BT-Drucksache 17/11010

Beitragssätze nachhaltig stabilisieren, Erwerbsminderungsrente verbessern, Reha-Budget angemessen ausgestalten

Vom 17. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11010
17. Wahlperiode 17. 10. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus
Kurth, Katrin Göring-Eckardt, Sven-Christian Kindler, Oliver Krischer, Brigitte
Pothmer, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Gerhard Schick, Dr. Harald Terpe, Beate
Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Beitragssätze nachhaltig stabilisieren, Erwerbsminderungsrente verbessern,
Reha-Budget angemessen ausgestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung hat beschlossen, zum 1. Januar 2013 den Beitragssatz zur
gesetzlichen Rentenversicherung von 19,6 auf 19 Prozent abzusenken. Nach den
Prognosen aus dem Rentenversicherungsbericht 2011 würden die Beiträge im
Jahr 2019 wieder auf 19,9 Prozent steigen (mittlere Lohn- und mittlere Beschäf-
tigungsvariante). Bedingt durch die demografischen Veränderungen ist auch
langfristig mit weiter steigenden Beiträgen zu rechnen. Für diesen absehbaren
Beitragsanstieg sollte schon heute Vorsorge getroffen werden, um die Auswir-
kungen für die Wirtschaft und auch für die Beitragszahlerinnen und Beitragszah-
ler abzufedern. Zudem schafft eine konstante Entwicklung der Rentenbeiträge
mehr Planungssicherheit. Das ist gerade angesichts des derzeit schwierigen kon-
junkturellen Umfeldes und den ungewissen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
von großer Bedeutung. Gleichzeitig steht die Rente auch auf der Leistungsseite
vor großen Herausforderungen. Bei den beitragsfinanzierten Leistungen sind
vor allem Verbesserungen bei Erwerbsminderung und Rehabilitation notwendig.
Vor diesem Hintergrund ist eine Rentenbeitragssenkung zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nicht sinnvoll.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ihren Gesetzentwurf zur Absenkung der Rentenbeiträge zurückzuziehen und
statt dessen einen Gesetzentwurf vorzulegen, der folgende Punkte enthält:

1. Der Anpassungsmechanismus der Rentenbeiträge im § 158 des Sechsten
Buches Sozialgesetzbuch wird so verändert, dass die Rentenversicherungs-
beiträge in den nächsten Jahren konstant bleiben und statt dessen eine höhere
Nachhaltigkeitsrücklage gebildet werden kann.

2. Die entstehenden finanziellen Spielräume werden dazu verwendet, den Ren-

tenbeitragssatz auch über 2020 hinaus und möglichst dauerhaft konstant un-
ter 20 Prozent zu halten sowie neue Erwerbsminderungsrenten ab 2013 zu
verbessern und das Reha-Budget der gesetzlichen Rentenversicherung be-
darfsgerecht auszugestalten.

