BT-Drucksache 17/10683

Teller statt Tank - EU-Importverbot für Kraft- und Brennstoffe aus Biomasse

Vom 12. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10683
17. Wahlperiode 12. 09. 2012

Antrag
der Abgeordneten Niema Movassat, Eva Bulling-Schröter, Dr. Kirsten Tackmann,
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Karin Binder, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger,
Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Thomas Nord, Paul Schäfer (Köln),
Alexander Süßmair, Alexander Ulrich, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Teller statt Tank – EU-Importverbot für Kraft- und Brennstoffe aus Biomasse

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Zur Reduktion klimaverändernder Treibhausgase setzt die Europäische Union
(EU) auf den kontinuierlichen Ausbau erneuerbarer Energien, deren Anteil am
Gesamtenergieverbrauch bis zum Jahr 2020 auf 20 Prozent angehoben werden
soll. Neben der Nutzung von Wind, Wasser und Sonnenlicht werden vermehrt
Kraft- und Brennstoffe aus Biomasse produziert. Im Verkehrssektor werden
zunehmend Agrokraftstoffe – anteilig als Beimischungen oder als reine Kraft-
stoffe – als Ersatz für fossile Brennstoffe eingesetzt. Daneben existiert eine
energetische Nachfrage nach biogenen Brennstoffen für die Produktion von
Strom und Wärme. Die Erzeugung von Lebensmitteln und Futter hat Vorrang.
Unter dieser Prämisse reichen schon heute weder in Europa noch in Deutschland
die zum nachhaltigen Anbau von Energiepflanzen verfügbaren Flächen aus, um
die festgelegten Quoten für Kraft- und Brennstoffe aus Biomasse vollständig zu
decken. Bei einem Festhalten an den vorgesehenen Beimischungsquoten im
Verkehrssektor müssten im Jahr 2020 bis zu 60 Prozent der Agrokraftstoffe im-
portiert werden. Bereits im Jahr 2010 kamen 15 bis 20 Prozent der Rohstoffe für
den deutschen Agrospritverbrauch von außerhalb Europas. Deshalb muss die
verfügbare Biomasse möglichst zuerst stofflich und dann energetisch genutzt
und der Verbrauch von Agrarflächen radikal reduziert werden.

Der Import von Biomasse aus Ländern außerhalb der EU ist jedoch angesichts
der weltweiten Ernährungsunsicherheit, der Gefährdung der Biodiversität sowie
fehlender Mechanismen zur Kontrolle eines nachhaltigen Anbaus der Biomasse
höchst problematisch. Bereits jetzt verschärft der Import von Biomasse die
sozio-ökonomische Situation vieler Menschen im globalen Süden, denn die
Agrokraftstoffproduktion trägt neben anderen Faktoren wie der Anbau von cash
crops (wie z. B. Kaffee, Südfrüchten oder Tabak), Futtermittelanbau, Nahrungs-

mittelspekulation, Flächenverlusten und extremen Wetterereignissen zur Ver-
knappung der Grundnahrungsmittel und damit zum Anstieg der Nahrungsmittel-
preise bei. Ackerland für Agrokraftstoffe kann nicht gleichzeitig Ackerland für
Nahrungsmittel sein.

Infolge der Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen für den Anbau von Agro-
kraftstoffen kommt es vielmals zu Landstreitigkeiten und Landvertreibungen,
bei denen traditionelle Nutzerinnen und Nutzer üblicherweise unterliegen. Ent-

Drucksache 17/10683 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

schädigungen – wo sie gezahlt werden – fallen niedrig aus und die lokale Wirt-
schaftsförderung in Form von Arbeitsplätzen bleibt aufgrund des hohen Mecha-
nisierungsgrades auf den landwirtschaftlichen Flächen gering bzw. saisonal.

Neben der direkten Abholzung von Primärwald, wie etwa in Indonesien im Zu-
sammenhang mit der Anlage von Palmölplantagen, führt die hohe Nachfrage
nach Biomasse auch zu indirekten Landnutzungsänderungen, wie z. B. in Bra-
silien, wo Zuckerrohrfelder zur Ethanolproduktion auf bereits bestehenden
Agrarflächen angelegt werden und der Anbau von Futter- und Nahrungsmitteln
oder die Tierhaltung von dort auf bisher nicht ackerbaulich genutzte Flächen im
Regenwaldgürtel, im Cerrado oder im Chaco verlagert wird.

