BT-Drucksache 17/10950

Montenegro auf dem Weg in die Europäische Union

Vom 9. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10950
17. Wahlperiode 09. 10. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Manuel Sarrazin, Volker Beck (Köln),
Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour,
Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Dr. Frithjof Schmidt und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Montenegro auf dem Weg in die Europäische Union

Ende Juni 2012 haben die Regierungschefs der Mitgliedsländer der Europä-
ischen Union (EU) grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
mit Montenegro gegeben. Nach Slowenien, das bereits seit 2004 EU-Mitglied
ist, und Kroatien, dessen Beitritt für den 1. Juli 2013 beschlossen wurde, ist
Montenegro damit das dritte früher zu Jugoslawien gehörende Land, mit dem
Beitrittsverhandlungen geführt werden.

Der Beitritt dieser Länder (sowie Albaniens) – und damit auch Montenegros –
zur EU ist ausgesprochen bedeutsam für die Zukunft Europas. Denn die Region
liegt im Herzen des Kontinents. Ohne ihren Beitritt bliebe die EU als historische
Errungenschaft unvollendet. Zudem soll die Heranführung der Region an die
EU-Standards die Transformation der Nachkriegsgesellschaften unterstützen.
Die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Montenegro ist daher ein rich-
tiger und wichtiger Schritt auf dem Weg zur europäischen Integration der Länder
des westlichen Balkans. Deren Gelingen muss für alle am Beitrittsprozess Be-
teiligten höchste Priorität haben.

Von großer Bedeutung ist daher eine umfassende Vorbereitung der Beitrittskan-
didaten auf ihre Mitgliedschaft in der EU. Die Erfahrungen der EU mit zurück-
liegenden Erweiterungen zeigen, dass ein übereiltes Vorgehen zu unbefriedigen-
den Ergebnissen führt und die Funktionsfähigkeit der EU belastet. Eine kritische
Begleitung nicht nur des montenegrinischen Beitrittsprozesses ist notwendig,
um sicherzustellen, dass Reformen tatsächlich auch umgesetzt werden und die
EU-Integration schlussendlich erfolgreich und zum Wohle der Bürgerinnen und
Bürger des Landes verläuft. Das Tempo und die Dauer der Beitrittsverhandlun-
gen werden durch die Ergebnisse der Reformen bestimmt. Eine strikte Kondi-
tionalität in allen Phasen der Verhandlungen ist die Grundlage für erfolgreiche
Beitrittsverhandlungen. Die vollständige Erfüllung der Kopenhagener Kriterien
ist auch für Montenegro Bedingung für den Beitritt zur EU.
Der aktuelle Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission (vom 12. Okto-
ber 2011), in dessen Kontext die Kommission die Aufnahme von Beitrittsver-
handlungen empfahl, betont die Fortschritte, die Montenegro in zahlreichen Fel-
dern gemacht habe. Unbestritten hat sich Montenegro bislang bemüht gezeigt,
Auflagen der EU zu erfüllen. Dennoch bestätigt nicht nur die jüngste Studie der
Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik
und Sicherheit (SWP) zu Montenegro, dass bis zum EU-Beitritt Montenegros

Drucksache 17/10950 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

noch zahlreiche Probleme angegangen und deshalb unbedingt im Zuge der Bei-
trittsverhandlungen thematisiert werden müssen.

So hat das Land seit über zwanzig Jahren keinen Regierungswechsel erlebt.
An seiner Spitze stand bis 2010 Milo –Dukanovic´ und dessen Partei DPS
(„Demokratische Partei der Sozialisten Montenegros“). Vieles spricht dafür,
dass führende Persönlichkeiten um den weiterhin als Parteichef agierenden
Milo –Dukanovic´ auch nach dessen Rücktritt vom Amt des Regierungschefs
politischen und ökonomischen Einfluss ausüben. Internationale und zivilgesell-
schaftliche Organisationen sowie die Medien berichten seit Jahren über rechts-
staatliche Defizite und erhebliche Probleme mit Korruption, Klientelismus und
organisierter Kriminalität. Gleichzeitig leben etwa 40 Prozent der knapp
650 000 Einwohnerinnen und Einwohner Montenegros an der Armutsgrenze.

