BT-Drucksache 17/10693

Pflege-Transparenzvereinbarung (so genannter Pflege-TÜV)

Vom 13. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10693
17. Wahlperiode 13. 09. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Birgitt Bender, Maria Klein-Schmeink,
Dr. Harald Terpe, Dr. Thomas Gambke, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann,
Markus Kurth, Dr. Tobias Lindner, Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Pflege-Transparenzvereinbarung (so genannter Pflege-TÜV)

Mit dem von der Koalition der Fraktionen der CDU/CSU und SPD in der 16. Wahl-
periode beschlossenen Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflege-
versicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz – PfWG) sollte u. a. mehr Trans-
parenz und Vergleichbarkeit von Qualität in stationären Pflegeeinrichtungen und
ambulanten Diensten für Verbraucherinnen und Verbraucher hergestellt werden.
Nach § 115 Absatz 1a des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) hat der Ge-
setzgeber dabei die Kompetenz zur Festlegung der Kriterien, der Bewertungs-
systematik und der Veröffentlichungsbedingungen an die Vertragsparteien über-
tragen, d. h. den Spitzenverband Bund der Pflegekassen, die Vereinigungen der
Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, die Bundesarbeitsgemein-
schaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und die Bundesvereinigung der
kommunalen Spitzenverbände. Den maßgeblichen Organisationen für die Wahr-
nehmung der Interessen und der Selbsthilfe der pflegebedürftigen und behinder-
ten Menschen sowie den unabhängigen Verbraucherorganisationen wurde dabei
lediglich ein Stellungnahmerecht eingeräumt.

Im Dezember 2008 wurde von den Vertragsparteien die Pflege-Transparenzver-
einbarung stationär (PTVS), im Januar 2009 die Pflege-Transparenzverein-
barung ambulant (PTVA) beschlossen, im Wissen, dass zu diesem Zeitpunkt
„(…) keine pflegewissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über valide Indi-
katoren der Ergebnis- und Lebensqualität der pflegerischen Versorgung in
Deutschland (…)“ vorliegen und die gewählten Kriterien „(…) sind deshalb als
vorläufig zu betrachten und dienen der vom Gesetzgeber gewollten schnellen
Verbesserung der Transparenz.“ (Quelle: Vorwort der Anlage Ausfüllanleitung
für Prüfer der Vereinbarung nach § 115 Absatz 1a Satz 6 SGB XI über die
Kriterien der Veröffentlichung sowie die Bewertungssystematik der Qualitäts-
prüfungen der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung vom 17. De-
zember 2008).

Seitdem steht die umgangssprachlich als „Pflege-TÜV“ oder als „Pflege-Noten“
bezeichnete Bewertungs- und Veröffentlichungssystematik im Mittelpunkt
kontroverser Diskussionen und auch rechtlicher Verfahren. Mitte 2010 wurden

– auch angesichts einer zunehmend kritischeren medialen Berichterstattung – die
ersten Verhandlungen der Vertragsparteien zur Überarbeitung der PTV aufge-
nommen, die bis heute andauern. Nennenswerte Verhandlungsergebnisse sind
bisher nicht zu verzeichnen (vgl. Ärzte Zeitung Online vom 12. Juli 2012, Pflege-
Noten bleiben umstritten). Am 6. Juli 2012 erklärte der GKV-Spitzenverband
(Spitzenverband Bund der Krankenkassen) in einer Pressemitteilung („An-
passung der Pflegenoten dringend nötig – Kassen setzen auf schnellen Erfolg

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durch die Schiedsstelle“), er habe nunmehr die Schiedsstelle angerufen, da „eine
kurzfristige Anpassung der Pflegenoten […] über den Verhandlungsweg nicht zu
erreichen“ sei. Die Trägerorganisationen würden die Vorschläge der Kassenseite
nicht akzeptieren. In einer gemeinsamen Pressemitteilung der Bundesverbände
der Leistungserbringer vom 12. Juli 2012 („Selbstverwaltung in der Pflege-
versicherung blockiert durch GKV-Spitzenverband“) zeigen diese sich über-
rascht vom Schritt des GKV-Spitzenverbandes. Der Spitzenverband erweise sich
„[…] zum wiederholten Male als unberechenbarer Vertragspartner.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele

a) Einrichtungen der stationären Altenpflege und

b) ambulante Pflegedienste

wurden nach Kenntnis der Bundesregierung absolut und prozentual seit In-
krafttreten der jeweiligen PTV jährlich geprüft (bitte Angabe nach Jahren
und Bundesland trennen)?