Der Import von Biomasse hat vielfach zur systematischen Verletzung funda-
mentaler Menschenrechte, wie des Rechts auf Nahrung, sowie zur Zerstörung
von Lebensraum, Wirtschaftsweise, Kultur und Identität für Angehörige indi-
gener Völker beigetragen. Zusätzlich zu den verheerenden ökologischen und
sozialen Konsequenzen des Imports von Biomasse verfehlt die EU das über-
geordnete Treibhausgas-Minderungsziel, denn durch die Umwandlung von
Regenwäldern, Torfland, Savannen oder Graslandschaften in Anbaufläche für
Agrokraftstoffe wird mehr CO2 freigesetzt als durch den Ersatz von fossilen
Brennstoffen aus Biomasse eingespart wird. Insgesamt ist aber auch bei einem
Anbau auf Altflächen der CO2-Ausstoß, der durch Saat, Düngung, Transport
und Verarbeitung entsteht, oftmals größer als jener, der bei der Nutzung minera-
lischer Kraftstoffe anfällt. Bei der Herstellung von Ethanol auf Maisbasis ver-
doppelt sich der CO2-Ausstoß sogar.

Das überkommene energieintensive Mobilitätsmodell der Industriestaaten muss
überwunden werden. Notwendig ist ein rigoroses Umdenken weg vom Wachs-
tum des Verkehrsaufkommens und gesteigerten Verbrauch hin zu absoluter Ver-
brauchsminderung. Hinsichtlich der energetischen Nutzung von Biomasse
bedeutet dies zum einen, ihren Anbau auf das langfristig ökologisch und sozial
nachhaltige heimisch verfügbare Potential in der EU zu begrenzen. Zum anderen
sollte Biomasse vor allem dort eingesetzt werden, wo sie am meisten CO2-Frei-
setzung fossilen Ursprungs einsparen kann. Dies geschieht in der Regel nicht im
Verkehrssektor, sondern bei der gekoppelten Erzeugung von Strom und Wärme
durch Biogas. Auch regional erzeugte Agrokraftstoffe zur Nutzung in Land-
maschinen können einen Beitrag zu Umweltschutz und Beschäftigung leisten.

Die EU muss auf Importe aus Drittländern verzichten. Die Staaten des globalen
Südens wiederum sollten dabei unterstützt werden, sich künftig beim Anbau von
Biomasse auf eine energetische Nutzung in der eigenen Region zu orientieren.
Die Interessen der ortsansässigen Menschen und der Schutz ihrer sozialen und
ökologischen Umwelt müssen dabei im Mittelpunkt stehen. Nur dann kann der
Anbau von Biokraftstoffen zur lokalen Verwendung in den Ländern des Südens
als ein Mittel zur Armutsbekämpfung fungieren, wie es beispielsweise im Rah-
men von Biodieselkooperativen in Brasilien geschieht. Vor Ort produzierte und
genutzte Agrokraftstoffe können die Existenzgrundlage für die lokale Bevölke-
rung verbessern und marginalisierten Gemeinschaften den Zugang zu Energie
ermöglichen. Entsprechende Regierungsprogramme müssen einer klaren Ziel-
setzung zugunsten armer und benachteiligter Menschen folgen.

Darüber hinaus besteht mittelfristig die Notwendigkeit, die Energieerzeugung
von den Finanzmärkten zu entkoppeln. Der Handel mit Agrarrohstoffen muss
politisch auf der Grundlage internationaler Abkommen und unter Berücksichti-
gung des Vorrangs von Ernährungssicherheit und -souveränität reguliert werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10683

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für ein EU-Importverbot von Kraft- und Brennstoffen aus Biomasse ein-
zusetzen;

