen. Diese Arbeit gilt es zu unterstützen, ohne die
Unabhängigkeit des WPC zu gefährden. Hierzu sind vor allem die politischen
Stiftungen geeignet. Darüber hinaus können Kontakte auf der parlamentari-
schen Ebene, auch mit deutschen und europäischen Parlamentarierinnen und
Parlamentariern zu einer Stärkung des WPC beitragen.

3. Entwicklungszusammenarbeit mit Pakistan intensivieren und verbessern

Die deutsch-pakistanische Entwicklungszusammenarbeit (EZ) blickt auf eine
50-jährige Geschichte zurück. Die Aktivitäten der deutschen EZ konzentrieren
sich auf die nördlichen Provinzen, wie Khyber-Pakhtunkhwa und die Stammes-
gebiete unter Bundesverwaltung FATA. Schwerpunktsektoren sind bisher Bil-
dung, Good Governance, Energie und Gesundheit. Infolge dieser lang anhalten-
den Zusammenarbeit konnte Vertrauen und Expertise aufgebaut werden, vor al-
lem auch in den grenznahen Gebieten. Deutschland und Europa brauchen in der
Entwicklungszusammenarbeit mit Pakistan weiterhin strategische Geduld und
klare gemeinsame Ziele, um im Rahmen der demokratischen Entwicklung Un-
terstützung anzubieten und langfristig nachhaltige Anreize zu setzen.

In Anbetracht der langen und engen Partnerschaft von Pakistan und Deutsch-
land, der Größe Pakistans sowie der entwicklungs- und geopolitischen Heraus-
forderungen, die mit dem Land und der Region verbunden sind, ist die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit mit Pakistan in bisheriger Höhe von zuletzt etwa
270 Mio. Euro für die Jahre 2010/2012 und der Mittel von 20 Mio. Euro für
Flüchtlingshilfe plus weiterer Zusagen in Höhe von 15,7 Mio. Euro aus den
Regierungskonsultationen vom Mai 2012 perspektivisch nicht ausreichend.

Bildung bleibt für Pakistan ein entscheidender Entwicklungsschwerpunkt, denn
laut Unicef hat die Atommacht Pakistan die höchste Analphabetenrate der
Welt. Nach den letzten Regierungskonsultationen wird das langjährige deut-
sche Engagement im Bildungssektor bis 2015 auslaufen; die Übergabe an die
pakistanischen Träger und die britische Entwicklungszusammenarbeit soll die
bisher erzielten Erfolge nachhaltig absichern. Im Rahmen der Neuausrichtung
im Governancebereich sollen hier Bildungsplanung, Fortbildungssysteme und
Vereinheitlichung der Berufsbildung und der Arbeitsmarktinformation gestärkt
bzw. aufgebaut werden.

Die Sicherheitssituation in den Grenzregionen zu Afghanistan mit Militärein-
sätzen auf beiden Seiten, die noch nicht stabilisierte Aufnahme und Integration
afghanischer Flüchtlinge in Pakistan, erschweren und verhindern derzeit grenz-
überschreitende gemeinsame Projekte zur Armutsbekämpfung. Deshalb ist ins-
besondere zu prüfen, ob und wie Deutschland nach seinem Rückzug aus Afgha-
nistan gemeinsame afghanisch/pakistanische Projekte anregen und auch finan-
ziell unterstützen kann.

Ausbaufähig ist vor allem das seit 40 Jahren bestehende deutsche Engagement
im Bereich Energieversorgung. Hier gibt es großes Potenzial in Pakistan, so-
wohl beim Bedarf als auch bei der Absorptionsfähigkeit, das genutzt werden
muss. Neben der dringend notwendigen Einführung eines wirksamen und mit-
telfristig Kosten deckenden Abrechnungs- und Zahlungssystems für den Ver-
brauch von elektrischer Energie kann Deutschland weiterhin im Bereich einer
möglichst breiten Ausstattung von Dörfern mit dezentralen erneuerbaren Ener-

gien seinen Beitrag leisten.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11033