2. Wie hat sich mit Beginn der Prüfungen nach der PTVS und PTVA

a) der Landesdurchschnitt der Gesamtpflegenote nach Kenntnis der Bun-
desregierung entwickelt (bitte nach Jahren und Bundesland gestaffelt an-
geben und getrennt nach ambulant und stationär) und

b) für den stationären Bereich die Einzelbenotung der fünf Qualitätsberei-
che (Pflege und medizinische Versorgung; Umgang mit demenzkranken
Bewohnern; soziale Betreuung und Alltagsgestaltung; Wohnen, Ver-
pflegung, Hauswirtschaft und Hygiene und Bewohnerbefragung) nach
Kenntnis der Bundesregierung entwickelt (bitte nach Jahren, Bundesland
gestaffelt angeben)?

c) Hält die Bundesregierung die aktuellen Ergebnisse der Prüfungen für
aussagekräftig in der Form, dass Verbraucherinnen und Verbraucher die
Unterschiede zwischen Einrichtungen und Diensten wirklich erkennen
und bewerten können?

Falls ja, warum?

Falls nein, warum nicht, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bun-
desregierung daraus?

3. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Erfüllungsaufwand der Pflegedo-
kumentation aufgrund der Einführung der PTVS und PTVA für die Pflege-
kräfte relativ gemessen an deren Gesamtarbeitszeit gestiegen?

Wenn ja, wie hat sich dabei der prozentuale Anteil des Dokumentationsauf-
wandes an der Arbeitszeit entwickelt?

4. Wie viele Prüferinnen und Prüfer sind nach Kenntnis der Bundesregierung
durchschnittlich, maximal und minimal bei einer Qualitätsprüfung des Me-
dizinischen Dienstes der Krankenversicherung bei einer Prüfung

a) einer stationären Einrichtung nach der PTVS und

b) eines ambulanten Dienstes nach der PTVA

anwesend (bitte nach Bundesland trennen)?

5. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Medizinischen Dienste der
Krankenversicherung mit aktuellem Kenntnisstand sind nach Kenntnis der
Bundesregierung seit Inkrafttreten der PTVS am 17. Dezember 2008 und
der PTVA vom 29. Januar 2009 für die Durchführung, Abwicklung, Organi-

sation und Auswertung der Erfüllung der Aufgabe nach § 115 Absatz 1a
SGB XI zuständig (bitte separat nach Funktionsbereichen aufführen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10693

6. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Medizinischen Dienste der
Krankenversicherung wurden seit Inkrafttreten der PTVS am 17. Dezember
2008 und der PTVA vom 29. Januar 2009 nach Kenntnis der Bundesregie-
rung für die Durchführung, Abwicklung, Organisation und Auswertung der
Prüfergebnisse zur Erfüllung der Aufgaben nach § 115 Absatz 1a SGB XI
zusätzlich eingestellt?

7. Ist es nach Meinung der Bundesregierung angemessen und sachlich zu ver-
treten, dass am Tage der Qualitätsprüfung durch die Medizinischen Dienste
der Krankenversicherung zusätzlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
geprüften Einrichtung zur Begleitung des Prüfverfahrens bereitgehalten
werden müssen, um währenddessen die weitere Versorgung und Betreuung
der zu pflegenden und betreuenden Personen nicht zu gefährden?

Wenn ja, warum, wer und wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wer-
den nach Kenntnis der Bundesregierung zusätzlich durchschnittlich dafür
vorgesehen?

Wenn nein, warum nicht?

8. a) Sind nach Meinung der Bundesregierung die derzeitigen Pflegenoten ein
geeignetes wissenschaftliches Messinstrument, um die Qualität in der
Pflege abzubilden?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht, und welche Maßnahmen gedenkt die Bundes-
regierung zur Etablierung eines anderen Instrumentes zu ergreifen?

b) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung diesbezüglich
aus den Urteilen des Sozialgerichts Münster (S 6 P 111/10 Urteil vom
20. August 2006), das die Beurteilungskriterien der PTVS als ungeeig-
net einstuft, um die erbrachten Leistungen und die Qualität auf der Basis
von Ergebnis- und Lebensqualität zu beurteilen, und des Landessozial-
gerichts Berlin-Brandenburg (Az. L 27 P 14/10 B ER Beschluss vom
29. März 2012), das Zweifel an der Tauglichkeit der PTVA äußert?

c) Ist nach Meinung der Bundesregierung eine Überarbeitung der der-
zeitigen Qualitätsprüfung und Pflegenotenvergabe der Einführung eines
indikatorengestützten Verfahrens zur vergleichenden Messung und Dar-
stellung von Ergebnisqualität im stationären Bereich vorzuziehen?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht, und welche Maßnahmen gedenkt die Bundes-
regierung diesbezüglich zu ergreifen?