2. in der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit sicherzustellen, dass

a) das im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP genannte ent-
wicklungspolitische Ziel der Ernährungssouveränität nicht durch den
Anbau von Energiepflanzen und die Herstellung von Agrokraftstoffen für
den Biomasseexport konterkariert wird,

b) Partnerländer bei der Entwicklung ländlicher Räume und einer auf Nach-
haltigkeit orientierten Agrarentwicklung unterstützt werden,

c) Angehörige indigener Völker Unterstützung erhalten, damit diese die
Folgen der bereits erfolgten Zerstörung ihres Lebensraumes bewältigen
können,

d) Investitionen in den Anbau von Biomasse zur Herstellung von Agrokraft-
und Brennstoffen weder gefördert noch geschützt werden, wenn diese
dazu führen, dass Waldflächen oder andere Flächen mit hoher Biodiversi-
tät gerodet oder Agrarflächen genutzt werden, auf denen bislang Nah-
rungsmittel angebaut wurden,

e) informelle Landrechte, also aus Traditionen bzw. Gewohnheit abgeleitete
und gemeinschaftliche lokale Landrechte, bei deutschen Investitionen
bzw. Beteiligungen in Land und Agrarwirtschaft geschützt werden;

3. im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung sicherzustellen, dass

a) sie keine Investitionsrisiken von Unternehmen absichert, die in Ländern
des Südens großflächig Energiepflanzen für die Agrokraftstoffherstellung
anpflanzen,

b) die Unterstützung von Auslandsdirektinvestitionen deutscher Unterneh-
men und Finanzinstitutionen, die unmittelbar verknüpft sind mit Agrar-
investitionen, durch öffentliche Kredite, andere öffentliche Förderung
und/oder im Rahmen von Investitionsschutzabkommen nur unter der
Bedingung einer obligatorischen Menschenrechtsprüfung und der freien,
frühzeitigen und informierten Zustimmung durch die lokale Bevölkerung
gewährleistet wird,

c) bei Investitionen in Land- und Agrarwirtschaft die gerechte Teilhabe der
lokalen Bevölkerung an den Gewinnen aus den Investitionen gewährleis-
tet ist;

4. darauf hinzuwirken, dass die Weltbank keine Investitionsrisiken von Unter-
nehmen absichert, die in Ländern des Südens großflächig Energiepflanzen
für die Agrokraftstoffherstellung anpflanzen, und Agrarinvestitionen grund-
sätzlich nicht ohne eine obligatorische Menschenrechtsprüfung und ohne die
freie, frühzeitige und informierte Zustimmung durch die Mehrheit der loka-
len Bevölkerung absichert;

5. bis ein endgültiges Importverbot von Agrokraftstoffen durchgesetzt ist, dafür
Sorge zu tragen, dass

a) das Menschenrecht auf Nahrung und die damit verbundene Förderung der
Ernährungssouveränität stets Vorrang vor dem Anbau von Biomasse be-
hält,

b) der Anbau von Biomasse zur Herstellung von Agrokraft- und Brennstof-
fen nicht dazu führt, dass infolge von Landnahme Kleinbäuerinnen und

Kleinbauern oder indigene Gruppen von ihren Feldern oder Lebensräu-
men vertrieben werden;

Drucksache 17/10683 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

6. dem Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Investitio-
nen deutscher Unternehmen und Finanzinstitutionen in Land- und Agrarpro-
duktion in den Ländern des Südens nur unter der Bedingung menschenrecht-
licher Prüfung und unter der Beachtung der Partizipationsrechte nach dem
Prinzip der freien, rechtzeitigen und informierten Zustimmung gestattet und
entsprechende Sanktionsmechanismen enthält;

7. sich dafür einzusetzen, dass das von der Europäischen Kommission für das
Jahr 2020 vorgeschlagene Ziel einer zehnprozentigen Beimischungsquote
von Agrokraftstoffen wieder aufgehoben wird; und parallel die obligatori-
sche Kraftstoffbeimischung in der nationalen Regelung abzuschaffen;

8. die in Deutschland zur Verfügung stehenden Flächen zum Anbau von Ener-
giepflanzen nicht prioritär zur Agrokraftstoffherstellung, sondern zur Strom-
und Wärmeerzeugung zu nutzen und in diesem Sinne die Einspeisung von
Biogas ins Erdgasnetz sowie den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung an
Stelle der Agrokraftstoffherstellung zu fördern;

9. einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
(EEG) vorzulegen, durch welchen die Nutzung, Weiterverarbeitung und För-
derung der Erzeugung von Strom aus Biomasse ausgeschlossen wird, sofern
die Biomasse dafür im außereuropäischen Ausland erzeugt wurde.