Wichtig für die Stärkung der Demokratie in Pakistan sind zum einen die Stär-
kung des Rechtsstaats sowie ernsthafte Korruptionsbekämpfung. Zum anderen
ist zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben ein parlamentarisch kontrollierter Haus-
halt, der durch Steuern finanziert wird, unabdingbar. Infolge des unter dem
18. Amendment zur Verfassung eingeleiteten Dezentralisierungsprozesses wer-
den zum Aufbau dezentraler Governancestrukturen dringend Geld und Kompe-
tenzen benötigt. Bisher sieht es nicht so aus, als ob die pakistanische Regierung
die ambitionierten Ziele auch nur annäherungsweise umsetzen könnte. Die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat mit den staatlichen Durchführungs-
organisationen und den politischen Stiftungen in den Bereichen Demokratie,
Stärkung parlamentarischer und zivilgesellschaftlicher Strukturen und öffentli-
che Verwaltung Kompetenzen, die verstärkt angeboten und eingesetzt werden
sollten. Dies ist insbesondere für die bisher teilweise ohne geltendes Recht un-
ter Zentralverwaltung lebenden Menschen in den Stammesgebieten FATA
wichtig.

Es wird Zeit, die Beziehungen zu Pakistan auf eine neue Basis zu stellen: Pakis-
tan als bedeutsamen und eigenständigen Akteur ernst zu nehmen, die Regie-
rung dazu aufzufordern, ihrer Verantwortung für eine stabile Region und eine
politische Lösung in Afghanistan nachzukommen, die Zivilgesellschaft und die
demokratischen Strukturen zu stärken und für eine nachhaltige, klimaschüt-
zende und Katastrophen vorbeugende Zusammenarbeit auf Augenhöhe einzu-
treten.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

gemeinsam mit den EU-Partnern eine ressortübergreifende und kohärente Ge-
samtstrategie für Pakistan zu entwickeln und dabei

(I) im Sinne einer aktiven Einbindungsdiplomatie

1. Pakistan auf der außenpolitischen Agenda eine höhere Priorität einzuräumen
und die diplomatischen Aktivitäten gegenüber Pakistan zu intensivieren;

2. Pakistan aufzufordern und dabei zu unterstützen, dass es seiner regionalen
Verantwortung gerecht wird und klarzustellen, dass Pakistan als Partner für
eine politische Lösung erwünscht ist und gebraucht wird;

3. auf Ebene der EU darauf hinzuwirken, eine Brückenfunktion in der Vertrau-
ensbildung zwischen den USA und Pakistan einzunehmen und beide Partner
zu ermahnen und dabei zu unterstützen, das gegenseitige Misstrauen durch
konkrete Veränderungen im Vorgehen abzubauen;

4. Pakistan aktiv in die Suche, Ausarbeitung und Verhandlung einer politischen
Lösung in Afghanistan einzubinden und dafür bei den westlichen Partnern,
insbesondere bei den USA, zu werben;

5. auf den Istanbul-Prozess aufbauend sich dafür einzusetzen, dass Pakistan
zusammen mit seinen Nachbarstaaten in einen Regionalmechanismus einge-
bunden wird, der sowohl gegenseitiges politisches Vertrauen begünstigt als
auch die wirtschaftlichen Beziehungen der Länder untereinander erleichtert
und fördert;

6. die humanitäre Hilfe, Katastrophenvorsorge und Anpassung an den Klima-
wandel für Pakistan angesichts der starken Betroffenheit vom Klimawandel
zu verstärken und international auf eine Einhaltung der gemachten Verspre-
chen hinzuwirken;

7. die Lieferung von Kriegsgerät in die Spannungsgebiete Pakistan und Indien
zu unterlassen und von Pakistan die Reduzierung des Militärhaushaltes ein-

zufordern mit dem Ziel, insbesondere die gegen Indien gerichteten Einheiten
abzubauen und dafür Anreize über das Handelspräferenzsystem der EU
(GSP+) zu schaffen;