Berlin, den 17. Oktober 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Drucksache 17/11010 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Begründung
Die aktuell gute Kassenlage der gesetzlichen Rentenversicherung darf nicht dar-
über hinwegtäuschen, dass mit dem demografischen Wandel große Herausfor-
derungen sowohl auf die Einnahmenseite als auch auf die Leistungsseite der
gesetzlichen Rentenversicherung zukommen. Auf lange Sicht ist derzeit ein Bei-
tragssatz von knapp 22 Prozent im Jahr 2030 prognostiziert. Der absehbare Bei-
tragsanstieg bedeutet eine hohe Belastung für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer und auch für die Arbeitgeber, und hier vor allem die kleinen und mitt-
leren Unternehmen. Trotz dieses Szenarios hat die Bundesregierung bis heute
kein überzeugendes Konzept zur langfristigen Beitragssatzstabilisierung vorge-
legt. Mehr noch: Statt langfristige Vorsorge zu treffen, hat die Bundesregierung
in den letzten Jahren wiederholt den Bundeshaushalt zu Lasten der Beitragszah-
lenden saniert oder Aufgaben in die Sozialversicherungen verschoben, was von
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN immer kritisiert wurde, denn die Bei-
tragszahlenden wurden belastet und Arbeit verteuert. Das Versprechen der Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP von „Mehr netto vom Brutto“ wurde durch diese
Politik ad absurdum geführt. So hat die Bundesregierung 2008 und 2009 den
„Riester-Faktor“ außer Kraft gesetzt. Die Rentenausgaben liegen deshalb um
6 Mrd. Euro höher. Zudem wurden die Rentenbeiträge für Langzeitarbeitslose ge-
strichen, was jährliche Mindereinnahmen der Rentenversicherung von 3,5 Mrd.
Euro verursacht. Der allgemeine Bundeszuschuss wird im Jahr 2013 um rund
1 Mrd. Euro und in den Jahren 2014 bis 2016 um jeweils 1,25 Mrd. Euro gekürzt.
Diese Lücken müssen nun von den Beitragszahlenden aufgefüllt werden.

Es ist deshalb an der Zeit, Maßnahmen zu ergreifen, um den Rentenversiche-
rungsbeitrag langfristig zu stabilisieren und gleichzeitig flexiblere Übergänge in
die Rente für diejenigen zu schaffen, die nicht so lange arbeiten können. Seit
2000 sinken die durchschnittlichen Renten für Erwerbsminderungsrentnerinnen
und -rentner Jahr für Jahr. Eine Ursache dafür sind die 2001 eingeführten Ab-
schläge auch bei Erwerbsminderungsrenten. Diese stoßen bei den Betroffenen
auf völliges Unverständnis. Sie wurden im Wesentlichen damit begründet, Aus-
weichreaktionen von abschlagsbehafteten, vorzeitigen Altersrenten hin zu ab-
schlagsfreien Erwerbsminderungsrenten zu verhindern. Die Realität der letzten
elf Jahre bestätigt diese Befürchtungen überwiegend nicht. Heute kann man eine
Erwerbsminderungsrente aber auch dann erhalten, wenn man gesundheitlich
noch in der Lage ist, zu arbeiten, aber aufgrund seiner gesundheitlichen Ein-
schränkungen keinen Arbeitsplatz findet. Der Gesetzgeber sollte auf die Ab-
schläge verzichten, wenn der Zugang zu den Erwerbsminderungsrenten allein
aufgrund medizinischer Diagnose und Prüfung möglich wäre und das Verfahren
zur Begutachtung verbessert würde. Die Kosten der Abschaffung der Abschläge
wurden für den Rentenzugang 2007 mit 0,16 Mrd. Euro geschätzt.

Zudem muss der Grundsatz „Reha vor Rente“ endlich umfassend umgesetzt
werden. Der Bedarf an Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe ist in den
letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, verlängerte Lebensarbeitszeit und de-
mografischer Wandel werden weiterhin zu einer wachsenden Zahl berechtigter
Anträge auf diese Leistungen beitragen. Das Budget der gesetzlichen Renten-
versicherung für diese Leistungen ist begrenzt und in seiner gegenwärtigen
Form zur Deckung des veränderten Bedarfs nicht geeignet. Über eine Steigerung
der Wirtschaftlichkeit in der Leistungserbringung allein kann die Finanzierungs-
lücke nicht ausgeglichen werden, das Reha-Budget muss bedarfsgerecht ausge-
weitet werden. Die von der Bundesregierung vorgesehene Anpassung wird ab-
sehbar nicht ausreichen. Stehen nicht ausreichend Mittel zur Rehabilitation zur
Verfügung, wird die Zahl der Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner ab-
sehbar steigen. Nur eine bedarfsgerechte Finanzierung des Reha-Budgets der
gesetzlichen Rentenversicherung ist geeignet, Teilhabe am Arbeitsleben nach-

haltig zu sichern.

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