Damit unter diesen Vorzeichen die Integration Montenegros in die EU gelingen
kann, muss die EU dem Land besondere Aufmerksamkeit widmen. Die Ent-
scheidung der EU, künftig die Kapitel 23 (Grundrechte und Justiz) und 24
(Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption) im Zuge der Beitritts-
verhandlungen als erste zu öffnen und als letzte zu schließen, ist ausdrücklich zu
begrüßen. Allein das bürokratische Abprüfen von Gesetzesreformen, das Setzen
von Anreizen und das Verhängen von Sanktionen durch die EU werden jedoch
nicht ausreichen, um einen gesellschaftlichen Wandel in Montenegro zu bewir-
ken. Voraussetzung für den Erfolg der Beitrittsverhandlungen ist vielmehr eine
realistische und kritische Bewertung der politischen und ökonomischen Verhält-
nisse, anstatt die Situation zu beschönigen, wie dies in den Bewertungen durch
die EU erkennbar ist. Instrumente und Verfahren der EU müssen gegebenenfalls
angepasst werden. Es gilt, die Chancen, welche der Beitrittsprozess für positive
gesellschaftliche Veränderungen bereithält, zu nutzen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hält die Bundesregierung es für hinreichend, in den Beitrittsverhandlungen
mit Montenegro die Kapitel 23 (Grundrechte und Justiz) und 24 (Kampf ge-
gen organisierte Kriminalität und Korruption) als erste zu öffnen und als
letzte zu schließen, um die erheblichen Probleme mit fehlenden rechtsstaat-
lichen Standards, Korruption, Klientelismus und organisierter Kriminalität
im Sinne einer gelingenden EU-Integration Montenegros zu bewältigen?

2. Teilt die Bundesregierung die von der Europäischen Kommission in ihrem
aktuellen Fortschrittsbericht zu Montenegro vorgenommenen Bewertungen
hinsichtlich der Fortschritte des Landes bei der Durchführung notwendiger
Reformen, und wie bewertet die Bundesregierung insbesondere die tatsäch-
liche Umsetzung rechtsstaatlicher Reformen sowie die nachhaltige Bekämp-
fung von Korruption und organisierter Kriminalität durch die zuständigen
Stellen in Montenegro?

3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Beweggründe einiger
EU-Mitgliedstaaten, sich skeptisch gegenüber der Eröffnung von Beitritts-
verhandlungen mit Montenegro zum jetzigen Zeitpunkt zu äußern?

4. Hält die Bundesregierung es für geeignet, anhand der bloßen Anzahl von par-
lamentarischen Anfragen, Anhörungen und Berichtsdiskussionen die Kon-
trollfunktion des Parlaments zu beurteilen, wie dies in den Fortschrittsberich-
ten der Europäischen Kommission unter anderem übliche Praxis ist, und falls
ja, wie begründet sie diese Ansicht?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Reformbereitschaft der montenegrini-
schen Regierung, angesichts der Tatsache, dass Angehörige der Regierungs-
koalition am 26. Juni 2012 in der Parlamentarischen Versammlung des Euro-

parats in einer konzertierten Aktion zahlreiche Änderungsanträge zum

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10950

Monitoringbericht über Montenegro mit dem Ziel einbrachten, kritische Pas-
sagen zu Verstößen gegen Medienfreiheit und Minderheitenrechte aus der
Resolution zum Monitoringbericht des Europarates zu Montenegro zu tilgen,
Forderungen nach Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz sowie nach kon-
kreten Maßnahmen zur Demokratisierung des Wahlrechts zu beseitigen und
das Monitoringverfahren vorzeitig zu beenden?