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8. Pakistan und Indien in ihrem 2011 begonnenen Dialog zu vertrauensbil-
denden Maßnahmen im Nuklearbereich zu unterstützen, zu einer effektiven
Abrüstung zu bewegen und dabei auch die Gelegenheit nutzen, dass neben
Deutschland auch Pakistan und Indien im Jahr 2012 als nichtständige Mit-
glieder im VN-Sicherheitsrat vertreten sind;

9. Pakistan darauf zu drängen, seine Blockade gegen Verhandlungen über
einen Vertrag zum Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Nuklear-
waffen (FMCT) aufzugeben;

10. bei Pakistan und Indien mit Nachdruck für einen Beitritt zum Atomwaffen-
sperrvertrag (NVV) zu werben;

11. bei Pakistan und Indien darauf zu drängen, den umfassenden Kernwaffen-
teststoppvertrag (CTBT) zu unterzeichnen und zu ratifizieren, Pakistan und
Indien von Proliferationsaktivitäten abzuhalten und die Mitgliedschaft
Deutschlands in der Nuclear Supplier Group (NSG) in diesem Sinne zu
nutzen;

12. gegenüber Indien und Pakistan verstärkt diplomatisch aktiv zu werden, um
den Annäherungsprozess zu befördern und dabei sowohl auf verbesserte
Handelsbeziehungen untereinander hinzuwirken als auch, wie vom Vorsit-
zenden des Auswärtigen Ausschusses des pakistanischen Parlaments ange-
regt, auf Erfahrungen aus dem deutsch-französischen Versöhnungsprozess
zurückzugreifen;

13. Indien und Pakistan aufzufordern, in einen institutionalisierten bi- bzw. tri-
lateralen Dialog über und mit Afghanistan einzutreten, um insbesondere
mit Blick auf Afghanistan Vertrauen zu schaffen, wobei die effektive Um-
setzung der bestehenden und entstehenden Handelsabkommens im Vorder-
grund stehen sollte;

14. von den USA den Respekt der pakistanischen Souveränität, ein Ende der
völkerrechtswidrigen Drohnenangriffe und nächtlichen Überfälle im Rah-
men von „capture or kill“-Aktionen zu fordern und militärische Drohungen
gegenüber Pakistan zu kritisieren;

(II) im Sinne einer Stärkung der demokratischen Kräfte und der Zivilgesell-
schaft Pakistans

15. zur sichtbaren Unterstützung der demokratischen Transformation bei offi-
ziellen Besuchen und der hochrangigen Kontaktpflege durch deutsche Poli-
tikerinnen und Politiker den Schwerpunkt auf Gesprächspartnerinnen und
Gesprächspartner der zivilen Regierung und der demokratischen Institutio-
nen zu legen und die Kontakte zum pakistanischen Militär verstärkt dafür
zu nutzen, die Vorstellung einer demokratisch legitimierten und kontrollier-
ten Armee zu vertreten;

16. stärker als bisher die demokratischen, zivilen und zivilgesellschaftlichen
Kräfte auch dezentral zu fördern und zu unterstützen, u. a. durch den Zu-
spruch der politischen Legitimität;

17. Pakistan vehement aufzufordern und mit geeigneten Maßnahmen zu unter-
stützen, Frauenrechte effektiv umzusetzen und weitere Schritte zur Verbes-
serung der Geschlechtergerechtigkeit zu unternehmen;

18. den Women’s Parliamentary Caucus gezielt zu unterstützen und dabei
gleichzeitig dessen Unabhängigkeit zu garantieren. Hierfür sollten vor al-
lem die politischen Stiftungen in ihrer Arbeit gestärkt sowie der Austausch
mit deutschen und europäischen Parlamentarierinnen hergestellt und inten-

siviert werden;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/11033

19. die im Women’s Parliamentary Caucus organisierten Parlamentarierinnen
bei ihren Bestrebungen zu unterstützen, zusammen mit Parlamentarierin-
nen und Vertreterinnen des Hohen Friedensrates aus Afghanistan eine poli-
tische Lösung für die grenzüberschreitenden Konflikte und Probleme zu
suchen und zu erarbeiten;