Berlin, den 12. September 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Im März 2007 verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der EU den
„Fahrplan für erneuerbare Energien – Erneuerbare Energien im 21. Jahrhundert:
Größere Nachhaltigkeit in der Zukunft“. Darin wurde das Ziel vereinbart, den
Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch in der EU auf 20 Pro-
zent zu steigern. Die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen in den Bereichen
Stromerzeugung, Kraftstoffe, Wärme- und Kälteerzeugung soll gefördert wer-
den. Agrokraftstoffe werden dabei als für den Verkehrssektor einziger in abseh-
barer Zeit in großen Mengen verfügbarer Ersatz für Benzin und Diesel gesehen.
Der Fahrplan nimmt Bezug auf die Richtlinie über Biokraftstoffe (2003/30/EG)
der EU, die im Jahr 2003 mit dem Ziel verabschiedet wurde, die Produktion und
den Verbrauch von Agrokraftstoffen in der EU anzukurbeln, sowie auf die EU-
Strategie für Biokraftstoffe – KOM(2006) 34 vom 8. Februar 2006.

Die EU-Richtlinie legt den Anteil der Agrokraftstoffe am Verbrauch von Benzin
und Diesel auf 2 Prozent für das Jahr 2005 und 5,75 Prozent für das Jahr 2010
fest. Im Jahr 2003 hatte der Anteil noch bei 0,5 Prozent gelegen. Im Jahr 2010
betrug in der EU der Anteil an Agrokraftstoffen zirka 4,7 Prozent.

Der Anteil von Agrokraftstoffen soll weiter steigen. In der Erneuerbaren-Ener-
gien-Richtlinie der EU (2009/28/EG) vom 23. April 2009 wird im Artikel 3 der
Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen bei allen Verkehrsträgern im Jahr
2020 auf mindestens 10 Prozent des Endenergieverbrauchs im Verkehrssektor
festgelegt, wobei Agrokraftstoffe daran den höchsten Anteil haben werden.

Für die Bundesrepublik Deutschland wurde im Bundes-Immissionsschutzgesetz
die Gesamtquote von Agrokraftstoffen für die Jahre 2010 bis 2014 auf mindes-

tens 6,25 Prozent kalorisch (kal.) festgesetzt. Die Mindestanteile werden ab dem
Jahr 2015 ersetzt durch eine Klimaschutzquote zur Reduzierung der Emissionen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/10683

von Treibhausgasen (THG) durch Agrokraftstoffe. Diese müssen eine THG-
Minderung ermöglichen von 3 Prozent ab dem Jahr 2015 (entspricht ca. 6 Pro-
zent kal. Beimischung), 4,5 Prozent ab dem Jahr 2017 (entspricht ca. 7,5 Prozent
kal. Beimischung) und 7 Prozent ab dem Jahr 2020 (entspricht ca. 10 Prozent
kal. Beimischung). Der Mindestanteil von Agrokraftstoff kann nach der EU-
Richtlinie durch Beimischung zu Otto- oder Dieselkraftstoff, durch Inverkehr-
bringen reinen Agrokraftstoffs oder durch Zumischung von Biomethan zu Erd-
gaskraftstoff sichergestellt werden. Laut dem Bundesamt für Wirtschaft und
Ausfuhrkontrolle betrug im Jahr 2010 in Deutschland der Anteil von Biodiesel
und Pflanzenöl an Dieselkraftstoffen 9,5 Prozent, der Anteil von Bioethanol an
Otto-Kraftstoffen 4,4 Prozent. Das ergab zusammen eine Agrokraftstoffquote
von 5,8 Prozent.

Über den Einsatz von Biomasse für die Mobilität hinaus existiert eine energeti-
sche Nachfrage nach biogenen Brennstoffen für die Produktion von Strom und
Wärme. Mit dem EEG im Zusammenhang mit der Biomasseverordnung sowie
über das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) wird der Einsatz
von Biomasse zur Gewinnung von Strom über das EEG-Vergütungssystem ge-
fördert bzw. eine anteilige Nutzung regenerativer Wärme bei Neubauvorhaben
verpflichtend vorgeschrieben.