6. Teilt die Bundesregierung die von der Europäischen Kommission in ihrem
Fortschrittsbericht zu Montenegro vorgenommene Bewertung, dass die Frei-
heit der Meinungsäußerung in Montenegro insgesamt respektiert wird und
zahlreiche Fortschritte auf diesem Gebiet erzielt wurden, und wenn ja, welche
Bedeutung misst die Bundesregierung den vielen Fällen von Drohungen und
Attacken gegen Medien, Journalistinnen und Journalisten, deren mangelnder
juristischer Aufarbeitung sowie den weiterhin rechtskräftigen Verurteilungen
von Journalistinnen und Journalisten unter anderem wegen Verleumdung bei
(vgl. unter anderem Monitoringbericht des Europarates 2012)?

a) Worin liegen nach Kenntnis der Bundesregierung die Gründe dafür, dass
der Hauptschuldige am Mord an Dusko Jovanovic, Redakteur und Mit-
eigentümer der regierungskritischen Tageszeitung „Dan“, seit mehr als
acht Jahren nicht ermittelt und rechtskräftig verurteilt werden konnte, und
erachtet die Bundesregierung die Maßnahmen der montenegrinischen
Justiz zur Aufklärung des Verbrechens als ausreichend?

b) In welcher Weise waren deutsche Behörden an den Ermittlungen zum
Todesfall Dusko Jovanovic beteiligt, und in welcher Weise flossen die
Erkenntnisse der deutsche Seite in die Untersuchungen der montenegri-
nischen Behörden ein?

c) Ist nach Ansicht der Bundesregierung eine freie Berichterstattung in den
montenegrinischen Medien auch bei politisch sensiblen Themen möglich,
wenn die Beauftragte der Organisation für Sicherheit und Zusammen-
arbeit in Europa (OSZE) für Medienfreiheit, Dunja Mijatovic´, mehrere
Brandanschläge auf Firmenwagen der regierungskritischen Tageszeitung
„Vijesti“ im Juli und August 2011 als Einschüchterung von Journalistin-
nen und Journalisten wertet, welche entgegen den Interessen von mächti-
gen Personen an der Aufdeckung von Fakten arbeiten (vgl. OSZE, 29. Au-
gust 2011)?

d) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die polizeiliche und ju-
ristische Aufarbeitung der Brandanschläge?

e) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die polizeiliche und ju-
ristische Aufarbeitung des gewaltsamen Überfalls auf die Journalistin der
Tageszeitung „Vijesti“, Olivera Lakivic´, welche zuvor bedroht wurde, sie
und ihre Familie seien in Gefahr, wenn Olivera Lakivic´ ihre Berichterstat-
tung über die Tabakplantage Tara nicht einstelle (vgl. Pressemitteilung der
OSZE, 8. März 2012)?

f) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Fall des Journalisten
Petar Komnenic, welcher Anfang 2011 zur Zahlung einer Geldstrafe
wegen Verleumdung verurteilt wurde, nachdem er über die heimliche
Überwachung von Richtern durch Regierungsangehörige berichtete, und
der, nachdem er sich weigerte, diese zu zahlen, im April 2012 zu vier
Monaten Haft verurteilt wurde, obwohl die Strafbarkeit von Verleumdung
zwischenzeitlich aufgehoben worden war (vgl. Radio Free Europe/Radio
Liberty, 19. April 2012)?

g) Hat die Bundesregierung gegenüber Montenegro gegen die Inhaftierung
Petar Komnenics protestiert, und wenn nein, warum nicht?

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7. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass in staatlichem Besitz be-
findliche Zeitungen und öffentliche Rundfunkanstalten häufig einseitig zu-
gunsten der montenegrinischen Regierung und ihr nahestehenden Parteien
berichten, wie u. a. die OSZE in ihrem Wahlbeobachtungsbericht zur mon-
tenegrinischen Parlamentswahl 2009 mit Blick auf das Fernsehen kriti-
sierte?

a) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die seit 2002 trotz
eines entsprechenden Gesetzes unterlassene Privatisierung der in Staats-
besitz befindlichen Tageszeitung „Pobjeda“ (vgl. Monitoringbericht des
Europarates 2012)?

8. Welche Position hat die Bundesregierung bezüglich der Funktionsweise
und der Arbeit des für die Selbstregulierung der Medien zuständigen Gre-
miums in Montenegro?