20. Minderheiten und demokratische Kräfte in Pakistan insbesondere gegen
Angriffe von Seiten radikalislamischen Gruppen zu unterstützen und bei
den politisch Verantwortlichen auf Reformen insbesondere des Blasphe-
mie-Gesetzes und auf ein Ende der Straflosigkeit zu drängen;

21. sich dafür einzusetzen, dass die pakistanische Regierung ihre Vorbehalte
gegen Bestimmungen des internationalen Pakts über wirtschaftliche, so-
ziale und kulturelle Rechte zurückzieht und die pakistanische Regierung
bei der Umsetzung dieses Pakts zu unterstützen;

22. die pakistanische Regierung nachdrücklich zu ermutigen, Journalistinnen
und Journalisten sowie Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschen-
rechtsverteidiger zu schützen;

(III) im Sinne einer besseren und intensiveren Entwicklungszusammenarbeit
mit Pakistan

23. die deutschen Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit mit Pakistan zu
verstetigen und perspektivisch zu erhöhen und den Ausschuss für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages
über Implementierung und Monitoring der bi- und multilateral vereinbarten
Unterstützungsmaßnahmen regelmäßig zu unterrichten, hierbei auch die
Berichte von Organisationen und Personen, die wie das „Independent
Project Reporting“ Zugang in sicherheitsgefährdete Gebiete haben, hinzu-
zuziehen;

24. gemeinsame afghanisch/pakistanische Projekte der Entwicklungszusam-
menarbeit weiterhin anzuregen und unter Berücksichtigung der Sicher-
heitslage zu sondieren, deren Planung und Umsetzung zu unterstützen und
zu fördern;

25. den Aufbau dezentraler Governancestrukturen entsprechend den Regie-
rungsverhandlungen auszubauen und hierbei die Schwerpunkte Rechts-
staatlichkeit, Aufbau eines wirksamen parlamentarisch kontrollierten
Steuer- und Haushaltssystems, Korruptionsbekämpfung, Frauenförderung
und Bildungsinfrastrukturen sowie Arbeits- und Handelsinfrastrukturen für
kleine und mittlere Unternehmen einschließlich ihrer Finanzierungsmög-
lichkeiten über Mikrofinanzinstitutionen als Voraussetzung für Entwick-
lung vorrangig zu berücksichtigen und zu stärken;

26. die Zusammenarbeit im Bereich Energie und hier vor allem die möglichst
breite Ausstattung von Dörfern mit dezentralen erneuerbaren Energien aus-
zubauen;

27. Pakistan bei der Einführung eines wirksamen, mittelfristig kostendecken-
den Abrechnungs- und Zahlungssystems für den Verbrauch von elektri-
scher Energie zu unterstützen und so der staatlichen Subvention und Kor-
ruption in diesem Sektor Einhalt zu gebieten;

28. bis 2015 entsprechend den Regierungsverhandlungen über die Schwer-
punkte der Zusammenarbeit die Übergabe der Bildungsprojekte mit dem
Schwerpunkt Mädchenbildung an die neu geschaffenen oder neu zu schaf-
fenden dezentralen Verwaltungen und die neuen britischen Partner sowohl
inhaltlich und organisatorisch als auch finanziell zu gewährleisten, insbe-

sondere in den nördlichen Provinzen und den Stammesgebieten;

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29. die spätestens ab 2015 frei werdenden Mittel aus Projekten der Grundbil-
dung zusätzlich zu den Haushaltsmitteln für den vereinbarten Auf- und
Ausbau von Governancestrukturen der Bildungsplanung, Lehrerfortbil-
dungssysteme und Vereinheitlichung der Berufsbildung und der Arbeits-
marktinformation einzusetzen;