Die in Deutschland im Jahr 2020 zum Anbau für Energiepflanzen zur Verfügung
stehende Fläche wird vom Institut für Energetik und Umwelt GmbH Leipzig und
einer Leitstudie des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit mit zwei Millionen Hektar angesetzt, was der bereits heute genutzten
Fläche für Energiepflanzenanbau entspricht. Bei einem Festhalten an den vor-
gesehenen Beimischungsquoten im Verkehrssektor müssten laut einer im Auf-
trag von Greenpeace e. V. Deutschland durchgeführten Studie im Jahr 2020 bis
zu 60 Prozent der Agrokraftstoffe importiert werden.

Doch bereits jetzt verschärft der Import von Biomasse die sozio-ökonomische
Situation vieler Menschen im globalen Süden. Der International Land Coalition
zufolge werden auf 40 Prozent der weltweit von Landnahme betroffenen Flä-
chen Agrokraftstoffe angebaut oder sind dafür vorgesehen. Auf dem afrikani-
schen Kontinent, wo die Landnahme bereits eine Dimension der Fläche von
Kenia erreicht, beträgt der Anteil von Agrokraftstoffen sogar 66 Prozent. Land-
vertreibungen, die im Zusammenhang mit der Produktion von Agrokraftstoffen
durch europäische Unternehmen stehen, sind beispielsweise aus Sierra Leone
(Addax Bioenergy 15 000 Hektar für Zuckerrohranbau), Mosambik (Sun Bio-
fuels 2 000 Hektar für den Anbau von Jatropha) und Äthiopien (Fri-El Green
30 000 Hektar für die Produktion von Palmölanbau) dokumentiert.

Die weltweite Verknappung von Ackerland, für die die Agrokraftstoffproduk-
tion mitverantwortlich ist, trägt zum Anstieg der Nahrungsmittelpreise bei. Zwi-
schen den Jahren 2002 und 2008 und dann abermals seit dem Jahr 2010 sind die
Preise für Nahrungsmittel massiv gestiegen. Besonders dramatisch war die Stei-
gerung bei den Grundnahrungsmitteln Reis und Getreide, die zwischen Ende des
Jahres 2006 und März 2008 126 Prozent betrug. Auch wenn Bäuerinnen und
Bauern lokal mittelfristig bis langfristig von höheren Preisen profitieren, sind
die unmittelbaren Folgen für die Menschen in Netto-Importstaaten verheerend.
110 Millionen Menschen wurden in Armut getrieben und weitere 44 Millionen
Menschen mit dem Hunger bedroht. Simon Johnson, ehemaliger Chefökonom
des Internationalen Währungsfonds, geht davon aus, dass die steigende Nach-
frage nach Agrokraftstoffen 20 bis 30 Prozent des Preisanstiegs bei Nahrungs-
mitteln ausmacht.

Laut einer Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) aus
dem Jahr 2009 resultiert die gegenwärtige Nahrungsmittelkrise aus der vielfäl-

tigen Konkurrenz um Ackerland, die durch den Anbau von Agrokraftstoffen und
Futtermitteln, durch geringe Lagerbestände an Getreide, hohe Ölpreise, die Spe-

Drucksache 17/10683 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

kulation an den Agrarrohstoffmärkten und extreme Wetterereignisse angeheizt
wird. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
geht davon aus, dass bis zum Jahr 2030 bis zu 3 Prozent und bis zum Jahr 2050
bis zu 8 Prozent der verfügbaren Ackerflächen für die Herstellung von Agro-
kraftstoffen beansprucht werden. Vor dem Hintergrund einer rasant steigenden
Nachfrage nach Nahrungs- und Futtermitteln bei gleichzeitiger Abnahme der
weltweit verfügbaren Anbaufläche durch die zunehmende Verstädterung, die
Versalzung der Böden und den Verlust organischer Bodensubstanz, verschärft
der Anbau von Biomasse für Export in die EU die Flächenkonkurrenz und damit
die Nahrungsunsicherheit in den Ländern des Südens.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.