9. Welche Empfehlungen des Büros für demokratische Institutionen und
Menschenrechte (ODIHR) der OSZE und der Venedig-Kommission des
Europarats wurden bei der im Jahr 2011 verabschiedeten Änderung des
Wahlgesetzes in Montenegro noch nicht umgesetzt, und inwieweit beein-
trächtigt dies die Legitimität, Unabhängigkeit oder Funktionsfähigkeit der
Parlamente auf staatlicher und kommunaler Ebene (vgl. Monitoringbericht
des Europarates 2012)?

10. Welche Position hat die Bundesregierung bezüglich der Unabhängigkeit der
montenegrinischen Justiz, insbesondere hinsichtlich der geltenden Verfah-
rensregeln zur Ernennung von Richterinnen und Richtern und bezüglich
Transparenz und sachlicher Nachvollziehbarkeit, der seit der Einsetzung
eines hierfür zuständigen Gremiums im Jahr 2007 erfolgten Ernennungen,
und welche Gründe sind der Bundesregierung dafür bekannt, dass eine
entsprechende Verfassungsrevision zur Stärkung der Unabhängigkeit der
Justiz durch Änderung des Verfahrens für die Richterernennung immer
noch nicht vom montenegrinischen Parlament beschlossen wurde?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung die Arbeitsfähigkeit der montenegrini-
schen Justiz hinsichtlich der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mit-
tel angesichts der Tatsache, dass der diesjährige Bericht der Parlamentari-
schen Versammlung des Europarates die unzureichende Finanzierung des
Justizsektors als eine wesentliche Ursache rechtsstaatlicher Defizite identi-
fiziert?

12. Wie schätzt die Bundesregierung die fachliche Qualifikation des montene-
grinischen Justizpersonals ein, und wird sie sich – angesichts der Tatsache,
dass der diesjährige Bericht der Parlamentarischen Versammlung des Euro-
parates das Fehlen kompetenten Personals sowie unzureichende Fortbil-
dungsmaßnahmen und Ausbildung der Richter, insbesondere in Bezug auf
die Reform der Strafprozessordnung und die Implementierung der Recht-
sprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, beklagt –
dafür einsetzen, diese durch Weiterbildungs- und Austauschprogramme
nachhaltig zu verbessern?

13. Wird sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür einsetzen, im
Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen mit Montenegro, eine umfassende
Beobachtung und kontinuierliche Begleitung von Ermittlungen und Ge-
richtsverfahren nicht nur im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen
durch die EU durchzuführen (vgl. Solveig Richter, SWP-Aktuell 36, Juni
2012)?

Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/10950

14. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass es in Montenegro auch im
regionalen Vergleich und angesichts der Tatsache, dass die Regierungs-
partei DPS (Demokratische Partei der Sozialisten Montenegros) und ihr
Vorsitzender Milo –Dukanovic´ seit über 20 Jahren die politische Szene be-
herrschen, erheblich an wirtschaftlicher Transparenz und politischem Wett-
bewerb mangelt, und dass dies Korruption, Patronage und Nepotismus in
den staatlichen Institutionen Montenegros begünstigt (vgl. Solveig Richter,
SWP-Aktuell 36, Juni 2012)?

15. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den in den Medien erho-
benen Vorwurf, die zweitgrößte Privatbank Montenegros (Prva Banka CG)
habe jahrelang einen Großteil ihrer Kredite an Mitglieder der Familie des
langjährigen Regierungs- und Staatschefs und heutigen Vorsitzenden der
Regierungspartei Milo –Dukanovic´ sowie an dessen Familie nahestehende
Personen und Firmen vergeben, und sieht die Bundesregierung die Gefahr
von Interessenkonflikten oder Anzeichen für die Veruntreuung von Staats-
geldern angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Einlagen der Prva
Banka CG überwiegend um öffentliche Gelder handelt und die genannten
Familienmitglieder einschließlich Milo –Dukanovic´ selbst direkt oder über
in ihrem Eigentum befindliche Firmen die Mehrheit der Anteile der 2006
privatisierten Bank halten (vgl. u. a. BBC, 29. Mai 2012)?