30. den dezentralen Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen auch für repro-
duktive Gesundheit im Rahmen des Governanceschwerpunktes vor allem
in ländlichen Gebieten und in Gebieten mit hoher Gefährdung weiterhin zu
fördern und über Infrastruktur- und Verwaltungsmaßnahmen zu verbes-
sern;

31. die deutsche EZ mit den europäischen Partnern und gemeinsam mit Pakis-
tan konsequent abzustimmen und zu koordinieren und gemeinsam gegebe-
nenfalls die Zusammenarbeit in einzelnen Sektoren zugunsten anderer zu
verringern;

32. Pakistan bei der Ansiedlung und Integration von Flüchtlingen im Grenzge-
biet zu begleiten, gleichzeitig die Arbeit der Regierung, der betroffenen
Provinzen wie zivilgesellschaftlicher Organisationen bei der Konfliktbe-
wältigung und Terrorbekämpfung zu unterstützen und dafür die innovati-
ven Ansätze zur friedlichen Bewältigung der Folgen von Terrorismus und
Talibanherrschaft wie das Deradikalisierungsprogramm im Swattal der
Provinz Khyber Pakhtunkhwa zu nutzen sowie den Aufbau demokratischer
Selbstverwaltung in den Stammesgebieten FATA zu fördern.

Berlin, den 17. Oktober 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Nicht nur für eine Beendigung des Krieges in Afghanistan und eine politische
Lösung ist Pakistan ein Schlüsselland. Dabei tritt das Land als diffuser Multi-
player auf, der viel Störpotenzial besitzt und gleichzeitig hohes Eigeninteresse
an einer stabilen Region und einem stabilen Nachbarland Afghanistan hat. Auf
der einen Seite steht der Vorwurf, Pakistan ginge bei der Bekämpfung von Auf-
ständischen im eigenen Land selektiv vor und verschone bzw. unterstütze
Gruppen, die in Afghanistan operieren. Auf der anderen Seite sind die Befürch-
tungen in Pakistan groß, dass die internationale Gemeinschaft nach einem Ab-
zug im Jahr 2014 analog zu 1989 einen Scherbenhaufen hinterlassen könnte.
Grenzüberschreitender Terrorismus, Flüchtlingsströme, paschtunisch-separatis-
tische Tendenzen und wirtschaftliche Einbußen werden befürchtet. Mit Sorge
sieht man in Pakistan den stetigen Aufwuchs der afghanischen Armee und der
Sicherheitskräfte auf geplante 350 000 Männer und Frauen. Die direkten und
indirekten Verbindungen zwischen Pakistan und Afghanistan machen deutlich,
dass ein politischer Prozess zur Lösung des Afghanistan-Konfliktes auch einen
Pakistan-Prozess beinhalten muss. Bei der für nachhaltige Stabilität notwendi-
gen regionalen Einbettung einer politischen Lösung in Afghanistan kommt Pa-
kistan die größte Bedeutung zu.

Pakistans Verhältnis zu Indien ist hoch problematisch. Der Grenzkonflikt um
das Kaschmirtal bleibt ein Pulverfass und der pakistanisch-indische Konflikt

schwelt trotz des 2004 vereinbarten Dialogprozesses weiter. Die Terroran-
schläge von Mumbai 2008 haben das Verhältnis schwer belastet. Obwohl beide

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/11033

Seiten den Annäherungsprozess für alternativlos halten, zeigen sie sich kaum
zu Zugeständnissen bereit, auch wenn die jüngsten Meldungen über bevorzugte
Handelsbeziehungen wieder einen Hoffnungsschimmer bedeuten. Ob der im
Zusammenhang mit den regionalen Stabilisierungsbemühungen für Afghanis-
tan angestoßene Istanbul-Prozess eine Annäherung befördern kann, ist noch un-
klar. Denn Indien und Pakistan beschuldigen sich gegenseitig, in Afghanistan
um die Vorherrschaft zu kämpfen. Beide Länder stehen sich zudem in einem
gefährlichen nuklearen Patt gegenüber und weigern sich, internationalen Ab-
rüstungsgremien beizutreten. Damit wird auch eine Vertrauensbildung zwi-
schen Indien und Pakistan behindert.