9. Liegen Bedenken von Seiten der Bundesregierung gegen die dem Bundes-
ministerium für Gesundheit seit August 2011 vorliegende Qualitätssiche-
rungs-Richtlinie der Qualitätsprüfungen nach den §§ 114 ff. SGB XI vom
28. Juni 2011des GKV-Spitzenverbandes vor?

Wenn nein, wann tritt diese in Kraft?

Wenn ja, welche sind dies?

10. Inwieweit wird die Ausweitung der Prüf- und Bewertungssystematik – wie
vom GKV-Spitzenverband bei erfolgreicher Bewährung des Qualitäts-
instruments in Pflegeheimen angekündigt – auf Kliniken sowie Arztpraxen
geprüft (Quelle: Ärzte Zeitung Online, 30. Juni 2009, MDK startet Be-
notung von Pflegeheimen)?

11. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Forderung der

Initiative „Moratorium Pflegenoten“ (www.moratorium-pflegenoten.de), zu

Drucksache 17/10693 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
deren Unterstützerkreis auch Expertinnen und Experten der Pflegewissen-
schaft zählen, die Pflegenoten und das Transparenzverfahren auszusetzen?

12. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem vom GKV-
Spitzenverband einseitig am 6. Juli 2012 per Pressemitteilung erklärten
Scheitern der Verhandlungen zur Überarbeitung der PTVS?

13. Hält die Bundesregierung die PTV angesichts der ständig erforderlichen
Nachbesserungen und der fortlaufenden Konflikte zwischen den Vertrags-
parteien auch weiterhin für den richtigen Weg zu mehr Transparenz und zur
besseren Vergleichbarkeit der Pflegequalität?

Falls ja, warum?

Falls nein, warum nicht, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundes-
regierung daraus?

14. a) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Ergeb-
nissen des vom Bundesministerium für Gesundheit und vom Bundes-
ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gege-
benen Forschungsprojekts „Entwicklung und Erprobung von Instrumen-
ten zur Beurteilung der Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe“,
und welche Rolle spielt dieses Projekt in Bezug auf die derzeitige PTVS
und PTVA und deren Weiterentwicklung?

b) Plant die Bundesregierung, die Ergebnisse des Forschungsprojekts in die
weitere Umsetzung zu bringen?

Falls ja, warum, und wie sieht der Zeitplan der Bundesregierung dafür
aus?

Falls nein, warum nicht?

15. Sieht die Bundesregierung es als notwendig an, auch für den ambulanten
Bereich, ein Instrument zur Beurteilung der Ergebnisqualität zu entwickeln
und zu erproben?

Wenn ja, welche Maßnahmen sind dafür notwendig, und welche konkreten
Pläne hat die Bundesregierung diesbezüglich?

Wenn nein, warum nicht?

16. a) Welchen Zeitplan sieht die Bundesregierung zur Umsetzung der mit
dem Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuaus-
richtungs-Gesetz – PNG) neu eingeführten Nummer 4 in § 113 Absatz 1
SGB XI vor, wonach die Vertragsparteien in den Vereinbarungen auch
Anforderungen regeln sollen „an ein indikatorengestütztes Verfahren zur
vergleichenden Messung und Darstellung von Ergebnisqualität im sta-
tionären Bereich, das auf der Grundlage einer strukturierten Datenerhe-
bung im Rahmen des internen Qualitätsmanagements eine Qualitäts-
berichterstattung und die externe Qualitätsprüfung ermöglicht“?

b) Bedarf nach Meinung der Bundesregierung die Einführung des indikato-
rengestützen Verfahrens zur Messung von Ergebnisqualität eine geson-
derte Einführung oder ist die Integration in das bestehende Qualitäts-
prüfverfahren nach § 115 Absatz 1a SGB XI angedacht?

Berlin, den 13. September 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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