a) Sieht die Bundesregierung aufgrund der Tatsache, dass der Gouverneur
der Zentralbank Montenegros, Ljubisa Krgovic, im Jahr 2010 durch das
frühere Vorstandsmitglied der Prva Banka CG, Radoje Z µugi ´c, ersetzt
wurde, nachdem die Zentralbank unter Ljubisa Krgovic im Jahr 2009 die
Möglichkeiten der Prva Banka CG zur Kreditvergabe beschränkt hatte
(vgl. Reuters, 21. Februar 2011), eine Gefährdung der Unabhängigkeit
der Zentralbank?

b) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Hintergründe
sowie die polizeilichen und juristischen Konsequenzen der Anzeige
wegen Amtsmissbrauchs, welche die Nichtregierungsorganisation
MANS im Juli 2012 gegen den früheren Finanzminister und heutigen
Premierminister Igor Luks¬i ´c, den langjährigen Staats- und Regierungs-
chef Milo –Dukanovic´ und den gegenwärtigen Gouverneur der Zentral-
bank Radoje Zµugi ´c, gestellt hat, und was ist nach Ansicht der Bundes-
regierung der Grund dafür, dass nach Öffentlichwerden der genannten
Vorgänge nicht von Amts wegen ermittelt wurde?

16. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den von der montenegri-
nischen Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwurf, der wegen des Schmuggels
von ca. 2,7 Tonnen Kokain international gesuchte Da. S. und sein Bruder
Du. S hätten über die Konten des auf ihren Namen registrierten Unterneh-
mens „Mat Company“ bei der Prva Banka CG, die sich mehrheitlich im
Besitz von Mitgliedern der Familie Milo –Dukanovic´s befindet, sowie bei
einer montenegrinischen Tochtergesellschaft der Kärntner Hypo-Alpe-
Adria mehr als 21 Mio. Euro aus dem Schmuggelgeschäft gewaschen (vgl.
Der Standard, 19. Mai 2011)?

17. Was sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Gründe dafür, dass die ita-
lienische Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den damaligen monte-
negrinischen Ministerpräsidenten Milo –Dukanovic´ wegen des Verdachts,
dieser habe als Hauptverantwortlicher durch langjährigen Zigaretten-
schmuggel über Montenegro der EU erheblichen Schaden in Millionenhöhe
zugefügt, im Jahr 2009 eingestellt hat?

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a) Wurden die Ermittlungen gegen Milo –Dukanovic´ nach Kenntnis der
Bundesregierung nach dessen Rücktritt vom Amt des Ministerpräsiden-
ten Ende 2010 in Italien oder in Montenegro erneut aufgenommen oder
ist dies beabsichtigt?

18. Welche Informationen hat die Bundesregierung über Ermittlungen in
Deutschland oder Montenegro wegen des Verdachts auf Zahlung von Be-
stechungsgeldern in Höhe von 7,35 Mio. Euro an montenegrinische Regie-
rungsmitglieder durch die Tochter der Deutschen Telekom AG, Magyar
Telekom, beim Erwerb der Telekom Crne Gore A.D. – vor dem Hinter-
grund, dass die amerikanische Börsenaufsicht nach Vergleichszahlungen in
Höhe von insgesamt 95,16 Mio. US-Dollar ein entsprechendes Verfahren
einstellte (vgl. FOCUS Online vom 30. Dezember 2011, www.focus.de/
finanzen/news/unternehmen/korruptionsklage-telekom-zahlt-in-usa-
millionenstrafe_aid_698223.html) – und hält die Bundesregierung den zu
diesem Fall eingesetzten Untersuchungsausschuss des montenegrinischen
Parlaments für geeignet, um die Vorwürfe nicht nur politisch sondern auch
juristisch umfassend aufzuklären?

19. Was unternimmt die Bundesregierung, um die juristische Aufarbeitung der
in den vorhergehenden Fragen genannten Vorwürfe gegen Milo –Dukanovic´
und andere Mitglieder der früheren und gegenwärtigen Staatsführung Mon-
tenegros im Rahmen des EU-Beitrittsverfahrens zu ermöglichen?

20. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den gewaltsamen Über-
griff auf das Mitglied des montenegrinischen Parlaments und Vorsitzenden
der Oppositionspartei PZP (Bewegung für den Wandel), Nebojs¬a Medojevic´,
nachdem dieser öffentlich über die Verwicklung eines Polizeichefs in
Schmuggel und Korruption berichtete, und dessen juristische Aufarbeitung
(vgl. Bericht der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Doc.
12952, 8. Juni 2012)?

21. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Berichterstatters des Euro-
päischen Parlaments für Montenegro, Charles Tannock, wonach die Nut-
zung des Euro als Landeswährung, ohne dass Montenegro Mitglied der Eu-
rozone ist, Geldwäsche in besonderem Maße begünstige, da die
montenegrinischen Banken nicht zur Registrierung der Herkunft der Bank-
noten verpflichtet seien (Interview mit www.euractiv.com, 19. Mai 2010),
und wie kann die EU im Beitrittsprozess die strukturelle Begünstigung von
Geldwäsche in Montenegro nach Meinung der Bundesregierung abbauen?

a) Welchen Einfluss hat nach Ansicht der Bundesregierung die Nutzung
des Euro als Landeswährung auf den Beitrittsprozess Montenegros, und
könnte die aktuelle Rechtslage zum Zeitpunkt des Beitritts des Landes
zur EU die Einführung einer übergangsweise genutzten eigenen Wäh-
rung notwendig machen, bis die Maastricht-Kriterien erfüllt sind und der
Beitritt zur Eurozone erfolgen kann?

22. Wie bewertet die Bundesregierung die Rolle zivilgesellschaftlicher Organi-
sationen im Erweiterungsprozess Montenegros?

a) Würde aus Sicht der Bundesregierung die Glaubwürdigkeit des Beitritts-
prozesses und die Legitimation notwendiger Reformen in der Bevölke-
rung Montenegros dadurch erhöht, indem die Regierung Montenegros
die montenegrinische Zivilgesellschaft in den Beitrittsprozess stärker
einbindet und mit ihr eine öffentliche Debatte über Fortschritte in den
Verhandlungen und über die Umsetzung der Reformen führt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/10950

23. Wird sich die Bundesregierung für gezielte Maßnahmen der EU zur Stär-
kung von Personen aus dem Umfeld der montenegrinischen Justiz, Polizei,
Medienberichterstattung und Nichtregierungsorganisationen, welche gegen
Korruption, Klientelismus und organisierte Kriminalität vorgehen und für
Bürgerrechte eintreten, einsetzen, und was könnten nach Ansicht der Bun-
desregierung geeignete Maßnahmen sein (vgl. etwa den Vorschlag Solveig
Richters, geeignete Akteure gezielt mit EU-Mitteln, etwa aus dem Instru-
ment für Heranführungshilfe, IPA, zu fördern; SWP-Aktuell 36, Juni 2012)?

24. Wie bewertet die Bundesregierung die Situation der Lesben, Schwulen,
Bisexuellen und Transgender (LGBT) und ihrer Rechte in Montenegro?

a) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Regierung Monte-
negros sich bislang unzureichend um eine Verbesserung der rechtlichen
Situation von LGBT bemüht hat, und wie bewertet sie insbesondere et-
waige Fortschritte Montenegros bei der Bekämpfung von Homophobie,
bei der Strafverfolgung von gegen LGBT gerichteter Hasskriminalität
(insbesondere was den Abschluss von Prozessen und die Verurteilung
von Angeklagten angeht) oder bei der Überarbeitung von Gesetzestexten
und Lehrmaterialien?

b) Welche Anzeichen sieht die Bundesregierung dafür, dass die montene-
grinische Regierung sich aktiv für die Gewährleistung der Versamm-
lungsfreiheit und der Sicherheit der Teilnehmenden einer geplanten
Pride Parade im Jahr 2013 einsetzen wird, nachdem sie in der Vergan-
genheit nicht aktiv wurde, als am 17. Mai 2011 Teilnehmende einer Ver-
sammlung anlässlich des Internationalen Tags gegen Homophobie
gewaltsam attackiert wurden und die Planungen für eine Pride Parade
daraufhin von den Veranstaltern abgebrochen werden mussten (vgl. Bal-
kan Insight, 17. Mai 2011; Monitoringbericht des Europarates, 8. Juni
2012), und wie wird sich die Bundesregierung bilateral oder auf euro-
päischer Ebene dafür einsetzen, dass eine solche Parade erstmalig in
Montenegro stattfinden kann?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die soziale und rechtliche Situation der
Tausenden Vertriebenen und intern Vertriebenen aus Albanien, Kosovo,
Kroatien sowie Bosnien und Herzegowina in Montenegro, und erachtet sie
insbesondere die Maßnahmen, welche die montenegrinische Administra-
tion zur Legalisierung deren Aufenthaltsstatus ergreift, als ausreichend (vgl.
Monitoringbericht des Europarates, 8. Juni 2012)?