Pakistan fällt mit rund 180 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern größ-
tenteils muslimischen Glaubens eine zentrale Rolle für die politische und so-
ziale Entwicklung der islamisch geprägten Länder und Gesellschaften zu. Doch
angesichts der Fragilität, schwacher nationalstaatlicher Identität und mangeln-
der staatlicher Kapazitäten sind die Probleme vorgezeichnet. Anlass zur Sorge
bieten vor allem der dominante Militärapparat und ein Geheimdienst, dem enge
Verstrickungen mit Terroranschlägen nachgesagt werden. Die staatlichen Aus-
gaben für den Militär- und Sicherheitsapparat belasten den Haushalt nach An-
gaben des Center for Security Studies mit 23 Prozent, was je nach Jahr einen
Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 3 bis 5 Prozent ausmacht. Laut dem jüngs-
ten Rüstungsexportbericht der Bundesregierung liegt Pakistan auf Platz 12 der
Abnehmerländer deutscher Kriegsgüter, Indien auf Platz 11. Damit trägt
Deutschland erheblich zum Rüstungswettlauf zwischen den beiden Nationen
bei. Pakistanische Armeeangehörige genießen weitreichende Privilegien und
sind auch in wirtschaftlichen Bereichen tief verankert. Rawalpindi, der Sitz der
pakistanischen Armee, wird von den meisten Beobachtern und Akteuren als
eigentliches Machtzentrum betrachtet. Entsprechend nachrangig behandelt
wird die zivile Politik, wodurch ihr Legitimität entzogen wird.

Auf der anderen Seite konnte sich die Demokratie seit dem Ende der Militär-
herrschaft von General Musharraf im Jahre 2008 in kleinen Schritten – trotz
mehrfacher Regierungskrisen und Koalitionswechsel – stabilisieren. Im April
2010 wurde mit dem 18. Amendment eine umfassende Verfassungsreform ein-
geleitet, die mit einer Stärkung der Provinzen und einer Schwächung der Zen-
tralregierung, einer Rückgabe zahlreicher Exekutivvollmachten des Präsiden-
ten einen wichtigen Schritt zur Konsolidierung der demokratischen Strukturen
bedeutet. Zahlreiche Urteile des Obersten Gerichtshofes gegen die Interessen
des Präsidenten (insbesondere die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des
von Musharraf 2007 verhängten Ausnahmezustandes sowie die Annullierung
des Amnestie-Gesetzes) ermöglichen die Bekämpfung von Korruption. 2010
hat Pakistan den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte
sowie die VN-Konvention gegen Folter ratifiziert. Seit 2008 gibt es ein inoffizi-
elles Moratorium gegen die Todesstrafe. Zum Schutz und zur Gleichberechti-
gung von Frauen sind in den letzten Jahren wichtige Schritte unternommen
worden. Der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz wird – vorbehaltlich
der ausstehenden Zustimmung durch den Senat – durch ein Gesetz zum Schutz
von Frauen sowie durch ein Gesetz zum Schutz gegen häusliche Gewalt und
zum Schutz gegen Belästigung am Arbeitsplatz ergänzt. Meinungs- und Presse-
freiheit sind von Seiten der Politik weitgehend gegeben. Es hat sich eine breite
und vielschichtige Medienlandschaft entwickelt. Einschränkungen gehen aller-
dings von Extremisten und dem Militärapparat aus. Erste Reformen in den
Federally Administered Tribal Areas haben dort Ansätze von Rechtsstaatlich-
keit geschaffen.