26. Wie bewertet die Bundesregierung die Rolle Montenegros im Aussöh-
nungsprozess auf dem westlichen Balkan, und wie bewertet sie die Bezie-
hungen Montenegros zu Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo,
Kroatien, Mazedonien und Serbien?

27. Welche Anstrengungen unternimmt die Regierung Montenegros nach
Kenntnis der Bundesregierung, um die Lebensbedingungen der Roma,
Aschkali und Ägypter zu verbessern und insbesondere, um deren struktu-
relle Nachteile beim Zugang zum Arbeitsmarkt sowie ihre anhaltenden Dis-
kriminierungen im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen und ihre man-
gelnde Repräsentation in Politik und öffentlichem Dienst zu überwinden?

a) Sind auf diesen Gebieten seit Verleihung des EU-Kandidatenstatus an
Montenegro im Jahr 2010 de facto Verbesserungen festzustellen, insbe-
sondere was die Arbeitslosenzahlen und den Zugang zu Bildung der
Roma, Aschkali und Ägypter betrifft?

Drucksache 17/10950 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
b) Liegen der Bundesregierung statistische Daten vor, die Hasskriminalität
gegen Angehörige dieser Personengruppe in Montenegro betreffend,
und was weiß die Bundesregierung über die Aufklärung, strafrechtliche
Verfolgung und Verurteilung von Gewalttaten gegen Roma, Aschkali
und Ägypter durch die montenegrinischen Behörden?

28. Für wie ausreichend erachtet die Bundesregierung vor dem Hintergrund der
Umweltkatastrophe in Ungarn im Oktober 2010, bei der nach einem
Dammbruch hochgiftiger Rotschlamm aus der Aluminiumproduktion die
Lebensräume von Menschen und Tieren und zahlreiche Flüsse hochgradig
verseuchte, die Sicherungsmaßnahmen an der Rotschlammdeponie des
montenegrinischen Aluminiumwerkes KAP, das sich in der Nähe des Flus-
ses Moraa befindet, welcher wenige Kilometer südlich des Werkes in den
Nationalpark Skutarisee, das größte Trinkwasserreservoir der Balkanre-
gion, mündet und dessen wichtigsten Zufluss darstellt?

a) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den drohenden wirt-
schaftlichen Zusammenbruch des Aluminiumwerkes KAP und diesbe-
zügliche Pläne zur Rückverstaatlichung des Unternehmens?

b) Wie schätzt die Bundesregierung die wirtschaftlichen, sozialen und öko-
logischen Folgen für Montenegro im Falle einer Insolvenz des Werkes,
welches den größten Arbeitgeber und Exporteur des Landes darstellt,
ein?

29. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das Fortschreiten der
Pläne der montenegrinischen Regierung, entlang des Flusses Moraa meh-
rere Staudämme zur Elektrizitätsgewinnung zu errichten (vgl. Balkan In-
sight, 10. November 2011), und teilt die Bundesregierung die Einschätzung
internationaler wie montenegrinischer Umweltschutzorganisationen, der
Bau der Dämme könne die Biodiversität des Skutarisees sowie des Flusses
selbst erheblich gefährden und sei zudem mit der Überflutung von bewohn-
tem Gebiet und Hunderter Häuser verbunden (vgl. unter anderem WWF,
18. Oktober 2011)?

30. Wie bewertet die Bundesregierung die Rolle der Korruption im Bereich
Umwelt in Montenegro?

Berlin, den 9. Oktober 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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