In der Praxis bleibt die Menschenrechtslage in Pakistan allerdings weiterhin
problematisch. Insbesondere die Lage religiöser Minderheiten ist besorgnis-

erregend. Schiiten, Ahmadis, Christen und andere werden quasi willkürlich un-
ter Berufung auf das Blasphemie-Gesetz verfolgt. Die massive Mobilisierung

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religiöser Kräfte hat verhindert, dass die Regierung das Gesetz reformiert.
Hochrangige Politiker, u.a. der Minister für Minderheiten Shabaz Bhatti, wur-
den im Zuge der Debatte von Extremisten ermordet. Auch die Situation für
Frauen bleibt äußerst schwierig und bedrohlich. Laut der pakistanischen Men-
schenrechtskommission wurden 2010 rund 800 Ehrenmorde an Frauen began-
gen. Dies alles ist Ausdruck einer besorgniserregenden schleichenden Radikali-
sierung weiter Teile der Gesellschaft. Gleichzeitig gibt es in Pakistan auch in-
novative Ansätze zur friedlichen Bewältigung der Folgen von Terrorismus und
Talibanherrschaft, wie das Deradikalisierungsprogramm im Swattal der Pro-
vinz Khyber Pakhtunkhwa zeigt.

Verstärkt werden die beschriebenen Radikalisierungstendenzen durch die an-
haltenden Entwicklungsprobleme in Pakistan. Im aktuellen Index der mensch-
lichen Entwicklung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen
(UNDP) für 2011 belegt Pakistan den 145. Rang von 187 erfassten Ländern
und wird in die niedrigste Kategorie eingestuft. Eine bürgerliche Mittelschicht
ist in der Fläche des Landes quasi nicht existent. Die Bundesregierung kritisiert
die mangelende Entwicklungsorientierung des Landes, dessen Entwicklungs-
etat in der Vergangenheit etwa auch dazu verwendet wurde, um den Verteidi-
gungsetat auszugleichen. Ein Grundproblem Pakistans besteht in der mangel-
haften Energieversorgung. Weder Energiegewinnung noch -effizienz entspre-
chen den Anforderungen des Bedarfs. Eine nachhaltige und effiziente Energie-
gewinnung gehört zu den zentralen ökonomischen und ökologischen
Herausforderungen der nahen Zukunft. In den letzten 15 Jahren ist der Ver-
brauch fossiler Brennstoffe um 80 Prozent gestiegen. Zwar konnte die Energie-
effizienz in den vergangenen Jahren ohne nennenswerte Investitionen auch
durch deutsche Unterstützung deutlich gesteigert werden, das Potenzial ist aber
bei Weitem nicht ausgeschöpft.

Ein weiteres strukturelles Problem für das pakistanische Gemeinwesen ist das
Steuersystem. Das Verhältnis zwischen Bruttoinlandsprodukt und Steuerauf-
kommen ist in kaum einem anderen Land ähnlich ungünstig. Die Steuerquote
beträgt lediglich rund 9 Prozent. Vermögende bezahlen so gut wie keine Steu-
ern. Eine 2010 auf den Weg gebrachte Steuerreform wird bisher verschleppt.

Pakistan war nach dem Globalen Klima-Risiko-Index von German Watch das
am schlimmsten vom Klimawandel betroffene Land im Jahr 2010. Die Über-
schwemmungen im Juli und August 2010 haben mehr als 14 Millionen Men-
schen betroffen, bis zu 20 Prozent der Fläche des Landes standen unter Wasser.
Auch 2011 führten heftige Regenfälle wieder zu schweren Überflutungen im
Südosten mit rund 5 Millionen Betroffenen. Gleichzeitig werden weite Teile
des Landes von einer nie dagewesenen Dengueepidemie heimgesucht. Die
Schäden häufen sich und weder Katastrophenmanagement noch Vorbeugungs-
maßnahmen sind zufriedenstellend. Die Regierung kam durch Öffentlichkeit
und Medien massiv unter Druck. Ebenso wenig zufriedenstellend wie die Reak-
tionen auf die Flutkatastrophe ist der Umgang mit Flüchtlingen im Land, seien
es Binnenflüchtlinge oder afghanische Flüchtlinge.

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